Black Box Münster 1. November 2020
In gewisser Hinsicht war dieser Abend in der Reihe Soundtrips Abgesang und letzter Walzer zugleich. Es war das vorläufig letzte Livekonzert vor dem Lockdown, von dem bisher nicht klar ist, wie lange er andauern wird, trotz anderslautender Bekundungen. Das kulturelle Leben wird nunmehr erneut von Mehltau überzogen. Das große Schweigen breitet sich aus, sieht man einmal von Live-Streamings ab. Diese aber ersetzten keine Liveauftritte vor Publikum. Nun gut, Ministerpräsidenten und Kanzlerin haben entschieden, dabei die Verhältnismäßigkeit außer Acht lassend und sich als wahre Kulturbanausen erweisend.
Im Vorwege des Konzerts war Folgendes zu lesen: „Ihre Musik kann man als elektro-akustisch bezeichnen: Kaufmanns Mixturen von traditionellen Klavierklängen, Pedal-Echos, Präparationen und Aktionen im Flügelinneren treffen auf fein ausdifferenzierte elektronische Schleifen und Klangflächen, die Schick mit Turntables, Sampler und Looper erzeugt und permanent durch manuelle Eingriffe prozessiert, stört und steuert. Mitunter entsteht im Zusammenspiel der Eindruck eines Meta-Instrumentes, bei dem akustische und elektronische Komponenten so ineinandergreifen, dass sie kaum noch voneinander zu unterscheiden sind.“
Zunächst erlebten wir Klangcollagen mit und ohne Vinyl nebst einem präparierten Flügel. Gestrichene Saiten mischten sich in Klangcollagen mit dem Knistern des Vinyls auf dem Plattenteller. Sirren und Klopfen trafen die Gehörgänge der Anwesenden. Gemorste Zeichen breiteten sich aus. Tiefe Klavierfärbungen gingen eine Melange mit perlendem Klangwasser ein. Gewummer wie das Geräusch eines schweren Presslufthammers, der auf Hartgestein stößt, behauptete sich gegenüber phasigem Tastenspiel. Als Zuhörer meinte man, es würde von Klangstein zu Klangstein gesprungen. Vogelstimmen traten aus dem Off hervor. Zweiklänge wurden wiederholt. Ein Srrtrrr und ein Brummbrumm konnten wahrgenommen werden. Blechgeschwirr und Pfeifen vermischten sich. Bisweilen erfüllte ein Malstrom des Klangs den Raum.
Wellenschläge gegen Gestade und Klippen konnten man sich im Weiteren vorstellen, wenn das Duo agierte und interagierte. Aufgrund des Geräuschschwalls wurde ein „Tinitus des Klangs“ bewusst in Kauf genommen. Bisweilen waren die elektronischen Signale überbordend, sodass der Pianist Achim Kaufmann Schwierigkeiten hatte, eigene Klanglinien zu zeichnen. Schiffssirenen waren auszumachen und Melodica-Phrasen. Diskante Äußerungen waren Achim Kaufmann zu verdanken, während Ignaz Schick an den Knöpfen seines Zauberkästleins drehte und Vinyl auf den drehenden Teller legte. Anflüge von Melodischem waren rar. Melodramatik jedoch konnte für kurze Momente erlebt werden, als der Pianist in die Tastentiefen seines Flügels abtauchte. Wie umfallende Mikadostäbe aus Metall klangen einige Passagen, die zu Gehör gebracht wurden. Das Bersten von Kristall war auch mit im Spiel.
Klangstufen betrat der Pianist, der sein Instrument präpariert hatte, ab und an über die Saiten des geöffneten Flügelkörpers strich oder Metallenes auf die Saiten fallen ließ. Materialien wurden zwischen die Saiten des Flügels geschoben, um den Klang zu reduzieren. Geräuschlast nahm zu und überlagerte den Feinklang des Klaviers. Das verbalisierte Achim Kaufmann seinem Duopartner gegenüber, sodass es auch zu einem kurzen harten Spielabbruch kam. Doch nach Verschieben der Lautsprecherbox in der Nähe des Flügels wurde der Spielfaden wieder aufgenommen. Knarzen, Knistern, Ratschen, Zischen, das Geräusch von explodierenden Feuerwerkskörpern und der Klang von Geschosssalven breiteten sich als Klangwellen aus. Das Spiel an den Knöpfen lenkte hier und da ab. Wer erzeugte eigentlich welche Klangmuster, fragte sich der eine oder andere Anwesende wohl. Lange Klangwellen wurden im Übrigen von spitzen Wellen des Klangs überlagert.
