Theater Münster 3. bis 5.1.2025
Wie in den Jahren zuvor präsentierte der künstlerische Leiter des Festivals Fritz Schmücker ein musikalisches Kaleidoskop. Dabei hatte er sich wie stets bei diesem Festival auf europäischen Jazz bzw. Jazz aus Europa fokussiert.
Nach Münster eingeladen wurden u. a. Musiker aus Belgien, Italien Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Bosnien-Herzegowina und Dänemark sowie Südkorea, die, soweit außereuropäisch, aber in Europa, sprich u. a. in Amsterdam, studiert haben oder hier leben. Nachstehend konzentrieren wir uns auf einige ausgewählte Spotlights, die kennzeichnend für das Festival waren.
Spotlight 1: TYN WYBENGA'S BRAINTEASER ORCHESTRA ft. THÉO CECCALDI (NL/IT/BE/ES/RO/DK/SI)
Rund um den „Kapellmeister“ und Komponisten Tyn Wybenga hatten sich nachstehend genannte Musiker versammelt: Nicolò Ricci (ts), Kika Sprangers (sax), die aus Antwerpen gebürtige Nabou Claerhout (tb), Federico Calcagno (bcl), mit Pablo Rodriguez, Yanna Pelser und George Dumitriu gleich drei Violinisten (!), Pau Sola (vc), Teis Semey (g), Jort Terwijn (b), Jamie Peet (dr) und schließlich Aleksander Sever (vibes). Als Gast kam der französische Geiger Théo Ceccaldi hinzu, der im Rahmen des Festivals auch noch einmal mit seinem Bruder sowie dem Klarinettisten Yom in einer Triobesetzung zu hören war (siehe unten im Artikel!).
Der dunkle Klang, dank an die Posaunistin, füllte den Raum, begleitet von stürmischen Beckenwirbeln des Schlagzeugers. Lyrisch aufgelegte Violinen waren neben einem Cello und einem durchdringenden E-Bass zu vernehmen. Becken wurden zum Tickticktick angeschlagen. Harte Riffs ließ der Gitarrist erklingen. Wellen des Saitenklangs ergossen sich von der Bühne in den Zuschauerraum. Kristallen flossen die Klänge des Vibrafonisten dahin. Und wieder gab es das tieftönige Gebläse von Nabou Claerhout zu vernehmen.
Gebundenes Orchestrales gab ebenso ein Stelldichein wie Ungebundenes. Raum zur Klangentfaltung einzelner Musiker war stets gegeben, so auch im ersten Stück des Konzerts. Da war es dann am Cellisten Pau Sola, den Bogen über die Saiten gleiten zu lassen.
Auf und ab entwickelten sich die klanglichen Linien im Weiteren, gab es eine Verschmelzung von Bassklarinette und Violinen aufzunehmen. Dialogisches stand also hier und da im Fokus. Nichts von Wehklagen oder Swing – dafür steht die Klarinette gewöhnlich - war der Stimme zu entnehmen. Sehr dynamisch gestaltete Federico Calcagno den ihm zugeschriebenen Klangpart. Fanfarenklang, dank an Nabou Claerhout, mischte sich mit dem Klangreigen der drei Geiger und des Cellisten, die sich im Furioso ergingen. Der tieftönige Posaunenklang bündelte schließlich das bisher Gehörte.
Ein besonderer Ohrenschmaus war das „Gastspiel“ des französischen Geigers Théo Ceccaldi, der zwei Kompositionen für den Konzertabend mit dem Brainteaser Orchestra mitgebracht hatte. Rein optisch erinnerte Ceccaldi ein wenig an den britischen Stargeiger Nigel Kennedy. Beide geben nichts auf Konventionen, auch nicht auf konventionelles Bühnenoutfit oder Föhn-Frisur! Aufmüpfig sind beide, der eine im Jazz, der andere in der Klassik.
Leicht gedämpfte und fragmentiere Gitarrenschraffuren trafen auf ein veritables Saitenzupfen, das in seiner Rhythmik beeindruckte. Doch auch gängiger Bogenstrich war zu hören. Dazu gesellte sich das Spiel auf den Keys, das ein wenig an Synth-Klang erinnerte und an Jazz Rock anknüpfte. Auffallend waren die sich wiederholenden Klangmuster, die vor allem Ceccaldi zu verdanken waren. Das hatte gewiss etwas von Hypnotischem und auch ein Begriff wie Techno mag an dieser Stelle seine Berechtigung haben. Nach dem Geigen-Pling-Plong-Plang ließ es sich der Gitarrist nicht nehmen, darauf zu antworten. Derartige Wechselspiele zwischen den Musikern brachen immer wieder die Tutti auf, ließen erkennen, dass ein Orchester ein Gebilde aus einzelnen Musikern ist. Und jeder trug mit seiner Klangfarbe zum Ganzen bei.
