Nach dem viel beachteten Auftritt beim 30-Jährigen cuba-Jubiläum gab es nun noch einen Konzertabend mit zahlreichen Eigenkompositionen der Bandmitglieder, die sich an bluesigen und jazzigen Klassikern von Jimmy Smith, Eddie Harris oder Cannonball Adderley und an zeitgenössischen Vorbildern, wie John Scofield, Larry Goldings oder Peter Bernstein orientieren. So las man es in der Vorankündigung für ein Konzert mit dem Münsteraner Saxofonisten Marc Picker, dem aus Gelsenkirchen stammenden Gitarristen Christian Hammer (The Dorf, Rose Hip), dem Organisten und Pianisten Martin Scholz – Jazzliebhabern vor Ort von der Bochumer Tatort-Hausband bekannt – sowie dem Schlagzeuger Ben Bönniger, der in Münster unter anderem die Reihe „JazzLuck“ im Museum für Lackkunst veranstaltet.
Gut besucht war an diesem sommerlichen Abend die Black Box im cuba. Ob darunter auch „Wiederholungstäter“ waren, die vom ersten Auftritt des Quartetts begeistert waren, vermag der Berichterstatter nicht zu sagen. Begonnen wurde der sehr illustre Konzertabend mit einer Komposition von Martin Scholz namens „Camenbert“, so jedenfalls Marc Picker in seiner Ansage. Doch Martin Scholz verbesserte sogleich und fügte an, dass es eigentlich „Der Camembert, der läuft und läuft“ heißen muss. Die kleine augenzwinkernde Anspielung auf die Werbung für den VW-Käfer durfte sich jeder der Anwesenden mitdenken.
Martin Scholz brachte uns zu Gehör, wie es denn um den laufenden Camembert bestellt war, nicht am Flügel, sondern an der zweimanualigen Orgel. Zäh schien es zu laufen , ganz zäh. Dieses sich im Kopf festsetzende Bild änderte sich nur wenig, als Marc Picker sein Atemrohr an die Lippen setze und die Melodielinie von Martin Scholz aufnahm. Dieser gab sich in der Folge eher bassdemütig. Im Hintergrund agierte Ben Bönniger an seinem Schlagwerk mit Bedacht an den Blechen. Beim Zuhören fragte sich der eine oder andere schon, wie man denn auf einen solchen Titel für eine sehr groovige Komposition kommt und wann denn der Camembert endlich nicht mehr läuft. Funky, funky, funky ging es zu, als Marc Picker zu seinem Solo ansetzte. Irgendwie hatte man auch den Eindruck, dass ein bisschen Modern und Cool Jazz mit im Spiel waren. Schloss man die Augen, so konnte man sich bei der Musik gut einen verrauchten Jazzkeller vorstellen, in dem sich einst die hippe, intellektuelle Jugend der späten 50er und 60er Jahre traf. Fasziniert lauschte man den Umspielungen der Phrasierungen von Marc Picker durch den Gitarristen Christian Hammer. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das Bild vom laufenden Camembert gänzlich vergessen. Wer den Jazz, den einst Jimmy Smith auf höchstem Niveau zelebrierte, schätzt, der konnte sich über Martin Scholz' Solo freuen. Es groovte dabei gewaltig. Dabei drängten sich dann Bilder von Großstadtgewusel, Rush Hour und genervten Autofahrern auf. Unablässig schien der Strom derer, die nach Hause strebte, sich in die Metro drängte. Vielleicht stand dann abends bei dem einen oder anderen auch gebackener Camembert auf dem Tisch. Voila!
Nachfolgend nahm uns Martin Scholz auf eine „große Reise“ mit, inspiriert von einer Komposition von Herbie Hancock, die, so Scholz aus seiner Sicht sehr gut geraten sei und ihn zu „Viaje inaugural“ angeregt habe. Ja, das ist er der tanzende, wabernde, wimmernde Klang der Orgel. Satt waren die Beats, die Ben Bönniger beisteuerte. Doch dann übernahm Marc Picker am Altsaxofon das musikalische Zepter. Gewürzt wurde im Nachgang mit einer gehörigen Prise südamerikanischer Rhythmik. Besonders nachdrücklich erlebte man dies durch das sehr versierte Spiel von Christian Hammer. So führte uns die große Reise nicht nach New Orleans oder Chicago, sondern eher in die Szene des Latin Jazz von New York.
„Mach es wie Scofield“ war das Motto des nächsten Songs, den Marc Picker geschrieben hat. Damit verneigte sich die Band tief vor dem amerikanischen Fusion-Gitarristen John Scofield. Zugleich fiel dem Berichterstatter auch nach wenigen Minuten des Zuhörens der Name Stan Getz ein. Auch das gab es an diesem Abend: ein Schlagzeugsolo wie aus den besten Tagen von Gene Krupa und Max Roach. Wirbel and Wirbel wurden durch Ben Bönniger gesetzt. Dieser ließ seine Schlagstöcke über Felle und Bleche traumtänzerisch schwirren. Wer aber dachte, bei diesem Titel gehöre die Bühne ausschließlich dem Gitarristen, der irrte sich gewaltig. Jeder aus dem Quartett trug seinen Teil zum Ganzen bei. Vorherrschend war jedoch die Klangfarbe des Altsaxofons. Christian Hammer richtete sein Spiel eher rhythmisch aus, derweil der Melodiefluss in den Händen von Marc Picker lag.
