UNI Big Band, Leitung: Ansgar Elsner

Weinfest Warendorf 2.7.2023 und Cuba Black Box Münster 07.07.2023



Das Repertoire des Ensembles erstreckte sich von Originalarrangements des klassischen Big-Band-Jazz (Bill Holman, Oliver Nelson, Benny Carter) bis hin zu zeitgenössischen Arrangements (Bob Mintzer, Bob Curnow, Gordon Goodwin). Darüber hinaus wurden auch Stücke von Bandmitgliedern gespielt.

Übrigens, die Big Band steht Studierenden aller Fachbereiche der Universität Münster offen. In jedem Semester wird ein neues, stilistisch abwechslungsreiches Konzertprogramm erarbeitet, das am Ende des Semesters zur Aufführung gebracht wird. Neue Mitglieder werden aufgenommen, sobald Plätze frei werden. Geprobt wird donnerstags um 19 Uhr im Institut für Musikpädagogik. So jedenfalls ist es auf der entsprechenden Homepage zu lesen. Nunmehr seit zwei Jahrzehnten existiert die Band unter Leitung des Saxofonisten Ansgar Elsner, natürlich in unterschiedlichen Besetzungen.





Big Band Swing auf dem Warendorfer Weinfest

Gleich zweimal trat die Uni Big Band Anfang Juli vor Publikum auf, und das mit unterschiedlichen Programmen. Beim Warendorfer Weinfest am 2. Juli 2023 stand eher Swing-Jazz auf dem Programm, wie der künstlerische Leiter Ansgar Elsner es formulierte, ganz im Geiste von Count Basie. Auffallend war im Übrigen die Doppelbesetzung von Keys und Schlagzeug, sodass hier ein steter Wechsel der Musiker der Band zu erleben war. Und die Tatsache, dass ein Trompeter durchaus auch eine „tragende“ Stimme hat, mit der er in die Fußstapfen von Frank Sinatra trat, war durchaus bemerkenswert.

Mit „Younger Than Springtime“ – unter anderem vom Stan Kenton Orchestra bekannt gemacht – wurde der Auftritt der Band bei strahlendem Sommerwetter aufgemacht. Doch immer wieder gab es das Problem auffrischenden Windes und der fliegenden Notenblätter, trotz aller Bemühungen, die Notenblätter mit Wäscheklammern am Notenständer zu befestigen. Das ist halt Live-Musik unter freiem Himmel!


Wie auch bei diesem und anderen Stücken löste sich der Bläsersatz bestehend aus Saxofonen – einschließlich Sopran- und Baritonsaxofon –, Posaunen und Trompeten stets auf, waren solistische Einlagen Teil des Arrangements. Auf Leibesübungen wie sonst in derartigen Formationen – das Aufstehen und Niedersetzen von verschiedenen Bläsergruppen während des Stück – wurde verzichtet. Nur die Solisten traten hervor und spielten, wie auch die Trompeter, im Hintergrund stehend. Komponisten des oben genannten Stücks sind Richard Rodgers uns Oscar Hammerstein II. Der Vortrag der Band basierte auf dem Arrangement von Lennie Niehaus.

Beschwingt eingestimmt ging es weiter mit „Smack Dab In The Middle“ sowie „Lullaby Of The Leaves“, ein Stück, das so ganz und gar nicht nach einem Kinder- oder gar Schlaflied klang.  Es entstand in den 1930er Jahren und entwickelte sich im Laufe der 1950er Jahre zu einem Jazzstandard. Kein Geringerer als u. a. der Saxofonist Gerry Mulligan nahm sich mit seiner "Concert Jazz Band" dieses Stücks an. Und auch Ella Fitzgerald hatte dieses „Kinderlied“ in ihrem Repertoire. Das einzige Vokalstück während der Konzerts blieb „When You’re Smiling“. Dabei vermied es der Vortragende allzu sehr in einen Sinatra-Duktus zu verfallen. Und das war gut so.


Die musikalische Reise, auch in die Geschichte des Jazz, ging dann weiter mit „Just In Time“, ehe dann ein Salsa von Bob Mintzer auf dem Programm stand, eingeleitet mit einem sehr ausführlichen Schlagzeugsolo. Der Titel der Komposition lautet: „El Caborojeno“. Dem einen oder anderen war beim Zuhören gewiss die Einspielung von Mintzer mit der WDR Big Band im Ohr. Obgleich sehr animierend und sehr rhythmisch fühlte sich keiner der Anwesenden aufgefordert, einen Salsa auf das „Rasenparkett“ hinzulegen. Schade, oder?

