Jazzclub Paderborn, 11.3.2022
Im Deelenhaus in Paderborn traf sich der Mundharmonikaspieler und Vibrafonist Hendrik Meurkens mit dem Trio rund um den Kölner Pianisten Martin Sasse. Zum Trio gehörten zudem der Bassist Walfried Böcker und der Drummer Joost van Schaik. Übrigens, das Vibrafon hatte Hendrik Meurkens in New York gelassen.
„Der aus Hamburg stammende Hendrik Meurkens, der neben der Harmonika ebenso virtuos das Vibraphon spielt, lebt seit 1992 in New York. Er tourte mit dem Ray Brown Trio und den Concord All Stars weltweit, war zu den meisten bekannten Festivals eingeladen, und ist ständig in den New Yorker Jazzclubs zu hören. Sein Quartett spielte z. B. den Eröffnungsabend des neuen Birdland Jazzclub. Meurkens gilt im Jazz als wichtigster Mundharmonika-Spieler seit Toots Thielemans ...“ So las man es im Vorwege des Konzerts.
Der Pianist Martin Sasse hat unterdessen zehn Alben unter eigenem Namen veröffentlicht. Er war schon mit Al Foster, Jimmy Cobb, Steve Grossman und Lee Konitz zu hören. Für Billy Cobham und Hiram Bullock wechselte er vom Piano an die Hammond B3 und präsentiert sich als hervorragender Organist. Sasse war zudem als Pianist bei Till Brönners Reihe „Talking Jazz“ in der Bundeskunsthalle in Bonn zu erleben. Zu seinen regelmäßigen Partnern gehören u. a. Philip Catherine, Peter Bernsteinl und Scott Hamilton. Sasses Trio erhielt, das sei noch angefügt, für das
Album „Good Times“ mit Charlie Mariano 2010 den Preis der Deutschen Schallplattenkritik.
Schon bei den ersten Takten des Konzerts fragte sich der eine oder andere Zuhörer, wie man denn den Klang der Mundharmonika beschreiben könne. Ein Hybrid aus Hammond B3, Vibrafon, Shruti Box und einem Zuginstrument wie Bandoneon vielleicht? Für die, die die Mundharmonika eher der Wandervogelbewegung und dem Blues zuschreiben, erläuterte Hendrik Meurkens, dass die Mundharmonika über drei Oktaven verfügt, ähnlich wie die Querflöte. Die Töne entstehen durch das Ausatmen der Luft und durch das Ansaugen der Luft. So muss dann ein kontinuierlicher Atemfluss eingehalten werden, damit sich tonale Sequenzen ergeben. Sanft und samten-seidig wie eine Querflöte klingt das Instrument allerdings nicht, sondern eher ein wenig kantig, schroff, schnoddrig, rotzig und hier und da „marktschreierisch“, oder? Und wie gesagt, Toots hat dieses Instrument für den Jazz „salonfähig“ gemacht. Richtig ist aber auch, dass im Blues neben der Gitarre auch die Mundharmonika von Bedeutung ist – man denke u. a. an das Duo Sonny Terry & Brownie McGhee.
Beschwingt ging es bei „A Slow One“ zu. Ein laues Sommerlüftchen wehte an diese doch eher frostigen Märzabend durch das Deelenhaus. Dachte man angesichts der Klangfärbungen nicht auch an Sommergelb und Fliederfarben? Sah man nicht gar gelbe, blaue und orange Falter durch die Lüfte segeln? „Kontrapunktisch“ – wenn auch nicht im klassischen Sinne – bewegte sich Martin Sasse an seinem Flügel zu den Sequenzen, die uns Hendrik Meurkens präsentierte. Im weiteren Verlauf wurde das Stück von bluesigen Schlieren durchzogen. Perlend, sprudelnd und kaskadierend war das, was wir obendrein vernahmen, dabei dem Pianisten auf die Finger schauend. Der Bassist Walfried Böcker gründete sein Saitenspiel nicht allein auf den Tiefen des Viersaiteninstruments, sondern ließ auch die Höhen des Tieftöners schwingen. Das auf E1 – A1– D – G gestimmte Instrument zeigte also, dass es mehr kann, als nur brummend oder schnarrend daherzukommen. Man konnte sogar davon sprechen, dass man gelegentlich einen tanzenden Bass vor seinem geistigen Auge sah. Die prägende Klangfärbung des Stücks war allerdings der Mundharmonika geschuldet, mit der Hendrik Meurkens auch das Thema anstimmte und nach den Soli seiner Mitspieler wieder in dieses zurückführte.
