Es war ein durchaus denkwürdiger Abend in der „Black Box“; zum einen natürlich, weil Ulrich Gumpert, eines der Gesichter der Free-Jazz-Szene der ehemaligen DDR zu Gast war, zum anderen, weil die „Black Box“ gut gefüllt war, m. E. Zeichen dafür, dass die Arbeit von Erhart Hirt als Programmgestalter auch gewürdigt wird.
Der in Berlin lebende, in Jena geborene Pianist Ulrich Gumpert ist aber nicht nur mit dem Free Jazz verbunden, sondern ist ein Wanderer zwischen verschiedenen Klangvorstellungen. Dass Gumpert einst auch Mitglied der Jazzrockband Synopsis war, wissen nur die, die sich mit Gumperts Biografie befasst haben. Zu dieser Biografie gehört auch, dass Ulrich Gumpert Filmmusiken für die Berliner Tatort-Krimis komponierte. Die Facetten des einst am Waldhorn ausgebildeten Musikers sind allerdings noch weit bunter: Das Jazz-Werkstatt-Orchester bot 1972 bei Jazz in der Kammer seine Adaptionen deutscher Volkslieder dar. 1984 ging aus Synopsis das Zentralquartett hervor. Mit seinem Quartett nahm er 2007 eine CD mit dem Titel „Quartette“ auf. Als Begleitmusiker für Uschi Brüning, Manfred Krug und Leta Davis formte er zusammen mit Henning Protzmann und Wolfgang Schneider die Band Jazzin' the Blues. Unter der Bezeichnung B3 Special widmet sich Gumpert (mit Silke Eberhard, Jan Roder und Kay Lübke) auch wieder dem Spiel auf der Hammond B3.
Neben Uli Gumpert am Klavier bestritten der Schweizer Jürg Wickihalder am Tenor- und am Sopransaxofon, Jan Roder am Bass und Michael Griener am Schlagzeug das Programm des Abends. Dieses wurde, das sei an dieser Stelle vorweggenommen, mit viel Zwischenbeifall und lang anhaltendem Schlussbeifall honoriert.
Vorsichtshalber habe er mal seine Noten bereitgelegt, so eröffnete Ulrich Gumpert den Abend. Michael Griener kommentierte dies mit der Bemerkung, dass Free Jazzer heute auch nicht mehr das sind, was sie einst waren. Nach den ersten Takten wurde ersichtlich, dass das Melodische nicht aus dem Programm des Quartetts verbannt war. Angesichts der Tatsache, dass Ulrich Gumpert gemeinhin als ein Gesicht des „ostdeutschen Free Jazz“ gilt, hatte der eine oder andere Zuhörer eher die Erwartung, dass die musikalische Enthemmung und der bewusste Kontrollverlust im Fokus stehen würden. Eher war man angesichts dessen, was dann vor allem Jürg Wickihalder mit starkem Energieeinsatz vortrug, Ohrenzeuge von offenen Formen und gebundenen Themenfragmenten.
Melodisch anmutende Sequenzen wurden mit frei erscheinenden Passagen konfrontiert, sodass ein Wechselspiel von offenen und gebundenen Formen entstand. Mit großer Leichtigkeit agierte Michael Griener zwischen Snare, Toms und Basstrommel. Das war wenig aufgeregt und nervös, überhaupt nicht gekünstelt, sondern Becken und Trommel wurden mittels organischem Bewegungfluss zum Schwingen gebracht. Verwirbelung auf der Snare und auf dem großen Becken waren wahrzunehmen, desgleichen ein Klingkling und ein Tacktack, wenn der Rand einer der Trommeln mit den Schlagstöcken traktiert wurde. Jan Roder ließ die Saiten seines Tieftöners mit gekonntem Fingerspiel schwirren und begleitet sich dabei mit wahrnehmbarem Summen und Brummen. Nach einer kurzen Entäußerung des Saxofonisten Jürg Wickihalder ging es zurück zum stark basslastigen Thema.
