Angesichts der geopolitischen Situation nicht nur in Europa, insbesondere angesichts des völkerrechtswidrigen Überfalls russischer Truppen auf die souveräne Ukraine, bedarf es der Brückenschläge, auch der musikalischen Brückenschläge. Ein Boykott von Aufführungen von Kompositionen, die russische Komponisten geschrieben haben, von Mussorgsky bis Strawinsky, ist wenig förderlich. Auch eine Ausblendung von Jazzmusik, die aus der Feder russischer Jazzer stammen, ist nicht zielführend. Man muss denen eine Stimme geben, die eine Stimme haben und noch nicht in russischen Gulags verschwunden oder Opfer von Kriegsverbrechen geworden sind. Deren Schweigen muss von anderen aufgegriffen und artikuliert werden. So war die Intention zu verstehen, das GANNA Ensemble zu Beginn der Jazztage auf die Bühne des Saalbaus zu holen. Ähnliches wie für GANNA galt auch für das Zakouska Quintett, das eher im Genre Weltmusik anzusiedeln ist. Dabei stand allerdings der aktuelle Krieg im Osten Europas nicht im Fokus, sondern eher eine Reise, die jedenfalls musikalisch in die Region des Balkans führte, oder? Doch im Laufe des Festival kamen auch andere Klangaspekte und Klangfärbungen zum Tragen, jenseits von Weltmusik und der aktuellen Großwetterlage.
Weltmusik und Rosshaargezupfe
Sehr gut besucht war der Saalbau an diesem Freitagabend, den 16.09.2022. Über die Band Zakouska, die fälschlicherweise als franko-belgische Band angekündigt wurde, hieß es in der Vorankündigung zum Konzert: „Am Anfang stehen der Schrei und das Meer. Das französisch-belgische Quartett Zakouska präsentiert neue Kompositionen, inspiriert durch Reisen an die Häfen des Mittelmeers. Ihr drittes Album "La Criée " (Der lärmende Fischmarkt) ist eine Hommage an genau diese Orte: Marseille, Heraklion, Athen und Istanbul sind einige der emblematischsten Schauplätze des Lärms im Morgengrauen.“ Aus nachfolgend genannten Musikern, die alle in Straßburg leben und frankophon sind, besteht das Ensemble: aus dem Akkordeonisten Arthur Bacon, aus der Geigerin, Aline Haelberg, aus der Geigerin Elodie Messmer, die auch kretische Lyra spielte, und aus dem Gitarristen Fabien Bucher.
Sprachliche Vermittlungsprobleme schufen während des Abends teilweise eine zirzensisch-clownesque Atmosphäre. Da bemühte sich der Akkordeonist in einem Mischmasch von Deutsch, Französisch und Englisch einige Titelinhalte zu verbalisieren. Doch das gelang kaum, auch wenn neue Wortschöpfungen wie „Morgenfrüh“ bei dieser Gelegenheit entstanden. Auch die mimisch-pantomimische Performance sorgte eher für Lacher als für das Verständnis für den jeweiligen Song. Es wäre dem Ensemble also anzuraten, lediglich, wenn überhaupt notwendig, die einzelnen Titel anzusagen, aber ansonsten auf die Inhaltsangaben zu verzichten.
Jenseits von nicht intendierten Slapstick-Einlagen war die Musik, die wir hörten, dynamisch, rhythmisch durchwirkt, sprang der Spielwitz und die Spielfreude von der Bühne auf die Zuschauer über. Die Aufforderung zu rhythmischem Klatschen befeuerte die schon durch die Musik aufgeladene Situation. Vom ersten Takt der Musik an hatte man den Eindruck, der Balkan tanze ausgelassen und man werde als Zuhörer Augen- und Ohrenzeuge einer Roma-Hochzeit zwischen Belgrad und Sofia.
Die beiden Streicherinnen verstanden es das Wehmütige und Tragische ihres Instruments herauszustellen, zugleich aber auch die Rhythmen des Balkans zu erfassen. Man meinte, dass man auf der Bühne mit den Füßen stampfende und sich drehende Paare sieht. Und tatsächlich, das eine oder andere Mal stampften die Geigerinnen mit den Füßen heftig auf, derweil sie den Bogen über die Saiten strichen.
