Deelenhaus Paderborn 16.2.2024
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„Das musikalische Konzept von Ragawerk ist ein Brückenschlag zwischen indischen Ragas und durch Elektronik und Krautrock inspirierten Jazz. Der indische Einfluss kommt durch den Gitarristen Max Clouth, der von 2009 bis 2012 in Indien gelebt und die indische klassische Musik studiert hat.“, so lesen wir über die Band und deren musikalisches Konzept.
Um die speziellen Phrasierungen des indischen Sarods (Langhalslaute der nordindischen klassischen Musik) oder der Vina (heute überwiegend Lauteninstrumente der klassischen indischen Musik) auf einer Gitarre darzustellen, hat Max Clouth eine spezielle Doppelhalsgitarre entwickelt, die mit einem bundlosen sowie einem normal bundierten Hals ein großes Klangspektrum ermöglicht. Martin Standke versteht sich nicht allein aufs Schlagzeugspiel, sondern auch auf viele elektronische Samples. Kurz gefasst, treffen europäischer Jazzrock auf alte indische Raga und elektronische Klangelemente. Überaus präsent ist bei Ragawerk überdies Vroni Frisch am E-Bass, wie man sich in Paderborn überzeugen konnte. Und schließlich ist da noch der Pianist Paul Janoschka, der beim Paderborner Konzertabend auch Wurlitzer-Klangspiele zum besten gab.
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Eine Band und ihr Konzept
Und auf der Homepage der Band formuliert diese Folgendes: „… Music like a road trip inside our mind. Resembling the soundtrack of a film that only exists in your imagination. Episodes shot on the roads between Germany and India. Fore- and backgrounds alternate. Perspectives change. … The “Weltenvereiner” *combiner of worlds* (Frankfurter Allgemeine Zeitung) from the Max Clouth Clan are now Ragawerk. They play with hymnic melodies, cinematic sounds, atmospheric themes and stirring rhythms. Western and Indian influences merge into a characteristic sound, while the band combines sophisticated structures with expressive improvisations.“
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Vorhang auf!
Ob man bei den ersten Klängen an nordindische Musik denken musste, ist eher mit einem Fragezeichen zu versehen. Die Instrumentierung der Band entsprach ja eher den Konzepten des europäischen Jazz Rock und Fusion, obgleich wohl auch „Skalen des Raga“ angespielt wurden. Sitar, Tablas oder Shruti Box waren als Instrumente nicht gegenwärtig. Und das ist der Unterschied zu Formationen wie Pulsar Trio oder Biondini/Falschluger, um nur zwei Ensembles zu nennen, zu deren Instrumentierung auch die Sitar gehört.
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Allerdings wundert die Abwesenheit traditioneller indischer Instrumente bei Ragawerk nicht. Max Clouth versteht sich als europäischer Musiker und sein Instrument ist die Gitarre, wie er in einem Gespräch unterstrich. Er habe auch nie Sinn darin gesehen, Sitar zu lernen, sondern habe eher ein Interesse gehabt, die Stimmungen und Färbungen indischer Musik in die Jazzmusik der Gegenwart einfließen zu lassen.
Zu hören waren im sehr gut besuchten Jazzclub Paderborn Kompositionen wie „Salt Lassi“, „Chowpatty“, „Relagdi“, „Martin neu“ (Arbeitstitel!), „M.R.“, „Das Modul“, „Charukeshi“ und „Kirwani“. Kurze Anmerkung zur Nennung der gespielten Titel: Sehr häufig legen Titel von Tracks Assoziationen und Bilder nahe. Doch bei Ragawerk schien dies weniger der Fall. Ohne gelegentliche Erläuterungen durch Max Clouth blieb das eine oder andere Stück offen für freie Assoziationen. Und diese ist bei jedem Hörer ja anders ausgeformt. Obendrein sind Titel für viele Musiker verzichtbarer Bestandteil, aber der Zuhörer „fordert“ sie, will er sich doch mittels der Tracktitel ein Bild zum Gehörten machen. Beim dem Konzert von Ragawerk schienen Titel eigentlich verzichtbar, gar überflüssig, ging es doch im Kern um die Klangfarben und den Klangfluss von der ersten Minute des Konzerts an.
