Marc Doffey Quintett in concert, Westfälischer Kunstverein Münster

Januar, der 21. und im Westfälischen Kunstverein ging es dank des Quintetts des Saxofonisten Marc Doffey darum, die „richtige Richtung“ zu finden. So musste man es annehmen, wenn man das Debütalbum der Band mit dem Titel „Taking Direction“ allzu wortgenau nahm. Im eigentlichen Wortsinn meint der Albumtitel allerdings „Anweisung annehmend“! Im Vorgespräch mit dem Bassisten Thomas Kolarczyk stellte dieser jedoch klar, dass es schon um eine gemeinsame Richtung gehe, dass man die Band als Projekt verstehe, dessen Grundlage man gemeinsam entwickle, da man ja sich aus unterschiedlichen Zusammenhängen kenne und nun an einer gemeinsamen Sache arbeite. Das wird beim Debütalbum auch sehr deutlich. Marc Doffey unterstrich dies mit ergänzenden Worten. Es ginge ihm nicht darum, tolle Musiker um sich zu scharen, die seine Musik spielen, sondern gemeinsam etwas zu schaffen. So versteht sich dann auch das Arbeiten an dem musikalischen Projekt „Fünf Perspektiven“, zu dem jeder aus der Band mit Kompositionen beigetragen hat. Die Bandmitglieder kennen sich im Übrigen zum einen vom Bundesjugendjazzorchester und dem Jugendjazzorchester NRW zum anderen aus dem gemeinsamen Studium am Jazz-Institut in Berlin.

Fünf Perspektive von fünf Musikern

Im sogenannten Waschzettel zum Album lesen wir als Erläuterungen des Albumtitels: „Einerseits als Statement für die Geschlossenheit und die gemeinsame Wandlungsfähigkeit der fünf Musiker stehend, greift er andererseits den letzten Zeilenanfang des Textes „Fünf Perspektiven“ der Sängerin Sabeth Pérez auf, dessen musikalische Bearbeitung und Interpretation das Herzstück dieser Produktion bildet. Eingefasst wird dieser Zyklus von ausgewählten Stücken aus der Anfangszeit des Quintetts, bei denen auch bereits deutlich die besondere Ästhetik ihres lyrischen und fließenden Charakters besticht.“

Mit Meeresglühen begann der musikalische Vortrag

Wer lyrisch angelegten Jazz mochte und zudem Vocals nicht abgeneigt war – in Gestalt von eher Songhaftem wie auch von Scat Vocal –, der bekam von der Band rund um den in Berlin lebenden Saxofonisten Marc Doffey ein musikalisches Kaleidoskop geboten. Aus dem jüngst bei Mons Records erschienenen Album hörten wir zum Konzertbeginn den Song „Sea Glow“, und den Konzertabschluss bildete der Song „Die beschwerliche Reise des Hanghuhns“ (comp. Bertram Burkert). Doch ohne Zugabe ließ das Publikum die fünf jungen Musiker nicht gehen, sodass noch „Reunion“ (comp. Marc Doffey) zu hören war.

Das Projekt Quintett

Neben dem Tenorsaxofonisten und Klarinettisten Marc Doffey gehören der Band die Sängerin Sabeth Pérez, der Gitarrist Bertram Burkert, der Kontrabassist Thomas Kolarczyk und der Drummer Fabian Rösch an. Schon 2009 gewann der gebürtige Beckumer Marc Doffey beim Landeswettbewerb NRW den ersten Preis in der Solistenwertung. Er war Mitglied im Jugendjazzorchester NRW wie auch Jugendjazzorchester des Bundes. Seit 2012 studiert der inzwischen Vierundzwanzigjährige bei dem Saxofonisten Peter Weniger am Jazz-Institut Berlin. Zu erwähnen sind auch die zahlreichen Preise, die die noch recht jungen Musiker bisher erhalten haben: den „Saar Jazzpreis 2015“, den „Jungen Münchener Jazzpreis 2016“ und den „Jungen Deutschen Jazzpreis 2016“. Wie mir Sabeth Pérez in einem kurzen Gespräch nach dem Konzert erzählte, seien die Preisgelder komplett in die Produktion von „Taking Direction“ geflossen!

