Der diesjährige Muttertag fiel mit dem sogenannten Bördetag, dem jährlichen Stadtfest der westfälischen Hansestadt Soest, zusammen. Für einen Teil des musikalischen Rahmenprogramms war die ortsansässige Jazz-Interessengemeinschaft verantwortlich, die auch ansonsten sehr umtriebig ist und jeweils am 1. und am 3. Sonntag im Monat an zwei unterschiedlichen Spielorten in Soest für gepflegten Jazz sorgt.
In diesem Jahr hatte die besagte Jazz-Interessengemeinschaft das Jugend-Jazz-Orchester des Münsterlands namens UniJAZZity eingeladen. Spielort war der Innenhof des historischen Rathauses, der an diesem sonnigen Sonntag sehr gut gefüllt war. Nicht nur die Eltern der jungen Jazzer waren zugegen, sondern auch eine große Anzahl von an Jazz Interessierten.
Come Fly With Me und mehr
Wer Swing im Sinne von Benny Goodman oder Big-Band-Sound im Stil von Duke Ellington und Count Basie erwartete, der musste sich mit anderen Hör- und Klangeindrücken auseinandersetzen. Der künstlerische Leiter des Ensembles, das es seit neun Jahren in unterschiedlicher Besetzung gibt, hatte schlicht andere Kompositionen für das Sonntagsprogramm ausgewählt. Christian Kappe, selbst ein nicht nur in NRW bekannter Jazztrompeter, der mit Trilok Gurtu ebenso wie mit Barbara Dennerlein auftritt, traf die Wahl unter anderem für Songs wie „Come Fly With Me“, von Frank Sinatra gesungen, von der Big Band UniJAZZity jedoch instrumental vorgetragen.
Zu hören waren zudem Kompositionen wie „Land Of Make Believe“ (Chuck Mangione / Victor Lopez), „North Shore Evening“ (Matt Harris), „Absoludicrous“ (Gordon Goodwin) sowie „Up Jumped Spring“ (Freddie Hubbard / Les Hooper), Parkers „My Little Suede Shoes“ und von Snarky Puppy „Lingus“. An dieser Stelle sei vorweggenommen, dass die Band ohne Zugabe die Bühne nicht verlassen konnte, denn der Beifall war am Schluss lang anhaltend.
UniJAZZity – Jazz steht im Mittelpunkt
Vor dem Konzert konnte ich mit Christian Kappe noch ein kurzes Gespräch zur Band, zum Programm und zur Idee hinter dem Bandprojekt führen. Nach dem etwas sperrigen Bandnamen befragt, in dem ja irgendwie Universe, Jazz und City verborgen scheint, antwortete Christian Kappe wie folgt: „Ja, das „ity“ kommt ja eigentlich von den Bebop-Stücken, was ist es eigentlich, ja diese Verwissenschaftlichung wie Ornithology, Dexterity – da gibt es noch allerlei andere Titel aus dem Bebop. Das war so eine Art Wortspiel, das jemand entwickelt hat, der auf dem Kulturgut Haus Nottbeck dabei war, als das Orchester neu gegründet wurde. Uni ist natürlich irgendwie die Uni, die Ausbildung. Es ist aber auch das Universelle, das Zusammenführen. Jazz ist natürlich Kern und Mitte des Ganzen. Die Begrifflichkeit ist in der Tat ein bisschen kompliziert, aber ist auch besonders.“
Angesichts der Größe des Ensembles fragte ich Christian Kappe auch nach dem Sinn von Mehrfachbesetzungen – es gibt zum Beispiel gleich neun Trompeter in der Band, wenn alle Musiker da sind. „Es ist ja so, dass eine typische Big-Band-Besetzung mit +/- 16 Musiker/innen auskommt. Dann ist eine klassische Big Band gut besetzt. Bei uns ist es so, dass wir vielen Musikern/-innen die Chance geben wollen mitzuspielen. Das Orchester ist ja ein überregionales Orchester, für das Münsterland konzipiert, und hat inzwischen Spieler aus ganz Westfalen. Wir hätten einfach zu wenig Plätze, wenn wir das begrenzen würden. Das heißt, es geht um Chancen, um jungen Musikern, die an ihren Heimatorten in Bands und Konzerten eingebunden sind, natürlich eine höhere Spielstabilität zu ermöglichen. Wir haben über die Jahre gemerkt (…), dass das gut funktioniert. Wir sind sehr glücklich damit. Man hat natürlich besonders sorgsam zu sein in Bezug auf Durchhörbarkeit der Musik. Das ist dann auch eine Herausforderung. Alle genießen ääe Vielseitigkeit, die die Band dadurch hat.“
