Nach längerer Pause – bedingt durch die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie – ging die in 2017 erfolgreich gestartete Reihe "Jazz in der Kunsthalle - Die Sparda Lounge" im Oktober nunmehr in die nächste Runde. Dabei wurde die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Kunsthalle, Sparda-Stiftung und dem Institut für Kulturarbeit fortgesetzt. Vor dem Konzert konnte ich mit dem künstlerischen Leiter der Veranstaltungsreihe, dem Recklinghäuser Gitarristen Ingo Marmulla, ein kurzes Gespräch zur Intention der Jazz-Reihe führen. Es ginge ihm weniger darum, so Ingo Marmulla, ein Programm mit Nu Jazz, Free Jazz oder freien Improvisationen zu veranstalten, sondern eher darum, verschiedene Facetten des Jazz zu präsentieren und das Publikum auch mit sogenanntem Mainstream Jazz an den Jazz heranzuführen. Dabei ist es nicht die Intention, us-amerikanische Jazzer vorzustellen, sondern sich auf Musiker aus der Region – Ruhrgebiet und umzu – zu fokussieren. Nicht alle seine Ideen konnte der künstlerische Leiter für die laufende Saison umsetzen. So war es nicht möglich, den aus Recklinghausen stammenden, in den USA lebenden Vibrafonisten Stefan Bauer für eines der Konzerte zu gewinnen. Stefan Bauers Tourpläne standen dagegen.
Im ersten Konzert gehe es darum mit dem Pianisten Thomas Hufschmidt, nunmehr Professor an der bekannten Folkwang-Universität, einen Musiker zu präsentieren, mit dem er, Ingo Marmulla, bereits 1989 zusammengespielt habe. Auch mit den anderen Musikern wie Caspar van Meel und Stephan Sagurna gebe es seit Jahren andauernde gemeinsame Bühnenauftritte, so Marmulla im Gespräch. Auch die Anfang November auftretenden, im Kölner Raum beheimateten Musiker, der Pianist Jarry Singla, der Kontrabassist Christian Ramond und der Perkussionist Ramesh Shotham, sind im weitesten Sinne mit der Region Ruhrgebiet/Rheinland verbunden, zumal Shotham lange Zeit in Dortmund unterrichtet hat.
Das erste Konzert in 2022 wird das Quartett um den Saxofonisten Pascal Bartoszak bestreiten, der nicht nur mit dem Sparda Jazz Award und Biberacher Jazzpreis ausgezeichnet wurde, sondern auch den Jungen Deutschen Jazzpreis Osnabrück erhalten hat. Es sei ja auch Programm der Reihe die nächste Generation im Jazz und junge Jazzpreisträger vorzustellen, was gewiss auf den oben genannten Saxofonisten zutrifft. Anschließend wird Peter Baumgärtner, Absolvent der Swiss Jazzschool (bei Billie Brooks) mit seinem neuesten Trio-Projekt in der Kunsthalle zu hören sein: „Seit langem war es mein Wunsch, in einem Studio meine Wunschstandards einzuspielen. Mit diesen beiden exquisiten Partnern ist es mir dann im Sommer 2021 gelungen. Das Studio war das legendäre MPS Studio in Villingen im Schwarzwald.“
Den Abschluss der Reihe wird das Jazz Lounge Akestra featuring Charlotte Illinger bestreiten und auch dem Stimmlichen Raum geben. Die Vokalistin Charlotte Illinger ist wie Bartoszak Gewinnerin des Sparda Jazz Award und sollte bereits im letzten Jahr auftreten.
Doch nun zum ersten Konzert, bei dem es vor allem Eigenkompositionen von Ingo Marmulla, so auch „Danza folkloristica“ und „Cosimo on Trees“, und von Thomas Hufschmidt, u. a. „Porto Koukla“ und „Maradona“, zu hören gab, sieht man mal von „Turnaround“ (O. Coleman) und „You don’t know what love is“ ab.