Ein vibrierendes Akkordeon jenseits von Musette traf auf eine Gitarre, die manchmal als Bariton- bzw. Bassgitarre daherkam, aber eben auch in Flamencoannäherungen verfiel. Und klang die Gitarre nicht gelegentlich auch wie ein Hackbrett? Kristalline Tonsilben entlockte Arthur Bacon seinem Knopfakkordeon. Auch einen wilden Parforceritt brachte uns der Akkordeonist im Laufe des Abends zu Gehör. Manchmal wurde das Quartett auch zu zwei Duos heruntergebrochen, gab es Dialoge zwischen Geigerin und Akkordeonist zu erleben. Überhaupt war stete Interaktion zu erleben, gab es Positionswechsel und Neugruppierungen auf der Bühne oder dem separaten Podium.
Wie gesagt, zwischendrin mühte sich der Akkordeonist um verbale Inhalte, sprach von Morgenfrüh und übermäßigem Schnapsgenuss sowie der Reaktion der Mutter auf die frühspäte Heimkehr der sturzbetrunkenen Tochter. In dem nachfolgenden Song verwandelte sich der Korpus der Gitarre in ein Perkussionsinstrument, vernahm man ein Tambourine und sehr prägnant die beiden Geigerinnen. Man meinte, es schlendere, torkele und hopse jemand nach durchzechter Nacht nach Hause, oder?
Sphärisches vermischte sich im weiteren Konzertverlauf mit schrillem Sirenengesang. Fragil wirkten Passagen, die wir vernahmen. Dazu hörten wir Rezitationen vom Akkordeonisten. Dabei war allerdings ein Folgen der Verszeilen kaum möglich. Es fehlte an betontem sprachlichem Ausdruck und an präziser Aussprache. Nur den Wortfetzen „Hommage“ konnte man dechiffrieren. Doch wem galt die Verneigung?
Nicht nur die beiden Geigerinnen standen in verschiedenen Konzertphasen im Mittelpunkt, sondern auch der solistisch agierende Akkordeonist, der dabei sehr elegisch aufgelegt war. Und dann, ja dann kippte der solistische Vortrag und man meinte, wilde Reiterhorden aus den asiatischen Steppengebieten würden durch den Saalbau jagen.
Anschließend wurde den Anwesenden ein musikalisches „Winterschnitzel“ serviert. Dazu hörten wir auch wilde Ausrufe der vier Musiker. Diese klangen wie „Howhowhow“ und „Woowoowoo“ – oder so ähnlich. Nach wie vor wartete der eine oder andere noch auf Istanbul-Impressionen oder gar Rembetiko aus Piräus und Gnawa-Musik, wenn es denn schon eine musikalische Reise ums Mittelmeer geben sollte, wie in der Vorankündigung zu lesen war. Doch weit gefehlt, auch die Komposition, die in Kreta entstand hatte nichts von dem, was man in „Alexis Sorbas“ als typisch griechisch erleben konnte, also Sirtaki und ein gewisses Savoir vivre.
Um Entschleunigung ging es an diesem Abend musikalisch auch. Dabei hörten wir dann erstmals eine kretische Lyra, eine birnenförmige, mit dem Bogen gestrichene Schalenhalslaute in der griechischen Volksmusik. Das klang dann schon eher nach Kleinasien und nach türkischer Kunstmusik, oder? Bei einem Duett zwischen dem Gitarristen und dem Akkordeonisten hörte man Swing und Django heraus, näherten sich die beiden Musiker tatsächlich auch dem Jazz, wenn auch „nur“ einem Subgenre. Doch dies blieb die jazzige Ausnahme des Abends. Ansonsten schien Folklore überbordend präsentiert zu werden. Und dann, ja dann, führten die beiden Geigerinnen auch noch vor, wie verknotetes Rosshaar, das zwischen zwei Finger gestrichen wird klingt. Mit viel Spielwitz verstrickten sich die beiden Streicherinnen in einen Dialog, der dem Prinzip der Improvisation sehr, sehr nahe kam. Doch: das war ein kurzer Moment in den Klangbildern, die eher auf dem Balkan zu verorten waren.
