cuba Black Box Münster, 6.10.2019
In der Konzertankündigung war Nachstehendes zu lesen: „Paul Lovens gilt als Mitbegründer der europäischen Improvisationsmusik, die sich seit den 1960er Jahren als europäische Antwort auf den amerikanischen Free Jazz entwickelt hat und inzwischen die engen Grenzen des Jazzbezugs längst hinter sich gelassen hat.“
Anlässlich seines 70. Geburtstages und der Verleihung des Albert-Mangelsdorff-Preises trat Paul Lovens gemeinsam mit dem britischen Saxofonisten John Butcher und dem Münsteraner Urgestein der freien Szene, Erhard Hirt, auf. Nach wie vor ist Erhard Hirt nicht nur in eigener Sache musikalisch unterwegs, sondern auch für die Programmgestaltung in der Black Box zuständig, ein Glücksfall für diejenigen, die freie Improvisationen und Jazz today schätzen.
Das Trio wird wahrscheinlich in der Besetzung mit John Butcher nicht mehr zu hören sein, dafür sorgt der Brexit. Dieser wird nach sich ziehen, dass britische Musiker Visa und Arbeitsgenehmigungen beantragen müssen, wenn sie außerhalb des Vereinigten Königreichs auftreten wollen. Was für Musiker gelten wird, wird auch für andere Künstler der Fall sein, so Butcher in einem kurzen Vorgespräch vor dem Konzert. Einige britische Musiker hätten, so Butcher, unterdessen einen irischen Pass beantragt, was allerdings nur denjenigen möglich ist, die irische Vorfahren haben. Insgesamt, so Butcher, wird die Nach-Brexit-Zeit für Künstler eine harte Zeit werden. Und auch der Austausch mit nicht-britischen Künstlern wird erschwert werden. Ob dann noch Musiker aus Kontinentaleuropa auf Festivals in Großbritannien auftreten können, bleibt wohl abzuwarten.
Wie von Erhard Hirt angekündigt gab es etwa 70 Minuten freie Improvisation in zwei Sets zu erleben. Dabei waren die freien Improvisationen nicht etwa auf eine halbstündige, kontinuierliche „Beschallung“ ausgelegt, sondern eher auf kürzere „Stücke“. Einmal kommentierte Paul Lovens, dem die Improvisation wohl etwas zu lang erschien, dem Sinn nach, dass es jetzt aber mal genug sei. In der Tat gab es hier und da, so meinte der Zuhörer, auch false endings. Und das überraschte dann auch den einen oder anderen beteiligten Musiker.
Der Auftakt: Drrbrrbörr und jaulende Saiten; Taktak und wandernde Sticks über die Snare; Kupferscheibe übers Fell einer Trommel gezogen. Abgedämpfte Schläge aufs Tom und eine dumpfe Basstrommel; Schwirrendes aus dem Tenorsaxofon entweichend, Rrrddrrr …, schnörkelloses Schnalzen von John Butcher, ein Schnarren, Quietschen und Schwingen dank Erhard Hirt an der mit Effekten verfremdeten Gitarre. Dann eine Pause, kurz, Besinnung und Konzentration auf den Fortgang mit Geschabe der Sticks auf den Trommelfellen. Didididdijojo oder Ähnliches, kaum in Sprache auszudrücken. Ein aufbrausendes Saxofon zu vernehmen und tonales Geflatter sowie Gurren. Tatatak traf auf Dumdumdumdum. Kurze Schläge trafen das Hi-Hat.
Die Welt des industriellen Produktionsalltags schien nahe zu sein. Abgebremste Maschinenrotationen drangen ans Ohr der Anwesenden. Sphärenrausch wurde hörbar, dank Erhard Hirt. Derweil trafen Doppelschläge auf Snare und großes Becken. Wind keimte auf, denn John Butcher verwandelte seinen Holzbläser in eine Windmaschine. Und dann ließ er auch Vogelstimmen erklingen. Girren, Tschilpfen, Zwitschern, Pfeifen füllten die „Schwarze Kiste“ und der eine oder andere dachte vielleicht an Messiaen und seinen „Katalog der Vögel“!
Stimmvibrationen mischten sich mit Sirenengesang. Gab es da nicht auch einen Specht zu hören, der mit dem Schnabel auf einen Baumstamm hakt? Dan war der musikalische Bogen geschlossen und die Improvisation beendet.
Statt des Tenorsaxofons griff John Butcher ab und an zu seinem Erhard Hirt wandelte seine Gitarre in eine „Pedal Steel Gitarre“ um und brachte die Saiten mit Schlägen zum Surren und Schwirren. Doch auch Knarzen und Knarren entlockte Hirt seinem vor ihm liegenden (sic!) Saiteninstrument. „Hochfrequente Flügelschläge“ erzeugte John Butcher mittels seines Holzbläsers. „Kochtopfdeckel“ brachte Paul Lovens mit ins Spiel. Frequenzschübe trafen auf Vogelpfeifen. Und hörten sich nicht einige Passagen so an, als ob eine Autoalarmanlage ausgelöst wurde? Redundanzen breiteten sich aus und bisweilen musste man an Joseph Beuys‘ Projektarbeit „Ja Ja Ja Ja Ja, Nee Nee Nee Nee Nee“ denken.
Auch im weiteren Konzertverlauf meinte man ab und an in einem Konzert der Vögel verirrt zu haben. Da eiferten dann Sittiche mit Love Birds um die Wette. Kurz schienen auch mal Gibbons mit ihren Gesängen präsent zu sein. „Kontrapunktisch“ agierte Paul Lovens an seinem Schlagwerk, das nur aus Bassdrum, Snare, Standing Tom, Hi-Hat und zwei Becken sowie zahlreichen Blechen bestand, ein eher minimalistisches Setting.
Laues Windgesäusel vernahm man beim Spiel von John Butcher. Saitenklang traf auf „kreischendes Blech“. Vorstellungen einer singenden Säge drängten sich beim nachfolgenden Zuhören auf. Bräbräjabra – so ließ sich der Saxofonist des Trios vernehmen. Fielen da bildlich nicht auch leere Benzinfässer um? Wie in Chaplins „Modern Times“ kam sich der eine oder andere Konzertbesucher vor. Maschinenwelten dominierten. Rasende Fließbänder bestimmten den Takt, oder?
Rede und Widerrede gab es zu erleben, zudem ein Knarren und eine tropfende Klangsequenz. Gebläsemaschinen schienen angeworfen zu werden. Sauggeräusche steuerte John Butcher ebenso zur Klangmelange bei wie ein Schmatzen und Schnalzen. Ließen die Musiker nicht auch eine schwere Dampflok durchs musikalische Bild rattern?
Obgleich Paul Lovens eigentlich nicht mehr spielen wollte, weil alles gesagt war, ließ er sich doch von Erhard Hirt zu einem letzten Stück animieren: „Noch eines; na, wenn er denn unbedingt will.“ Das war der Kommentar des Geburtstagskindes. Und dann war auch wirklich alles gesagt; hinaus ging es in eine regnerischen Abend in Münster.
Text unf Fotos © Ferdinand Dupuis-Panther
Information
Besetzung:
John Butcher – Tenor- und Sopransaxofon
http://www.johnbutcher.org.uk/Solo.html
http://www.tokafi.com/15questions/interview-john-butcher/
Erhard Hirt – Gitarre & Electronics
Paul Lovens – Schlagzeug
https://en.wikipedia.org/wiki/Paul_Lovens
https://www.derstandard.at/story/1259281180371/das-trommelnde-film-zitat-schlagzeuger-paul-lovens
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