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Auf den ersten Klangstrecken des Konzerts hatte man den Eindruck, da werde Surf-Sound mit R&B sowie Krautrock verschmolzen. Ohne Effekte kam Max Clouth jedoch nicht aus. Des Gitarristen Zauberkästlein ruhte zu den Füßen des Gitarristen und fand auch stets Verwendung, auch jenseits von Hall. Die Tatsache, dass der Gitarrist im Fokus und mittig auf der Bühne stand und ihn die Mitmusiker im einem Halbkreis umschlossen, hieß nun nicht, dass ausschließlich der Gitarrist das musikalische Geschehen bestimmte. Nein, stets gab es Raum für verschiedene Solopartien, so auch beim ersten Stück. So entlockte Paul Janoschka, der Mann am Nordpiano2 und Synth, seinen Tasteninstrumenten kaskadierende Klangströme. Und dazu ließ sich auch die Bassistin deutlich vernehmen. Vroni Frisch zeigte Präsenz, wie schon oben angedeutet, beschränkte sich nich auf dunkle Klangfarben. Auch wenn die Resonanzseiten und die Spielsaiten einer Sitar nicht flirrten, so meinte man dennoch, dass der Gitarrist in seinem flinken Fingerspiel auf den beiden Hälsen seiner E-Gitarre die Nähe zum Klang der indo-persischen Langhalslaute suchte und auch fand. Dargeboten wurde eine Melange, in der nach Auffassung des Rezensenten auch Klangmomente einer Band wie Fleetwood Mac einflossen, ganz weit entfernt von einem puren Covern, sondern eher sich an das Melodische eines Peter Green anschließend. R&B der eigenen Art war außerdem auszumachen. Gelegentlich nahm man dabei „While my guitar gently weeps“ wahr.
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Im nachfolgenden Stück vereinten sich zart-zerbrechlich erscheinende Klänge mit bluesig gefärbten Klangeinschlägen. In vielen Formationen ist der Bassist eher in einem tieftönigen Phlegma eingesponnen, doch als Vroni Frisch ihr Solo gestaltete, wurden die Anwesenden eines Besseren belehrt. Da war Bewegung im Spiel, auch die körperliche Bewegung der Bassistin, die leicht tänzelnd und schwingend ihren Bassläufen zu folgen schien. Als Max Clouth sich auf seine Gitarre fokussierte, gab es wohl auch Momente, die der eine oder andere mit Mark Knopfler in Verbindung bringen konnte, oder? Ausschweifende Linien wurden gezeichnet. Der melodische Fluss wurde ausgeformt und strömte durch das Deelenhaus in Paderborn. Dunkle Klangflächen vereinten sich außerdem mit einem gewissen metallischen Klang, den der Pianist seinem Rhodes entlockte, dabei beinahe an den Klang eines gedämpften Vibrafons denken lassend. Feinster Klangregen ließ Ragawerk im Weiteren auf die Zuhörer niedergehen.
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In einem „Zwischentext“ wurde erläutert, in welchem Sinne die Band Raga als Konzept versteht und wie Elemente des Raga in einen Jazzkontext gestellt werden. Begonnen hatte das aus Frankfurt und Mainz stammende Quartett mit „Salt Lassi“ – eine für europäische Liebhaber indischer Küche ungewohnte Kombination. Bei uns steht zumeist Mango Lassi (Joghurt/Buttermilchgetränk) auf der Getränkeliste, oder? Und beim zweiten Stück handelte es sich um einen beliebten Strand im Nordwesten von Mumbai, wo Max Clouth einige Zeit verbrachte. Während bei uns ein solcher Strand zum Baden genutzt werden würde, war das am Strand namens Chowpatty nicht der Fall, so Max Clouth. Der Strand war wie eine Piazza in italienischen Städten Freizeit-Treffpunkt von Hunderten von Menschen. Baden stand nicht auf dem Programm.