Das war der Beginn eines im Gedächtnis bleibenden Abends, der eben nicht mit „Bluesette“ von Toots begann, dem Stück, das den „Grand Seigneur aus der Rue Haute in Brüssel“ bekannt gemacht hat. Mit dem Programm, so führte Meurkens in einer Zwischenansage aus, wolle man an den 100. Geburtstag eines Musikers erinnern, der ein Alleinstellungsmerkmal besitzt: In der Geschichte des Jazz gibt es zahlreiche Gitarristen wie Joe Pass, Jim Halloder, Django Reinhardt die den Jazz geprägt haben. Es gibt auch eine Reihe von Geigern, so auch Stephane Grappelli, die Jazzgeschichte mitgeschrieben haben, aber es gibt nur einen Mundharmonikaspieler und das ist eben Jean Toots Thielemans. Übrigens, dieser war von Hause aus Gitarrist und ein ausgewiesener Vertreter des Bebop!
Mit „Waltz For Sonny“ wurde nachfolgend Toots vorgestellt. Dabei erlebten die Anwesenden ein wenig Musette und zugleich eine sehr melodische ausgerichtete Ballade. Für die rhythmisierte Durchwirkung des Stücks sorgte nicht nur der Schlagzeuger Joost van Schaik, sondern auch Martin Sasse mit nachhaltigem „Tastenschlag“. Gebrochen und verwischt erschien die Stimme der Mundharmonika begleitet vom Pianisten, der bildlich gesprochen ein tonales Rinnsal in aquarellierten Farbsetzungen malte. Joost van Schaik agierte an seinem überschaubaren Schlagwerk-Set sehr dezent, aber überaus präzise. Im Weiteren schien man einem Stück zu folgen, das in Cézannsches Grün und Sandfarben getaucht war, oder?
Ein Abend mit der Musik der Ikone des belgischen Jazz, Jean Toots Thielemans, musste auch etwas ansprechen, wofür unser Nachbar sehr bekannt ist: belgische Biere. Man sagt ja, dass man 365 Tage Bier trinken könne, ohne alle im Land gebrauten Biere, einschließlich Fruchtbiere, je gekostet zu haben. Also, „berauschen“ wir uns an der Komposition von Hendrik Meurkens namens „Belgian Beer at Dawn“. Wer dabei thematische Anlehnungen an „Stella By Starlight“ heraushörte, der konnte seinen Ohren ruhig trauen. Anregungen entnahm Meurkens, wie er sagte, nämlich diesem Stück. Und warum? Ja, in Belgien gibt es auch ein Bier namens Stella Artois, also hier der Biername, dort der Name des Titelsongs für den Gruselfilm „Der unheimliche Gast“.
Na ja, Stella ist als Gerstensaft nicht jedermanns Geschmack, aber der Song den das Quartett auf der Bühne vortrug ganz gewiss, wie man dem Zwischenapplaus des Publikums entnehmen konnte. Und etwas ließ besonders aufhorchen: das Schlagzeugsolo von Joost van Schaik. Selten genug bekommt der Schlagzeuger den Raum, um sich zu entfalten und zu zeigen, was zwischen Snare, Hanging und Standing Toms so möglich ist, ohne wie wild mit dem Fußpedal die Basstrommel zu traktieren!
Mit dem nachfolgenden Stück verneigten sich die Musiker vor einem der wichtigen Filmmusikkomponisten und Pianisten Frankreichs, nämlich Michel Legrand. 1971 entstand „The Summer Knows“ – aus dem Film „Sommer ’42“ mit Jennifer O’Neill. Eher getragen und von der sogenannten Blauen Stunde geprägt, schien die Filmmusik, die wir erlebten, oder? Zugleich schien aber auch das Erwachen der Großstadt eingefangen zu werden. Doch diese möglichen Assoziationen haben nichts mit dem Film gemein, der von Pubertierenden in dem Kriegsjahr 1942 und derer ersten sexuellen Beziehungen handelt.
