„Bei Peter Ehwald sind klare kompositorische Ideen stets gepaart mit entfesselter Spielfreude und Spontaneität. Dabei ist sein Quartett von der Instrumentierung eher außergewöhnlich, da gleich zwei Bassisten ihren Tieftönern die richtigen Töne beibringen: Andreas Lang steht für das Erdige; Robert Landfermann hingegen steuert Improvisationstechniken jenseits des Jazz-Idioms bei. Am Schlagwerk agiert der umtriebige Jonas Burgwinkel, der mit Robert Landfermann auch im Pablo Held Trio agiert. Vorgestellt wurde im Rahmen des Konzerts das zweite Album von Double Trouble, das sich unter anderem durch einen aufsehenerregenden BR-Radiomitschnitt aus München auszeichnet.“ So las man es in der Konzertankündigung. Nun ja, damit waren erste Erwartungen geweckt.
Von „Klassentreffen bis …
Von einem „Klassentreffen“ der besonderen Art bis hin zum „Speed Dating“ reichte die farbreiche Palette der Klangeindrücke, die der Saxofonist Peter Ehwald mit seinen Mitmusikern dem sehr zahlreich erschienenen Publikum an diesem sommerlichen Abend in Berlin bot. Beinahe bis auf den letzten Platz war das „A-Trane“ gefüllt, in dem eben nicht Jazz im Geiste von Duke Ellington zu hören war, sondern eine Mischung aus gebundener und ungebundener Musik, bisweilen an Free Jazz und an freie Musik angelehnt, wenn auch strukturiert und in den Strukturen identifizierbar. Geprägt wurde der musikalische Vortrag nicht allein von Peter Ehwald am Sopran- und Tenorsaxofon, sondern auch durch das „Nahduell“ der beiden Bassisten Andreas Lang und Robert Landfermann. Sie stimulierten sich gegenseitig zu allerlei Saiteneskapaden, zu einem gestrichenen Bass jenseits des Stegs, zu rhythmischem Einsatz beider Hände, zu einer Art Rumble in the Jungle, auch wenn es eigentlich um Double Trouble ging. Ein doppeltes Ärgernis erlebte keiner der Anwesenden, sondern eher Klangstürme in allen Nuancen. Dabei feuerten sich die Musiker auch verbal zu immer neuen akustischen Höhenflügen an, voran dabei Jonas Indiana Burgwinkel am Schlagwerk, aber auch Robert Landfermann am Bass.
Nebenrollen gab es nicht
Zwischenapplaus brannte immer wieder nach Soli auf. Keiner der Musiker hatte nur eine Nebenrolle. Non-verbale Kommunikation spielte eine wichtige Rolle. Stets mit einem Lachen im Gesicht zupfte Andreas Lang seinen Tieftöner, zumeist stark rhythmisch. Immer wieder gingen die Blicke von Andreas Lang hinüber zu Robert Landfermann und umgekehrt. Dabei konnte man als Zuhörer und Zuseher den Eindruck gewinnen, die beiden Bassisten würden sich anstacheln, sich herausfordern, sich duellieren, aber stets zum gemeinsamen Besten. An diesem Abend war auch zu beobachten, welche zentrale Rolle ein Schlagzeuger in einer Jazzformation haben kann, auch wenn er aus Regiesicht im Bühnenhintergrund agiert. Jonas Burgwinkel spielte nicht nur mit Rhythmusverschiebungen, sondern forcierte auch in entscheidenden Momenten das Tempo, dabei den Rest der Band in seinen Sog ziehend. Neben dem klassischen Set eines Schlagwerks kamen auch einige perkussive Instrumente wie eine Klangschale oder ein Klangholz hier und da zum Einsatz.
Auf nach Marokko
Kontemplation und Tiefenentspannung standen nicht auf dem Programm. Konzentriertes Zuhören war gefragt. Unbedingt musste der rote Faden weiter gestrickt werden, wollte man als Zuhörer den Zugang zur Musik nicht verlieren. Mit „Mimouna“ eröffnete Double Trouble das Konzert. Dieser Titel entstand im Kontext des Jazzfestivals von Essaouria (Marokko) und wurde durch die in Nordafrika verbreitete rituelle Gnawa-Musik beeinflusst. Es ist die Musik einer ethnischen Minderheit, deren Vorfahren aus dem westlichen Afrika nach Nordafrika kamen. Nun denkt man bei nordafrikanischer Musik an eine gänzlich andere Instrumentierung als die von Double Trouble, an afrikanische Trommeln und an Guembri. Nein, Jonas Burgwinkel spielte keine afrikanischen Trommeln und keiner der beiden Bassisten ließ die Saiten einer Guembri schwirren.
