Black Box Münster, 6.3.2022
Jazz nach Rezeptbuch oder gar freie Improvisation nach Rezept – das gibt es gewiss nicht, auch wenn die Auswahl der Instrumente und der Musiker nicht unwesentlich ist, so auch im vorliegenden Fall. An einem recht kühlen Märzabend kamen der Saxofonist Stefan Keune, die Cellistin Tomeka Reid und der Gitarrist und „Merlin der Klänge“ Erhard Hirt zusammen. Zwei erfahrene Improvisatoren der NRW-Szene hatten die derzeitige Improviser in Residence des moers festivals zu Gast.
Im Vorwege des Konzerts konnte man über die Improviser in Residence folgende Zeilen lesen: „Tomeka Reid stammt aus Washington D.C., ging aber zum Studium nach Chicago und traf dort auf eine der schillerndsten und lebendigsten Musikszenen der Welt. Namen wie das legendäre Art Ensemble of Chicago, die AACM, Anthony Braxton oder Muhal Richard Abrams sprechen für sich. Hier konnte sie sich entfalten und sagt selbst, dass sie in der Metropole am Lake Michigan eigentlich erst zur Musikerin wurde. Schon bald arbeitete sie mit den oben genannten Größen, etwa in Antony Braxtons Sextett.“
Hörcollage, Hörspiel, DADA musikalisch – von all dem erlebten die Anwesenden etwas. Verbale Kommunikation wurde durch die musikalische ersetzt. Nur einmal gab es eine verbale Bemerkung, als Erhard Hirt seinen Mitspielern zu verstehen gab, dass er diesmal nicht anfangen wolle. Gängige Trios platzieren sich zumeist in einem Halbkreis auf der Bühne. Darauf verzichteten die drei Musiker, die fast in einer Linie auf der Bühne Platz genommen hatten. Der schiere Blick auf die Drei suggerierte, dass eigentlich jeder für sich improvisiere, dass der Bezug zu den Mitspielern untergeordnet anzusehen ist. Man meinte jeder habe einen Kokon um sich gesponnen und spiele assoziation und ad hoc. Nur selten gab es aufgenommene Schraffuren, die der eine begann und der andere fortsetzte. Zumeist wurden eigene Linien verfolgt, die durchaus als lose Antworten auf die Mitspieler zu begreifen waren. Nein, in der freien Improvisation gab es an diesem Abend keine sinnfälligen Themen und Schemata, sondern eher provokativ zu begreifende Ansätze, auf die zu reagieren und agieren war. Antizipation war das Gebot der Stunde. Für die Anwesenden war es nicht voraussehbar, was sich jeweils an Passagen des Saxofonisten oder der Cellistin anschloss oder warum und wie in die jeweiligen Passagen eingegriffen wurde, mit dem jeweiligen Instrument.
Zu Beginn des Abends hieß es Dobro trifft Cello, Cello triff Saxofon, Saxofon trifft Dobro und so weiter. Trotz Verstärkung klang die Dobro wie ein Banjo, ohne lang anhaltender Klangfülle, eher trocken, kurzhallig, blechern, metallen, so als würde Regen auf ein Wellblech prasseln. Kurz angerissen wurden die Saiten von Erhard Hirt. Lange und kurze Bogenstriche brachten das schwarze Cello zum Schwingen. Das Leise und Sanfte stand dabei auch im Fokus, aber nicht nur. Flirrendes wurde dem Streichinstrument entlockt, das ja eher aus der klassischen Musik bekannt it. Das Saxofon flirrte kurz und gab sich auch dunkeltönig, auch wenn es sich bei diesem um ein Altsaxofon handelte.
Entkernte Tonfolgen trafen auf das, was man als ein Schrei ansehen konnte. Tropfen für Tropfen trug Erhard Hirt seine Improvisationen vor. Die Finger der geschlossenen Hand schoben sich über den Hals des Cellos. Es ging um die leisen Töne, um ein Rauschen wie raschelndes Herbstlaub. Drrrr traf auf ein hohen Fiepen. Längere Sequenzen waren selten. Das Fragmentierte hatte die Oberhand. Hörte man nicht das Geräusch von rotierenden Schwungrädern oder das Ineinandergreifen von zwei Zahnrädern im langsamen Takt?
