St. Wendel 18.9.2022
Und nun der Abschluss der 31. Jazztage: Nach dem Vormittag mit Jazz für Kinder gehörte dann dem Pablo Martín Caminero Trio die Bühne. Über den Bandleader und seine Band las man im Vorfeld: „Der gebürtige Baske Pablo Martín Caminero studierte klassischen Kontrabass an der Hochschule in Wien. Er musizierte unter anderen mit Flamencogrößen wie Gerardo Núñez oder Jorge Pardo sowie diversen anderen Jazz-, Klassik- oder Barock-Musikern. Sein Hauptaugenmerk gilt inzwischen seinem eigenen Trio, mit dem er 2021 das Album „Al Toque“ einspielte.“
Seine Mitmusiker sind Paquito González, einer der gefragtesten Perkussionisten und Cajon-Spieler des Flamencos, und der Jazzpianist Moisés Sánchez.
Impressionen aus Al Andalus
Nach dem digitalen, teilweise anstrengenden und lauten Feuerwerk, das am vorherigen Abend gezündet wurde gab es nunmehr eher leise Töne eines klassischen Klaviertrios zu hören. Doch nicht der Pianist stand im Fokus, sondern der Kontrabassist. Dieser spielte einen akustischen Doppelbass mit leichten Verstärkungen und gelegentlichem Hall-Nachklang. Ansonsten war diese Musik durch und durch analog und dem Prinzip Interaktion geschuldet. Keiner der drei Musiker gerierte sich als Alleinunterhalter und Alleingestalter. Nur in den Verbindungen, in den einfachen und doppelten Bindungen, in rotierenden Soli, wuchs die musikalische Präsentation, die sich dem spanischen Flamenco verschrieben hatte.
Wer an Flamenco denkt, hat wahrscheinlich den hierzulande sehr populären Manitas de Plata oder Paco de Lucia im Kopf. Manch einer erinnert sich vielleicht auch an die Oper Carmen von Bizet und an die Verfilmung unter der Regie Carlos Sauras und mit dem beeindruckenden Tänzer Antonio Gades. Doch mit all dem hatte das, was das Trio vortrug nichts gemein. Auch Kastagnetten-Klang und stampfende und klickende Absätze auf dem Tanzboden gab es nicht zu hören. Statt dessen hörten wir Transkriptionen von Flamenco-Kompositionen, die der Feder von bekannten Musikern wie Gerardo Nuñez, Paco de Lucia oder Rafael Riqueno entstammen.
Dabei betonte Pablo Martín Caminero, der übrigens alle Ansagen in Deutsch vornahm, dass bis auf den Perkussionisten keiner der anderen Musiker ein versierter Flamencospieler sei. Mit Augenzwinkern fügte der Kontrabassist hinzu, dass er seine Deutschkenntnisse auf dem langen Flug nach Deutschland erworben habe. Zur Kommunikation mit dem Publikum waren die gut zu verstehenden Zwischentexte neben der Musik essentiell. So gab es auch keine „Sprachcollage“ aus Deutsch, Englisch und Französisch wie beim Eröffnungskonzert der Jazztage!
Mit viel Wehmut in den Melodielinien und Harmonien wurde das erste Stück eröffnet. Gestrichen wurde der Bass, und dazu vernahm man durch die Luft bewegte Rasseln unterschiedlicher Größen. Derweil saß Paquito González auf seiner „Kistentrommel“ namens Cajon. „Fingertapping“ und Handflächenspiel waren beim Perkussionisten angesagt, ob auf den Blechen oder den vorhandenen Fellen und dem Cajon. Sanfte Linien steuerte der Pianist zum musikalischen Ganzen bei. Wehmütig und getragen erschien das, was der Pianist zu Gehör brachte. Hier und da vermeinte man, auch orientalische Klangsequenzen auszumachen, lauschte man intensiv auf den Bassisten. Schlägel wanderten auf die Bleche; Sticks trafen die Ränder der Bleche oder wurden mit der Spitze über ein Blech gezogen. Schrill klang es dann, gleichsam ein „analoger Tinitus“. Tänzelnd glitten die Finger des Bassisten über die Saiten. Kaskaden und „Springfluten“ entwickelte der Pianist dazu. Zwischen Snare, Tom und Cajon „jonglierte“ der Perkussionist. Stets gab es Blickkontakte. Kaum merkbar war das Hinübergleiten von dem ersten zum zweiten Stück. Dabei erlebten die Anwesenden eine Hommage an Manolo Sanlúcar, so jedenfalls der Name, den der Berichterstatter aufgrund der Ansage verstanden hat.