Dass ohne technische Verfremdungen eine derartig wilde und entfesselte Musik nicht möglich ist, wurde jedem Zuhörer nach und nach klar. Hall war noch die geringste Intervention in die Klangakustik. Kontraste waren im Spiel und die Abkehr von klassischen Mustern, insbesondere bei den beteiligten Violinisten. Nichts hatten die Streicher von einem klassisch geordneten Streicher-Quartett mit neoromantischer Ausrichtung. Vielmehr bedienten sie mit Elementen von Rock, Hip-Hop und Techno andere Hörersegmente, als die erwarteten. Da waren im Geiste eher The Flock und der Fusion-Geiger Jean-Luc Ponty zugegen.
Auch nachfolgend unterstrich Ceccaldi, dass er das Abseitige bedienen wollte. Da ging es nicht so sehr um melodischen Fluss, sondern um den „Pogo des Klangs“. Eigentlich kann man bei solch provokanter Musik nicht still sitzen, sondern muss wie bei dem Techno-Jazz-Trio LBT aufspringen und tanzen. Doch das war in der gediegenen Theatersituation gänzlich undenkbar. Schade! Übrigens bei einem der Harmonien und Melodiestränge des dritten Stücks, musste der Berichterstatter an eine Komposition des Hip-Hop-Musikers Peter Fox denken, abwegig?
Es gab während des Abends keine Weichzeichnungen und keine melodischen Verwässerungen. Die Zuhörer tauchten in klangliches Wildwasser ein, dessen Gischt auch die Streicher mitbestimmten. Zum Schluss gab es noch eine Komposition von Tyn Wybenga zu hören, in der er ein aktuelles Thema angepackt hat: Fluchtbewegungen nach Europa. In diesem Fall ging um einen Syrer, der dem Assad-Regime entkommen war und in den Niederlanden Schutz suchte. Im Original gibt es bei dieser Komposition eine Singstimme, die bei der Konzertbesetzung in Münster von Nabou Claerhout ausgefüllt wurde, allerdings nicht singend, sondern als solistische Posaunenstimme; das war ein grandioses Spiel und ein Ohrenschmaus.
Der zweite Tag des Festivals eröffnete mit einem Konzert im Kleinen Haus des Theaters Münsters. Dabei waren mit Nabou Claerhout und Jamie Peet zwei Musiker erneut zu hören, die auch auf dem gestrigen Eröffnungsabend in Erscheinung getreten waren. Nach dem Quartett um die Posaunistin Nabou Claerhout gab das Chaerin Im Quartet seine musikalische Visitenkarte ab. Schließlich sei noch auf den Auftritt des Pianisten Daniel Garcia Diego und seiner Band hingewiesen.
Spotlight 2: CLAERHOUT / BAAS / GADDUM / PEET (BE/NL)
Die aus Antwerpen stammende Posaunistin Nabou Claerhout wurde unter anderem in einem Beitrag, der vorab erschienen war, mit folgenden Worten beschrieben: "With her warm trombone sound, not immediately splashing in high eruptions but intelligently building melodic lines, Claerhout evokes a different atmosphere every time." (NRC) Und über den niederländischen Gitarristen Reinier Baas lasen wir: "Reinier Baas ist ein bemerkenswerter Künstler der aktuellen niederländischen und europäischen Jazzszene: bekannt auch als ein Teil des untypischen Orgeltrios deadeye (mit Kit Downes und Jonas Burgwinkel), das sowohl an traditionelle 60er-Jahre-Hammondjazz-Sounds anknüpft, als auch Rock, schräge Western-Soundtracks, Hip Hop und westafrikanische Klänge erahnen lässt.“ (WDR 3 Jazz)
Mit einer Ausnahme, nämlich Bob van Gelders „In Motion“ spielte das Quartett nur Kompositionen, die die Bandmitglieder komponiert hatten, ob nun „Greyhair, blue shirt and brown glasses“ (Nabou Claerhout) oder „Orthodox“ (Reinier Bass). „F*cker“, so Nabou Claerhout, war ein Stück, das sie ihrem ehemaligen Hausbesitzer gewidmet hat. Die Hintergründe blieben allerdings rätselhaft, da die Posaunistin keine weiteren wie auch immer gearteten Angaben dazu machte. Zum Abschluss galt es einer Komposition von Reinier Baas zu lauschen: „The Dance of princess discombobulatrix“. Aufgrund der begrenzten Konzertzeit – alle Konzerte waren präzis getaktet – mussten die Zuhörer darauf verzichten, mehr über die Motive für derartige Songs/Kompositionen zu erfahren.
