Ein Dienstagabend, ein Abend im A-Trane, ein Jazz-Trio aus der Zentralschweiz, ein klassisches Jazz-Trio mit nicht präpariertem Flügel, überschaubarem Drumset mit kleiner Bassdrum, zwei großen Becken, einem Hi-Hat und schließlich mit einem akustischen Bass. Auf diese Instrumentierung beschränkten sich Jean-Paul Brodbeck (p), Lukas Traxel (b) und Claudio Strüby (dr) an diesem doch recht lauen Septemberabend, der musikalisch zwischen Tragik, Schwere, Wehmut und frühlingshaftem Aufbruch changierte, was das Publikum sehr zu schätzen wusste.
Das lag natürlich an der Auswahl der Kompositionen, die von Jean-Paul Brodbeck stammen und auf dem bei ENJA erschienenen Album „Extra Time“ veröffentlicht wurden. Darunter waren Variationen bzw. Bearbeitungen von Brahms- und Schumann-Kompositionen. Dabei sträubte sich der Pianist gegen den Begriff „Cross-over“ für diese Art der Musik. Zu Beginn des ersten Sets wurden zwei neue Kompositionen präsentiert, Vorgriff auf das nächste Album, das, wenn es nach Claudio Strüby ginge, am liebsten ein Livealbum sein sollte.
Brahms, Brahms, Brahms und mehr
Der klassisch ausgebildete Pianist und Komponist Jean-Paul Brodbeck verhehlte in einem kurzen Gespräch nicht, dass er eine besondere Affinität zu Brahms habe, der sich stets gegenüber dem scheinbar allmächtigen Beethoven zu behaupten versuchte. Dieser sei für Brahms gleichsam ein drohender Schatten gewesen. Die Liebe zu Brahms habe sich beim ihm, so Brodbeck, schon in Teenager-Jahren entwickelt. Ja, das Faszinosum sei für ihn, die Schwere, das Dunkle und die Sehnsucht, die sich bei Johannes Brahms finde. Zugleich sei er, Jean-Paul Brodbeck, stets auf der Suche nach dem Melodiösen. Es müsse fließen. Die Bearbeitung von klassischer Musik und das „Verjazzen“ müsse ein Ganzes werden und als solches sprechen. Zu viele Abstraktionen würde nur entfremden. Schließlich noch ein aus meiner Sicht durchaus denkwürdiges Statement, das darin mündet, den Jazz als zwischen der Musik der Spätromantik und des Impressionismus anzusiedeln. Übrigens, neben Brahms und Schumann, von denen an diesem Abend wie auf dem genannten Album Brodbeck'sche Bearbeitungen der Klassik zu hören waren, zähle, so der Schweizer Pianist und Bandleader des Trios, auch Bach zu den ganz großen Musikern, insbesondere das Kontrapunktische sei von großer Wichtigkeit.
Song of Tchaikowsky
Die Klassik – das „eigentliche Fach“ Jean-Paul Brodbecks – schien aus meiner Sicht auch den Duktus zu beeinflussen, in dem sich der Pianist bewegte. Sie stand auch am Anfang der internationalen Anerkennung: 2007 erlangte Brodbeck mit seinem Trio-Album «Song Of Tchaikowsky» allerhöchstes Lob.
Nach intensiver Schaffensphase mit verschiedensten Internationalen Größen des Genres wie Johannes Enders, Wolfgang Muthspiel, Billy Hart oder Andy Scherrer und acht Veröffentlichungen als Leader, formierte Jean-Paul Brodbeck, angetrieben vom Wunsch nach einer intensiv zusammenarbeitenden Working - Band 2015 sein Schweizer Trio mit dem jungen Basstalent Lukas Traxel und mit dem Brodbeck seit zehn Jahren begleitenden Rhythmusvirtuosen Claudio Strüby am Schlagzeug.