Im Anschluss daran wollte ich gerne wissen, wer denn die Stücke auswählt, die die Band vorträgt. Gibt es einen kollektiven Prozess oder liegt alles in den Händen des künstlerischen Leiters? „Ich fungiere als musikalischer Leiter. Die Organisation liegt überwiegend beim Kulturgut Haus Nottbeck. Es funktioniert so, dass wir im Herbst eine Arbeitsphase von sechs Tagen haben. Das ist der Saisonauftakt für die neue Spielzeit. Dann erarbeiten wir ein neues Repertoire. Im ersten Halbjahr treffen wir uns an zwei bis drei Probensamstagen. Öfter proben wir gar nicht! Es ist schon so, dass ich die Musik überwiegend aussuche. Ich bin aber total offen für Vorschläge. Die kommen durchaus auch aus der Band. Heute wird „Lingus“ von Snarky Puppy im Programm sein. Jemand hatte mich darauf gestoßen, dass es da überhaupt die Möglichkeit gäbe, Noten zu bekommen, was gar nicht leicht ist für so ein Ensemble, weil solche Stücke ja sehr up to date sind. Dann ist es so, dass wir im Herbst ein Dozententeam haben, das mit der Band arbeitet Dann bringen auch die Kollegen Stücke mit, oft auch eigene Kompositionen.“
Nun wollte ich aber auch wissen, wo die musikalischen Vorlieben von Christian Kappe liegen, soweit es ein solches großes Ensemble betrifft. „Mir gefallen Sachen; mir gefallen Sachen nicht. Wenn ich eine Vorliebe oder ein Ziel habe, dann ist es die Breite, also ich will sowohl Swing-Klassiker spielen als auch Jazzrock, 70er-Jahre-Musik, zeitgenössischen Jazz, Sachen mit freien Improvisationen, aber auch Groove- und Funk-Nummern, die die Jugendlichen oft sehr lieben, lateinamerikanische Musik wie Bossanova. Was mir wichtig ist, dass alles irgendwie vorkommen darf und soll. Grundsätzlich ist es Instrumentalmusik auch von bekannten Vokalkompositionen. Das ist auch eine Eigenheit, dass wir bisher keinen Gesang haben. (…) Ich finde, dass es wichtig ist, dass die Kinder und Jugendlichen in allen Stilistiken Repertoire vor der Nase gesetzt bekommen sowie lernen, stilsicher zu spielen. Wenn wir Motto-Konzerte geben wie mit dem Sänger und Moderator Götz Alsmann, dann ist es das Repertoire, für das er steht, Schlager, Swing und Tanzmusik anderer Jahrzehnte. Ich nenne aber auch ein Projekt mit Jason Yarde, der ein zeitgenössischer, experimenteller Londoner Saxofonist ist und mit der Band Free Jazz gespielt hat; oder auch die Begegnung mit Stefan Bauer, einem deutschen Vibrafonisten, der in New York lebt, der Stücke mitgebracht hat, teils improvisiert, teils notiert, was auch sehr spannend war.“
Es sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass die Band Träger des WDR Jazzpreises 2016 ist, eine wichtige Auszeichnung für junge Musiker/-innen im Alter zwischen 11 und 18 Jahren!
Geballte Ensemblemacht und solistische Intermezzos
Stets gab es bei den Arrangements Raum für solistische Einschübe, ob bei „Brother Mister“ durch ein Posaunensolo oder Gitarrensolo. Bei „Up Jumped Spring“ waren es die beiden Trompeter der Band, Nils & Reinel, die den „roten Melodiefaden“ teilweise bestimmten. Lenard und Sarah wechselten sich in den Solos bei Parkers „My Little Suede Shoes“ ab und bei „Lingus“ zeigten sich Jonas am Altsaxofon, Oliver am Klavier und Julius am Bass solistisch, während bei „Heart Of The Matter“ das Tenorsaxofon (Tim Köhler) vom Altsaxofon (Jonas Neyer) abgelöst wurde.
Zu Konzertbeginn stand kein neuer Frank Sinatra auf der Bühne, auch wenn „Come fly with me“ gespielt wurde. Swing jenseits von Benny Goodman füllte den Innenhof des alten Soester Rathauses. Insbesondere zu den Klängen der Tenorsaxofone kam der eine oder andere Zuhörer sprichwörtlich ins Schwingen, swingte der Titel doch ganz gehörig. Satt und eher klanglich wie eine Trompete gefärbt, erwies sich das Solo des Ventilposaunisten. Nein, das Tieftönige, das Grimmig-Brummende und Brodelnde einer Posaune fehlte hier weitgehend. Glockenhell zeigte sich danach die Trompete, die bisweilen auch rotzig-frech daherkam. In Erinnerung blieb den sehr zahlreich erschienenen Zuhörern auch das Flügelhornsolo in „Land Of Make Believe“. Anfänglich vernahm man eher süßlich anmutende Klangbilder, die jedoch alsbald von rockigen Melodiesträngen und von lateinamerikanischen Einsprengungen durchbrochen wurden. Der entsprechende Hüftschwung von tanzenden Paaren blieb aus, denn keiner wagte sich auf das Pflaster vor der Bühne, auch wenn die Rhythmen durchaus animierend waren, vor allem dank des intensiven Einsatzes von Congas, Bongos und Rasseln.