Mit „Samantha“ bewegte sich die Band dann in eher ruhigem, „balladigem“ Fahrwasser. Ein besonderer Hinhörer war ein Auszug aus einer Suite, die Oliver Nelson als Auftragsarbeit für die Berliner Jazztage Anfang der 1970er Jahre geschrieben hatte, Thema: Impressionen von Berlin. Was wir hörten, war dann die musikalische Umsetzung des geschäftigen Treibens auf dem Kudamm, dem einstigen Zentrum Westberlins nach dem Mauerbau 1961. Man konnte sich beim Zuhören richtig den von der Verkehrskanzel gegenüber dem Café Kranzler geregelten Feierabendverkehr vorstellen, auch die bunte Neonreklame am Abend und bei Nacht sowie die zahlreichen Flaneure, die dann unterwegs waren, auch für einen Kinobesuch im damals noch existierenden Marmorhaus. Im Übrigen stellte die Band auch „Strike Up The Band“ vor. Stammt diese Komposition nicht aus der Feder von George Gershwin?



Konzert in der Black Box mit der Berlin-Suite von Oliver Nelson

Bei Ihrem Auftritt in der Black Box traten die Bandmitglieder alle im schicken Schwarz auf. Im Mittelpunkt des Konzerts stand dabei die schon oben erwähnte Suite von Oliver Nelson. Und auch das Eröffnungsstück stammte aus der Feder des früh mit 43 Jahren verstorbenen Komponisten und Arrangeurs. Für Count Basie hatte er einst „Miss Fine“ komponiert. Dieses Stück war gleichsam der Opener des Abends. Zuvor verwies der künstlerische Leiter des Ensembles darauf, dass dies nun das Semester-Abschlusskonzert sei und die Band hinfort nicht mehr den Namen WWU Big Band, sondern Big Band Universität Münster trage. Die Universität hatte sich nach längerer Debatte von dem belasteten Namen befreit. Namensgeber war ursprünglich der für seinen Rassismus und Antisemitismus bekannte Kaiser Wilhelm II.


Bei „Miss Fine“ gab der Bassist zunächst den Ton vor, ehe Saxofonisten und Posaunisten das Wort ergriffen, nein, die Tongeber waren und die Klangfärbung definierten. In diesen Bläsergesang stimmte auch der Baritonsaxofonist an, der dem Stück eine ganz besondere tieftönige Note gab. Hörte man zu, dann fühlte man sich in einen Ballroom der 1950er Jahre versetzt, schienen Broadway und Tanzrevue ganz nahe. Klangwogen ergossen sich ohne Unterlass, umfingen die anwesenden Zuhörer, die aufmerksam dem Konzertbeginn lauschten.

Weiter ging es mit der bereits mehrfach oben angesprochenen Suite. Es handelt sich um eine Auftragsarbeit, die Nelson für die damals existierenden Berliner Jazztage geschrieben hat. Er war mehrmals Gast, um die Atmosphäre der Stadt einzufangen. Lange war die Arbeit verschollen und ist erst jetzt wieder notiert erhältlich. Als Nelson Berlin besuchte, war der Kudamm hip. Es war die Flaniermeile der Westberliner und auch der Ort, an dem in den 1960er Jahre so manche Anti-Vietnamkrieg-Demo stattfand. Doch Letzteres stand bei Nelson nicht im Fokus.

Aus vier Sätze besteht die Suite, beginnend mit „Kudamm“, dann „Wannsee“, anschließend „Heidi“ – wer auch immer das war -  und zum Schluss „Berlin bei Nacht“. Der Bassist ließ seine tiefen Saiten schnarren, ehe dann die weichen, bisweilen samtenen Klänge von Klarinette und Querflöte sich mit dem Tieftöner vereinten. So hörten wir es zu Beginn. Gleichsam hieß es: Vorhang auf für die West-Berlin Prachtmeile, die einstige Prachtmeile, auf der vieles heute verschwunden ist, was damals kultig war wie das Marmorhaus und so manch anderes Großkino. Damals ging man ins Kino, heute streamt man.


Klangfülle lag in den Händen der Posaunisten. Im weiteren Verlauf des Satzes hatte man den Eindruck, man sehe die dicht gedrängten Flaneure, die auf den Terrassen sitzenden Cafebesucher des Kranzlers, erlebe Rush Hour und Abendverkehr auf dem Kudamm, auf dem Doppelstockbusse unterwegs sind. Ein Stück Fusion-Jazz vermittelte uns der Mann am Rhodes – und dieses Genre war ja durchaus in den späten 1960er und vor allem in den 1970er Jahren angesagt.