Eine Working Band aus der Zentralschweiz
Working Band ist ein weiteres Stichwort, dass aufzugreifen ist, will man den Abend Revue passieren lassen. Claudio Strüby betonte in einem kurzen Pausengespräch die Gleichwertigkeit innerhalb des Trios. Die Anteile seien ein Drittel, ein Drittel, ein Drittel – was für ihn besonders inspirierend sei. Das reduzierte Drumset sei ihm genau auf den Leib geschneidert. Er suche eigentlich nach dem Sound der 1960er Jahre, auch wenn er Pop-Musik spiele. Sein Set habe er wie einen Dreiklang gestimmt. Mehr brauche er nicht. Er könne sich im Trio fallen lassen, denn einer der beiden anderen Musiker würde ihn gewiss auffangen. Er selbst sehe sich auch als jemand, der auch in der Körpersprache auf die anderen fokussiert sei und die anderen, bevor sie „mit dem Kopf auf den Boden fallen zu drohen“, auffange und wieder in den Fluss des Spiels zurückhole. In der Klubsituation bekomme er übrigens weit mehr Inspirationen für solistische Intermezzos als im doch steril anmutenden Studio. Lang andauernde Schlagzeugsolos muss man auf Studio-Einspielungen schon mit der Lupe suchen. Das liege, so Strüby, daran, dass man im Studio ja immer wieder auf Spielsegmente zurückgreifen kann und für ihn das Studio für die solistische Entfaltung nicht sehr inspirierend sei. Ganz im Gegensatz zum A-Trane mit intimer Atmosphäre; hier könne er sich ausleben. Das habe auch damit zu tun, dass sie nunmehr 20 Konzerte live gespielt hätten. So könne er auch gut abschätzen, wann ein langes Solo seinerseits angebracht sei.
Totenmesse für ein Lied?
Mit „Flight To The Sanctuary“ wurde der Abend eröffnet, an dem, suchte man nach einer Farbpalette für die vorgestellten Songs, Mausgrau und Anthrazit auf der einen und Pastelltöne in Gelb, Tintenblau, Feuerrot und Olivgrün auf der anderen Seite von Bedeutung waren. Man hätte es sich ja angesichts der Vorliebe für die späten Klavierkonzerte von Brahms denken können, dass in dem einen oder anderen Stück auch die Sehnsucht, das Dunkle, das Schwermütige seinen Niederschlag finden würde.
So war es denn auch bei „Requiem Of A Song“. In der Eröffnung durch den Pianisten zeigte sich eine sehr lyrische Note. Kontemplation schien das Motto. Ohne die Kenntnis des Songtitels konnte man an Flaneure am Nachmittag, an Sonntagsspaziergänger im Berliner Grunewald oder anderswo denken. Beschaulich dahindümpelnde kleine Ruderboote konnten vor dem geistigen Auge erscheinen, hörte man dem Spielfluss Brodbecks zu. All das lag auch am ausgeprägten Narrativen des Songs. Aufgegriffen wurde dies vom Bassisten Lukas Traxel, der einen feinen tieftönigen Faden verwebte. Dabei wurde er durch dezentes Spiel an den Becken begleitet, deren Regie in den Händen und Fingern von Claudio Strüby lag.
Nebellast schien sich im A-Trane auszubreiten. Und irgendwann war dann die „Trauerfeier“ für ein Lied vorbei, auch wenn das Lied nach wie vor Bestand hatte. Irgendwie skurril und auch widersprüchlich, oder?
Sprünge im Raum
Sprunghaft und stufig waren die Pianopassagen angelegt, die nachfolgend an unsere Ohren drangen. Zwischen Vorwärts und Einhalt schien sich der Fluss des Tastenspiels im nächsten Stück zu bewegen, das uns Brodbeck vorstellte. In ähnlichen Klangformen bewegte sich ergänzend der Bass. Auffallend war - für einige, die dicht an der Bühne saßen auch deutlich zu vernehmen -, dass Jean-Paul Brodbeck beinahe losgelöst sein Tastenspiel stimmlich begleitete, mal mehr und mal weniger. Es schien, als bräuchte er noch eine vierte Klangform und -farbe, die menschliche Stimme, um das Stück abzurunden. Lautmalerisch folgte die Stimme dem melodischen Wellenzug, den Brodbeck auf dem Grand Piano entstehen ließ.
Hüpfende und tanzende Passagen gab Brodbeck zudem zum Besten. Kurz angetippt wurden durch Strüby die großen Becken. Stakkato, Stakkato schien mit im Spiel zu sein. Zwischenzeitlich überkam den Berichterstatter das Bild eines Fliehenden, der mit großen Sprüngen und mit Tippelschritten unterwegs war, um seinen Häschern zu entkommen. Auch das Bild einer zügellosen Achterbahnfahrt schlich sich ein wenig ein.
