Jin Jim war auf Herbsttour und in diesem Zusammenhang zu Gast im Dortmunder domicil. Zu hören waren Daniel Manrique Smith (alto/bass western concert fl), Johann May (git), Ben Tai Trawinski (bass) und schließlich Nico Stallmann (drums). Es sind junge Musiker aus Köln, Bonn und Peru, die keine Berührungsängste mit Jazz Rock, Hip-Hop und Balkan Grooves oder Indie Rock haben. Um es vorwegzunehmen: Hier und da vermeinte man auch Surfsound, Bachsche Anlehnungen und Zappaeskes geboten zu bekommen. Doch dazu im Folgenden mehr.
2013 war Jin Jim Finalist von Jazztube; 2014 gewann das Quartett den Wettbewerb future sounds während der Leverkusener Jazztage, als die Band gegen eine Konkurrenz von über 200 Bands angetreten war. Im Moment bereitet die Band das zweite Album vor, aus dem Songs wie „7x7x7“, „Surface“ und „Duende“ (comp. Ben Tai Trawinski) im zweiten Teil des Konzerts zu hören waren.
Den ersten Teil des Abends bestritt die Band mit Kompositionen wie „Quiero todo“, „Song for Gabriela“, „Landscapes“ und „Die Ankunft des Kaisers“ – alle auf dem Album „Die Ankunft“ zu finden.
„Die Ankunft“ als Debüt
Über das Debütalbum „Die Ankunft“ schrieb der Berichterstatter: „In großen Lettern kündigt die Band auf dem Cover „Die Ankunft“ an. Dabei legen die Musiker selbst Hand an, um sich in Szene zu setzen. Doch so plakativ wie das Cover ist die Musik dann eben nicht, sondern eher feinsinnig, zumal die Band mit der Flöte als Lead-Instrument zu neuen Ufern aufbricht. Ja, im Jazz gab es Flötisten, man denke an Paul Horn, Jeremy Steig oder Chris Hinze, aber gegenüber dem Saxofon oder der Trompete konnte sie sich nie so richtig behaupten. Ihr haftete immer auch etwas Klassisches an, verband man doch zumindest in Europa die Flöte mit der Musik des Barock. Popularisiert hat die Flöte Ian Anderson, besser bekannt als Jethro Tull. Vergleiche, die anlässlich des Erscheinens des Albums und eines Auftritts von Jin Jim bei den Leverkusener Jazztagen zu lesen waren, versuchten Manrique Smith in die Nähe von Ian Anderson zu rücken. Auf meine Nachfrage „verriet“ mir der Flötist etwas ganz anderes: „Michael Heupel war mein Lehrer an der Musikhochschule in Köln und hatte einen sehr großen Einfluss auf mich und meine Spielweise.“
Jazz oder nicht - das war die Frage
Der „Clubsaal“ im domicil – es feiert 2018 den 50. Geburtstag! – war brechend voll. Wer sich umschaute, merkte sehr schnell, dass es selbst keinen Stehplatz mehr gab. Erfreulicherweise war auch die Generation U30 an diesem Abend unter den Anwesenden vertreten. Angesichts des auf dem Programm stehenden Crossover war das gewiss zu erwarten. Doch die Mehrheit des Publikums bestand aus der Generation Ü60, dem klassischen Jazzpublikum. Der eine oder andere, der gekommen war, fragte sich bereits nach den ersten Takten, ob das, was es da zu hören gab, eigentlich Jazz war. Im Sinne von Bebop, Hardbop, Modern oder Cool Jazz gewiss nicht, aber gewiss im Sinne von Fusion, einer Stilrichtung, die sich insbesondere in den späten 70er und frühen 80er Jahren verbreitete.
Ich will alles
An Daniel Manrique Smith war es mit schnalzenden Klängen das Konzert zu eröffnen. „Ich will alles“ lautete der Titel des Stücks, das sich im weiteren Verlauf auch als sehr rockig angelegt erwies. Trillern und Trällern waren zu vernehmen. Klangeskapaden und Klanggaloppaden gaben sich ein Stelldichein. Daran beteiligte sich auch Johann May an der Gitarre. Bereits „Quiero todo“ zeigte, dass das Quartett es verstand, sich in Kleinstformationen zu wandeln, so auch in ein Duo bestehend aus dem Bassisten und Gitarristen, die sich in einem sehr interessanten Wechselspiel verfingen.
In ähnlicher Weise verwoben sich die melodischen Linien, die der Flötist zum Besten gab, mit denen des Gitarristen. Nur sehr entfernt musste man dabei stilistisch an Fleetwood Mac und Surf Sound denken. Kapriolen und weiche Tonschwünge präsentierte Daniel Manrique Smith über weite Strecken. Teilweise klang dessen Spiel wie ein kammermusikalisch angelegtes Flötenkonzert.
Hätte man den Songtitel nicht gekannt, hätte man zu den Klangbildern auch Vorstellungen von rotem Abendlicht, feinen Wolkenbändern, Mohnfeldern in flirrender Hitze oder auch einer schroffen Karstlandschaft unter wolkenlosem Himmel entwickeln können.
Folgte man „Quiero todos“, so wähnte man sich als Zuhörer bisweilen mitten unter den Flaneuren auf einer italienischen Piazza, mitten im Tratsch und Klatsch, der die Runde macht.
Was hat Tala mit Gabriela zu tun?
