Fred Hersch - Songs from Home (fdp)

Fred Hersch - Songs from Home (fdp)

F

Palmetto Records

Liest man Fred Herschs Zeilen im Klappentext des Albums, dann wird klar, dass diese Veröffentlichung eine sehr persönliche ist. Sie reflektiert die Befindlichkeiten Tag für Tag, an dem der us-amerikanische Pianist nicht vor Publikum spielen konnte. Unter dem Stichwort Tune of the Day hat er die Musik, die ihm den Alltagseingrenzungen angemessen erschien, veröffentlicht. In seinem zweiten Zuhause in den Wäldern Pennsylvanias ließ er den Gedanken an ein Album aufleben, das einigen Jazzstandards wie Duke Ellingtons „Solitude“ vorbehalten ist, aber auch einem Song von Joni Mitchell („All I want) und einem von Jimmy Webb („Wichita Lineman“). Mit beiden verknüpfen sich Erinnerungen des nunmehr 65-jährigen Pianisten, so im Klappentext nachzulesen.

Mit Fug und Recht kann man das Album als eine Art Tagebuch des Klangs oder eine Chronik ansehen, unbeschadet davon, dass das sehr sensible, sehr lyrisch ausgerichtete Tastenspiel bisweilen ein wenig zu melancholisch daherkommt. Bräuchte man in diesen Zeiten nicht eher einen Stimmungsaufheller und ein musikalisches Antidepressivum im besten Sinne? Und Hersch selbst mein zum Album: „“It’s kind of a comfort food album, with a little badass stuff in there, too. I didn't want to make an easy listening record, but I did want to play some music that would make people happy.”

„Wouldn't it be loverly“ steht am Beginn des musikalischen Diskurses und und der Beatles-Song „When I'm Sixty-Four“ aus dem Sgt.-Pepper-Album am Ende. Zu hören sind zudem u.a. „After You've Gone“, „Get out of town“, „Sarabande“ (comp F. Hersch) sowie „West Virginia Rose“, gleichfalls aus der Feder des Komponisten und Pianisten Fred Hersch.

Schon bei den ersten Takten von „Wouldn't it be loverly“ überkommt den Zuhörer Wehmut. Herbststimmung wird heraufbeschworen. Die Bäume sind längst ohne Laub und der Himmel senkt sich grau über der Landschaft. Zugvögel machen sich auf gen Süden, fliegen im Keilflug vorbei. Irgendwie kündigt sich auch der Winter an. Da ist nichts von Aufbruch zu spüren, sondern eher von innerer Immigration. Das mag passend zu dem wegen der Pandemie verordneten Lockdown sein. Aber die auferlegte Isolation noch mit einem derart getragenen Stück zu bedenken, ist nicht gerade als ein Hoffnungsstreifen am Horizont anzusehen. Aus dem Jahre 1968 stammt „Witchita Lineman“. Es ist ein typischer Country Song mit durchaus süßlicher Konnotation. Vielleicht ist auch die Charakterisierung als cheesy angemessen. Im Duktus ist das Stück von Hersch sehr getragen angelegt. Irgendwie vermisst man die Frische. Stattdessen überkommt den Zuhörer eher der Eindruck, das Tastenspiel sei verwässert und ergieße sich in klanglichen Rinnsalen ohne Relevanz. Wo bleiben bloß die Dynamik und das Mitreißende statt der präsentierten Hintergrundmusik?

Zeilen wie „Now won't you listen honey, while I say, / How could you tell me that you're goin' away? ...“ müssen wir uns bei „After you've gone“ denken, während wir dem springenden Tastenspiel lauschen, das hier und da auch Ragtime-Anmutungen durchscheinen lässt. Warum nur fiel Hersch in Zeiten der Pandemie dieser Popsong aus dem Jahr 1919 wieder  ein, fragt man sich. Eine besondere Beziehung, so schreibt es Hersch im Klappentext, besteht zu Joni Mitchells Album „Blue“, das den Pianisten in seinen Jahren an der Highschool begleitete. Elegisch angelegt ist die Interpretation von „All I Want“. Stimmungsaufheller sehen anders aus, oder? Aber Hersch hat eben eine sehr persönliche Musikauswahl getroffen, die seiner eigenen Stimmungslage in den letzten Monaten betrifft. Das ist zu respektieren.

Mit „Get out of town“ folgt dann erneut ein Standard von 1938, der durch Cole Porter popularisiert wurde. Aber auch Ella Fitzgerald hatte diesen Song im Repertoire. Dieser Song weist starke rhythmische Durchwirkungen auf. Das Tastenspiel gleicht kaskadierendem Wasser. Lauscht man dem Stück in Herschs Interpretation, kann man dennoch nicht verdrängen, dass dieser Song Teil leichter Muse ist, in diesem Fall eines Musicals. Erstmals ist Herschs Spiel energetisch und mit starken Akzentuierungen. Seine eigene Komposition „West Virginia Rose“ ist dann doch eher im Fahrwasser von Schlager und Revuesong anzusiedeln – und das muss man mögen. Wir hören nachfolgend ein wenig Barockmusik, wenn „Sarabande“ erklingt, ehe mit „Solitude“ wieder ein Evergreen zu hören ist, Zum Schluss verneigt sich Hersch vor John Lennon und Paul McCartney und nimmt Abschied von seinem 64. Lebensjahr, dabei durchaus ein bisschen Ragtime in die Popsonginterpretation einwebend.

© fdp


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