Nicht feurig-aufbrausend und voller Dynamik, sondern eher bedächtig, ging es auch beim nächsten Stück zu. Dabei stand die schöne Melodie im Zentrum. Ein wenig erinnerten die Sequenzen, die der Bassist gestaltete, an Lars Danielssons Art des Bassspiels in dessen Projekt Liberetto, oder?
Das war feinste musikalische Erzählkunst, ohne Tanzbewegungen oder Anfeuerung sowie Händeklatschen. Sehr mitreißend und beeindruckend war das ins Stück integrierte Solo des Perkussionisten, der das Tempo nach und nach verschärfte. Man hatte den Eindruck, man erlebe eine Gruppe von Pferden, die über Kopfsteinpflaster galoppieren. Zu denken war zudem an einen ausladenden Schreittanz oder ein Hüpfen von Treppenstufe zu Treppenstufe. Derweil servierte der Bassist mit dem Bogenstrich obendrein ein wenig Kaffeehausmusik. Dem Flow von Tanzenden – bildhaft gesprochen – schloss sich der Pianist an. Geprägt war das Zusammenspiel von Leichtigkeit und ab und an schien auch „Friday Nights in San Francisco“ durch.
Mit „Arabia“ entführte uns das Dreigestirn aus Spanien in die Welt von 1001 Nacht. Und auch ein wenig Couplet schien bei dieser Komposition durch. Gelegentlich meinte man, auch Ohrenzeuge der spanischen Variante einer Tarantella zu werden. Und zudem blitzten im Weiteren Gedanken an „Rondo a la Turk“ auf, oder? Momentaufnahmen ohne Frage.
Dass der Flamenco unterschiedliche Stile und Prägungen kennt, wurde beim „Fandango de Huelva“ deutlich. Vom Charakter her war diese Komposition eher einem Fado nahe. Erzählungen über Leid, Schmerz und Sehnsucht breiteten sich bei der musikalischen Inszenierung aus, sprich das Elegische nahm sich Raum. Auch vor Paco de Lucia verneigte sich das Trio, und als Zugabe kredenzten die Drei eine Rumba: „La Habana obscura“ von Gerardo Núñez. Bis zum letzten Ton war das Konzert des „Flamenco-Trios“ Balsam für die Seele!
https://pablomartincaminero.com/
Ein Schweizer Jazzbassist auf Reisen
Zum Ausklang des Festivals hörten wir dann im Saalbau das Heiri Känzig Sextett. Und wer ist Heiri Känzig? Die Antwort gab ein Blick ins Programmheft: „Heiri Känzig gilt seit den 1970er-Jahren als einer der führenden Jazzbassisten der Schweiz und musikalischer Weltenbummler. Er gehörte zur Urbesetzung des Vienna Art Orchestra und hat sich u.a. als Sideman von Jazz-Größen wie Kenny Wheeler oder Ralph Towner einen Namen gemacht. Er legt mit „Travelin‘“ eine neue CD vor, die das Reisen zum Inhalt hat: Wir erleben die „Nighttime in Mombasa“ oder den „Cloudy Bosphorus“. Wir tanzen mit Delphinen, und dabei lässt uns Heiri Känzig eine andere Welt erleben.“ Unterwegs ist der Bassist dabei mit den nachstehend genannten Musikern: Veronika Stalder (Gesang), Matthieu Michel (Flügelhorn), Amine Mraihi (Oud), Marc Méan (Piano) und Lionel Friedli (Drums).