Johann May zeichnet für „Song für Gabriela“ verantwortlich, einem Stück, in dem sich der Bassist ganz losgelöst zeigen konnte. Nichts erinnerte im Spielfluss an die sonstige Behäbigkeit des Tieftöners. Finger trommelten wild auf die Basssaiten. Gepaart war dieses rhythmische Element mit dem feinen Saitenspiel von Johann May. Redundanzen waren wahrzunehmen. Diese verflüchtigten sich im weiteren Verlauf. Dahinschmelzende Klangpassagen waren dem Flötisten zu verdanken. Zur im weiteren Verlauf sehr rhythmisch gesetzten Basslinie hörte man Ben Tai Trawinski auch gesanglich, lautmalerisch singend, im Stakkato: „Dingdigedingdigeding“ und ähnliche Lautmalereien drangen an unsere Ohren.
Dabei musste der eine oder andere vielleicht an die Auftritte des Karnataka College of Percussion denken, das mit Charlie Mariano einst in Europa tourte und Raga sowie Tala einem interessierten Publikum vorstellte. Die besondere Gesangsrhythmisierung war es, die den „Song for Gabriela“ ausmachte. Bass und Basstrommel zelebrierten außerdem einen „Wechselgesang“, stets sich gegenseitig fordernd und vorantreibend. Schließlich setzte Nico Stallmann zu einem ausgedehnten Schlagzeugsolo an. Dabei schwirrten die Felle, derweil die Sticks wildentschlossen über sie tanzten.
Weiche Linien für eine Landschaft
Eher gedämpft und getragen erschien „Landscapes“. Dabei musste man an eine im Dunkel liegende Landschaft denken, an eine Landschaft in Umbra und Siena, an einen tiefblauen Tümpel, an tiefe und enge Schluchten, an eine unheimliche Klamm, in die kein Sonnenlicht dringt. Im Fortgang des Stücks schien die Suche nach dem Licht angesagt zu sein. Gegenwicht zum Schlagwerkspiel waren die weich und samt singende Bassflöte, die sich auch auf ein Zwiegespräch mit dem Bass einließ, um neue Ufer zu entdecken. Man hatte beim nachfolgenden Zuhören mehr und mehr den Eindruck, Kindern beim Fangen und beim Ringelreihen zuzuschauen. Ein wenig Latin Fever kam schließlich für einen Moment auf, als die Felle mit den Fingern bespielt wurden.
Vor der Pause „feierte“ die Band noch die „Ankunft des Kaisers“. Dabei handelt es sich eine Komposition von Nico Stallmann. „Franz Beckenbauer?“ kam als Einwurf aus dem Publikum. Das traf auf allgemeine Erheiterung, auch aufseiten der Musiker.
Nein, ein barockes Flötenkonzert hörten wir nicht, auch wenn hier und da eine Bachsche Handschrift durchaus erkennbar war. Außerdem vereinte sich der harmonische Klangfluss der Flöte mit einem Ansatz von Human Beat Box. Anmutungen einer Tarantella schienen dem Song außerdem beigemischt worden zu sein.
Sanfte Wellenlinien malte Daniel Manrique Smith in einem farbenfrohen Klangbild, solange er solistisch agierte. Patriotisches Hurra und Hochrufe auf den Kaiser gab es nicht zu hören, dafür ein ungezähmtes Schlagwerk. Das war dann nicht auf Marschrhythmus eingestellt, wie man es bei der Ankunft eines Regenten erwarten würde. Stallmann zog hingegen alle seine Register, ließ Toms und Snare ebenso schwirren, summen, brummen und erzittern wie die Becken seines Drumsets.
Rechenproblem oder was?
Nach der Pause gab es keine Rechenaufgabe zu lösen, auch wenn die Zuhörer bei „7x7x7“ dabei waren. Zu Beginn vernahm man „Alarm“ und „Krawall“ sowie „Rabatz“. Ein Schwirren und Trillern erfüllte den Saal. Lang anhaltende Sequenzen folgten. Hardrock lag in der Luft, als die Gitarre in Johann Mays Händen jaulte und polterte. Wild entwickelte sich der Spielfluss. Tonale Kaskaden und Strudel breiteten sich aus. Klangvolle Ströme schwollen an. Um ein Bild zu nutzen, könnte man von einer Achterbahn der Klänge sprechen, mit denen die Zuhörer nach der Pause konfrontiert wurden.
Nachfolgend waren die, die gekommen waren, bei einer Premiere dabei, denn „Surface“ hatte das Quartett zuvor noch nie live gespielt. Wie der „mathematische Song“ geht auch die „Oberfläche“ auf Ideen des Bassisten Ben Tai Trawinski zurück. Bei „Surface“ schien alles im Fluss, nicht allein beim tieftönigen Kontinuum, das dem Bassisten geschuldet war. Temporäre Schwebezustände wurden allerdings auch immer wieder durch „wilde Zeiten“ abgelöst.
Ein Kobold war auch im domicil anwesend
„Duende“ war aus meiner Sicht das musikalische Highlight des Abends. Hierbei floss auch Flamencomusik in die Komposition ein, wenn der „Kobold“ – so die Übersetzung des spanischen Begriffs – über die Bühne spazierte. Der Hörgenuss schlechthin bestand in vielfältig explosiven Flötensequenzen. Sie evozierten im „Duett“ mit dem Bass die Vorstellungen stampfender Tänzer, die ihre Hacken auf die Dielenbretter knallen lassen. Feurig ging es auf der Bühne zu. Gebannt hörte man schließlich auch dem sich im Verlauf dramatisch zuspitzenden Schlagwerksolo zu. Eine gelungene Abrundung des „Tanzes des Kobolds“, oder?
Nach dem Ende des Konzerts konnte man Jin Jim nur wünschen, dass der Band die Ideen für ihre eigenwillige Fusion Music nicht ausgehen mögen und die CD-Release-Tour sie 2018 wieder ins domicil führen wird, vielleicht dann, so Daniel Manrique Smith's Wunsch, in den großen Saal.
Text und fotos: © ferdinand dupuis-panther
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