Bogenschläge begegneten angerissenen Saiten. Dann gab es eine Pause, ein Ende oder ein False Ending oder vielleicht doch nur einen Moment der Besinnung, um einen Ansatz für den Fortgang der Improvisation zu finden, gedanklich vorzubereiten und dann zu realisieren. Da wurde der Bogen erst einmal präpariert. Doch schon wimmerte die Dobro und gab das Signal, zu neuen musikalischen Ufern zu eilen.
Leichte Explosivlaute vernahm man, dank an den Saxofonisten. Zudem hörte man ein Ttttt-Tttt oder so ähnlich. Bisweilen fühlte man sich an Vogelstimmen wie in einem der Werke Olivier Messiaens erinnert. Ja, man konnte an „Catalogue d'oiseaux“ denken, folgte man dem weiteren musikalischen Geschehen in der Black Box. Sphärische drängte sich in den Vordergrund, dank an die von Erhard Hirt bespielte Dobro. Das Saxofongezwitscher nahm derweil ihren Fortgang. Durch zarten Bogenstrich über die Saiten brachte Tomeka Reid ihren Streicher ins Gespräch. Man meinte dabei, man hören Klangstäbe im Wind tanzen, aber das aus sehr weiter Entfernung, sodass nur ein nachhallender Hauch eines solchen Klangs zu spüren war. Ansätze von melodisch ausgerichteten Partien gab es auch, und zwar dann, als Tomeka Reid ihr Cello zupfte. Oder begaben wir uns eigentlich nur in Geräuschwelten jenseits von melodischen Linien?
Zwischenzeitlich meinte man gar, eine Daumenharfe zu hören, die auf ein schwirrendes Saxofon trifft. Über-Kreuz-Spiel der Hände war bei der Cellistin zu bestaunen. Sie zeigte, dass die Saiten auch ganz oben am Hals noch klingen. Lange Töne durfte man allerdings erwarten. Tapping auf der Dobro vermischte sich mit dem rhythmisierenden Spiel der Cellistin. Elektronische Eskapaden wurden auch geboten. Gelegentlich meinte man, all das sei Teil einer Ouvertüre und das Hauptwerk folge noch. Donnerhall und Wolkenbrausen drang ans Ohr der Anwesenden. Sturmwinde kamen auf. Der Saxofonist ließ seinen Holzbläser flirren, und die Cellistin begab sich mit ihrem Klangkörper in die tonale Tiefe. Hörte man nicht auch verzerrte Nebelhörner?
Langwelle traf auf Kurzwelle. Frequenzen wurden verschoben und verwebt – dank an Erhard Hirt. Finger klopften auf den Hals des Cellos, das zuweilen wie eine Gitarre klang. Kreisende Bewegungen der Hand wurden auf dem Korpus des Cellos ausgeführt. Das Cello mutierte zum Perkussionsinstrument. Statt Besengewische auf Toms oder Snare gab es Gewische auf dem Bauch des Streichinstruments. Es klang wie das Raunen des Windes, oder? Klopfende Finger auf dem Cellobauch gab es obendrein. Mit Rrrrrr und Brrr äußerte sich der Saxofonist. Plong, Plong, Plong breitete sich im Raum aus.
Ähnlich angelegt wie der erste Set war auch der zweite Konzertteil. Diesen wollte Erhard nicht beginnen, wie er zu verstehen gab. So war es an Tomeka Reid den musikalischen Akt zu eröffnen. Mit kurzem Stöckchen traktierte sie die Saiten ihres Instruments. Teilweise zupfte sie auch das Cello, nachdem sie das Stöckchen zwischen die Saiten geschoben hatte. Sirrenden Synthklang gab es auszumachen, auch wenn kein Synth gespielt wurde. Eine E-Gitarre und ein Mac machten es möglich. Klanglich entlud sich das Saxofon in einem Lavastrom. Röhren und Röcheln waren zu hören. Saitenschläge erzeugten Klangformen. Musikalische Kettfäden wurden gespannt. Wiederkehrendes traf auf Neues. Irgendwann war auch der letzte musikalische Satz gesprochen und ein denkwürdiger Abend freier Improvisation ging zu Ende.
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