Den akustischen Konzertauftakt bildete „Greyhair, blue shirt and brown glasses“. Langwellige Klangformen der Posaune trafen Tropfenhaftes, das den Gitarrensaiten entsprang. Ein geerdeter Bass meldete sich zudem zu Wort. Mit Beckenrausch bedachte uns der Drummer Jamie Peet. Dieser schien hier und da das Tempo anzuziehen, die Mitmusiker rhythmisch anzustacheln. Und dann gab es in dem besagten Stück auch gewisse Höhenflüge der Tieftönigkeit, dank an Glen Gaddum.
Den stärksten Höreindruck hinterließ jedoch das Gebläse von Nabou Claerhout. Insbesondere das Solo des Gitarristen Reinier Baas entführte uns eine Welt fließender melodischer Momente, schienen wir Klang-Mäandern zu folgen. Hier und da gab es auch klangliche Wellen-Saltos zu hören und der eine oder andere dachte vielleicht an die beeindruckenden japanischen Holzschnitte mit Meeresmotiven.
Wir erlebten einen tragenden Modus und Weichzeichnungen des Klangs, den Nabou Claerhout verantwortete. Dass ein Quartett kein Monolith des Klangs ist, unterstrichen die Musiker durch die eingestreuten Solos und Duos, unter anderem zwischen dem Bassisten und dem Drummer.
Ein wenig an Barden der 1970er Jahre und deren Songs erinnerte das, was war wir im zweiten Stück zu hören bekamen, wobei der Gitarrist die Eröffnung gestaltete. Es schien so, als würde die Posaunistin die lyrischen Zeilen des Songs übernehmen. Über weite Strecken wurde das Quartett zum Trio. Dabei muss ein ausführliches Bass-Solo besonders hervorgehoben werden. Lyrisches wechselte sich mit klanglichem Stakkato ab und unterbrach so den Klangfluss. Dazu trug mit ihren Interventionen auch die Posaunistin stark bei. Abwechslungsreich war es, was an unsere Ohren drang. Keine Spur gab es von Strenge und Restriktion, die man mit dem Titel „Orthodox“ in Verbindung bringt.
In Ermanglung einer zündenden Titel-Idee für die Komposition blieb es beim nächsten Stück bei „1.0-2.0-3.0“ (Nabou Claerhout). Oh, dachte manch einer im Saal, wo ist denn das Alphorn. Ja, die Posaunistin schuf zeitweilige eine Klangeinfärbung, die uns an Alphorn-Konzerte in den Alpen erinnerte. Zugleich fühlte man sich zu Musik in einer gotischen Kathedrale mit starkem Nachhall mitgenommen. Und an klassische Brassmusik, jenseits von Barockmusik, musste man außerdem denken, wenn man den Linien lauschte, die Claerhout intonierte.
Nein, zappaesk war es nicht, was wir bei dem Song „F*cker“ (Nabou Claerhout) als Höreindruck vermittelt bekamen. Ein Hörgenuss war unter anderem das Spiel des Gitarristen, der uns auch glauben machte, er spiele auf einer Mandoline italienische Weisen. Doch all das wurde klanglich durch die Posaunistin durchbrochen. Sie schmetterte eine „Posaunen-Arie“, so konnte man meinen.
Wie bereits oben angedeutet, ging das Konzert, wenn auch ohne Zugaben, mit zwei Stücken weiter, in denen sich das Ensemble eben auch als eines von Individuen mit individuellen Stimmen zeigte.