Peter Ehwald spielte das hochgestimmte Sopransaxofon im „Chorus“ mit seiner Band. Es schien ein akustisches Konglomerat zu sein. Rabatz, Rabatz kam dem Berichterstatter als angemessenes Stichwort in den Sinn. Stark körperbetont „bespaßte“ Andreas Lang seinen Viersaiter. Blech vibrierte und Felle schwirrten. Schnell gesetzte Saxofonläufe traten hinzu. Der Hummelflug und der Säbeltanz schienen sich in freiem Geist miteinander vereint zu haben. So entstand ein furioser Klangflug, zu dem die vier Musiker abhoben. Ein wenig afrikanische Würze wurde dem Stück auch beigemengt, jenseits von „African Market Place“.
Warum nur gibt es Klassentreffen?
Wer kennt sie nicht, die Klassentreffen in regelmäßigen Zeitabständen. Peter Ehwald berichtete davon, auch von der ersten und einzigen Depression, die ihm ein solches Klassentreffen bereitete. Es war übrigens das 10-jährige Klassentreffen. „Geht da nie hin.“ So lautete der gutgemeinte Rat von Peter Ehwald. Als dieser begann, auf seinem Tenorsaxofon zu spielen, hatte man bereits bei den ersten Sequenzen eine genaue Vorstellung von dem aufschneiderischen Geschwätz, von dem Klassentreffen durchzogen sind. Zu den Passagen des Saxofons passte die Vorstellungen von „Ich bin, ich habe, ich kann, ich mache und meine Frau“ sowie „Mein Haus, meine Yacht, meine Finca, mein …, mein.“ Gemurmel steuerten die beiden Bassisten bei. Mit einem gewissen Schnalzansatz bediente Peter Ehwald später seinen Holzbläser, und es klang, als wollte er sich über das allgemeine Blablabla der versammelten Klassenkameraden auslassen. Zugleich hörte man Eigenlob in den höchsten Tönen. Nur selten ebbte das aufgeregte Spiel ab. Kurz waren die Momente, in denen man sich einsetzende Langeweile vorstellen konnte. Es klang dann tatsächlich so, als sei auf dem besagten Klassentreffen eigentlich alles schon gesagt worden. Doch dann begann auch musikalisch eine Art Endlosschleife, die ein solches Treffen zur Qual macht. Schließlich wurde der Schlusston gesetzt. Das Treffen war vorüber.
Traummusik
Der sehr kommunikativ aufgelegte Peter Ehwald kommentierte den Titel „Dream Band“ dahingehend, dass er sehr früh aufzustehen pflegte, gleichsam aus dem nächtlichen Traum heraus den Tag und das Komponieren begonnen habe. Allerdings geschah das nicht vor dem ersten Kaffee, aber früh sei es schon gewesen. Wie sich dann herausstellte zu früh und auch die traumhaften Kompositionen wollten nicht so ohne weiteres gelingen. Daher habe er das frühe Komponieren aufgegeben. Zumindest sei aber eine „Traummusik“ daraus hervorgegangen. Ob sie wohl zum Träumen anregt, sollten die Anwesenden dann noch erleben. Es gab Anmutungen an Kontrapunktisches zu vernehmen, auch eine gewisse Form von Ostinato, so als sei der Schlaf noch nicht ganz aus den Augen gewischt worden. Der Holzbläser schien eine tonale Brise durch den Raum wehen zu lassen. Besen strichen übers Blech, und man vernahm zudem ein Tickticktick, ohne dass man an den unbarmherzigen Wecker denken musste. Beinahe schwerelos erschienen die gedehnten Basspassagen, die Robert Landfermann vortrug. Bei seinem Solo summte bzw. sang er leise mit. So begleitete er sein tanzendes Fingerspiel auf den Saiten. Sehr rhythmisch orientiert war das Spiel, das durch die gezielten Schlagwerkinterventionen von Jonas Burgwinkel unterfüttert wurde.
