Dortmund, 04.05.2024
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Die Jazzliebhaber waren in den Norden Dortmunds gekommen, derweil die Stadt in Gelb-Schwarz getaucht war. Dortmund erlebte Bundesligafussball und einen Sieg von Borussia Dortmund. So war die Stadt in Feierlaune. Aber auch die, die die feine Kunst von Improvisation, von rotierenden Soli und von Jazz im Nachgang von Modern Jazz und Hardbop schätzen, kamen an diesem Maisamstag auf ihre Kosten.
Der parzelle e.V. lud ein, und Nathan Ott war mit seinem Quartett zu Gast in den Räumen im Kulturort Depot. Zu hören waren der Schlagzeuger Nathan Ott, die Saxofonisten Christof Lauer und Sebastian Gille sowie der Bassist Jonas Westergaard. Übrigens, Sebastian Gille war zeitweilig auch an der Klarinette zu hören.
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Zur Geschichte des Quartetts um den Drummer Nathan Ott konnten wir im Vorwege des Konzert Nachstehendes lesen: „Im Verlauf einer sechsjährigen intensiven Zusammenarbeit demonstrierte das Nathan Ott Quartett auf zwei Tonträgern und vielen Konzerttourneen eindrucksvoll, wie fruchtbar eine solch generations-überschreitend, interkontinentale Jazz-Begegnung sein kann. Zentrum der Aufmerksamkeit war dabei immer wieder die Tatsache, dass der Miles Davis-Veteran Dave Liebman gemeinsam mit drei europäischen Jazzmusikern aus zwei jüngeren Generationen ein derartig offenes Format für improvisatorischen Dialog auf Augenhöhe entwickelte.“
Seit 2019 spielt das Quartett nun in der Besetzung, die auch im Kulturort Depot Dortmund zu hören war. Aus gesundheitlichen Gründen schied Liebman nämlich Ende 2019 aus dem Ensemble aus. Er hat sich seither zudem aus dem Tourleben zurückgezogen. An seine Stelle trat der Tenorsaxofonist Christof Lauer, der einst Ensemblemitglied der HR-Big Band, des United Jazz & Rock Ensembles um die kürzlich verstorbene Saxofonistin Barbara Thompson und zuletzt Mitglied der NDR-Big Band war. Gemeinsam mit dem SWR-Jazzpreis-Träger Sebastian Gille bestimmt er den Bläserklang des Ensembles, wie man sich als Zuhörer überzeugen konnte.
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Im Folgenden einige Stimmen zu diesem seit nunmehr fünf Jahren zusammenspielenden Ensemble:
„Wer den Jazz lang genug liebt, dass er (oder sie) Elvin Jones noch live erlebt hat, der wird in der unbändigen physischen Präsenz und Musikalität von Nathan Ott etwas wiederfinden vom Geheimnis, vom Drive und vom Pulse des Trommelkraftwerks.“, so las man es im Hamburger Abendblatt. Und die FAZ textete: „Zu den hörenswertesten jüngeren, explizit kammermusikalischen Ensembles im europäischen Jazz gehört das Quartett um den in Berlin lebenden Schlagzeuger Nathan Ott. Seine Musik ist faszinierend unorthodox und zeitgenössisch, dabei durchaus einer Tradition verhaftet. Bemerkenswert, wie atmosphärisch dicht die Bögen gespannt werden.“
Nun ja, derartige Einordnungen und Einschätzungen muss man nicht unbedingt teilen, zumal der Begriff kammermusikalisch in Jazzkritiken schon oftmals strapaziert wurde. Vielmehr drängte sich beim Zuhörer eher die Assoziation an Hardbop und Modern Jazz auf. Der Bogen wurde an diesem Konzertabend in Dortmund von „Promises“ über „David Graeber“ und „And they’ll take what you got / The Inner Urge“ ebenso gespant wie von „Lyonel“ zu „One Over The Hill“. Und auch mit einer Zugabe geizte das Quartett nicht.