Spotlight 3: CHAERIN IM QUARTET (KR/NL/BE/DK)
Fortgesetzt wurde der Konzerttag mit dem oben genannten Ensemble. Zu diesen gehörten neben der koreanischen, in Amsterdam lebenden Pianistin Chaerin Im, der niederländische Gitarrist Siebren Smink, der belgische, zurzeit in Amsterdam beheimatete E-Bassist Matteo Mazzú und der aus Dänemark gebürtige Drummer Ludvig Søndergaard. Über die Band las man unter anderem: „They blend and layer sounds inspired by everything they like from indie pop and free-improv to electronic music." (North Sea Jazz)
Überrascht wurden die Anwesenden durch die Ankündigung, dass man improvisieren müsse, weil die Bandleaderin Chaerin Im unpässlich sei und auf gar keinen Fall spielen könne. Nachdem die übrigen Bandmitglieder eine längere Improvisation zu Dritt entwickelt hatten, „schwebte“ dann Chaerin Im wie „Phoenix aus der Asche“ in den Kleinen Saal des Theaters Münster ein. Das war insoweit eine Überraschung, als sich das Bulletin, das der künstlerische Festivalleiter Fritz Schmücker vortrug, eher danach angehört hatte, dass das Trio Smink-Mazzú-Sondergaard den Abend bestreiten werde. Zudem wurde noch ein Gast angekündigt: der Tenorsaxofonist Nicolo Ricci. Dieser kam auch gegen Konzertende auf die Bühne und erweiterte so das 4tet zu einem 5tet.
Wie gesagt ein Trio nahm uns auf eine Klangreise mit, die sehr stark von dem Spiel mit Pedalen und Reglern für elektronische Modulationen bestimmt war. Bisweilen meinte man, man höre sphärische Klänge und gesampelte Klangmotive. Ob nun der Gitarrist oder der E-Bassist spielten, immer waren elektronische Erweiterungen und Mutationen mit im Spiel. Trance-Versuche trafen auf Basslinien und weiches Schlagwerkspiel. Und dann mitten in den Klangprozess hinein traf Diven gleich die Pianistin in Erscheinung, die am Synth ebenso wie am Flügel zu hören war. Feine Klangfasern wurden durch Synth-Klänge verwischt. Hier und da schien bei diesen auch Fernöstliches eine Rolle zu spielen. Diskantes wurde dem Flügel entlockt. Dabei musste man an Mosaiksteinchen denken, so fragmentiert erschien das, was an unser Ohr drang.
Im Verlauf des Konzerts tauchte der Gedanke an ein Reloading 2.0 von Kompositionen des Alan Parsons Project und Mike Oldfield auf. Doch „Tubular Bells“ war gestern. So waren die Erwartungen an das Quartett nicht andere?
Ja, Pop war die vorgestellte Musik, ob Indie-Pop lassen wir mal offen. Die Kompositionen schienen von A bis Z durchgetaktet. Da fehlte wilde klangliche Gestik und das Verlassen eingeschlagener Bahnen, auch wenn es mal kristalline Gitarrenklänge zu einem eher eintönigen Synth-Gesumme gab. Für die letzten beiden Stücke – der Berichterstatter verstand „Kite“ und „Summerdream forever“ – hatte der Tenorsaxofonist Nicolo Ricci seine Momente, nicht nur weil er vor all den anderen Musikern mittig am Bühnenrand seinen Platz hatte. Mit ihm, der alle Register des Saxofonspiels traumwandlerisch meisterte, änderte sich der Sound der Band. Ja, das Saxofon, durch Adolphe Sax geschaffen für Militärkapellen, hat eine nicht angezweifelte Klanghoheit.
Spotlight 4: DANIEL GARCÍA DIEGO SEXTET (ES/NL/IR/BA)
Ein Ortswechsel musste vorgenommen werden. Dann ging es im Großen Haus weiter. Bandleader des Sextetts war der spanische Pianist Daniel García. Über ihn liest man: "Daniel García embodies one of the most exciting chapters that has emerged from the waters of contemporary jazz of the last decade." (Fernando Neira, El Pais) Bei dem Abend-Konzert gab es ein erneutes Wiedersehen mit dem Gitarristen Reinier Bass. Zudem erlebten wir Arin Keshishi (bg), Miron Rafajlović (tp), Shayan Fath (dr & perc) und Delaram Kafashzadeh (voc).
