For Free Hands: Kaleidoscope Freedom
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Laika Records EAN Code 4011786143054
Das Berliner Quartett, bestehend aus dem Gitarristen Andreas Brunn, dem Saxofonisten Vladimir Karparov, dem Bassisten George Donchev und dem Schlagzeuger Dimitris Christides, vereint Ost und West. Die Musiker stammen aus Deutschland, Griechenland und Bulgarien und sind aus der Berliner Jazzszene heute nicht mehr wegzudenken. Programmatisch scheint das Cover der aktuellen CD: Man sieht eine eingerissene Mauer, die den Blick über den Ozean bis zum Horizont freigibt. Über dem Meer schwebt die aus dem Weltall betrachtete Erde, unser Blauer Planet. 'Kaleidoscope Freedom' lautet der Schriftzug am Horizont. Ja, Freiheit ist facettenreich und bunt. Einfarbigkeit wählen die, die einfache Antworten auf komplizierte Fragen suchen.
Brunn, der als Jugendlicher Bekanntschaft mit einem Stasiknast machen musste, weiß, wie hoch die Freiheit einzuschätzen ist. Brunn und seine Mitspieler nehmen sich alle Freiheit, Musik zwischen Balkanrausch und europäischem Jazz darzubieten. Alle zehn Kompositionen stammen von Andreas Brunn, der sich bei 'Blood und Honey' die Freiheit genommen hat, eine bulgarische Volksweise zu verjazzen. Wer den Kompositionen von Andreas Brunn lauscht, wird sehr schnell ein polyrhythmisches Konzept erkennen. „In den meisten Stücken sind zwei Metren ineinandergeschoben, sodass sich für uns eine wunderbare Spielweise ergibt“, so erläutert uns Andreas Brunn seine Spielidee. Noch etwas nimmt der aufmerksame Zuhörer wahr: Brunns Flageolett-Akkorde, die häufig die Einleitung der Stücke bilden.
Begleitet wird Brunn dabei von den gestrichenen Bassklängen, die George Donchev zu verdanken sind. Aber auch rhythmisch gezupfte Gitarrenklänge sind zu vernehmen, und diese treffen auf die helle Stimme eines Saxofons, das gleichsam zu Höhenflügen ansetzt. Klagend, schluchzend, schrill tönend – das sind Beschreibungen, die dem Spiel von Vladimir Karparov sehr nahe kommen, insbesondere bei der Ouvertüre der aktuellen CD. Sie trägt den Titel 'Meeting Of Good Thoughts'. Es hat bei diesem Stück den Anschein, als spiele Brunn nicht nur klassische Gitarre, sondern auch Laute, aber da spielt uns unser Gehör wohl einen Streich, denn eine solche Besetzung gibt es bei dem Ensemble nicht. Freies Spiel neben thematischer Gebundenheit zeichnet For Free Hands aus. Dass nun nicht jedes Bandmitglied gleichermaßen an den Kompositionen mitwirken kann, scheint sich von selbst zu verstehen. So agiert das Schlagzeug wahrnehmbar, aber dennoch eher im Hintergrund, sorgt für notwendiges Tempo und für Drive, wenn dies auch häufig dem akzentuierten und rhythmischen Gitarrenspiel überlassen bleibt.
Nicht dem Perpetuum mobile ist eine der weiteren Kompositionen gewidmet, sondern einem 'Perpetuum five'. Doch was ist das bloß? Etwas Bewegtes und sich Bewegendes, gewiss. Das unterstreichen sehr gut die bisweilen hektisch-nervös anmutenden Saxofonkaskaden. Zu hören sind aber auch Tonsprünge und nicht nur eingängige Läufe, zu denen sich Karparov hinreißen lässt. Auch der jagende Rhythmus des Schlagzeugs unterstreicht die Bewegung, die der Titel nahelegt. Schließlich scheint diese Bewegung nahezu zu einem Chaos zu werden, hört man die dissonanten Klänge von E-Gitarre und Saxofon.
Nicht der „Blaue Montag“, sondern der 'Magische Freitag' ('Magic Friday') hat es Brunn und seinen Mannen angetan. Die Gitarren-Grooves bestimmen hierbei nicht das Klangbild und die Harmonien. Tonangebend ist währen des magischen Freitags das Saxofon. Erst im zweiten Teil der Komposition antwortet Brunn auf seine Weise auf die Saxofonphrasierungen.
Merkwürdig mutet der Titel 'Blood & Honey' an, ein Stück basierend auf einer bulgarischen Volksweise. Also was erwarten wir? Ausgelassene Tanzmusik, oder? Schwungvoll geht es zur Sache, und die verjazzte Volksweise geht dem Zuhörer ins Blut, nein, eher in die Beine. Links herum und rechts herum, immer in Bewegung bleiben und das Tanzbein schwingen oder sich im Reigentanz finden – das sind Assoziationen, die 'Blood & Honey' weckt. Ekstase und musikalisches Feuerwerk, das präsentieren uns For Free Hands nicht nur mit diesem Balkanhäppchen, sondern auch mit ihren weiteren Stücken, ob nun 'Everything Flows' oder 'Kaleidoscope Freedom.'.
In Replik auf die 'West Side Story' schrieb Brunn seine Hymne für die East Side Gallery, eine Berliner Institution, die den gierigen Investorenplänen zum Opfer zu fallen drohte. Erst in letzter Minute konnte der Abriss eines Teils der Berliner Mauer, die mit Street Art verschönert wurde, verhindert werden. Nichts mehr und nichts weniger ist nämlich die besagte East Side Gallery. Und was hat das Berliner Quartett sonst noch im Köcher? Lassen wir uns doch in der Zukunft überraschen.
© ferdinand dupuis-panther