Tuur Florizoone & Didier Laloy: Kolvenburg concert

Im Rahmen des Münsterland Festivals Part 8 betraten die beiden belgischen Akkordeonisten Tuur Florizoone und Didier Laloy die Bühne der Kolvenburg (Billerbeck), um am „Tag der Deutschen Einheit“ ihre konzertante Visitenkarte abzugeben. Ob der Begriff „Tausendsassa auf den Akkordeons“, wie in einer Regionalzeitung zu lesen, angemessen war, sollte mal dahingestellt bleiben. Beim Auftritt der beiden Tonakrobaten changierte die Musik zwischen Jazz und Weltmusik. So waren auch Polka- und die Polyrhythmen des Balkans in der präsentierten Musik ab und an zu vernehmen. Auf der Bühne, die aus untererfindlichen Gründen ins Halbdunkel getaucht war, spielte nicht nur die Musik, sondern agierten die beiden Musiker auch mit allerlei „schauspielerischem Talent“. Musik wurde in darstellendes Spiel umgesetzt, sodass die Musik bisweilen auch visualisiert wurde, ohne gleich von einer Art Theaterinszenierung zu reden. Die Kommunikation mit dem Publikum wurde stets gesucht, in Englisch, Deutsch und Niederländisch.“Noch irgendwelche Fragen“ ließ sich Tuur Florizoone hier und da vernehmen. Doch nachgefragt wurde nicht, zu spannend war die Musik, einschließlich der abschließenden Suite.

Bis auf den letzten Platz war der Saal auf der mittelalterlichen Kolvenburg gefüllt, die heute als Kulturzentrum nicht nur für Ausstellungen, sondern auch für diverse Musikveranstaltungen genutzt wird. Mit einer Brüsseler Episode – „besungen“ wurde die Rue St Géry im Herzen des Brüsseler Fünfecks, der eigentlichen Altstadt der belgischen und flandrischen Hauptstadt – begann das Konzert, mit einem „Nicht noch einmal“ („Pas Encore“) endete es. Leider! Wenn auch am Ende das Publikum wohl wehmütig „Ach schade“ dachte, so konnte man beide Musiker verstehen, die sich körperlich auf der Bühne verausgabt hatten. Ein chromatisches Akkordeon wiegt immerhin 30 Kilo, und die musste Tuur Florizoone während des gesamten Konzerts wirklich schultern. Didier Laloy hatte es da mit seinem kleinen diatonischen Knopfakkordeon schon wesentlich leichter, seine Quetschkommode zum Tönen zu bringen.

Eher lyrisch begann der Konzertnachmittag. Die dadurch eingefangene Stimmung – sie war Didier Laloy zu verdanken – passte zu dem sonnigen Herbsttag am Rande der Baumberge, der einzigen hügeligen Landschaft im Münsterland. Tuur Florizoone und Didier Laloy entführten uns musikalisch zu Beginn nach Brüssel, an einen Ort unweit des Chinesen- und des Modeviertels. Es ist das pulsierende Großstadtleben mit zahlreichen Bars, Cafés und Restaurants, das die beiden Musiker auf ihre eigene Art einfingen. Bisweilen dachte man, man unternehme einen nächtlichen Stadtbummel und höre die klickenden High Heels und die schlurfenden Schritte der angeheiterten Heimkehrer. Satt schwangen die tonalen Sequenzen des chromatischen Akkordeons durch den Saal, derweil Didier Laloy sein spitz-tönendes und aufbrausendes diatonisches Akkordeon zog und quetschte. Dabei entlockte er den einzelnen Knöpfen mit flinken Fingerbewegungen stets zwei Töne je Knopf. Manchmal ließ er dazu auch seine Hände vibrieren. Tuur kommentierte dies im Verlauf des Konzerts damit, dass Didier ja aus der armen Wallonie stamme und dass daher auch das diatonische Akkordeon ein Sparmodell sei, in der Größe und auch in der Tonbelegung der Knöpfe. Er, Tuur, spiele hingegen auf Elfenbeintasten, wie sie auch bei einem Grand Piano zu finden sind. Ja, im „reichen Flandern“ kann man sich das erlauben. Ein schelmisches Lächeln und ein Augenzwinkern begleiteten Tuur Florizoones diesbezügliche Bemerkungen.

Die beiden Musiker beließen es nicht bei dem musikalischen Brüsselbesuch, sondern fügte nahezu nahtlos ihr Stück „Lego-Katastrophe“ („Tragedie Lego“) an. Darin bündelte sich wohl die Erfahrungen des mehrfachen Familienvaters Didier Laloy. Es schien, als würde der Kampf um die fehlenden Legosteine ausgetragen, um nun endlich den Lego-Helikopter und die Tankstelle zu Ende bauen zu können. Visualisiert wurde dies auch auf der Bühne. Dort „tobte“ ein erbitterter Wettstreit beider Instrumentalisten, die sich gegenseitig herausforderten, aufeinander zu eilten und ihre Instrumente wie Schutzschilder vor der Brust hielten. Bisweilen hörten die Besucher des Konzerts eine Art Vor- und Nachspiel, ein Fragen und Antworten, ein Fordern und Verweigern. Doch irgendwann fand der Streit um den Legobaustein auch ein Ende. Jeder schien bekommen zu haben, was er wollte. Die Rhythmik des Stücks löste sich. Hektik verblasste. Vollmundig war der abschließende Tonschwall, den man erlebte. Die Klangbälge verstummten, nur vorerst.