Schließlich gab es dann aber noch ein überaus mitreißendes Solo von Christian Hammer, der es verstand die gesamte Klaviatur seines Sechssaiters zu bedienen. Gefolgt wurde dieses Spiel von dem Tanz über die Orgeltastatur, den Martin Scholz nachfolgend begann. Da hüpften und sprangen die Töne, bauten sich Klangwellen auf, die über uns hinwegrauschten. Die Orgel juchzte, jaulte, wimmerte und wummerte. War bisher noch das Wippen des Fußes die häufigste Aktion einiger Zuhörer, so hielt es bei diesem Titel zu Ehren von Scofield den einen oder anderen beinahe nicht mehr auf seinem Stuhl. „Shake your bones“ war angesagt. Doch tanzen wollte dann doch keiner.
Für die, die es schon immer mal wissen wollten, fügte Marc Picker in einer kurzen Zwischenansage an, dass die Idee zu dieser Band mit einem Organisten schon auf die Vorliebe der Bandmitglieder für Jimmy Smith, Eddie Harris und Stanley Turrentine zurückzuführen sei. Diesen Sound wolle man wieder aufleben lassen. Eine wichtige Rolle habe für Marc Picker – so die weiteren Bemerkungen – auch die Begegnung mit dem Amsterdamer Saxofonisten Benjamin Herman gespielt, der sich gleichfalls im Fahrwasser von Funk bewegt und weiß, wie man groovt!
Es war wohl Neujahr, so Christian Hammer, als sein Song „C.M.B.“ entstand. „Ach so, da warst du nicht ganz nüchtern!“, hörte man aus dem Mund eines Bandkollegen. Christian Hammer kommentierte dies mit einem breiten Grinsen, und los ging es. Der Charakter des Songs changierte zwischen „Großstadtgeflüster“ und Happy-Island-Sound. Dies sollte sich mit dem Auftritt des Altsaxofonisten Picker jedoch ändern. Dann, ja dann waren wir mitten im Großstadtdschungel, der uns mitreißt, aber auch herausfordert und auslaugt. Auch bei dieser Komposition durfte Ben Bönniger zeigen, was er aus Snare, Stand- und Hänge-Tom sowie Bassdrum und den verschiedenen Blechen alles an rhythmischen Formen hervorzuzaubern imstande ist.
Mit einem balladenhaften Standard im 4/4-Takt namens „Soul Eyes“, ursprünglich von Mel Waldron, fand der Abend seine Fortsetzung, aber längst nicht so getragen und leicht süßlich vorgetragen wie im Original, zum Beispiel bei der Einspielung Waldrons mit Jeanne Lee. Vor der Pause konnte man sich noch einmal an einem fetzigen Funktitel aus der Feder von Eddie Harris erfreuen. „Hör mal zu“ hieß es oder auch „Listen Here“. Dabei ging dann richtig die Post ab, eine gute Abwechslung gegenüber dem zuvor Gehörten. Brillant war das Wechselspiel zwischen Marc Picker und Martin Scholz. Groove, Groove und noch mehr Groove hieß es in der „Schwarzen Kiste“.
Auch wenn das erste Stück nach der Pause aus der Feder von Marc Picker dem polnischen Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem gewidmet war, gab es keine elektronischen Verfremdungen und auch keine Sphärenklänge zu vernehmen. Überhaupt verzichteten die Musiker auf das sonst übliche elektronische Zauberkästlein für Delays und Distortions. Die Orgel klang wie eine Orgel, das Altsaxofon wie ein Atemrohr und auch die Gitarre klang wie eine pure Jazzgitarre, auch wenn Christian Hammer mit einem Fußpedal agierte. So bewegte sich der Song „Lem“ im Klangschema von Harris, Adderley und Co. Welche Wohltat. Das Thema war stets erkennbar. Umspielungen uferten nicht aus. Verkopfter Jazz war ganz, ganz fern. Das galt auch für „Boogaloo“ (M. Scholz). Boogaloo, das sei an dieser Stelle eingefügt, ist eine Fusion aus Rock and Roll, Bomba und Son. Mit diesem Stück hätte sich das Quartett gewiss in die Herzen von Les McCann und Eddie Harris gespielt. Martin Scholz fand dabei seine bunte musikalische Spielwiese in Gestalt seiner Orgel. Wer beim Zuhören auch an „Compare to what“ dachte, lag wohl nicht ganz falsch. Launig ging es auch bei der Interpretation von Lee Morgans Bossa „Ceora“ zu. Happy-Island-Feeling war dabei ganz nahe. Mit einem Calypso - „Fungii Mama“ (Blue Mitchell) stand auf dem Programm - endete der Abend eigentlich, aber die Band hatte natürlich auch eine Zugabe vorbereitet: Mit „Things are getting better“ von Cannonball Adderley schloss sich der grooviger Abend. Das Publikum dankte das mit herzlichem Beifall.
Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Black Box im Cuba
http://www.blackbox-muenster.de/index.php?id=programm&no_cache=1
Musiker
Ben Bönniger
http://www.jazzhalo.be/interviews/ben-boenniger-interview-mit-dem-muensteraner-schlagzeuger/
Christian Hammer
https://jazzhammer.wordpress.com/
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