Auf einen E-Bass verzichtete das „Quartett der Freunde“. Die über weite Strecke durchaus prägende E-Gitarre in den Händen von Ingo Marmulla und das „Rhodes“, das Thomas Hufschmidt zum Klingen brachte, ließen Erinnerungen an Fusion eher aufkommen als an klassischen akustischen Jazz mit Piano, E-Bass und Schlagzeug. Nein, zu Beginn wurde zwar das Stück „Danza folkloristica“ zur Einstimmung des Abends gespielt, aber um Volksweise oder ein Volkstänzchen ging es dabei mitnichten. Sonore Klangflüsse waren wahrzunehmen, rinnende Saiten-Sequenzen ebenso. Alles schien im Fluss, durchaus auch von Tempo geprägt. Caspar van Meel am akustischen Bass ließ es sich bei seinem Solo nicht nehmen, auf die erdige Färbung seines Tieftöners zu verzichten und gleichsam an die Sequenzen anzuschließen, die Ingo Marmulla vorgegeben hatte. So entstand ein durchaus feines Makrame, in dem auch die hohen Lagen des Basses eingeknüpft waren. Stephan Sagurna verstand es zwischen schwingenden Fellen und schwirrenden Blechen enge Verbindungslinien zu schaffen und sich in das Gesamtgewebe des Quartetts einzubinden. Weiter ging es mit „Cosimo on Trees“. Unüberhörbar waren Anlehnungen an Latin Jazz, hier und da auch an Bossa, sobald Ingo Marmulla in die Saiten griff. Zugleich aber war der Eindruck präsent, dass hier Gitarrenjazz in der Tradition von Joe Pass und Jim Hall mitschwang, oder?
Auf alle Fällen hörten die sehr zahlreich Anwesenden mediterrane Notierungen und verspürten bei diesem Stück auch das Licht und die Wärme des Südens – und das im Spätherbst im Ruhrgebiet! Einen samtenen Klangteppich breitete Thomas Hufschmidt dazu aus. Eigentlich wäre vielleicht das Wabern einer Hammond B3 noch passender mit den spezifischen Orgelklangfärbungen gewesen. So aber füllten Klangstrudel, die Hufschmidt an seinem Tastenmöbel mit flinkem Fingerspiel erzeugte, den Saal der Kunsthalle, die ja per se nicht gerade eine anheimelnde Wärme verbreitet. Zum Bass-Solo von Caspar van Meel traten harte Fellschwingungen jenseits eines rockigen Hau-drauf. Auffallend war bei dem Bass-Solo, welche Höhen eigentlich einem Bass abzugewinnen sind. Vielfach nimmt man den Bassklang ja nur als tiefes Gebrumme war, oder?
Bei „Maradona“ ging es nicht um den argentinischen Dribbelkünstler, sondern um eine Rennmaus gleichen Namens, die der Tochter von Thomas Hufschmidt gehörte. Ab und an konnte man diesen wieselflinken Nager gleichsam im Saal umher flitzen sehen, folgte man den melodischen Schraffuren und „Zick-Zack-Linien“ des Stücks. Fast schon ein Jazz-Standard ist „Turnaround“ von Ornette Coleman, der im weiteren Verlauf des Konzerts zu hören war. Nur im Geiste waren dabei Don Cherry (cornet) und Ornette Coleman (alto sax) zugegen. Das Arrangement und das Thema waren der aktuellen Quartett-Besetzung angepasst, sprich auf den Gitarristen zugeschnitten. Das ist nicht das erste Arrangement des besagten Blues, bei dem auf den Bläsersatz verzichtet wurde, erinnern wir uns an Pat Metheny auf der entsprechenden Einspielung „Side Eye“. Sehr reizvoll war in der aktuellen Version des „Freundesquartetts“ das Wechselspiel zwischen Rhodes und Gitarre, sprich zwischen Thomas Hufschmidt und Ingo Marmulla, die beide die Grundstimmung des Originals treffend und passgenau einfingen. Und auch Caspar van Meel sowie Stephan Sagurna waren ganz und gar auf Blues von Coleman eingestellt und Teil von rotierenden Solos, wie wir sie auch zuvor erlebten.