Es war an dem Pianisten der Band bei „Nature Of The Self“ einen transparent anmutenden Klangteppich zu entfalten, dabei Rhodes und Synth zugleich zu spielen. Hier und da meinte man, man höre Flötenregister einer Kirchenorgel, oder? Und auch an ein elektronisch verstärktes Bansuri konnte man beim Zuhören denken. Angesichts der bisherigen sehr rockig ausgereiften Strukturen erlebte man Weichzeichnungen und Klanggouachen mit Verwischungen. Wie in den oben genannten Stücken war der Bass als Instrument eine Art Klangfundament und die Bassistin die Architektin einer Skelett-Struktur, die insbesondere von Max Clouth ausgestaltet wurde. Der Gitarrist schien aus seinen Klangfäden ein Kokon zu spinnen und darin aufzugehen. Expressionistisches und Expressives füllte dann den Raum.
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Fein dosiertes Schlagwerkspiel war nicht nur zuvor, sondern auch anschließend zu erleben. Snare, Hanging und Standing Tom, Basstrommel, drei Becken und ein Hi-Hat genügten Martin Standke um rhythmisch dosiert zu agieren. Nein, eine „Schlagwerkburg“ mit Batterien von Becken und diversen Toms brauchte der Frankfurter Schlagzeuger dazu eben nicht. Jazz Rock, das unterstrich er, kommt auch mit einer minimalistischen Ausstattung aus.
Nicht allein bei „I Promise“ wurde deutlich, dass es bei Ragawerk auch um das Zyklische des Klangs geht, ähnlich wie bei einem Raga. Dabei gehe es, so Martin Standke, auch um Regelbeugungen und Abbiegungen, die es zu nehmen gilt, wie er in einer musikalischen Pause anmerkte.
Mit einer Eisenbahnfahrt („Relagadi“) schloss das erste Set. Ob man dabei den Eindruck gewinnen konnte, musikalisch werde eine Zugfahrt über ausgeschlagene Schwellen und verbogene Schienen unternommen, mag sein oder auch nicht. Allerdings entwickelte sich das Stück mit zunehmender Dynamik und mit sich wiederholenden Rhythmusmotiven.
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Zu Beginn des 2. Sets gab es eine Einführung in einen Raga, um auch beispielhaft aufzuzeigen, wie man zu einem Gitarrenkonzept für einen Raga kommen kann. Nachfolgend erlebten wir perlendes Tastenspiel, schienen sprudelnde Quellen des Klangs sich zu ergießen. „Martin neu“ war die Gelegenheit für den Schlagzeuger zu zeigen, dass es um rhythmische Sensibilität geht und nicht um das „Hau drauf“ eines Schlagzeug-Berserkers. Mit diesem Stück hörten die Anwesenden im Übrigen eine Live- Uraufführung. Auf dem musikalischen Menü stand zudem „Ab Yeh Kya?“, auch auf der jüngsten Veröffentlichung der Band zu hören. Wie bei diesem Stück so auch bei „Das Modul“ waren die Anwesenden Ohrenzeuge eines Klangrausches, der teilweise auch etwas von Trance in sich hatte. Der Schlussapplaus war so anhaltend, dass die Band gleich zwei Zugaben spielte, aber dann war das Werk, das Ragawerk auch getan.
© Fotos: Anne Panther/Ferdinand Dupuis-Panther; Text: Ferdinand Dupuis-Panther
Info
Ragawerk
LINEUP
Max Clouth, Gitarre
Martin Standke, Schlagzeug, Samples
Paul Janoschka, Keyboard und Synth
Vroni Frisch, Bass
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