Info: www.zakouska.fr
Volkslied verjazzt – ein Versuch der Vermittlung
Der zweite Teil des Abends gehörte dem GANNA Ensemble, allerdings saß nicht wie angekündigt Povel Widestrand am Klavier, sondern ein anderer Pianist, nämlich der aus der Ukraine stammende Yuriy Seredin. Im Vorfeld lasen wir folgende Zeilen über das Ensemble um die in Berlin lebende Vokalistin und Komponistin Ganna Gryniva, die in Wyshnjaky nahe Kiew aufwuchs und seit Jahren in Berlin lebt. „Mit ihrem Quintett vereint sie die Melancholie der ukrainischen Folklore mit der traditionellen Jazzmusik, sowie den Einflüssen aus der klassischen und der experimentellen Musik. Inspiriert von mehreren musikalischen Forschungsreisen in verschiedene Regionen der Ukraine, erweckt GANNA die ukrainische Folklore zu einem zweiten Frühling und nimmt das Publikum auf eine Reise mit. Virtuos und spielerisch, aber auch voller Melancholie taucht das Quintett in die Geschichte und das Geheimnis verschiedener Musiktraditionen ein und erschafft eine neo-native Sprache.“
Wie gesagt Povel Widestrand war an diesem Abend nicht an den schwarzen und weißen Tasten zu hören, allerdings am Tenorsaxofon Musina Ebobissé, am Bass Tom Bergmann und am Schlagzeug Mathias Ruppnig. Um es vorab zu sagen: Volkslied nach Volkslied verstärkte sich der Eindruck, dass die Instrumentalisten nur Staffage waren, eigentlich nur eine marginale Rolle spielten. Auch das Interaktive, das bei Zanouska so ausgeprägt zelebriert wurde, fehlte oder war nur in sehr unterkühlter Form vorhanden. Im wesentlich stand die Vokalistin im Fokus.
Das Projekt zum Sammeln und Adaptieren von ukrainischen Volksliedern kam durch eine Jahre zurückliegende Reise der Vokalistin des Ensembles zustande. Dabei begegnete sie zumeist in dörflicher Umgebung, nicht nur der Karpaten, Menschen, die Volkslied lebten. Von diesen Begegnungen erzählte Ganna Gryniva verschiedentlich. Doch irgendwie war nicht nachzuvollziehen, wie sie die Auswahl der Volkslieder zustande kam, die sie an diesem Abend vortrug.
Auch blieb der Inhalt der Lieder ein Buch mit sieben Siegeln. Gesungen wurde in Ukrainisch. Eine Transkription fehlte ebenso wie eine Inhaltsangabe. Eine Ansage, jetzt singe sie das Lied „Wie Gott die Frau“ erschuf, erschloss den Inhalt nicht. Es blieben vage Ideen. Auch fehlte es an eingängigen Melodien wie man sie aus dem Kontext anderer Volkslieder kennt. Wieso wurden Texte nicht in Projektionen auf den Bühnenhintergrund geworfen, wenn schon auf Inhaltsangaben verzichtet wurde? Wieso sang die Vokalistin nicht Texte, die aus dem Ukrainischen ins Deutsche transkribiert wurden? Wenn das vom Versmaß nicht passend war, dann die Frage, warum nicht auf gesprochenen Text mit musikalischer Begleitung durch den Saxofonisten und Bassisten sowie Pianisten zurückgegriffen wurde.
Immer dann wenn der Liedtext nicht im Fokus stand, konnte man das Können der Mitmusiker aufblitzen sehen. Die Coolness, die dabei an den Tag gelegt wurde, war allerdings wenig inspirierend. Funkenflüge und Spielfreude sieht m. E. anders aus. Die gelegentlich eingeblendeten Stimmloops schufen auch keine Brücke zwischen den Musikern und dem Publikum. Alles wurde recht reserviert vorgetragen. Die Stücke waren abgezirkelt. Es wurde teilweise vom Blatt gespielt, und es mangelte an dem Zipp und Zapp, das den Jazz im Gegensatz zu klassischer Musik mit und ohne Variationen auszeichnet. Irgendwie drängte sich das Bild auf, die einzelnen Musiker würden in ihrem eigenen Kokon eingesponnen sein, ohne Wahrnehmungsmöglichkeiten links und rechts.