Es ist schon eine Crux mit den Ansagen durch Musiker, die oft eine akzentuierte Wortwahl vermissen lassen, aber dennoch viel erzählen. Der Berichterstatter nahm jedenfalls wahr, dass eine Suite vorgetragen werde, so der Bandleader García. Ob es dabei wie bei dessen Trio um Flamenco und Jazz geht, war nicht in Erfahrung zu bringen. Auch den Titel der Suite drang nicht bis zum Berichterstatter durch. Die „Flamme der Musik“ wurde gewiss entzündet, was vor allem an der Brillanz des Trompeters und des Gitarristen lag.
Die musikalische Erzählkunst, die uns das Sextett präsentierte, ließ uns an die Zeiten von Al Andalus denken, wenn auch nur in wenigen Momenten. Erhob Delaram Kafashzadeh ihre teilweise klagende Stimme, dann waren Flamenco, aber auch Fado mit all der Tristesse zu spüren.
Auch bei dem Sextett war nicht von einem Monolithen zu sprechen, machte man sich bewusst, dass es Solo- und Duo-Partien gab. Da traf die Stimme der Vokalistin in all ihrer Lautmalerei – oder sang sie gar Arabisch? - auf den fein ziselierten Klang der Trompete. Der Trompeter unternahm mit uns gleichsam eine Reise von Nordafrika nach Europa, oder? Miron Rafajlović evozierte in seinem Spielreigen das Bild von am Himmel tanzenden Papierdrachen, teilweise mit schmeichlerischen Klängen, die zum Mitsummen animierten.
Daniel García verstand das Tastenspiel am Flügel ebenso, wie den Griff in den Korpus, um die gespannten Saiten zu zupfen. Zudem wechselte er gelegentlich an sein Rhodes. Überwiegend jedoch steuerte er den Klavier-Tastenklang zum klanglichen Ensembleeindruck bei. Sehr beeindruckend war das Wechselspiel zwischen dem Pianisten und dem Gitarristen, die beide ihre Spielfreude zum Ausdruck brachten und ein breites Lächeln im Gesicht hatten. Musik wurde gelebt und nicht schlicht abgeliefert. Paraphrasierend stieg der Bassgitarrist Arin Keshishi in dieses Wechselspiel ein. Er bediente die „Umbra-Färbungen“, die den Klangbogen in die Tiefe erweiterten. Derweil war auch immer wieder die Vokalistin zuhören, die zwar nicht klassische Scat Vocals präsentierte, aber mit ihrer Stimme das Klangspektrum der Instrumentalisten erweiterte.
Während des Konzerts meinte man, der Trompeter wäre gar in die Rolle eines Türmers oder Stadtausrufers geschlüpft. Klagendes war aus der „Stimme des Trompeters“ zu destillieren. Aufgrund von gelegentlichen Loops und Hall drängte sich musikalisch auch Paul Horn auf. Man denke an dessen Aufnahme „Inside the great pyramid“.
Der Zuhörer erlebte rockige Momente, dank unter anderem an Reinier Baas. Ab und an blitzten Momente von „Friday Night in San Francisco“ auf, oder? Der Pianist hingegen schien gelegentlich auch in die Gefilde klassischer Musik einzutauchen. Es schien dabei eine gewisse Chopin-Attitüde vorhanden zu sein. Und wie gesagt, die stimmliche Präsenz der Sängerin sowie des ganzen Ensembles war überzeugend. Da schienen unter anderem Jazz, Flamenco und Fado eine Frischzellenkur zu erfahren.
Der 5.1.2025 war der Abschlusstag des diesjährigen Festivals. Im Großen Haus wurde die diesjährige Preisträgerin Westfalen-Jazz vorgestellt: die Pianistin und Vokalistin Clara Haberkamp. Im Anschluss an das Preisträgerkonzert gehörte die Bühne dann YOM x CECCALDI BROTHERS.
Spotlight 5 CLARA HABERKAMP TRIO (DE/NO)
Die Kritik betreffs der mit dem Westfalen-Jazz-Preis ausgezeichneten Preisträgerin bündelt sich u. a. in folgenden Worten: „Die wohl momentan außergewöhnlichste und aufregendste Künstlerin inmitten der deutschen Musiklandschaft kommt derzeit aus Berlin. Die vielfach ausgezeichnete, charismatische Pianistin und Sängerin Clara Haberkamp schafft es ihren Zuhörern ein vollkommen neues Hörerlebnis zu vermitteln." (Kulturkurier)
Die dreiköpfige Jury, der künstlerische Leiter des Dortmunder Domicil Waldo Riedl, Lena Jeckel vom Kulturamt Gütersloh sowie Fritz Schmücker richteten entsprechende lobende Worte an die Preisträgerin Clara Haberkamp. Und dann begann eines der drei Konzerte, die im Rahmen des Westfalen-Jazzpreises ausgelobt wurden.