Wer schon immer mal mit Tuur Florizoone auf eine Disco-Tour gehen wollte, konnte dies im weiteren Verlauf. „Disco Tuur“, so verriet mir Tuur Florizoone vor dem Konzert, ist eigentlich der Versuch die populäre Technomusik mit ihrem Sound der Beat Box aufzunehmen und weiterzuentwickeln. Kein Wunder also, dass ein sich wiederholender tieftöniger Beat-Sound zu vernehmen war. Teilweise wurde dies von perkussiven Elementen begleitet, die Tuur dem Korpus des Klangbalg entlockte. Zudem ließ er auch den Beiklang der angeschlagenen Tasten zu, die sich mit den tonalen Strukturen mischten. Lautmalerisch könnte man davon reden, dass ein „Boahboahboah“ im Raum lag. Zu diesem verbreitete Didier Laloy hohe Klangwolken. Doch maßgebend für das Stück war schon die Beat Box in reduzierter Form. Dass die beiden Musiker stets für Überraschungen sorgten, war auch bei der Disco-Tour der Fall, deren Ende beinahe wie eine Polka anmutete.

Dass die belgischen Akkordeonisten durchaus als Grenzgänger zu bezeichnen sind, unterstrichen sie bei ihrem nächsten Stück des Konzerts. Dabei musste man an höfischen Zeitvertreib und italienischen Schreittanz denken. Das Melodiöse kam ebenso wenig zu kurz wie das Narrative. Beides sind musikalische Elemente, auf die Tuur Florizoone sehr großen Wert liegt. Das erläuterte er mir im Gespräch, das wir anlässlich des Konzerts führen konnten.

Für Didiers zweite Tochter wurde „For Lou“ geschrieben. Dabei musste der Berichterstatter beim Zuhören ein wenig an Bänkellieder und Moritaten denken, so volkstümlich-eingängig kam die Melodie daher. Verspielte Tonsprünge vereinten sich mit konstanten Basslinien. Im weiteren Verlauf war ein Tempowechsel offensichtlich. Irgendwie hatte man den Eindruck, das Stück hätte sich auch für die Musik zum Film „Über den Dächern von Paris“ bestens geeignet. Auch das Stichwort Roadmovie blitzte im Kopf des Berichterstatters kurz auf.

Vor dem Ende des ersten Sets durften die Zuhörer noch ins „Tal der Schmetterlinge“ enteilen, einem Ort, den Tuur Florizoone mit seinem Akkordeon und einer Freundin besucht hatte. Tuur, so Didier, sei allerdings nur mit dem Akkordeon von dieser Reise nach Belgien zurückgekehrt. Man musste dabei den feinsinnigen Humor in sich aufnehmen, denn allzu ernst schien Didiers Zwischentext nicht gemeint gewesen zu sein. Die einen mögen wirklich den Flug der Schmetterlinge erlebt haben, andere vielleicht eher an das Wellenrauschen, an die Tide, an das Auf und das Ab des Meeres gedacht haben. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt, auch wenn ein Titel auch immer ein wenig die Denkrichtung angibt. Nicht „12 to the bar“, also einen Blues, gaben die beiden Akkordeonakrobaten schließlich zum Besten, dafür aber „9 to the bar“ oder „Neuf/New Didier“.

Aus dem zweiten Teil des Konzerts ragten aus meiner Sich zwei Stücke heraus, zum einen „Contamines Mon Joie“ - vielleicht mit „Lass dich doch mal von meinem Spaß anstecken“ zu übersetzen – und ein Stück, das der hochgotischen Brüsseler Kathedrale St Michel et Gudule gewidmet war. Unterschiedlicher hätten die beiden Stücke nicht sein können. Rasant ging es bei „Contamines Mon Joie“ zu, bei dem Tuur einen Skiurlaub verarbeitete, bei dem er beim Abfahrtlauf seinen Spaß hatte. Zugleich aber hatte das Stück auch etwas von James Bond, der mit seinem flotten Flitzer unterwegs ist, so Tuur. Doch entstanden ist das Stück bei einem Winteraufenthalt am Mont Joie. Kurze Sprünge, das Wedeln, das Abschwingen, das Anfahren, die Schussfahrt – all das wurde auf brillante Art und Weise in Tonfolgen umgesetzt. Wenn es musikalisch ruhiger zuging, dann meinte man endlich ein Flachstück erreicht zu haben, ehe es dann mit Karacho zur Basisstation des Lifts weiterging

Eigentlich war das Stück über Brüssels Hauptkathedrale für einen belgischen Sänger geschrieben worden, dem es dann aber bis auf die Begleitung nicht gefiel. So wurde das Stück ein Instrumentalstück. Feine, hohe und kaum nachhallende Sequenzen entsprangen dem diatonischen Klangbalg, derweil auf dem chromatischen geklopft wurde. Ein wenig Hall wurde wohl auch beigemischt, um den Klangeindruck eines gotischen Gewölbes einzufangen. Das Klopfen verstärkte sich, und man meinte daher, die nachhallenden Schritte der Kirchgänger wahrzunehmen. Beinahe an den klagenden Klang einer Kirchenorgel erinnerte im Weiteren das, was Tuur Florizoone und Didier Laloy ihren Instrumenten entlockten. Zum Schluss gab es dann noch eine wunderbare, da vielschichtig angelegte Suite zu hören. Dazu gehörte auch ein polyrhythmisch ausgerichteter bulgarischer Volkstanz. Mit der anschließenden Zugabe endete ein musikalisch überaus stimmungsvoller Konzertnachmittag.

 

 

 


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