Moderner Jazz, von lyrisch bis hoch energetisch

Die fünf Musiker nahmen unter einer Kunstinstallation Aufstellung, die aus zahlreichen riesigen Kondensatoren besteht. Energieströme flossen aber wohl nicht. Symbolisch könnte man diese Installation dennoch als Kraftfluss und Kraftzentrum interpretieren, ohne nun gleich von elektrischer Aufladung zu sprechen. Aufgeladen waren die Songs, die das Quintett vorstellt, weit weniger als vielleicht erwartet. Lediglich bei der musikalischen Erzählung über das Hanghuhn, ein Huhn, das am Hang lebt, spürte man eine gewisse Aufgeladenheit, eine dramatische Inszenierung, ein bewegtes Leben eines Huhns, das da den Tag mit Scharren und Picken verbringt, wenn es sich nicht gerade in Deckung begeben muss, weil Sperber, Habicht oder Bussard auf Beutezug unterwegs sind.

Meersglühen und ...

Mit „Sea Glow“, sprich „Meeresglühen“, wurden die sehr zahlreich erschienenen Jazzliebhaber musikalisch empfangen: Lauschte man dem Spiel von Marc Doffey und Bertram Burkert sowie dem Lautgesang von Sabeth Pérez dachte der eine oder andere vielleicht an das Phänomen des Nordlichtes oder an Wetterleuchten über den Wellen. Der Tanz der Glühwürmchen mag sich beim Zuhörer vielleicht auch als Bild eingestellt haben. Der Berichterstatter dachte an den Film „Local Hero“, in dem herausragende Aufnahmen vom Polarlicht zu sehen sind. Zugleich muss man auch an Seestücke denken wie die von Nolde, die Farbmeeren gleichen.

Nach diesem musikalischen Abstecher aufs „Farbenmeer“ hieß es nachfolgend „From the Shelves“, komponiert vom Bassisten der Band. Für jeden Zuhörer im Saal blieb gewiss der weich gezeichnete Gitarrenklang im Ohr. Lyrisch gestimmt waren die Klangschmeicheleien, die zu erleben waren. Hier und da blitzten auch rockige Anmutungen auf, jedoch niemals überbordend. Marc Doffey verwandelte seine Bassklarinette zu seinem Sprachrohr, dem Gehauchtes entsprang. Derweil changierte Sabeth Pérez in ihrem Vortrag zwischen Rezitation und Gesang. Die Stimme war stets auch Teil des Ensembles und den Instrumenten gleichwertig, sprich selbst Instrument. Das war vor allem beim Vortrag von „Shapes & Lights“ der Fall, einem Song, der sich nahtlos an die Komposition von Thomas Kolarczyk anschloss. Mit „Day is over“ ging es dann in die Pause.

Die Lichter der Großstadt und ...

Wer einen Blick auf das Cover des Debütalbums wirft, der begreift, dass die Musik des Quintetts eine durch und durch urbane ist. Die Schnelllebigkeit der Großstadt wird mit den Lichtern der dahinrasenden Autos eingefangen, die lang gezogene Lichtstränge hinterlassen, wenn man die nächtlichen Autofahrten im Zeitraffer einfängt. Diese Lichtbahnen machen auf dem Cover Kurven und kreuzen sich, wie sich eben auch Lebensformen in der Stadt begegnen und kreuzen. Dieses Urbane fing das Quintett in „Shades of the night and cities of light“ punktgenau ein.

Diese Komposition stammt im Übrigen aus der Feder von Sabeth Pérez. Zum tiefen Klarinettenklang vernahm man unter anderem „Shades of the day fading away ...“ Stimme und Klarinette vereinten sich auch im Weiteren, sich dabei auf zwei parallel verlaufenden Linien bewegend. Irgendwie schienen uns die Musiker auf eine nächtliche Spazierfahrt durch fast menschenleere Straßen mitzunehmen. Man vernahm vereinzelte schwere Schritte, die in schmalen Gassen verhallten. Eine Hauseingangstür hörte man schwer in den Rahmen fallen. Alles schien bedächtig dahinzufließen. Man sah bildlich Lichter hinter Gardinen flackern, hier und da auch mal wieder erlöschen. Und endlich war der Nachtschlaf angesagt. Zart strichen Schlägel übers Blech und es klang, als würde aus der Ferne eine verstimmte Turmuhr wahrnehmbar. Eine meditative Stimmung machte sich im Ausstellungssaal mehr und mehr breit, während wir dem Verlauf der Komposition folgten. Sehr gelungen schien mir dabei das eingestreute lange Basssolo. Überhaupt gaben sich die Mitglieder des Quintetts nicht nur bei diesem Song stets Raum, um sich musikalisch zu entfalten.