In der Zone
Ein wenig machte sich der Bandleader von Double Trouble über die freie Szene lustig, als er erzählte, dass er bei einem entsprechenden Konzert auftreten sollte. Dafür allerdings sollte er eine Komposition mitbringen. Ach ja thematisch ging es auch irgendwie um den Osten, um Polyrhythmik des Balkans und kasachischen Obertongesang. Er habe nichts davon präsentieren können, aber er komme schließlich aus dem Osten. Das sei zwar keine besondere Qualifikation, aber … Bei „In the Zone“ knarrte, knarzte und quietschte es. Dann klang es ein wenig nach Parforcejagd. Beinahe Sphärisches drang an die Ohren des überwiegend jüngeren Publikums, darunter auch U25. Robert Landfermann bespielte dafür die Saiten jenseits des Stegs mit seinem Bogen. Rein Melodisches hatte Seltenheitswert, aber das tat dem Stück keinen Abbruch, im Gegenteil.
Als „Mr Soju rising“ mit einem Saxofon-Solo eröffnet wurde, mischten sich Atem- und Tonstrom. Frivol klang es nicht, auch nicht heiter, eher ein wenig melancholisch. Doch die schrillen Klangattacken ließen nicht lange auf sich warten. Melodiöses Allerlei gab es nicht. Klangfarbenwechsel und Klangdrippings konnte man wahrnehmen. Dass Musik und vor allem Jazz auch immer Körperarbeit ist, vielleicht sogar mit schweißtreibendem Sport zu vergleichen ist, das vermittelten die Musiker auf der Bühne. Teilweise hörte man auch ein „Yeah“ und ein „Jauh“, so als wollte Jonas Burgwinkel von allen noch mehr fordern und so den dramatischen Klangfluss beeinflussen. Tropfige Klangbilder stellten sich außerdem im Wechselspiel zwischen Anspannung und Entspannung ein. Beinahe wie ein Lamento kam „Reprise“ daher, das wir nachfolgend hörten.
Zum Schluss dieser Berichterstattung soll noch auf die beiden Kompositionen „Double Trouble“ und „Speed Dating“ eingegangen werden. Nach dem tonalen Feuerwerk, das Double Trouble gezündet hatte, hörten wir bei „Double Trouble“ keinen Zwist, keine Fehde, keinen Streit, kein Widerwort, sondern eher Ausgleichendes.
Am Ende des Konzerts gab es ein „romantisches Stück“ – man denke sich ein verschmitztes Lachen von Peter Ehwald bei dieser Ankündigung von „Speed dating“. Hätte man nicht den Titel im Ohr gehabt, so hätte man gut und gerne auch an die rasante Musik zu einem Road Movie denken können. Der Song erzählte von Hast, von Eile, von stenografischer Kommunikation, von schnellen Wechseln, von sich überschlagenden Worten. Dabei trieb Jonas Burgwinkel das Rhythmische auf die Spitze, so als karikiere er den schnellen Wechsel der jeweiligen Beteiligten beim Schnellkennenlernen, das ja in der Kürze der Zeit zum Scheitern verurteilt ist. Auch beim Zuhören hatte man wie beim „Speed dating“ die vorvorletzten Klangpassagen schon nicht mehr im Ohr, denn in rascher Folge überlagerten sich die Höreindrücke.
Der Abschlussbeifall war beinahe frenetisch, sodass die Zugabe nicht auf sich warten ließ. Nach dem aufwühlenden Schnellkennenlernen gab es dann eher eine Art Nocturne zu hören und damit hieß es dann: „Bis bald“ oder, so Peter Ehwald, „morgen dann in Peitz nur zwei Stunden von Berlin entfernt“.
Wer alle Songs nochmals hören möchte, dem sei das Album „Double Trouble live“ empfohlen, herausgegeben durch das Label Jazzwerkstatt.
Fotos und Text: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
A Trane
http://www.a-trane.de/
Musiker
Peter Ehwald
http://www.peter-ehwald.net/
http://www.peter-ehwald.net/doubletrouble/video
Robert Landfermann
http://robertlandfermann.com/
Jonas Burgwinkel
http://www.jonasburgwinkel.com/en/
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http://bassandreas.com/
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