All diese Assoziationen wurden auch durch die Projektion mit Berlin-Aufnahmen aus dem Landesarchiv Berlin befördert. Auf diesen Fotos aus jener Zeit sieht man nicht nur den „Hohlen Zahn“ (die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche), sondern auch das Europacenter, in dem man auch Eislaufen konnte, und das legendäre Kranzler bzw. das Kranzler-Eck. Blümchenkleid traf Anzugträger – das sieht man auf einer weiteren Aufnahme. Nach dem ausgiebigen Posaunensolo war es an den Saxofonisten den Melodiefluss umzusetzen. Paraphrasierend trat der Altsaxofonist der Band auf und bezog sich auf das Solo des Posaunisten. Helle Stimmfärbungen folgten also auf eher gedeckte Klangfärbung.

An dieser Beschreibung wird ersichtlich, dass sich der kompakte Ensemblekörper stets auch auflöste, im Arrangement auch Raum für Solistisches vorhanden war. Nein, monolithisch war der Vortrag keineswegs, sondern aufgelockert und dynamisch, dem Thema „Kudamm“ entsprechend. Beim Anblick der Joachimsthaler Straße erlebten wir nicht nur den im Halbdunkel abgetauchten Altsaxofonisten, sondern auch die quirlig-aufgewühlten Posaunisten. Ließen sie nicht das Bild von der Doppelstockbusflotte der BVG im Kopf entstehen? Mit dieser konnte man den Kudamm auf und ab fahren, so wie man heute mit den Linien 100 und 200 der BVG eine Stadtrundfahrt unternehmen kann, auf eigene Faust also den Westen und den Osten der Stadt kennen lernen kann. Mit einem Schlagzeugsolo – ungewöhnlich – endete der 1. Satz der Berlin-Suite.


Einst wurde in einem Schlager gesungen „Pack die Badehose ein …. und dann nicht wie raus an Wannsee“. Bis heute ist das Strandbad Wannsee ein „Sehnsuchtsort“ der Berliner, auch wenn es nun die Möglichkeit gibt, zum Müggelsee zu fahren. Max Liebermann verbrachte am Großen Wannsee die Sommer. Sein Sommerhaus ist heute ein sehr beliebtes Museum, ebenso der nach historischem Vorbild wieder hergerichtete Garten. Doch Nelson war wohl eher vom Badevergnügen und den Dampfern auf dem Wannsee fasziniert, oder? Beschwören die Posaunisten nicht die Tage mit bestem Badewetter, an denen kaum ein Platz im Strandbad zu finden ist? Angesichts des Tempos des Stücks meinte man, dass die „Affenhitze“ de hektischen Berliner mal dazu zwinge ein wenig Tempo aus dem Alltag zu nehmen. Das schien auch der Altsaxofonist uns zu vermitteln.

Eine Aufnahme der Glienicker Brücke flackerte in der Black Box auf, Grenze zwischen Ost und West und nach dem Mauerbau Ort für den Austausch von hochrangigen Spionen beider Seiten. Malerisch ershien ein Schwarzweißbild vom Kleinen Wannsee, sehr beliebt bei Ruderern. Ja, der Wannsee mit seinen Waldgebieten war neben dem Grunewald das Ausflugsziel der Westberliner.

Balladenhaft gestaltet war „Heidi“, nicht zu verwechseln mit dem Almmädel im Roman von Johanna Spyri. Heidi steht wohl eher für das deutsche Fräulein per se, oder? Ist Heidi vielleicht nächtens im Neonlicht des Kudamms unterwegs, schaut in die erleuchteten Modegeschäfte oder macht einen Abstecher zum Kaufhaus des Westens? All das können wir uns angesichts der Musik und der Überblendungen historischer Berlin-Aufnahmen vorstellen.


Abgerundet wurde die Präsentation der Suite mit „Berlin bei Nacht“, weit vor der Zeit, als der Kudamm zum Schauplatz tödlich verlaufender Autorennen und Autoposer wurde. Angesichts der Klangfülle und -nuancen bei diesem Suite-Satz musste sich der eine oder andere an die Zeit erinnern, als Kurt Edelhagen mit dem Vorläufer der WDR Big Band den Jazz nach Deutschland brachte. Mit dem Blick auf den illuminierten „Langen Lulatsch“ (Funkturm) endete die Berlin-Reise. Ob man noch einen Koffer in Berlin hat? Wer weiß es. Dank gilt jedenfalls der Band, die uns auf ihre musikalische Reise in die Vergangenheit Berlins mitgenommen hat.

© fotos und text ferdinand dupuis-panther


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