Anschließend folgten wir „Fabians Blick“ im Sinne von Sichtweise bzw. Perspektive, als die Band sich der Komposition von Fabian Rösch namens „Fabian's View“ annahm. In diesem Stück war der Berichterstatter wiederholt an diesem Abend auf das feine Saitenspiel des Gitarristen Bertram Burkert fokussiert, ohne gänzlich die übrigen Mitglieder des Quintetts aus dem Blick zu verlieren. Es sei jedoch an dieser Stelle hervorgehoben, dass in vielen Phasen des Vortrags die Hör- und Klangfarben vom Gitarristen bestimmt waren, oder? Dabei überzeugte die eigene Handschrift von Bertram Burkert, der eben nicht meinte, in die Fußstapfen von Wes Montgomery, Joe Pass oder John McLaughlin treten zu müssen. Dass ihn diese Giganten des Jazz beeinflusst haben könnten, unterstellt der Berichterstatter dennoch. Niemand, der heute Jazz macht, kann sich von der Geschichte des Jazz freimachen. Niemand ist ein weißes Blatt, wenn er heute als junger Musiker Jazz komponiert und arrangiert. Das muss man wissen, aber zugleich kommt es ja immer auf das Wie an!

Die beschwerliche Reise eines Hanghuhns

Schon mal der Titel des Songs macht stutzig. Was ist denn ein Hanghuhn und wieso begibt es sich, wie es im Songtitel heißt, auf eine beschwerliche Reise? Mit einem sehr schönen Klanggemisch mit Scat Vocal, sprich der Stimme von Sabeth Pérez, Gitarrenschmeicheleien von Bertram Burkert und mit der Verspieltheit des Atemrohrs, die sich an Sabeth Pérez Stimmlage anlehnte und zugleich auch deren Scat Vocal kommentierte, begann der Vortrag, der sich im weiteren Verlauf noch dramatisch zuspitzen sollte. Gitarre und Saxofon waren nachfolgend dann mit dem Schlagwerk verbandelt und folgten ihren eigenwilligen Klangeskapaden. Irgendwann schien sich das beschauliche Leben eines Freilandhuhns aber dramatisch verändert zu haben, wie man dem Timing entnehmen konnte. Man konnte sich des Bilds eines flüchtenden Huhns nicht entziehen, über dem sich der drohende Schatten eines Greifvogels abzeichnete. Irgendwann schien auch Schluss mit ausgelassenem Scharren und Picken, mit dem Genuss von fetten Regenwürmern, zu sein. Auch das Leben des Hanghuhns schien Schattenseiten zu haben.

Schließlich gab es noch eine Zugabe, die sogleich auch das Credo der Band widerspiegelt: „Reunion“. Im Gespräch mit den Bandmitgliedern nach dem Konzert betonten alle, dass die Band als etwas Gemeinsames verstanden wird und nicht als Selbstdarstellung jedes einzelnen Musikers. Das war während des Abends überaus deutlich zu spüren.

Ausblick

Es ist zu hoffen, dass im Westfälischen Kunstverein auch weiterhin derartige Konzerte stattfinden. Münster und die Region brauchen dringend solche Spielorte, wie eben auch das cuba Black Box oder die Reihe JazzLuck im Museum für Lackkunst. Wenn auch das Internationale Jazzfestival alle zwei Jahre dem Jazz eine überregionale Bühne gibt, braucht der Jazz mehr als nur eine solche temporäre Nische, denn schließlich ist es Musik der Gegenwart, die es zu präsentieren gilt, will sie nicht im Elitären verharren. Darum: Let's jazz it!

Fotos und text © ferdinand dupuis-panther (21.1.2017)

Informationen

Westfälischer Kunstverein
http://www.westfaelischer-kunstverein.de/home/

Musiker
Marc Doffey
http://www.marcdoffey.com/

CD Review
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/m/marc-doffey-quintett-taking-direction/

Tourdaten 'Marc Doffey Quintett: Taking Direction' im Februar 2017:

16.02.  |  Hamburg  |  Elbphilharmonie Kulturcafé
17.02.  |  Mönchengladbach  |  BIS - Zentrum für offene Kulturarbeit
18.02.  |  Jena  |  Jazzclub International  |  Spielstätte Neue Weintanne
19.02.  |  Augsburg  |  Jazzclub
20.02.  |  Weimar  |  CKeller


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