NAKAMA: Stimmeskapaden und Stille in der cuba Black Box (Münster) am 2. Mai 2017

Nakama, das sind Agnes Hvizdalek (vocals), Adrian Løseth Waade (violin), Ayumi Tanaka (piano), Andreas Wildhagen (drums) und Christian Meaas Svendsen (bass). Der aus dem Japanischen stammende Bandname kann mit „Kamerad / Genosse“ übersetzt werden, oder einfacher gesagt: Darin spiegelt sich das Verständnis der Musiker wieder, eine Gemeinschaft von Menschen zu sein, bei der niemand über dem anderen steht. In der Konzertankündigung hieß es: „Die Musik von NAKAMA verarbeitet Einflüsse aus europäischem Jazz und Improvisation, früher zeitgenössischer Musik aus Amerika, japanischer Traditionsmusik und den Harmonien romantischer Klassik …“.


Christian Meaas Svendsen ist der Gründer von Nakama Records und Bandleader von Nakama. Bekannt ist der Kontrabassist obendrein aus Bands wie Mopti, Paal Nilssen-Love Large Unit und Duplex. Christians Interesse gilt vor allem den neuen Wegen improvisierter Musik. Dabei versucht er Gegenwartsmusik mit Klassik, aber auch mir freier Musik zu verknüpfen. Wie der Bandleader von Nakama ist auch Adrian Løseth Waade ein norwegischer Musiker, der als Komponist und Violinist sowohl mit Skadedyr und dem Trondheim Jazz-Orchestra wie auch dem schwedisch-norwegischen Quartett Bone Machine zusammengespielt hat. Strukturierte wie freie Improvisationen sind Adrians Anliegen.  Gleichfalls aus Norwegen stammt der Drummer der Band, Andreas Wildhagen, der 2016 sein Debüt-Soloalbum „No Right No Left“ auf Nakama Records veröffentlicht hat.


Ayumi Tanaka lebt mittlerweile in Norwegen, ist aber gebürtige Japanerin und als Pianistin in der Band zu hören. Zudem hat sie ihr eigenes Trio mit dem Drummer Per Oddvar Johansen und ihrem Bandkollegen Christian Meaas Svendsen am Bass. Von Wien nach Oslo verschlagen hat es die aus Wien stammende Vokalistin Agnes Hvizdalek, die ihre Stimme als Instrument begreift. Diese oszilliert zwischen Zerbrechlichkeit und Ungezwungenheit, wie man auf der Bandseite nachlesen kann.


Ehe das Konzert begann, hatte ich noch Gelegenheit, mit dem „Bandleader“ Christian Meaas Svendsen zu sprechen, um mehr über den musikalischen Ansatz und das musikalische Grundverständnis der Band in Erfahrung zu bringen. Dabei kreisten meine Fragen um Begriffe wie freie Musik, Geräuschmusik, Improvisation und Konzeptmusik. Zunächst wollte ich aus erster Hand mehr über den Bandnamen in Erfahrung bringen. Die oben genannte „Übersetzung“ ist wohl doch nicht genau zutreffend. Christian umschrieb den Begriff auch mit jemandem, der zur Gruppenidentität beiträgt, der nicht unbedingt ein Freund ist, aber Teil eines harmonischen Ganzen, der dich unterstützt.

Der Gedanke des Kollektivs sei, so Christian zwar vorhanden, aber er begreife sich schon als der Steuermann eines Schiffes, dessen Richtung er bestimme, der aber auch bestimme, wen er an Bord mitnehme. Dabei sei die Erweiterung der Crew immer in seinem Blick. Es ginge schließlich darum, neue Impüulse aufzunehmen und auf die Fähigkeiten neuer Crewmitglieder zu bauen.


Bezüglich der Entwicklung von Nakama führte der Kontrabassist der Band aus, dass es stets ein Suchen sei, wobei man dazu auch die Mitspieler suchen muss, die sich Situationen anpassen können. Im Kern sei die Musik im ersten Album auf einer Konzeption und einem Konzept fußend. Dabei wurden dann Klang und Stille in unterschiedlicher Art und Weise ausgelotet. In der weiteren musikalischen Entwicklung der Band spielten auch Form und Flexibilität eine wesentliche Rolle.  Formen dienten, so hatte ich den Kontrabassisten verstanden, als Ausgangspunkt für Improvisationen, ohne einem klassischen Schema im Jazz zu folgen.

Des weiteren experimentierte die Band in der Vergangenheit auch mit unterschiedlichen Präsentationsformen, angefangen vom Solo über das Duo, das Trio und das Quartett. Ja, Nakama war ursprünglich ein Quartett und nicht wie beim Auftritt in Münster – dies war Teil einer zehntägigen Tournee – ein Quintett. Das jüngste Projekt befasst sich mit Zen-Buddhismus im weiteren Sinne. Dabei wird von notiertem Material ausgehend in der Gruppenarbeit schließlich eine offene Form erarbeitet.


Zum Konzertbeginn tippte der Kontrabassist seinen Bogen auf die Saiten, rhythmisch. Dazu hörte man dumpfe Trommelschläge, die eher an eine eingesetzte Kesselpauke denken ließ. Die lang gestrichene Violine, die man hörte, erinnerte in ihrem Klangbild an eine alte Straßenbahn, die sich kreischend und quietschend in die Kurve legt. Unter Verstetigung des Klangflusses zeigten sich Bass und Schlagwerk in Redundanz. Urbanes drängte sich auf: die Geräusche der Großstadt. Das ewige geschäftige Hin und Her wurde wahrnehmbar. Stimmengewirr schienen Geige und Klavier uns zu vermitteln. Waren da nicht auch Gehupe und kreischende Bremsen zu erahnen?