Übrigens, wer Marie Boine schon mal erleben durfte, die als Sami in ihrer eigenen Sprache singt, der meinte hin und wieder den gutturalen Gesang der Sami, joik genannt, zu erleben. Eigentlich war es dann auch nicht weit zum Obertonsingen, oder? Ja, man hörte Lieder aus alten Zeiten, auch Klagelieder über verlorene Kinder, die man zum Arbeiten wegschicken musste, weil die Familie bitterarm war. Und auch von einem eher schrulligen 36jährigen Chorleiter, der alte Omas als „Chormädchen“ betreut, hörten wir. Doch das trug auch nicht zum Verständnis der ukrainischen Folklore bei, die augenscheinlich in einem sehr festgezurrten musikalischem Korsett gefangen ist. Selbst ein Lied für die Opfer auf dem Maidan schien von der Melodie her nicht so eingängig wie die Marseillaise oder „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“, von Liedern Schuberts mal ganz zu schweigen. So blieb ein etwas schaler Beigeschmack am Ende des Konzerts, wenn auch das Publikum anhaltenden Beifall spendete.
Info: https://ganna-gryniva.de/
Klangcraft auf den Pfaden von Modern Jazz?
Weiter ging es am Samstag 17.9.2022 und zwar zunächst mit Klangcraft feat. Heinz-Dieter Sauerborn Quartett. Über die Musiker liest man: „Schlagzeuger Hermann Kock hat die ersten Topseller Produktionen des Sagmeister Trios eingespielt und mit Peter Gigers „World Family of Percussion“ getourt. Bassist Moritz Grenzmann verbindet Akkordtappings mit Flageoletts zu seinem unverwechselbaren Stil. Manuel Seng gibt durch sein virtuoses und expressives Pianospiel der Band eine unverwechselbare Note. Mit Heinz-Dieter Sauerborn, seit 1998 erster Altsaxofonist der Big Band des Hessischen Rundfunks, hat Klangcraft einen renommierten Solisten am Alt- und Sopransax, der als einer der Topsolisten der weltweit anerkannten hr- bigband unterwegs ist und sich mühelos in das Bandkonzept einfügt. Gemeinsam sprengen Klangcraft und Heinz Sauerborn alle stilistischen Grenzen.“
Nach dem ersten Tag des Festivals, der zwischen Folklore und Weltmusik changierte, gab es nun eine Formation zu erleben, bei der Jazz wirklich Jazz war, bei der Improvisationen und Soli nicht als Fremdkörper begriffen, sondern integraler Bestandteil waren. Da gab es ein interaktives Zusammenspiel, auch zwischen Teilen des Quartetts, so zwischen dem Pianisten und dem Drummer. Es wurde der Blickkontakt gesucht. Rückzug einzelner Musiker war keine Marotte, sondern Teil des Arrangements, Teil der Überlassung des Klangraums für Mitmusiker. So konnte sich auch der Bassist zwar nicht als Rampensau zeigen, aber als „singender Virtuose“ an den tiefen Saiten. Und noch etwas war entscheidend: Die Formel Jazz gleich Saxofon, Saxofon gleich Jazz galt nicht für die vier Musiker.
Gewiss das Sopransaxofon präsentierte sich, aber eben nicht als Alleinherrscher des Klangbildes. Es gab immer auch Übergänge, Verwischungen, Schummerungen und Schraffierungen, die ohne die additiven Klänge der Mitmusiker nicht denkbar gewesen wären. Warum „November“ – auch auf der jüngsten CD zu hören – am Beginn des Konzerts stand, obgleich wir noch im Herbst sind, erklärte sich wohl aus den aktuell eher frostigen Temperaturen im Taunus, woher der Drummer Hermann Kock nach St. Wendel angereist war. Sehr energiebetont kam das Stück daher. Von Schneelasten und grauen Himmeln in Wintertagen war kaum etwas klanglich zu erleben. Perlender Tastenfluss traf auf fein abgestimmte Erdigkeit des E-Bassisten. Klangliche Stromschnellen wurden inszeniert. Tonleitern wurden erklommen. Auch lyrische Schlieren konnte man wahrnehmen, sobald der Saxofonist seinen Holzbläser im Sopran zu Gehör brachte. Das hatte nichts von Marktgeschrei, das oftmals bei Saxofonisten zu erleben ist. Gab es da nicht auch neoromantische Anklänge zu hören? Feinste Farbtupfer malten die vier Musiker vor unseren Augen auf die Klangleinwand. So ist sicherlich der November auszuhalten, oder?