Das Dunkle von Brahms
Wir begegneten Johannes Brahms, als Brodbeck seine entsprechende balladenhafte Adaptation vortrug. Der Berichterstatter hatte jedoch beim musikalischen Entree durch Brodbeck eher den Eindruck, er folge einem Griegschen Klavierkonzert.
Schon wieder ein Lamento? Ein Sinnen über die Zeit und Sehnsucht? Durchaus, aber auch große Geste und Pathos vermischten sich. Zum Abschluss des ersten Sets hörten wir schließlich „Song For The Ancestors“. Im Übrigen auch auf dem Album „Extra Time“ zu finden.
Viel dynamischer, viel farbenfroher und das Mausgrau hinter sich lassend, so könnte man den zweiten Konzertteil bezeichnen, der im Übrigen mit einem Encore endete. Das war auch der Dank an die, die geblieben oder für das zweite Set extra gekommen waren. Sie alle geizten nicht mit Schlussapplaus.
Neujahr und Nebel
An einem Neujahrstag, dicke Nebelschwaden lagen über der Stadt, entstand „I haven‘t seen Mount Fuji“, so Jean-Paul Brodbeck, der immer wieder die verbale Kommunikation mit den Zuhörern suchte und der ab und zu auch kleine Geschichten zu den Songs zum Besten gab, so auch zu Beginn des zweiten Sets. Wie gesagt, Nebel drückte aufs Gemüt. Also, was tun? Eine Besteigung der Rigi wurde angedacht und umgesetzt. Man wollte der Tristesse entkommen und die lachende Sonne jenseits der Wolken finden und genießen. So ging es auf eines der bekannten Bergmassive der Zentralschweiz: Die Rigi-Bergkette liegt, das als Ergänzung, zwischen dem Vierwaldstätter-, dem Zuger- und dem Lauerzersee und erhebt sich auf über 1700 Meter. Aber es ist eben nicht der Fuji!
Hören wir da einen Standard? Erklang da nicht West Coast Jazz of its best? Gegenüber den Stücken des ersten Sets hörten wir auf alle Fälle hellere Tonfärbungen. Pastelltöne konnte man herausfiltern, in Rot, Grün, Gelb. Wie Aquarellfarben schienen die Linien sich zu vermischen und zu Schlieren zu gerinnen. Fließend und im Fluss – das war der Tenor des Stücks. Tosende Wogen umfingen die Anwesenden bei einem ausgedehnten Schlagzeugsolo – eine Seltenheit im Jazz der Gegenwart (!).
Man hörte bei Stübys gekonnt gesetzte Wirbel am Schlagzeug, aber auch Verzögerungen und Sprünge. Teilweise wartete man auf Steigerungen, auf Entladungen, auf einen Höhepunkt. Das Fulminante kam dann schließlich. Beschreibbar war es als eine Art Grollen und als rollender Donner. Derweil schien sich Jean-Paul Brodbeck auf starke Grooves verlegt zu haben und sich im Fluss zu bewegen.
Gezeitenwechsel
Farbenmeere und Seestücke vor allem solche von Emil Nolde und Wenzel Hablik kamen dem Berichterstatter bei dem Stück „Im Strom der Gezeiten“ in den Sinn. Ablaufende Wasser, Priele, Strudel, Watt und kleine Restwassertümpel konnte man der transparenten Melodie entnehmen. Ein zeitloser Fluss war das, was Lukas Traxel mit seinem Bassspiel signalisierte. Springfluten fing, so hat es den Anschein, Brodbeck am Flügel ein, derweil Schlagzeuger und Bassist das gurgelnde Wasser vor unserem geistigen Auge entstehen ließen.
Verneigung vor Schumann
Mit einer „Ode“ an Robert Schumann endete das Konzert, das in jeder Phase deutlich machte, dass ein Trio sehr dynamisch und auch in Bestandteilen von Solisten und Duos agieren kann. Der erste Titel auf dem Album „Extra Time“, „Ich will meine Seele tauchen“, war gleichsam der Letzte des Abends. Nicht ganz, den ein Encore hatten die Drei aus der Zentralschweiz noch im Köcher.
Man darf auf das Nachfolgealbum, das ja bereits mit einigen Kompositionen im A-Trane präsentiert wurde, sehr gespannt sein. Mehr Klassik? Das wird man dann hören.
Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
http://www.a-trane.de/
Musiker
Jean-Paul Brodbeck
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Lukas Traxel
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Claudio Strüby
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