Folgte man den rhythmischen und melodischen Verläufen, so drängten sich Assoziationen auf, die mit Hard Pop und auch mit Coltrane verknüpft waren. „“The Opener“ - wie passend für eine Konzerteröffnung – lautete der vorgetragene Titel. Die Band sei halt einfach gestrickt, so Jürg Wickihalder, ein wenig launisch das Publikum ansprechend. Michael Griener fügte ergänzend hinzu, man spiele halt schlichte Musik. Damit hatte er durchaus auch recht, denn die Struktur nicht nur des Eingangsstücks war durchschaubar, insbesondere für geübte Jazzhörer. Also Verkopftes wurde den Anwesenden nicht zugemutet.
Von Stufe zu Stufe ließ der Saxofonist des Quartetts Töne wie auf einer Himmelsleiter emporklettern. Teilweise klangen einige Passagen wie eine Etüde, wenn auch gefolgt von viel Rabatz, wenn sich die stufigen Linien auflösten. Ein vibrierendes Sopransaxofon traf dabei auf ein rasantes Tastenspiel, das Ulrich Gumpert zu verdanken war.
Hörtn man dem weiteren Verlauf von „A New One“ (comp. J. Wickihalder) zu, dann meinte man, Aufbruch, Wirrwarr undKrawall zu erahnen. Spielte dabei Ulrich Gumpert die Tasten seines Flügels nicht gelegentlich auch mit der flachen Hand an, schlug also rhythmisch auf sein Tastenmöbel ein? Streithaft erwies sich das Sopransaxofon, das schnurrte, surrte, heulte, jaulte, flehte und bettelte. Dabei lagen die Klangmuster des Saxofons über einem dichten rhythmischen Teppich, den die Bandkollegen von Jürg Wickihalder webten. Dissens stand im Raum, geschuldet einem „zänkisch eingestellten“ Saxofon, wobei Wickihalder sein Instrument auch mal umdrehte und statt ins Mundstück in den Trichter blies. Jan Roder entwickelte sich nach und nach zu einem Gegenpol und Dialogpartner des Sopransaxofonisten. Hintergründig hörte man obendrein ein zartes Beckenschwirren und kurze Trommelschläge. Rhythmisch schlug der Bogen in den Händen von Jan Roder auf die Basssaiten jenseits des Stegs. Das Saxofon wandelte sich mehr und mehr zum reinen Atemrohr. Bisweilen hörte man schrille Entgleisungen, die gewollt waren.
Ulrich Gumpert folgte aufmerksam dem Geschehen und linste auch ab und an auf sein Notenblatt. Vor allem aber hatte er ein Auge für seine Mitmusiker. Auffallend waren nicht nur angedeutete Kopfbewegungen und Blicke, die hin- und herwanderten, sondern auch das verschmitzte Grinsen in Jan Roders Gesicht. Überhaupt war allen Musikern Spielfreude anzumerken, Freude auch am musikalischen Fortgang im Verlauf des Konzerts. Hier wurde nicht abgeliefert, sondern Jazz zelebriert, nicht allein bei „A New One“!
Mit „Recitativo Secco“ (comp. Ulrich Gumpert) und „The Bop & The Hard Be“ (comp. Ulrich Gumpert) stellte das Quartett weitere Einspielungen vor, die auf dem Album „A NEW ONE“ (Intakt Records) zu finden sind. Hier und da drängten sich, als die beiden ineinander übergehenden Kompositionen erklangen, Assoziationen mit Kompositionen von Kurt Weill auf. Sehr prägnant gestaltete Ulrich Gumpert sein Klaviersolo in „Recitativo Secco“. Würde man dazu nach einem Bild suchen, müsste man von dicken Regentropfen sprechen, die außer Takt geraten in einen Teich platschen. Selbst Ragtimeanmutungen vernahm man für einen kurzen Moment, ehe sich dann ein lyrischer Klangfluss ergoss.