„Where is David“ hieß es im Weiteren. Wie einige Stücke, die Ingo Marmulla komponiert hat, ist auch dieses im Zuge einer Italienreise entstanden. Kenner ahnten es schon: Es ging um den „David“ von Michelangelo und um Florenz. Ohne Frage nahm uns Marmulla mit seinen Gitarrenpassagen auf die Suche mit, bog mit uns in die eine oder andere Florentiner Gasse ein, durchquerte Kreuzungen und Plätze, um Michelangelos Meisterwerk endlich gegenüberstehen zu können. Selten genug gibt es bei Jazz-Konzerten ein langes Schlagzeugsolo. Bei der Suche nach David kam jedoch die Stunde von Sagurna, der vor allem Snare und Toms zum Flirren und Schwirren brachte, mal von dem großen und kleinen Becken abgesehen. Das war fulminant und führte zu herzlichem Zwischenapplaus der Anwesenden.
Nach einer kurzen Pause ging es dann unter anderem mit einer Komposition von Thomas Hufschmidt weiter. Diese verhieß “Spring will come“ – „der Frühling wird kommen“. Irgendwann gewiss, aber im Moment bewegen wir uns ja auf die dunkle nasskalte und winterliche Jahreszeit zu. Durchaus lyrisch angelegt erschienen das Stück und der Vortrag. Zartes Frühlingsgrün fingen die Musiker für uns ein, ließen auch mal ein Blattrauschen aufkeimen und außerdem ein laues Frühlingslüftchen wehen. So könnte man den Höreindruck vielleicht in einem Bild beschreiben. Landschaften Cézannes in pastösen grünen und sandfarbenen Farbsetzungen und impressionistische Eindrücke von Pissarro konnte man sich zur Musik ebenfalls gut vorstellen. Welch Kontrast zum aktuellen Wetter! Frostig war es an dem Konzertabend.
Und zum Schluss gab es noch eine Art Urlaubserinnerung zu erleben: „Porto Koukla“ hieß es, eine Komposition von Thomas Hufschmidt, der dabei wohl einen Griechenlandurlaub musikalisch verarbeitet hat. Der Schlussapplaus war lang anhaltend und so gab es die erhoffte Zugabe, nach der das Publikum in den Abend entlassen wurde.
Gespannt darf man auf die nachfolgenden Konzerte sein, zu denen man sich telefonisch oder per Mail in der Kunsthalle anmelden muss. Es gilt für die Konzerte im Übrigen die sogenannte 3G-Regel, sodass für den Konzertbesuch unbedingt der digitale CovPass mitgebracht werden muss. Aufmerken: Für die Konzerte wird kein Eintritt erhoben!
© Fotos und Text Ferdinand Dupuis-Panther
Info
Programm
Am 5.11.2021 folgt Jarry Singla mit EASTERN FLOWERS
Pianist Jarry Singla
Kontrabassist Christian Ramond
Perkussionist Ramesh Shotham
Sie verflechten indische Kunst- und Tempelmusik mit europäischem Jazz
Am 28.1.2022 gastiert das Pascal Bartoszak Quartet in der Kunsthalle.
Das Quartett um den Saxophonisten Pascal Bartoszak widmet sich der swingenden Jazztradition und bringt diese mit den Einflüssen heutiger Jazzströmungen voller Spielfreude auf die Bühne.
Am 18.2.2022, präsentiert Peter Baumgärtner zusammen seine Wunschstandards unter dem Titel „MY CHOICE“.
Den Abschluss der Reihe am 25.3.2022 bestreitet das Jazz Lounge Akestra featuring Charlotte Illinger mit „Stimmen“.
In einem eher kammermusikalischen Exkurs werden Konzeptionselemente aus dem Jahr 2017 aufgegriffen und weiterentwickelt. Hierbei kommt es zu einer Begegnung von Musiker*innen unterschiedlicher Generationen mit differierenden Erfahrungshorizonten. Besonders herausgestellt wird die Sparda-Jazzpreis-Trägerin Charlotte Illinger, die an diesem Abend ihre Stimme überwiegend „instrumental“ einsetzen wird.
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