Ohne viele Vorworte ging es in Medias res: Ein teilweise gestisch gespielter Bass traf auf die Weichzeichnungen des Flügelhorns. Wurde da nicht auch die Weite einer Landschaft besungen? Ohne viel Volumen des Klangs erlebten wir die Oud, die ähnlich spröde und schroff wie ein Banjo anmutet, nicht nur im vorliegenden Fall, sondern generell. Die Vokalistin zeigte sich auf Augenhöhe mit den anderen Instrumentalisten. Ja, Veronika Stalder muss als Instrumentalistin begriffen werden. Das Lautmalende und Lautmalerische zeichnete die Vokalistin aus, die einen durchaus beeindruckenden Stimmumfang aufwies, vom Alt bis in die Höhen des Soprans. Die Oud zeigte sich erstmals an diesem Abend in einem Solo. Dabei hörten wir dichte Klangschraffuren, die sich übereinander schoben. Und dann drang die Stimme der Vokalistin an unsere Ohren: „Bapademdidababawehalowehsaheeehaahahuihihilala“ oder ähnliche „Morpheme“. Und auch Heiri Känzig sang zu seinem Bassspiel bzw. bewegte zumindest die Lippen, so als wollte er „verbal“ die Klanghöhen seines Tieftöners unterfüttern.
Danach erlebten wir Klangstrudel, die der Pianist seinem Tastenmöbel entlockte. Den stimmlichen Tonraum füllte die Vokalistin voll und ganz aus. Samten bzw. seiden kam das Flügelhorn daher. Nur selten vernahm man Gutturales von Matthieu Michel. Auffallend war, dass das Sextett keinen Monolith bildete, sondern sich im Verlauf des Konzerts unter anderem in Duo- und Trio-Formationen präsentierte. Zur intensiven Kommunikation trug sicherlich auch bei, dass die Musiker einen flachen Halbkreis bildeten, sodass stets Blicke ausgetauscht werden konnten. Und das geschah intensiv. Jazz ist eben Zusammenspiel und nicht Alleinunterhaltung!
Die Reise, auf die uns das Sextett mitnahm, entführte uns auch zum wolkenverhangenen Bosporus. Dabei genossen die Zuhörer die zarten Oud-Sequenzen, folgten dem Dreigespann bestehend aus Klavier, Oud und Bass. Impressionen von geschäftigem Treiben zwischen Europa und Kleinasien, von vollbesetzten Fähren, von denen Menschen strömen, drängten sich beim Zuhören auf. Stets stand das Melodische im Fokus. Dissonantes oder gar Gewittergrollen waren nicht auszumachen. Mit Siebenmeilenstiefeln bewegten wir uns dann nach Mombasa bei Nacht. Dazu „paarten“ sich Flügelhorn und Stimme. In einer Art Zwischenspiel war der Oud-Spieler zu hören. Tjatjatajalala oder so Ähnliches drang an unsere Ohren. Im Nachgang erlebten wir durchaus musikalische Verwebungen mit Rockannäherungen. Beeindruckend war das Wechselspiel zwischen Stimme und Flügelhorn, das sich anschloss. Insgesamt war ein unbändiger Energiefluss spürbar. Irgendwie konnte man durchaus ein tropisches Feuer spüren, oder?
Der Abend ließ uns auch tanzende Delfine erleben. Und bei „Nostalgia“ drängte sich der Eindruck auf, man lausche einer Gute-Nacht-Geschichte über vergangene Tage. Mit „Distant Traveller“ verabschiedete sich das Sextett vom Publikum. Doch der lang anhaltende Beifall führte zu einer Zugabe. Und dann ging es in die Septembernacht von St. Wendel. Au revoir, Auf Wiedersehen, Buenas Noches und Guetenaabig … und bis 2023 zu den 32. Jazztagen St. Wendel.
Fazit
Wieder einmal ist es dem künstlerischen Leiter Ernst Urmetzer und seinen Ehrenamtlichen gelungen, ein Festival zu organisieren, dass musikalische Gegensätze in einem Programm vereinte, dabei auch Weltmusik und Grenzgängerischem eine Bühne bietend.
Nachsatz
Wer die Konzerte nochmals oder erstmals hören will, schaue mal auf Jazz NOW SR2 unter https://sr-mediathek.de/index.php?seite=8&sen=SR2_JAZ vorbei. Sehr zeitversetzt zu den Jazztagen werden die mitgeschnittenen Konzerte vom zweiten und dritten Tag des Festivals zu hören sein.
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