Sprada Lounge Jazz in der Kunsthalle Recklinghausen, 27. September 2019
„Der Kölner Trompeter und Flügelhornist Matthias Bergmann zählt zu den Meistbeschäftigten auf seinem Instrument. Als Bandleader hat er mit seinem Quintett zwei vielbeachtete CDs vorgelegt. Außerdem ist er seit Jahren mit den Bands von Axel Fischbacher und Florian Ross, in Duobesetzungen mit Clemens Orth oder Jürgen Friedrich und in großen Besetzungen wie dem Cologne Contemporary Jazz Orchestra auf allen Bühnen Europas unterwegs. Festes Mitglied war er auch in Peter Herbolzheimers legendärer Rhythm Combination & Brass. Bergmann unterrichtet seit vielen Jahren als Dozent an der Musikhochschule Köln und an der Glen Buschmann Akademie Dortmund. Sein Quintett präsentiert in der Kunsthalle eigene Kompositionen der aktuellen CD „All the Light“.“ So konnte man es der Vorankündigung des Lounge-Konzerts entnehmen.
Wie stets war die Kunsthalle bis auf den letzten Platz gefüllt. Im Gegensatz zu anderen Konzerten der Reihe war das Publikum sehr konzentriert bei der Sache, war Gerede während des musikalischen Vortrags nur selten zu vernehmen.
An dieser Stelle sei der Einwurf erlaubt, dass niemand bei einem Konzert mit klassischer Musik daran denken würde, mit Bier- oder Weinglas den Konzertsaal zu betreten oder sich gar lautstark zu unterhalten während ein Präludium erklingt. Bei Jazzkonzerten scheint das anders gelagert zu sein. Hält man Jazz für U-Musik, die man so nebenbei aufnehmen kann, wenn man möchte? Jazz gleich Kneipenhintergrundmusik? Nun gut, in der Kunsthalle herrschte an diesem Freitag fokussierte Konzertatmosphäre vor. Zum Glück. Beim Konzert mit Matthias Bergmann und seinen Mitmusikern war ganz gewiss Aufmerksamkeit gefragt, um die thematischen Setzungen und Improvisationen vollumfänglich genießen zu können.
Zum Ensemble gehörten neben dem Kölner Trompeter und Flügelhornisten der Saxofonist Jörg Kaufmann, der E-Gitarrist Hanno Busch, der in Amsterdam beheimatete Kontrabassist Cord Heinking und der Schlagzeuger Silvio Morger.
Um es vorwegzunehmen: Die Zeit verging im Fluge. Matthias Bergmann nahm uns dabei auf eine musikalische Zeitreise mit, die uns auch in die Gefilde von Modern und Post-Modern-Jazz führte.
Nun aber auf Anfang: Das Konzert war das erste von vier Konzerten der Reihe, die in dieser Saison in der Kunsthalle Recklinghausen stattfinden. Matthias Bergmann war bereits schon einmal bei dem Projekt „Jazz Lounge Arkestra“ in Recklinghausen zu Gast. So meinte dann Ingo Marmulla, der die Reihe künstlerisch verantwortet, es sei dann auch mal Zeit, dass er mit einem eigenen Projekt eingeladen werde, zumal er ja „richtigen Jazz“ mache. Letzteres trug Ingo Marmulla übrigens mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht vor.
Nach den Sternen griffen die Musiker, als sie „Aries“ spielten, war doch das Sternzeichen „Widder“ namensgebend für die Eröffnungskomposition, die zu hören war. Dieser Titel wie auch „Slam“ oder „A Thousand Years“ stammen von dem bereits oben genannten jüngsten Album der Band. Beim Sternbild des Widders war zunächst die Rhythmusgruppe am Zuge, ehe dann Matthias Bergmann sein Flügelhorn an die Lippen setzte. Sein Spiel ließ uns an unverstellte Blicke und an Weite denken, so wie man es auf norwegischen Fjells erleben kann. Folgte man den melodischen Linien , dann meinte man, vor sich einen in der Thermik dahin schwebenden Gleitflieger vor dem geistigen Augen zu sehen. Das änderte sich vom musikalischen Charakter auch nicht, als der Saxofonist Jörg Kaufmann auf die Eingangspassagen von Matthias Bergmann antwortete. Dazu gab es rhythmische Beigaben aus dem rückwärtigen Bühnenraum, dank an Hanno Busch und Silvio Morger. Wohlklang verbreiteten die beiden Bläser im Unisono, und die solistische Einlage von Hanno Busch wurde einer der besonderen Hinhörer. Cord Heinking glitt mit seinen Fingern über Saiten mittig des Korpus‘ statt wie üblich am Hals des Tieftöners zu verharren. Dabei schienen Bassist und Bass beinahe eins zu werden. Übrigens, wer nahe an der „Bühne“ saß, konnte hören, dass der Bassist das Saitenschwingen stimmlich begleitete.