Ein Klaviertrio ist ja eine der klassischen Jazzformationen, die es sehr häufig zu erleben gibt. Angesichts der Geschichte des Jazz mit legendären Formationen fragte man sich schon, welche Note eigentlich eine Pianistin im 21. Jahrhundert noch hinzufügen kann. Vorgestellt wurden Kompositionen aus dem Album „Plateaux“, wie Clara Haberkamp ausführte. Allerdings hielt sich das Trio nicht sklavisch an die Reihenfolge der eingespielten Titel des Albums.
„Fantasme“ hörten wir zu Beginn. Bedächtig und leicht melancholisch beschreibt zum Teil das, was wir an Klangfärbungen wahrnahmen. Behutsam agierte der Schlagzeuger, der mit organischen Bewegungen und leicht mit den Sticks tänzelnd Becken und Felle streichelte. Beim Zuhören tauchte auch der Begriff des Fragilen auf, auch wenn der Bass in sich ruhte und auch das Ruhen in Tieftönigkeit ausstrahlte.
Distinktes Spiel der Pianistin mit der Basshand war nicht zu sehen und zu hören. Clara Haberkamp bevorzugte das Spiel im Diskant und in der „Mittellage“. Das Melodische ergoss sich in einem schimmernden Klangfluss. Man könnte auch von klanglichem Perlenspiel reden, oder? Im Fortgang tauchte das Bild von einem Rinnsal auf, das seinen Weg um Klippen und Felsen findet, nicht als Wildwasser fließend, sondern bedächtig.
Nachfolgend trug das Trio „Cycle“ vor. Mit dem gestrichenen Bass wurde der dahin rinnende Tastenklang durchbrochen. Die Ränder der Becken wurden kurz berührt. Nachhaltigen Klang erzeugte das nicht unbedingt. Nach und nach wuchs die Dynamik, wurde aus einem Rinnsal des Klangs ein Flussgebilde mit einem Delta. Der Griff der Pianistin in den Korpus des Flügels gehörte zur Klanginszenierung ebenso wie die Reihung von Klangtropfen. Irgendwie wartete man auf ein Crescendo auf ein Bäng, also eine Eruption des Klangs. Dieses blieb aus.
Bei den nachfolgenden Stücken gab es zwar Klangwellen und Klangbrandungen, aber auch die verebbten rasch. Der Eindruck von der Beschaulichkeit des Biedermeiers und der Romantik schien musikalisch gegeben. Da fehlte es weitgehend an Zipp und Zapp, an unerwarteten Wendungen, an musikalischen Kontrasten. Nur gelegentlich war der Bass ein „Kontrapunkt“ im lyrischen Vortrag,
Marlene Dietrich wurde nicht mit Gesangsstimme eingespielt, als Friedrich Holländers „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ erklang, dabei das Thema vielfach variierend. Es blieb bei einer instrumentalen Interpretation – und das war gut so. Irgendwie war leichte Muse nicht nur einmal zu erleben.
Mit einer Interpretation von „If You Could Read My Mind“ des kanadischen Folksängers und Komponisten Gordon Lightfoot tauchte man als Zuhörer in die Welt der Popkultur ab. Dazu passte dann auch „Danny Boy“, laut Aussage von Clara Haberkamp die inoffizielle Nationalhymne Irlands. In diesem Stück trat die Pianistin auch als Vokalistin in Erscheinung, tonsicher ohne Frage, aber nicht mit wirklich den Saal füllendem Volumen wie bei anderen Jazz-Vokalistinnen, zu nennen sind Ella Fitzgerald oder Billy Holiday, von Ami Winehouse oder Adele mal gar nicht zu reden. Doch das Publikum in Münster spendete frenetischen Beifall. Eine Zugabe war daher keine Frage.