Im Duktus des Stücks ließ sich schon eine gewisse Erzählkunst herausfiltern. Besenspiel traf dabei auf fließende Passagen. Beinahe fallende Tasten konnte man wahrnehmen, auch Kristallines und Zerbrechliches, wenn man Martin Sasse am Flügel folgte. Erdigkeit und Geruhsamkeit zum Ausdruck bringend – das war die Rolle des Bassisten. Hier und da meinte man, man höre eine Art Serenade, wenn Hendrik Meurkens sein Instrument an die Lippen setzte und zum Flirren brachte. Kommentierend meinte Meurkens nach dem Stück, dass man bei Legrand schon den Zeitgeist der 1950er und 1960er Jahre erleben könne.
Weiter ging es mit „Driftin'“ aus der Feder von Herbie Hancock und zugleich als ein Gegenstück zu Legrand zu betrachten. Da schien Fusion schon anzuklopfen. Zugleich aber atmet dieses Stück ein wenig Soul, Beat Generation und vorwegnehmend den Geist von Woodstock, oder? Mit „For My Lady“ nahm der Abend nach der Pause seinen Fortgang. Der Eindruck wa, dass bisweilen Tanzbares vorgetragen zu werden. Allerdings keiner der aufmerksam lauschenden Konzertgäste wagte ein Tänzchen. Raum gab es eh nur wenig dazu. Dem Schlagzeuger Jimmy Cobb, der auch mit Miles Davis zusammen gespielt hat und auf dem legendären Album „Kind of Blue“ zu hören ist, widmete die Band die Komposition „Cobb's Pocket“. Hm, konnte man seinen Ohren trauen? Hörte man nicht auch Melodisches und Harmonisches aus „Sugar“ und „So What“ in einigen Passagen des Stücks? Martin Sasse schien sich in seinem Duktus zwischen Garner und Peterson zu bewegen. Hendrik Meurkens war für eine gewisse thermische Energie und den steten Klangstrom zuständig. Irgendwie vermeinte man außerdem für wenige Augenblicke Verwischungen aus „Take 5“ zu erleben. Heftige Blechturbulenzen, dank an Joost van Schaik, waren obendrein Teil der musikalischen Inszenierung.
Aus der Feder von Hendrik Meurkens stammt „A Tear For Toots“, in Anlehnung an ein Lamento vorgetragen. Jedenfalls hörten wir im Deelenhaus kein fröhliches Geburtstagsständchen. Eher schien es, als würde, in Noten umgesetzt, die Biografie von Toots aufgeblättert. Ja, Toots lebt nicht mehr, aber seine Musik. Das ist sehr tröstlich! Martin Sasse ist das nachfolgend gespielte „Blue Rose“, ein klassischer Blues, zu verdanken. Und zur Entstehung des Stücks gab es auch eine interessante Geschichte, die der Pianist erst auf Drängen von Hendrik Meurkens erzählte. Für eine CD-Produktion, die im Rahmen der Feierlichkeiten der Rosenstadt Bad Nauheim-Steinfurth entstehen sollte, fehlte noch ein Stück. Also setzte sich Martin Sasse hin und komponierte ein entsprechendes Stück. Einmal im Jahr sei er noch mit dem Frankfurter Jazz Trio in der Rosenstadt zu hören. Dort gebe es auch einen vorzüglichen Rosenkuchen. Der Besuch lohne sich durchaus, so Martin Sasse in einem Nachsatz.
Mit „Mundell's Mood“ endete das Konzert eigentlich. Aber da gibt es stets bei Konzerten ein Aber: Der frenetische Beifall und der Ruf „Encore, Encore“ führte dann dazu, dass die vier Musiker zurück auf die Bühne kamen und dann in einer Sambaversion „Bluesette“ spielte. Da schien dann auch Toots, der in Brüssel wie auch in New York zu Hause gewesen ist, im Geist mit dabei zu sein, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht und aufmerksam zuhörend, was denn da sein „Brother in Arms“, Hendrik Meurkens, aus seinem Klassiker gemacht hat.
© fotos und text ferdinand dupuis-panther
Infos
www.jazzclub-paderborn.de
H. Meurkens
https://hendrikmeurkens.com
CD Besprechungen
Hendrik Meurkens - Manhattan Samba
Hendrik Meurkens Quartet - A Night In Jakarta
Hendrik Meurkens / Bill Cunliffe - Cabin In The Sky
Roger Davidson Quartet feat. Hendrik Meurkens - Music From the Heart/
M. Sasse
https://martinsasse.de
W. Böcker
http://kulturserver.de/-/kulturschaffende/detail/131040
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