Nachfolgend ging es um den Knall, Englisch „Slam“. Klippeklapp, Tacktacktick – so meldete sich der Schlagzeuger zum Thema. Auch die sehr rhythmische Ausrichtung des Gitarristen unterstrich das Bild vom Knall. Dabei muss man aber auch wissen, dass „Slam“ außerdem für Zuknallen steht. Nein, Saxofon und Flügelhorn präsentierten nicht den großen Knall, aber ein überaus melodisches Zusammenspiel. Beim weiteren Zuhören drängte sich das Bild einer Kaskade aus großer Fallhöhe auf. Klangrausch bescherte uns Matthias Bergmann in seinem Flügelhornsolo, dazu verhaltenes Drumming und leiser Bassfluss. Dass ein sonores Flügelhorn auf ein schnippiges Saxofon traf, war im Verlauf des Vortrags zudem der Fall.
Vom Klangbild her schien „Almost never“ die ersten Stunden des Tages aufzugreifen; Straßenlaternen wurden gelöscht; erste Sonnenstrahlen machten sich breit. Im Weiteren konnte man beim Zuhören auch an Filmmusik denken, aber vor allem an Cine noire wie beispielsweise an den Film „Der Tag bricht an“ mit Jean Gabin. Gäbe es nicht schon Musik zu „Fahrstuhl zum Schafott“, „Almost Never“ hätte zu diesem Film sicherlich gepasst. Meines Erachtens handelt es sich dabei durchaus um Modal Jazz, wie ihn Miles Davis für den genannten Film eingespielt hat. Auf alle Fälle kann man dem „Song“ von Matthias Bergmann die Dramatik nicht absprechen. Und das bedeutet ja nicht zwingend Drama des Alltags. Überaus gelungen war das Zwiegespräch zwischen Jörg Kaufmann und Matthias Bergmann, dabei auch im elegischen Fahrwasser schwimmend. Hier und da vermeinte der Berichterstatter, auch Verweise auf „Round Midnight“ zu erkennen, gespielt von Thelonious Monk, aber auch von Miles Davis.
Gedämpft war die Trompete von Matthias Bergmann, als er „ A Thousand Years“ spielte. Selten genug griff er während des Konzerts zur Trompete, da er augenscheinlich das Flügelhorn bevorzugt. Leicht melancholisch legte Bergmann die thematische Ausrichtung an. Und auch das sonst als marktschreierisch verschriene Saxofon zeigte sich eher leise und zurückgenommen. Graue Schummerungen griff Cord Heineking bildlich gesprochen in seinen Basssetzungen auf. Schwere brachte er gekonnt zum Ausdruck. Beim Zuhören musste der eine oder andere im Saal vielleicht an die Szene der Kartoffelesser von van Gogh denken. Alltagssorgen pur drängten sich auf.
Nach der Pause entstand der Eindruck, dass Matthias Bergmann und seine Mitmusiker ein Faible für Cannonball Adderley revisited haben, so auch bei „Pass it on“ (com. Dave Holland). Dabei changierte die Musik aus der Feder des Bassisten Dave Holland zwischen Bop und auch ein wenig Funk. Ließ sich beim Spiel Jörg Kaufmann nicht gar zu einem Jive hinreißen? Eingestreut war ein sehr ausgebreitetes Drumming-Solo. Doch nachhaltig im Ohr blieben die Bläsersequenzen, bei denen es schwer fiel, still sitzen zu bleiben.
Aus der aktuellen CD des Quintetts hörten wir beim Konzert nachfolgend „Zabriskie Life“. Zu Beginn schlugen Handflächen auf die Felle des Drumsets, dröhnte die Basstrommel verhalten. Saxofon und Flügelhorn vereinten sich zum Duett, stimmten das Thema an, das einen „orientalischen Beiklang“ ausstrahlte. Immer wieder kamen die beiden Bläser nach „klanglichen Wirrungen“ auf das Thema zurück. Hätte die Instrumentierung aus Oud, Rahmentrommel, Kegeloboe und Ney bestanden, der west-östliche Diwan wäre in Recklinghausen ausgebreitet worden.
Zum Abschluss des Konzerts spielte das Quintett „Herr Nilsson“. Dabei schienen Chick Corea und Herbie Hancock ganz nahe zu sein. Ohne Zugabe entließen die Anwesenden das Ensemble um Matthias Bergmann nicht. Der Beifall war anhaltend, wenn auch ohne Standing Ovations. So klang der Abend dann mit einer Ballade von Tom Waits namens „Johnsburg, Illinois“ aus. Auf Gesang mir rauchigem Timbre wie im Original verzichtete das Quintett dabei. Adaptation und Arrangement ist eben nicht Original, sondern das Wie eines Zugangs zum Original.
Fotos und Text © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Matthias Bergmann
CD Reviews
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/m/matthias-bergmann-all-the-light/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/d/dirk-schaadt-organ-trio-time-to-change/
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