Filippa Gojo: Vertraum
F
Ajazz
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Instrumentierung auf dem vorliegenden Album ist minimalistisch und beschränkt sich auf Shruti-Box und Kalimba. Beide Instrumente spielte Filippa Gojo auch auf dem JOE Festival 2016. Dort war sie allerdings Teil eines Quartetts mit Bass, Perkussions, Rhodes sowie Klavier. Auf ihrem vorliegenden Soloalbum war Filippa Gojo auf sich selbst gestellt, sprich, sie musste ihre Stimme für sich sprechen lassen.
Zu hören sind neun Kompositionen, angefangen bei „Lazy Afternoon“ – dieser Titel hat nichts gemein mit einem ähnlichen der Rockband Lovin' Spoonful – über „Wer Ku Ka Ka Ku“ und „My Water“ bis hin zu „Das minimale Spieluhren-Spiel“. Übrigens mit „Lazy Afternoon“ hat sich die Vokalistin eines Jazzstandards von Jerome Moross angenommen. Dazu Filippa Gojo: „Dieser Jazzstandard … beschreibt die unaufgeregte Einfachheit der Muße – ein wichtiger Nährboden der Kreativität.“
Da es immer seltener geworden ist, dass Musiker ihre Musik auch kurz charakterisieren, muss in diesem Falle darauf hingewiesen werden, dass die aus Bregenz stammende Sängerin dies auf den Innenseiten des Covers tut. Zudem gibt es ein einliegendes Faltblatt, auf dem man neben den mundartlich gesungenen Texten auch deren Übersetzung findet. Auf die verbale Vermittlung wurde also bei der Erstellung der CD augenscheinlich besonders Wert gelegt. Dafür muss man das Label und auch die Musiker m. E. besonders loben. Jazz oder Musik generell versteht sich ja nicht in jedem Fall aus sich heraus.
Hinweise auf die Entstehung der Kompositionen – „My Water“ entstand bei einem Portugalaufenthalt, als sich Filippa Gojo so frei fühlte wie ein ungebändigter Fluss – sind auch notwendig und wichtig, will man die „Botschaften“ verstehen, die die Musik von Filippa Gojo transportiert.
Singt Filippa Gojo Mundartliches, dann scheint schon per se die Nähe zum Scat Vocal gegeben, einen Gesangstil, den die Bregenzerin hervorragend umzusetzen versteht. Na ja, was Ella konnte, ist Filippa Gojo auch kein Buch mit sieben Siegeln, wie man bei Hören des Albums schnell bemerkt.
„Pa dong ding“ – so beginnt „Wer Ku Ka Ka Ku“. Nach den ersten Takten setzt sich Scat Vocal vermischt mit Mundartlichem durch. Stellenweise hat man den Eindruck von Rap und von Kindergezänk sowie Ätschibätschi. Instrumentales ist nicht zu vernehmen. Allein die Stimme von Filippa Gojo steht im Vordergrund: „Hunna dumma i da Sunna ...“. Und zum Schluss: „Wer ku ka ka ku.“
Begleitet von der Shruti-Box, in der Klangfarbe einem Harmonium nicht unähnlich, wenn auch mit sehr reduzierter Klangfülle, singt Filippa Gojo „Do Mo Trinkt Bloach Osom Bach“. Übersetzt heißt es: „Der Mond trinkt bleich aus dem Bach / der Tag bleibt lang nicht mehr wach ....“. Wäre es falsch von einem Abendlied zu sprechen, wenn die Zeilen des Vorarlberger Liedermachers Ulrich Gabriel erklingen?
An diesem vorgetragenen Liedgut kann man verdeutlichen, dass die Bregenzerin Vokalistin keine Berührungsängste plagen, Volkstümliches in ihre Repertoire aufzunehmen. Hierzulande ist das eher ein No-go. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass das Volkslied in der Zeit zwischen 1933 und 1945 korrumpiert und ideologisch besetzt wurde. Erst mit der Liedermacher-Bewegung der Burg Waldeck der späten 1960er Jahre gab es den Versuch, sich mit dem Volksliedhaften, wenn auch politisch gewendet, zu beschäftigten. Bis heute klebt dem Volkslied bei uns das Dumpfdeutsche an. Wer wie La Brass Banda gar bayrisches Volksliedgut phrasiert und „verjazzt“, gilt auch noch heute als Außenseiter. In Vorarlberg scheint das anders zu sein, denn auch der Jazz-Pianist David Helbock bedient sich bei seinem Vortrag teilweise der heimischen Folklore.
Leises Gezwitscher und Getuschel stehen am Anfang von „Low Slow“. Windrauschen vermeint man außerdem zu vernehmen. Die Stimme wird zum Instrument. Lautmalerisches kommt hinzu. Es klingt wie „Slupsloptsslopslot“ oder Ähnliches. „Lalalaolalaolarshchtsalala“ ist zudem auch auszumachen. Dabei ist ein gewisses Echauffieren nicht zu überhören.
Mit „Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht“, eigentlich „I woass net, wo I ane wett“, stellt die Vokalistin aus Bregenz erneut unter Beweis, was die menschliche Stimme alles auszudrücken vermag. Textlich ist die Kritik an dem alltäglichen Rattenrennen, an der Gier nach Geld und am Streben nach Aufstieg auf der Hand liegend: „Und rund um mich läuft alles fort, weil jeder Tag mehr Zeit vergeht, und Zeit ist Geld und Geld die Welt ...“. Minimalistisch ist die Begleitung zum Vortrag mit der Shruti-Box, immer dann, wenn es nicht um die Lyrik, also um den ernsthaften Inhalt geht, sondern um die lautmalerische Passagen.
Mit „Das minimale Spieluhren-Spiel“ – hier spielt eine Janosch-Kinderuhr auch eine tragende Rolle – endet das Album, das gänzlich Unerwartetes präsentiert. „Ist das Jazz oder nicht?“ - das ist eine berechtigte Frage, aber was ist angesichts der Auflösung der Genres schon Jazz und was nicht?
Text: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
http://www.ajazz.de
Musikerin
Filippa Gojo
http://www.filippagojo.de/
https://www.facebook.com/Filippa-Gojo-Quartett-203701406327406/
https://www.youtube.com/watch?v=XNt3zkUii5c
https://www.youtube.com/watch?v=SkPlVHWkRhY
https://www.youtube.com/watch?v=Bfc1I3MjPBU
Joe Festival 2016
http://www.jazzhalo.be/reviews/concert-reviews/20-joe-festival-tag-1-die-extragalaktische-eroeffnung/