Es war an Julius Hülshoff, der auf der Bühne am Keyboard sitzend, seinen 18. Geburtstag „feierte“, wie Christian Kappe verriet, den Anwesenden einen Abend am Nordstrand nahezubringen. Beim Zuhören fühlte man sich nicht nur wegen der eher leisen Töne an West Coast Jazz erinnert. Als die Allgewalt der Saxofone jedoch zum Zuge kam, wurde aus dem angestimmten eher besinnlich erscheinenden Abend am Nordstrand, ein flackerndes Abendlicht, wurde Partystimmung eingefangen, das pulsierende Nachtleben eingeläutet. Rollerskater mit nackten, muskulösen Oberkörpern schienen am geistigen Auge der Anwesenden vorbeizuflitzen. Offene Sportwagen und tiefer gelegte schnittige Luxusautos drehten ihre Runden.
Noch ein Ständchen der Band für den Mitmusiker und dann ging es flott im Programm weiter: Mit einem Einschlag von Funk drang „Absoludicrous” ans Ohr der Freunde der gepflegten Unterhaltungsmusik, sprich des Jazz! “Hit The Ground Running” – so heißt auch die aktuelle CD der Band – stand nachfolgend auf dem Programm. Den Berichterstatter erinnert dieses Stück teilweise an bekannte Filmmusiken wie „Mission Impossible“, aber auch an „Shaft“ – wenn denn solche Referenzen erlaubt sind.
Wie mag wohl ein Titel des Hard-Bop-Trompeters Freddy Hubbard in einer Big-Band-Präsentation klingen, fragte sich vielleicht der eine oder andere Jazzfreund, als er vernahm, „Up Jump Spring“ – wie passend für einen teils sonnigen Frühlingstag – stehe auf dem Programm. Vertrieben wurde nachhaltig mit sehr schönen Klangsequenzen der Winter. Das frische Grün konnte sprießen. Swing lag auch in der Luft, vor allem aber faszinierten die beiden Trompeter, die erst mit und dann ohne Dämpfer, für klare Klangfarben sorgten. Beide waren vom Spiel des anderen so begeistert, dass sie auf der Bühne den bei Hip-Hopper so beliebten Faust-zu-Faust-Gruß praktizierten und sich leise „Super“ zuraunten.
Auf Charlie Parkes Album „Fiesta“ hat der Titel „My Little Suede Shoes“ eher einen lateinamerikanischen Drive und ist viel weniger als erwartet klassischer Bebop. Dieser Stilistik bediente sich auch UniJAZZity, hörte man aufmerksam den Bläsern und vor allem dem aufregenden Spiel an Congas und Bongos zu. Trotz des Winds, der sein Spiel mit den Notenblättern trieb, ließen sich die Musiker, auch Sarah Flechtker bei ihrem Trompetensolo, nicht irritieren. Leichtes Latin Fever verbreitete sich.
Dann war es an Christian Kappe den Anwesenden den Kauf der CD der Band ans Herz zu legen. Schließlich sei ja Muttertag und auch Mütter mögen Jazz, wie er mit einem breiten Grinsen betonte. Zudem fiel auch der denkwürdige Satz: „Please support live music!“ Abgesehen davon galt Christian Kappes Dank der einladenden Jazz-Interessengemeinschaft.
Mit „Lingus“ erfolgte eine musikalische Exkursion in den zeitgenössischen Jazzrock. Sehr beeindruckend waren die beiden solistischen Einlagen des E-Gitarristen, dessen Fingerspiel ein Hingucker und zugleich ein Hinhörer war. Bei den Klangfeldern, die der Keyboarder eröffnete, dachte man, es werde aus einem Synthesizer ein Effektschwarm erzeugt, der wie ein musikalischer Lavaregen anmutete. Afro-brasilianische Beats drängten sich in den Vordergrund, dank an Tristan Löhrs an den Bongos und Congas.
Dem aktuellen Leiter der WDR Big Band, Bob Mintzer, ist „The Heart Of The Matter“ zu verdanken, mit dem sich UniJAZZity von ihrem Publikum verabschiedete.
Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Musiker
Julius Hülshoff / Benedikt Göb (Klavier), Ben Müthing, Linus Oberhoff (Gitarre), Cajetan Stracke / Joshua Lembeck (Bass) Jannis Vernier / Tristan Löhrs (Schlagzeug), Jonas Neyer / Lennard Hieby (1. Alto Sax), Faustus Tuschmann (2. Alto Sax), Tim Köhler (1. Tenorsax), Lukas Hegel, Jakob Hoffmann (2. Tenorsax), Sara Jouini (Baritonsax), Tom Sander (1. Posaune), Felizian Tenthoff / Corinna Dercks (2. Posaune), Jakob Holtmann / Alicia Tudzynski (3. Posaune), Friedrich Falkenhagen (Bassposaune), Nico Wellers / Jan Arndt (1. Trompete), Reinel Ardiles Lindemann / Sarah Flechtker (2. Trompete), Nils Attermeyer / Oliver Seidel (3. Trompete), Niklas Halbe / Fiona Lepping / Vincent Hying (4. Trompete)
Bandprojekt
https://www.kulturgut-nottbeck.de/extra/unijazzity/
Film
Audio
UniJazzity: Hit The Ground über http://www.unijazzity.de bestellen
Christian Kappe
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