Up Tempo schien für den Saxofonisten das Motto der Stunde. Dabei schien es auch durchaus Anklänge an Swing zu geben, die in die beiden Kompositionen eingewirkt waren. Ein Hingucker war das Spiel von Jürg Wickihalder, als dieser das Sopran- und das Tenorsaxofon gleichzeitig zum Klingen brachte, auch mal ohne Mundstück. Im weiteren Verlauf waren die Zuhörer obendrein dabei, als Ulrich Gumpert teilweise schrilles und kakofones Großstadtgetöse in die Black Box brachte.
Michael Griener ist „Süßholz“ zu verdanken, das nachfolgend geraspelt wurde, wie der Drummer des Quartetts ironisierend anmerkte. Die Melodielinie, die in den Händen von Wickihalder lag, erinnerte ein wenig an bayerische Folklore, und man erwartete in jedem Moment ein „Humpdahumpda“, das allerdings ausblieb. Griener beschränkte sich auf seine über die Felle gleitenden Besen, ließ aber auch das Hi-Hat am Rand getroffen schwingen, streifte das große Becken. Dezent agierte der Drummer und nicht mit einem dramatischen Hau-drauf.
Bei „Quartette“ nutzte Jan Roder die gesamte „Klaviatur“ seines Tieftöners. Er zupfte ihn, er strich ihn mit dem Bogen, er ließ ihn knarzen, knarren und knurren sowie quieken, summte dazu ein „Hmhmhm“ und ein „Ähmhmhm“. Selbst Flageolettklänge fehlten nicht. Nahezu übergangslos entwickelte sich das Stück „Quartette“ in eine sehr rhythmisch angelegte Komposition, bei der man ab und an an einen unter Dampf fahrenden, ratternden Zug über ausgefahrene Gleise denken musste.
Mit anfänglichen harten „Paukenschlägen“ sorgte Michael Griener für die nötige Aufmerksamkeit für „Scrollin“. Waren in diesem Stück nicht musikalische Zitate verborgen, die der eine oder andere schon mal gehört hatte, aber nicht unmittelbar zuordnen konnte? Wahrnehmbar war ein reges Auf und Ab.
Nachfolgend ging es um „Ja“, eine Komposition von Jan Roder, die auch als „Ja?“ oder auch als „Ja!“ verstanden werden kann. Jedenfalls musste man das aus den Bemerkungen der Musiker schließen, die sich an verschiedenen Formen der Artikulation des „Ja“ versuchten. Nach meinem Eindruck wurden beide Formen im Vortrag zum Besten gegeben. Teilweise erschien auch ein eher abweisend und abwertendes „Ja, ja, ja“ eingebunden zu sein.
Nicht nur eigene Kompositionen wurden an diesem Abend vorgetragen, sondern auch eine Komposition von Luten, sprich von Ernst Ludwig Petrowsky: „100 Maassgelinzerte“. Der Titel sorgte im Publikum für ein wenig Irritationen und Nachfragen, die Ulrich Gumpert gerne beantwortet. Entstanden war diese Komposition im Kontext von Jazz in der Kammer im Deutschen Theater, sprich zur 100sten Veranstaltung dieses Konzertangebots. Diese Reihe wurde von den Herren Maas und Linzer organisiert. Letzterer schrieb übrigens über diese Reihe für Rainer Bratfisch (Hrsg.): Freie Töne: Die Jazzszene der DDR (zurzeit vergriffen!) einen sehr aufschlussreichen Beitrag.
Ohne Zugabe konnte das Quartett die „Schwarze Kiste“ nicht verlassen. So endete das Konzert mit einer kleinen „Konferenz bei Baby Sommer“. Der eine oder andere derjenigen, die gekommen waren, hätten gerne noch mehr vom Uli Gumpert Quartett gehört, aber irgendwann findet eben auch jeder Konzertabend in der Black Box mal sein Ende.
Text und Photos: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Musiker
Ulrich Gumpert
http://www.ulrichgumpert.com/
Jürg Wickihalder
https://www.juerg-wickihalder.ch/
Michael Griener
http://michael-griener.de/deutsch/deutsch.html
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