Wir unternahmen wahrlich einen Soundtrip, auch zwischen Uuuhm und Ooomn, zwischen Steel Drums und Klappern und Rascheln im Wiederholungsmodus, zwischen kreisenden Bewegungen über die Saiten des Flügels und dem basslastigen Anschlag auf den Tasten des Flügels. Melodisches flammte auch kurz auf. War da nicht auch ein Akkordeon jenseits von Musette zu hören? Und dann lief das Spiel aus, vergingen die Klangcollagen im Off.
Nach einer kurzen Pause kamen dann auch die Gäste, Shabnam Parvaresh und Michael Kolberg, mit ins Spiel. Dabei waren die Linien der Improvisation und der Klangcollagen ganz wesentlich von der aus dem Iran stammenden, aber seit Jahren in Deutschland lebenden Klarinettistin Shabnam Parvaresh geprägt. Sie sorgte für das Melodische auf der Bassklarinette ebenso wie auf der demontierten Klarinette oder auch simultan auf beiden Holzblasinstrumenten. Nervöses Tastenspiel wurde von Windhosen des Klangs überlagert. Oh, meldeten sich da nicht auch Streicher zu Wort? Geräuschwellen wurden zurückgedrängt, auch wenn Michael Kolberg auf seinem Saiteninstrument mit nervösem Fingerspiel Klangstrudel erzeugte. Welliges Bassraunen verteilte sich im Raum. Klappengeräusche der Klarinette waren hörbar. Wie durch Wind in Bewegung gebrachte Wasserflächen klang das, was uns Michael Kolberg darbot.
Seufzte da nicht der Holzbläser tief und lang? Dieser tauchte auch in die Tiefen seines Klangspektrums ein. Kurz war der Schrei, ehe ein Wechselspiel zwischen Pianist und Klarinettistin seinen Anfang nahm. Hintergründig agierte derweil der Gitarrist Michael Kolberg, der etwas verdeckt hinter der Klarinettistin saß und die Saiten seines Instruments antippte. Mundstück und S-Bogen der Klarinette wurden kurzerhand zu einem eigenen Klangkörper. Dabei diente die Rechte der Klarinettistin auch als Dämpfer. Schläge auf das S-Rohr erzeugten einen dumpfen Klang. Geräuschrauschen nahmen wir wahr. Auch eine „halbierte Klarinette“ wurde in die Collage des Klangs einbezogen. Im weiteren Verlauf konzentrierte sich der Pianist auf trommelnde Bassfolgen. Drippings des Klangs drängten sich auf, ehe dann Schluss war, weil alles gesagt war.
Noch zu einer weiteren Improvisation fanden sich die Musiker zusammen. Klangtropfen und metallener Geschiebeklang verquickten sich. Wellige Klangfäden wurden gesponnen. Klangstromschnellen wurden gezeichnet. Und dann war dieses vorerst letzte Konzert in der Black Box zu Ende.
© text und fotos ferdinand dupuis-panther - Text und Fotos sind nicht Public Commons. Nutzung von Fotos ohne Lizenzen und meine Genehmigung ist nicht gestattet.
Informationen
http://www.blackbox-muenster.de/index.php?id=programm
Line-up
Achim Kaufmann – Klavier
http://www.achimkaufmann.com
Ignaz Schick – Turntable
https://zangimusic.wordpress.com/ignaz-schick/
Gäste
Shabnam Parvaresh – Klarinetten
https://de.shabnamparvaresh.com
Michael Kolberg – Gitarre
http://www.kolbergundstern.de/info.html
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