Gleichsam als freundliche Dauerleihgabe von der Punkrockband „Feine Sahne Fischfilet“ brachte das Quartett dann „Warten auf das Meer“ zu Gehör, allerdings ohne Gesang. Dafür meinte man, Möwen kreischen zu hören, dank an Heinz Dieter Sauerborn. Ansonsten erlebten wir Wellengänge mit und ohne Gischtkronen. Das Original ist durchaus mit Pathos aufgeladen. Zugleich aber erinnert man sich beim Hören auch an die „Legenden“ von Punkrock wie „Ton, Steine, Scherben“. Doch das wurde durch Klangcraft bewusst aufgebrochen. Pogo stand nicht auf dem Zettel, auch nicht Zappaeskes. Das Quartett blieb sich treu, blieb im Fahrwasser von Post-Modern-Jazz, oder?
Das galt auch für „Snowflake“. Dabei konnte man beim Zuhören Schneeflocken niedergehen sehen. Und das begann gleich mal nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit Gongschwirren. Tropfende Basslinien drangen zu den Anwesenden. Kristalline Tastensilben kamen hinzu. Klappengeräusche des Saxofons waren auszumachen. Atemrausch wurde zu Windverwischungen, sobald der Saxofonist seinen Holzbläser ansetzte. Auch ein wenig Klangföhn war zu verspüren. Frost und Minustemperaturen waren fern.
Nachfolgend ging es um einen Schmetterling, so Hermann Kocks Ausführung zu „A Borboleta“. Wenn der Berichterstatter es richtig verstanden hat, dann stammt dieses Stück aus der Feder des Bassisten, der aus dem „schönen Landau“ stammt, so der Drummer. Ob man in den melodischen Linien tatsächlich das Leben eines Falters von der Verpuppung über das Schlüpfen bis hin zum Jungfernflug ausmachen kann, liegt im Auge, besser im Ohr des Zuhörers. Grazile Klangbögen wurde aufgebaut. Bisweilen meinte man, man sehe junge Tänzerinnen aus dem Opus von Edgar Degas über die Bühne tanzen. Leichtigkeit vermittelte das Stück. Strudel von Tonsilben präsentierte der aus Mainz stammende Manuel Seng, der meisterlich die schwarzen und weißen Tasten klingen ließ. Kein Song für Vegetarier – oder vielleicht doch – war „Mr. Bifteki“. Doch auch dies war ein Ohrenschmaus wie die Stücke zuvor. Und schließlich gab die Band auch noch „Heftige Unwucht“ zum Besten. Der Beifall am Schluss war überwältigend und die Zugabe ließ nicht auf sich warten.
Info: www.hermannkock.de
https://www.klangcraft.com/index.php/new-album
Alleinunterhalter am Kontrabass ...
Zum Abschluss des Abends gab es einen Soloauftritt des aus Israel stammenden Bassisten Adam Ben Ezra, der sich mit seiner Familie unterdessen in Portugal niedergelassen hat. Die nachstehende Ankündigung machte neugierig auf den Bassisten: „Inspiriert von Bach, Sting, Bobby McFerrin oder Chick Corea präsentiert sich Adam Ben Ezra als Komponist ohne musikalische Grenzen und erweitert sein Spektrum kontinuierlich um neue Farben und Elemente von Jazz, Latin und mediterraner Musik mit nahöstlichen Einflüssen.”
Gewiss zum Abschluss des zweiten Tages der Jazztage gab es ein Feuerwerk zu bestaunen. Ohne Elektronika wäre das allerdings nicht möglich gewesen. Und dass der israelische Musiker auch Querflöte spielen kann, stellte er zum Abschluss seines Auftritts unter Beweis. Kontrapunktisch gesetzt waren dabei die elektronischen Klänge, die hier und da ins Technohafte abdrifteten und mit redundanten Basslinien für Aufmerksamkeit sorgten, und der feine seidene Klang der Querflöte, die nur gelegentlich ins Fahrwasser von Ian Anderson geriet. Man hätte sich mehr solche sanften Töne gewünscht, zumal die Querflöte im Jazz eher ein Exot ist und war. Die Namen von Jazzflötisten lässt sich wohl an einer Hand ablesen.
