Frank Talbot – Mundane Life Updates
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Rattle Music
Lesen wir zunächst einmal, was der Saxofonist Frank Talbot, dem alle Kompositionen des Albums zu verdanken sind, über sein aktuelles Album sagt: „You may wonder why I called this album "Mundane Life Updates", especially as the music might not strike you as mundane — hopefully! It’s a term my partner and I use when we share the small quotidian joys, excitements and happenings of our day. Many of my compositions are based on such events, and the musical medium is just another way to express the little experiences of living. Though some themes may seem far less mundane than others, “big” life events occur every second of every day, and the most banal pleasures can be our greatest.“
Vorab sei die Anmerkung erlaubt, dass das Album m. E. mit feinster Post-Bop-Würze serviert wird. Das beginnt schon beim Eröffnungsstück „Highland High Life“: Unterwegs zu einer Konzerttour, so lesen wir, nutzte Frank Talbot einige freie Tage in Japan um seiner Leidenschaft nachzugehen: Achterbahnfahren in Vergnügungsparks. So tat er es und besuchte Fuji-Q Highland, um dann mit dem vorliegenden Stück die Atmosphäre des Parks in einer Art „erweiterter Wirklichkeit“ einzufangen. Also, los geht es mit der wilden Achterbahnfahrt! Geschwindigkeitsrausch wird eingefangen, die wilde Fahrt auf und ab und in Loops ebenso, ohne allerdings Loops zum Bestandteil der Musik zu machen. Irritierend sind einige Passagen mit eher gemäßigtem Tempo und mit einem kehlig ausgerichteten Saxofon, das uns begleitet. Vielleicht ist dies nur der Hinweis auf eine Pause zwischen zwei Fahrten und das langsame Anfahren und Abbremsen, oder? Das hysterische Schreien und Jauchzen der Fahrenden muss man sich zur Musik eher hinzudenken. Insbesondere im Pianosolo von Ayrton Foote wird vermittelt, es bliebe neben dem ultimativen Kick des Fahrrausches noch Zeit um den Blick in die Umgebung schweifen zu lassen. Die umgebende Landschaft zieht dabei in Sekundengeschwindigkeit am Auge des Betrachters vorbei. Eigentlich signalisiert uns als Hörer die Musik im Weiteren nur eins Geschwindigkeitsrausch und Adrenalingenuss, oder?
Auch das nachfolgende Stück bezieht sich auf einen Vergnügungspark, wie uns Frank Talbot auf dem CD-Cover wissen lässt. Der Titel lautet „A close second“ und entstammt einem Hinweisschild , das der Saxofonist im Universal's Islands of Adventure entdeckte: "Safety first, accidents a close second". Doch die Musik scheint auch ein wenig an die Musik von Zirkuskapellen zu erinnern, die dazu dient die Pferdedressur oder aber die Clownsslapsticks zu untermalen. Man sieht vor dem geistigen Augen tolpatschig erscheinende Clowns und stolze Araber, die Pirouetten drehen. Zudem hat man hier und da die Vorstellung, man lausche einer Marching Band oder den Bandas, die bei Festen durch La Valletta ziehen.
Auch wenn es sich bei „Bardo“ um ein Wort aus dem Tibetischen handelt und Teil eines spirituellen Konzepts ist, so ging es Talbot im Kern darum, Momente des Wechsels einzufangen. Dabei dachte er auch an die Ansagen in der Londoner U-Bahn. Das „Mind the gap“ war und ist allgegenwärtig. Mit Bedacht agiert die Bassistin Phoebe Johnson. Mit samtener Stimme agiert der Saxofonist. Beinahe gläsern durchscheinend sind einige der Phrasierungen. Ein steter Klangfluss umfängt uns, derweil der Pianist im Hintergrund rhythmische Akzente setzt und auch ein wenig Blechrausch zu vernehmen ist. Man muss beim Hören eher an die „Blaue Stunde“ denken, denn an eine U-Bahn-Fahrt im stickig-heißen Londoner Untergrund. Und der Hinweis auf den Abstand zwischen Ausstieg und Bahnsteig steht wohl weniger im Fokus. „The Walk“ mutet so an, als ob Talbot Mackes Schaufensterbummler oder die Flaneure einer Großstadt beobachtet habe. Nein, die Menschen, die der Saxofonist musikalisch erlebbar macht, sind nur selten hastig unterwegs. Sie scheinen stehen zu bleiben und zu verweilen. Dann jedoch gehen sie strammen Schritts weiter, so suggeriert es das Saxofongebläse. Menschen strömen durch die Stadt – das ist ein anderes Bild, das die Musik zu vermitteln scheint. Ist es Rush Hour oder etwa nur Büroschluss? Übrigens, eingebunden ist in dieses Stück ein hörenswertes Solo des Drummers Hikurangi Schaverien-Kaa.
Talbot verarbeitet in seiner Musik zumeist eigene Erlebnisse. Das gilt gewiss auch für „25 Dollary Doos“, ein sehr beschwingt daherkommender Titel. Ein wenig atmet er den Geist von Nat und Cannonball Adderley und zeichnet sich unter anderem durch ein perlendes Pianospiel aus. Dieses scheint uns zu vermitteln, dass die Zeit dahin rinne. Dass Anlass für das Stück ein verlorenes Parkticket und das zu zahlende Bußgeld war, erläutert der Text auf der CD-Hülle.
Nachdem der Saxofonist im Januar 2019 erfahren hatte, dass seine Mutter an Krebs im Endstadium leide, schrieb er „Steak & Kidney Pies, Early Goodbyes“ und auch das nachfolgende „Empty Beds“. Sehr getragen ist das Tempo des zuvor genannten Stücks. Angesichts der Information über den Anlass für die Komposition muss man an ein Lamento, wenn nicht gar an ein Requiem denken. Nein, es ist kein beschwingter Gang einer Marching Band zum Friedhof, wie wir dies aus New Orleans kennen. Dort ist der Tod nicht bitter, sondern ihm wird auch mit Leichtigkeit und Humor begegnet. Im vorliegenden Fall ist dies anders. In dem Stück bündelt sich Schwere, wenn nicht gar Verzweiflung. Zugleich wird in der Komposition die Erinnerung an die Kochkünste der Mutter lebendig. Abgeschlossen wird das hörenswerte Album, in dem sich der Saxofonist in seinem Spiel zurücknimmt und den Mitmusikern Raum der Entfaltung lässt, mit „Dnalaez Wen“. Es ist im Übrigen eine Komposition, die über Sonny Rollins’ „Airegin“ geschrieben wurde, so ist zu erfahren.
© fdp2023
Line-up
Frank Talbot (saxophone)
Ayrton Foote (piano)
Phoebe Johnson (acoustic bass)
Hikurangi Schaverien-Kaa (drums)
Tracks
01 Highland High Life 5:39
02 A Close Second 5:08
03 Bardo 5:35
04 The Walk 6:04
05 25 Dollary-Doos 3:56
06 Intervallic 5:55
07 Steak and Kidney Pies, Early Goodbyes 6:28
08 Empty Beds 6:16
09 ...And the Truth 7:22
10 Dnalaez Wen 2:46