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Was ein wenig irritierend war, war die Tatsache der aufgebauten Notenständer, auf denen Notenblätter lagen. Gedächtnisstütze oder doch das Spiel vom Blatt? – so fragte man sich durchaus. Eigentlich bedarf es im Jazz keiner Notierungen, es sei denn man trägt neue noch nie zuvor gespielte Stücke vor und benötigt einige Notierungen für den Einstieg. Jedoch hatte man im Konzertverlauf den Eindruck, dass die Notierungen unwesentlich wurden. Es war alles im Fluss, wurde das Quartett nicht als monolithische Struktur angesehen, sondern nicht nur in solistische Partien, sondern auch in Duos unterschiedlicher Art aufgebrochen. Mal schien sich insbesondere Christof Lauer ganz in sich zu kehren und Sebastian Gille mit viel Verve und Atemluft seine Saxofone zum Klingen zu bringen. Das fand dann auch in der Körperhaltung Widerhall. Mal ging Gille in die Knie, wenn er den Tiefenklang erforschte, mal richtete er sich auf, schien größer und größer zu werden, wenn die „Obertöne“ den Raum füllen sollten.
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Nach einer kurzer Begrüßung durch Angelika Hoffmann, Vorständlerin vom parzelle e.V., ging es gleich in Medias res: Der Beginn schien nicht fern von klassischen Anlehnungen. Es wäre allerdings überzogen, würde man davon sprechen, dass man sich einem Posaunenchor ohne Posaunen gegenüber sah. Doch irgendwie strahlte die Musik etwas Sakrales aus, wenn auch nur für wenige Augenblicke. Das galt insbesondere für die Verschmelzung von Sopran- und Tenorsaxofon, gespielt von Sebastian Gille und Christof Lauer. Sticks tanzten über die Felle der Trommeln, gelegentlich entwickelte Nathan Ott auch ein flinkes Fingerspiel, um die Felle zum Schwirren zu bringen. Was hörten wir dann, Minnegesang oder Renaissancemusik? Oder doch nicht? Beim Spiel der beiden Holzbläser dachte der eine oder andere dies unter Umständen. Treibend agierte Nathan Ott aus dem Hintergrund, mal mit Dong-Dong und mal mit Ticketacketicke und Sticks, die auch die Ränder der Trommeln bearbeiteten.
Die Sopranstimme überdeckte, wenn sie denn im Fokus stand, die anderen Stimmen, vor allem auch die des Basses, der nur zu erahnen war und sich hier und da zu Wort meldete. Große Klangbögen wurden gespannt. Zweistimmigkeit pflegten die beiden Bläser ab und an. Bisweilen erinnerte deren Spiel an bewegte Herbstwinde und raschelndes Laub, durch die Spaziergänger stapften.
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Konzentriert agierten die Musiker. Nathan Ott zeigte sich unter anderem bei dem Stück, das einem Aktivisten wie David Graeber gewidmet war, durchaus auch emotional angefasst. Bei Graeber, so Ott, handelt es sich um einen der Macher von Occupy Wallstreet. Bei dieser Person, ginge es ihm, Nathan Ott, so wie bei der Musik der Granden des Jazz. Sie bleiben nachhaltig im Gedächtnis.
Jonas Westergaard, der wie Bassisten zumeist eher im Hintergrund agierte und eine Position in der hinteren Bühne einnahm, ließ uns nicht nur an Bogenstrichen und Bogenschlägen teilhaben, sondern auch an Fingerspielen über Kreuz. War da nicht auch Pizzicato zu vernehmen? Auf alle Fälle begleitete sich der dänische Bassist auch stimmlich. Das ist bei Bassisten eher unbewusst der Fall und dient wohl auch dazu die Linienfindungen beim Saitenspiel zu unterstützen. Auffallend war bei Westergaard, dass er körperlich mit seinem Tieftöner zu verschmelzen schien, sich über ihn lehnte, den Hals des Basses an den Kopf zog. So wurde eine Einheit zwischen Musiker und Instrument vollzogen, oder?
