Aufgemacht wurde das Konzert mit einem Titel, den man, so Pascal Schumacher, eher bei Miles Davis verorten würde. „Decoy“. Diese Charakterisierung würde ich nicht teilen. Wahrnehmbar war ein überaus dynamischer Tempowechsel. Lyrisches hatte seinen Platz, jedenfalls ab und an. Wie aufblitzende Neonlichter, die die Großstadt bunt färben, erschienen die springenden und tanzenden Töne, die den Theatersaal füllten. Behutsam glitten die Schlägel in den Händen von Pascal Schumacher über das Metall seines Vibrafons. Jens Düppe tätschelte derweil die Felle seiner Trommeln mit aller Behutsamkeit. In den Harmonien drängten sich Vergleiche zu einigen klassischen Jazztrios auf, darunter triosence, die sich ganz und gar auf das Geschichtenerzählen verlegt haben, wenn auch mit Noten und nicht mit Worten. Lautes und Leises wechselten sich ab, auch dann, wenn Jens Düppe über die Ränder der verschiedenen Becken strich. Zwischendrin dachte ich aufgrund der Harmonieschemata und Themen an Maria Baptists Komposition „Gate 29“. Man hatte beim Zuhören einfach das Gefühl des Unsteten, des vergeblichen Suchens und der Desorientierung. Außerdem verspürte man Eile und Verharren. Als Pol Belardi seine Bassgitarre dank des Einsatzes von Effekten zum Singen brachte, meinte man, man sei in einer Grotte gefangen und lausche sphärischen Klängen. Dazu schellten dann Glöckchen und Pascal Schumacher vermittelte bei seinem Spiel den Eindruck, er würde Regentropfen auf Regentropfen aufs Pflaster platschen lassen. Ein Regenschauer breitete sich aus; Menschen versuchten dem zu entfliehen und stellten sich unter – so das Bild, das sich im Kopf des Berichterstatters entwickelte.
Die in diesem Stück wieder mitspielende Harfenspielerin Mirjam Rietberg war teilweise angesichts des Klangvolumens der übrigen Musiker nur stellenweise zu hören, was sicherlich sehr schade war. Doch die Harfe konkurrierte in gewisser Weise mit dem Vibrafon um die Harmonie- und Klanghoheit auf der Bühne. Ins Schwärmen konnte man beim Flötensolo von Manfroy geraten. Unerwartetes gab es dann zum Schluss, als die drei „Windinstrumente“ wirklich viel heiße Luft entwickelten, im besten Sinne.
Nach der Pause hatte Pascal Schumacher zunächst einmal, auch ohne Besuch einer Whiskey-Bar, Probleme seine Schlägel zu finden. Jens Düppe half ihm gerne bei der Suche. Dann ging jedoch alles den gewohnten Gang, mit sehr starker Rhythmisierung und redundanten Sequenzen. Dazu brachte Pol Belardi seine Bassgitarre zum „Wimmen“, ehe es dann auch ein wenig ins Sphärische hinüberglitt. Mit viel Fantasie konnte man sich beim Zuhören einen Walgesang vorstellen. „Matcha Desire“ hieß das Stück, das das zweite Set eröffnete. Dabei lernten die Zuhörer die zwei Seiten Japans kennen, das Spirituelle und Traditionelle, wie es sich im Kimono und im Taiko-Spiel widerspiegelt, und auf der anderen Seite die Postmoderne mit glitzernden Hochhäusern, ausgeflippten Teenagern und der Allgegenwart von Super-Hightech.
An den anwesenden Botschafter Luxemburgs in Deutschland richtete sich Pascal Schumacher bei der Ansage von „Ichigaya“, einem sehr vornehmen Teil Tokyos, in dem sich auch die Botschaft Luxemburgs befindet. Er solle sich doch mal überlegen, ob er sich nicht als Nächstes auf den Posten eines Botschafters in Japan bewerben wolle. Beim Zuhören dachte ich weniger an Urbanes, sondern eher an Sonnenstrahlen, Frühlingsluft und den betörenden Duft von Kirschblüten. Als jedoch Jeroen van Herzeele begann, mit kurzen Delays seinen Holzbläser zum Klingen zu bringen, war dann eher Großstadtgewusel im Theater am Wall zu verspüren. War da nicht das typische Stop-and-go des Feierabendverkehrs zu vernehmen? Setze Jens Düppe mit seinem Tacktacktack nicht das Klicken der Ampelanlagen um? Dumpf klangen dann die Schläge auf eine große Blechdose für Kaffee – ein Geschenk an Jens Düppe durch die Münchener Unterfahrt und, wie ich es sehe, eine Art Tabla-Ersatz. Zum Schluss guckten wir in Tokyo nach links und nach rechts, musikalisch natürlich. Frenetisch war der Applaus derer, die den Weg ins Theater am Wall gefunden hatten. „Die Belohnung“ am Ende: noch zwei Zugaben.
Man wünschte sich mehr derartige Konzerte in der ehemaligen Hansestadt Warendorf, die sich allzu sehr darin verrennt, sich als „Stadt der Pferde“ zu vermarkten“. Kultur wird dabei weitgehend vernachlässigt. Ohne Ehrenamt gäbe es in dieser Stadt keine Galeriekonzerte und auch keine Reihe „Jazz Live“. Doch das sind aus meiner Sicht nur musikalische Tröpfchen auf den heißen Stein.
Informationen
Musiker
Pascal Schumacher
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Pol Belardi
http://polbelardi.com
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Jens Düppe
http://www.jensdueppe.de/home.html
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Videos
https://www.youtube.com/user/jenesch1
Franz von Chossy
http://www.franzvonchossy.com/
Mirjam Rietberg
https://www.facebook.com/mirjam.rietberg.harp/info?tab=page_info
http://www.mirjamrietberg.nl/
Videos
https://www.youtube.com/user/mirjamrietbergharp
Jeroen van Herzeele
https://www.facebook.com/jeroen.vanherzeele
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Laurent Blondiau
http://maaksspirit.be/projects/mikm%C3%A2aek/
Quentin Manfroy
https://www.youtube.com/watch?v=9LvWodDBPvI
https://vimeo.com/120487714