Schneller, schneller, schneller ging es durch das pulsierende Großstadtleben, so dachte man als Zuhörer, dem zeitgleich auch Bilder aus dem Chaplin-Film „Modern Times“ in den Sinn kamen. Der Mensch als Maschinenanhängsel ist das Kernthema dieses Films. Maschinen sind heute Roboter gesteuert. Doch die Taktung des Alltags hat sich gegenüber dem Zeitalter der Mechanik kaum geändert. Akkord, Akkord, Akkord schien auch musikalisch angesagt. Drummer und Bassist waren diejenigen, die das Kommando in der Hand hielten, antrieben, vorantrieben und die Zuhörer in Anspannung hielten.


Beim Zuhören konnte man auch an Bilder aus Action-Filmen mit herrenlosen Schnellzügen oder U-Bahnen denken, die außer Kontrolle geraten über die Gleise rasen. Ging es also im Vortrag auch um Kontrolle und Kontrollverlust? Angesichts der Referenz zu Zen-Buddhismus, so die einleitende Ansage, schien mir der musikalische Vortrag eine Überraschung. Es gab kein langes Verharren, kein In-sich-Versenken, keine Kontemplation, nichts Meditatives, nichts Lyrisches, sondern Dramatik, Tragödie, Aufruhr, Geschrei, Geräuschgewirr und Turbulenzen.

Dialogische Strukturen waren eher selten. Kontroverse stand auf dem Programm, Kommentierung ebenso – so mein Eindruck. Die geballte Kraft des Rhythmischen war allgegenwärtig, auch als Agnes Hvizdalek mit ihren „Stimmeskapaden“ einsetzte. Ihre Stimme war Klangkörper, war Instrument, war keineswegs lyrisch ausgerichtet, war Geräusch, war schrilles Geschrei, Gurren, Glucksen, Schnalzen, Atmen und Atemzirkulation. Dazu hörte sich der Schlagzeuger Andreas Wildhagen so an, als würde er in einen Marschschritt verfallen sein.


„Ahbedabendbeda“ oder so Ähnliches war die „Botschaft“ der Vokalistin des Quintetts. Auch „Hihihi“ und „Ihihjihj“ sowie „Dabedadabee“ waren zu identifizieren. Lautspiele in allen Variationen, mal lauter, mal leiser, mal tiefer, mal höher bestimmten den Fortgang des Vortrags. Teilweise schwiegen dazu die übrigen Bandmitglieder. Der Fokus war dann ausschließlich auf das Stimmbild gerichtet, auf „Namananmama“ und andere Lautformen, die eher nicht zu verschriftlichen sind. „Mämähmähähämä“ wurde gegen kurze Klangkaskaden gesetzt, die Ayumi Tanaka zu verdanken waren.

Dann hörte man wieder Schnarren, Schnurren, Gurren, Glucksen, Knarzen. Wellenähnlich schien sich die Musik in der Black Box auszubreiten, sodass man stets darauf wartete, dass die Welle sich überschlägt und ausläuft. Wann, so fragte man sich, ist der Höhepunkt erreicht? Wann ist alles gesagt? Wird eine Implosion zu erwarten sein? Es blieb bei den Fragen, denn der Vortrag folgte keinem offensichtlichen Schemen. Anspannung lag daher stets in der Luft.


In all dem Musikalischen verbarg sich auch Körperarbeit, die sichtbar war. Betrachtete man die Art und Weise, wie Christian Meaas Svendsen seinen Bass bearbeitete, dann war Körperarbeit genuiner Teil des Vortrags. Da schlugen Handflächen auf die Basssaiten, da wurde der Bogen hart am Steg gestrichen, auch mal am Wirbelkasten. Der Bogen sauste kraftvoll auf die Seiten, ein zweiter Bogen wurde mit der Spitze auf die Saiten gesetzt. Im Hintergrund agierte eine Kesselpauke, so meinte man, auch wenn Andreas Wildhagen Toms, Bass Drum und Snare bediente, deren Felle hart gespannt waren.

Es gab auch einige Pausen, Intervalle der Stille, Momente der Konzentration, ehe dann zwei Bögen auf die Basssaiten niederschlugen. Ein rhythmisches Inferno wurde inszeniert. Auch Agnes Hvizdalek ließ sich nicht lange bitten, um ihre Stimme einzubringen, dabei ein gestrichenes Cello imitierend, aber vor allem mit Klicken, Schnalzen, Gurren zu hören.


Gegen Ende folgte eine Phase, in der der Stille größerer Raum gegeben wurde. Die stillen Intervalle waren nun dominanter. Gepaart war die Stille mit der Erwartung auf den erneuten Klang. Stimmspiel wurde zum Hörspiel, zur akustischen Inszenierung, die vom Zuhörer intensives Zuhören forderte. Irgendwann war ein denkwürdiger Abend im cuba dann vorbei, auch ein Stück musikalische Theatralik.

Text und photos: ferdinand dupuis-panther


Weitere Informationen

http://www.nakamarecords.no


http://www.christianmeaassvendsen.com
http://www.agneshvizdalek.at


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