In erster Linie war aber der Kontrabass die Klangbasis, die mithilfe von Loops und Sampling erweitert wurde. Der Korpus des Tieftöners wies deutliche Spuren von Schlaghänden auf, wurde er doch perkussiv eingesetzt. Das geschah meist mit der Rechten, die einerseits scharf über die Saiten gezogen wurde, um dann auf dem Korpus trommelnd für die rhythmischen Verwebungen zu sorgen. Gelegentlich wurde auch die Linke auf die Seite des Basses platziert, um hier für flirrende Rhythmik zu sorgen.
Nicht nur der Fingerstrich brachte die Saiten des Tieftöners zum Schwirren, sondern auch das Tapping mit den Fingern. Dank von Elektronika konnten urbane Klangwelten geschaffen werden, die als Fundament für das weitere Saitenspiel dienten. Neben dem Schlagen der Finger auf die Saiten erlebten die Anwesenden auch Fingerschnippsen vor dem Mikrofon. Das diente dazu, ein weiteres Klangmosaik den übrigen Klangsilben hinzuzufügen, teilweise auch elektronisch moduliert. Ein verstetigter Rhythmusfluss erfüllte den Saalbau. Da hatte man den Eindruck, ein Drucktopf köchele nicht nur, sondern lasse im nächsten Moment den Deckel auffliegen. Es brodelte und rumorte, röchelte und röhrte – mit Volldampf. Gutturale Klangsequenzen drangen ans Ohr der Zuhörer. Ab und an meinte man, Rock und Rock’n Roll würden ein Revival zelebrieren. Auch lautmalerischer Gesang war Teil der Performance von Ben Ezra.
Einen Fado hatte der Musiker aus seiner neuen Heimat nicht mitgebracht, aber einen Flamenco aus Al Andalus. Dabei ließ Ben Ezra uns auch den Klang von Kastagnetten hören. Saitenwirbel und das Klicken und Klacken der Absätze von Flamencotänzern füllte den Raum. Fingertapping war ebenso angesagt wie eine Form von kurzen Anschlägen aller Saiten in einer Art Fingerstrich. Unterstützt wurde die Flamencodarbietung durch das spezifische rhythmische Klatschen der Hände.
Wie ein Reggae aus dem Nahen Osten klingt, blieb an diesem Abend auch kein Geheimnis. Doch Bob Marley und Jimmy Cliff hatten damit rein gar nichts zu tun. Hörte man da nicht auch eine Oud und vielstimmingen Gesang in Arabisch? Dank des „elektronischen Zauberkästleins“ konnten wir auch einem E-Piano lauschen. Scharf-ätzend waren einige Rhythmuspassagen. Ohne Loops ging es auch bei diesem Stück nicht. Die One-Man-Show nahm ihren Lauf, durchaus mit theatralischen Gesten und zirzensischem Mummenschanz, oder?
Im weiteren Verlauf des Konzerts dachte man, Ben Ezra verkörpere in sich eine Melange aus Jack Bruce, Alvin Lee, Jeff Back und Eric Clapton bereichert mit dem Timing von Ginger Baker. Nach all dem akustischen Feuerwerk wechselte der Musiker vom Bass und der Loop-Maschine sowie Computer an den Flügel. Unter anderem spielte er ein Kinderlied, das er jahrelang seinem Nachwuchs abends vorgespielt hat. Hatte das etwas mit der Geschichte von Spiderman zu tun? So richtig war die Ansage zu dem Stück nicht zu verstehen.
Die Anwesenden waren im Fortgang des Konzerts auch „mit dem Albatross“ unterwegs, aber nicht auf den Spuren von Peter Green. Thermische Aufwinde umgaben uns dabei. Übrigens, „Don’t worry be happy“ (Bobby McFerrin) war außerdem Teil des Programms. Nun ja, das muss man ebenso mögen, wie die starken Bassrhythmen, von denen die Musik von Adam Ben Ezra lebt. Das Publikum jedenfalls war begeistert.
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