Spotlight 6: YOM x CECCALDI BROTHERS (FR)
Das Trio bestand aus dem Klarinettisten Yom und den Brüdern Ceccaldi: „Begleitet von den Brüdern Théo (Violine) und Valentin Ceccaldi (Cello) begibt sich Yom auf die Suche nach einem unerforschten Territorium zwischen Meditation mit schwebender Zeit und entfesselter rhythmischer Trance." (Ramdam Magazine)
Ergänzend kann man auf der Homepage von Yom lesen: „From traditional klezmer with a twist to electronic, not forgetting rock, Americana, classical and contemporary, as well as totally unclassifiable forms, this insatiable polymath, in pursuit of the absolute, never loses sight of his vision of music, his approach to the human soul, and his need for universality and spirituality, which over the last few years has led him to draw inspiration from sacred music to develop his own language.“
Yom bat das Publikum zu Beginn des Konzerts darum, nicht mittendrin zu klatschen und auch darum, dass sich die anwesenden Fotografen vor der Bühne mit dem Klicken ihrer Kameras zurückhalten möchten. Die Begründung dafür lieferte der teilweise im Schneidersitz spielende Klarinettist obendrein: Man wolle ja mit der Musik eine „intergalaktische Reise“ unternehmen und daher gebe es keine Spielpausen, sondern ein musikalisches Kontinuum, einen Zyklus des Klangs mit durchaus kontemplativen und meditativen Momenten.
„Rhythmus der Stille“ war die Überschrift für den konzertanten Vortrag. Reine Stille, Besinnung und Versenkung standen am Anfang. Da war es dann auch mucksmäuschenstill im Saal. Erst nach dieser Phase der stillen Konzentration begann Valentin Ceccaldi mit einem tiefen Plong, das er seinem Cello entlockte. Es klang wie das vielfach verstärkte Fallen eines Wassertropfens in einen See. Auch an einen Stundenschlag wurde man durch das Spiel des Cellisten erinnert.
Und dann brachte uns Yom teilweise orientalisch anmutende Flötentöne bei, auch wenn er auf einer Klarinette spielte. Klang das Instrument nicht beinahe wie eine Zuma? Zugleich schien es hier und da auch Anleihen an Klezmer-Musik zu geben. Yom ließ nicht nur Atemluft durch sein Instrument rauschen, sondern erzeugte auch eine frische Melodielinie, einem Schlangenbeschwörer gleich.
„Der Reiseleiter“ Yom schlüpfte während des Abends in die Rolle des musikalischen Erzählers. Man dachte dabei durchaus an 1001 Nacht, oder? Und immer wieder drang das dumpfe Plong-Plong des Cellisten an unsere Ohren. Der Fokus lag jedoch eindeutig auf den Klangwelten des Klarinettisten. Über weite Strecken waren die beiden Streicher verhalten agierende Begleiter.
Faszinierend waren die Klangpassagen, die Théo Ceccaldi seiner Geige entlockte, weniger mit dem Bogenstrich als gezupft und mit Fingerschlag wie bei einer Gitarre. Dabei war es auch an ihm den dynamischen Prozess des Abends mitzugestalten. Der Cellist hingegen sah sich wohl eher als stoischer Rhythmiker, gleichsam als Ersatz für einen Schlagwerker.
Es gab Phasen der Besinnung und auch Phasen des Aufbruchs und Ausbruchs. Das Bild einer mal schnellen und mal langsamen Rotation drängte sich auf. Stundenschlag kreuzte sich mit dem Höreindruck einer Dampflok. Kristallines vereinte sich mit Weichzeichnungen. Wie das Peitschen-Knallen mutete das an, was der Cellist zeitweilig zum Besten gab. Einen tanzenden Bogen sahen wir im Verlauf des Konzerts beim Geiger, der sich gänzlich verausgabte. Körperlichkeit des Spiels war gegeben, betrachtete man die stürmischen Bewegungen von Théo Ceccaldi.
Wie gesagt, es gab wiederkehrende Module nebst Wandlungen. Doch alles mündete in einen geschlossenen Zyklus des Ganzen. Wer nach diesem Vortrag nicht gänzlich tiefenentspannt war, sollte nachhaltig über seinen Alltag nachdenken. Wie stets hatte das Münsteraner Publikum noch nicht genug und forderte ein Encore. Das gab es, auch wenn eigentlich im „Zyklus des Stille“ alles schon gesagt worden war.
text/photos: © ferdinand dupuis-panther
Info
Audio - teilweise in unterschiedlichen Besetzungen im Vgl. zu den Auftritten in Münster
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CLAERHOUT / BAAS / GADDUM / PEET
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