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In einem Stück hielt der Bassist konstant das Thema, während die beiden Bläser es schon längst phrasierend verändert hatten. Sie erschienen dabei wie die beiden Stränge einer Doppelhelix. Mit niedergehenden Tropfen konnte man das Saitenspiel des Bassisten hin und wieder vergleichen. Tonbezüge auf den Saiten wurde auch durch die über Saiten gleitenden Finger hergestellt, Explosive Saitenanrisse gab es eher selten zu hören, und zu sehen gab es auch eine flache Hand, die über die Saiten geführt wurde. Stufe um Stufe wurden die Tiefen des Basses ausgelotet und erforscht. Sehr ausgewogen erlebten wir Nathan Ott am Schlagwerk, wenn er auch das eine oder andere Mal die großen Becken in kippende Bewegungen versetzte. Deren Flirren und Schwirren lag dann über dem paukenähnlichen Klang der Toms.
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Liedhaftes drang an unsere Ohren, aber durchaus nicht im Sinne von Popmusik. Eher dachte man an höfische Musik. Und auch das war nur eine Momentaufnahme. Sebastian Gille tippte zu seinem Spiel mit dem linken Fuß auf den Boden, derweil er die gesamte „Klaviatur“ seines Instrumentes ausreizte. Wie an Tenor- und Tenorsaxofon war Gille auch auf der Klarinette zu hören. Dabei ließ er bisweilen intensiv Atemluft am Mundstück entlang streichen, Gepresste Töne hörte wir obendrein, aber keinen „Samtteppich des Klangs“ oder gar Swing im klassischen Sinn. Tremolo und Triller spielten während des Konzerts ebenso eine Rolle wie Klänge, die gleichsam aus der Ferne ans Ohr der Zuhörer drang. Eine Art Lamento schien in einem der Stücke Christof Lauer anzustimmen. Bedächtige Tempi kamen außerdem vor. Steigerung der Klangintensität war keine Seltenheit. Doch nach dem Höhepunkt gab es wieder ruhiges Fahrwasser, in das die Musiker eintauchten. Sonores Spiel traf auf sanfte Klangfolgen, als sich die beiden Saxofonisten in ein Zwiegespräch einließen.
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Ein ausgedehntes Solo rückte Jonas Westergaard in den Fokus. Auffallend war die extrem gespreizte Hand am Hals des Instruments. Das Dunkle, das Erdfarbene, stand bei dem Solo im Vordergrund. Nur selten dachte man, man vernehme zerbrechliche Klänge ohne Nachhall. Und auch Nathan Ott hatte Raum für Soli, nahm dafür auch mal Schlägel in die Hand. Nur eine Kesselpauke bediente er nicht, dafür die Basstrommel, deren Klang wachrüttelte. Mit Leichtigkeit agierte der Schlagzeuger.. Das sah nicht bemüht aus, sondern organisch, nie überzogen. Auch wenn Nathan Ott der Bandleader des Ensembles ist, stand er nie ausschließlich in der ersten Reihe. Diese gehörte vielmehr den beiden Holzbläsern. Beide agierten solistisch, aber auch jeweils in einer Verbindung mit einem Mitmusiker. So ergaben sich wechselvolle Klangzyklen ohne banale Wiederholungen.
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Zum Schluss: Derartige Konzerte wie von der parzelle e.V. organisierte brauchen Förderungen: So wird die Kulturarbeit des genannten Vereins durch das Kulturbüro der Stadt Dortmund | Initiative Musik | Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und durch den Programmpreis Applaus gefördert. Das sind wichtige Bausteine für die Präsenz von Jazz der Gegenwart im Kulturleben einer Stadt wie Dortmund. Kultur ist ja nicht allein der Fußball und Borussia Dortmund!
Text und Photos © Ferdinand Dupuis-Panther/Anne Panther
Info
https://www.parzelledortmund.de
Line-up
Nathan Ott – Schlagzeug
Christof Lauer – Tenor- und Sopransasxophon
Sebastian Gille – Tenor- und Sopransasxophon, Klarinette
Jonas Westergaard – Bass
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