Für seine jährlich wiederkehrende Weihnachtskonzertserie – und das bei aktuell Vorfrühlingstemperaturen – konnte Stefan Bauer dieses Jahr den hervorragenden isländischen Saxofonisten Sigurður Flosason gewinnen. Diese beiden Musiker kennen sich von einigen Konzerten in Kanada, bei denen sie merkten, dass sie als Ensemble-orientierte, komponierende und stilistisch weit gefächerte Musiker gemeinsame Interessen verfolgen. Flosason verbindet in seinem Spiel Tradition und Moderne miteinander, durchaus mit einer gewissen nordischen Kühle, eher unaufgeregt, aber mit dem Sinn für feine Phrasierungen und das Narrative der Musik. Der in New York lebende Stefan Bauer – gebürtig aus Recklinghausen – gehört international zu den besten Vibrafonisten. Mit einer sensiblen Mischung aus zupackendem Drive und feinen Tönen geben der nahe Ahaus beheimatete Bassist Uli Wentzlaff-Eggebert und der Drummer und Perkussionist Yonga Sun, aus Leverkusen stammend und nun nahe Enschede lebend, dem Quartett eine besondere Note. Dabei verrät der Name des Mannes an Bass und Hi-Hat auch seine koreanischen Wurzeln. Die Suche nach der Melodie steht bei aller Improvisation im Blickpunkt des Quartetts, dessen Klangfarbe nicht allein durch das Altsaxofon Flosasons geprägt wird, sondern auch durch das Marimba- und das Vibrafon. Weiche schwebende Klangwellen wechseln sich dabei mit eher metallisch klingendn ab, die wenig Nachhall verbreiten.
Für Warendorfer Verhältnisse war das Dachtheater am Konzertabend überaus gut besucht. Kein Wunder, denn die vier Musiker, die aus meiner Sicht an Modern Jazz anknüpfen, versprachen Jazz jenseits von anstrengender Kopflastigkeit. Das beinhaltete aber nicht, dass die präsentierten Kompositionen ein melodisches Allerlei darstellten. Zuhören war schon angesagt, und das taten die Anwesenden auch mit voller Konzentration. Dicht gedrängt standen die vier Vollblut-Jazzer auf der eher zu kleinen Bühne, vor allem weil Stefan Bauer nicht nur sein Vibrafon, sondern auch sein Marimbafon mitgebracht hatte. Nach einem kurzen Stimmen begann das Konzert ohne Vorrede. Bei den ersten Takten dachte man an einen geruhsamen Nachmittag, im weiteren Verlauf auch hier und da an „Summertime and the livin' is easy“. Sigudur Flosason agierte dabei als Frontmann, ohne jedoch gleich in die Rolle der Rampensau zu schlüpfen.
In mir und allein
Ingesamt strahlte das erste Stück, eine Komposition des Altsaxofonisten aus Reykjavík, Ruhe und Gelassenheit aus. „By myself, all alone“ schien dabei die Ich-Bezogenheit eines Musikers zu unterstreichen, der häufig unterwegs ist, der kaum, da er angekommen ist, bereits die Koffer gepackt hat, um den nächsten Gig zu spielen. Mithin schien sich hinter der Komposition auch das Nachdenken über das eigene moderne Nomadenleben zu verbergen. Die Reflexion über das Ich spiegelte sich m. E. auch im Spiel des Schlagzeugers Yonga Sun wieder, der nicht nervös-gestisch agierte, sondern sehr behutsam und bedacht. Besen tätschelten die Felle der Trommeln und strichen sacht über das Messing. Derweil unterlegte Stefan Bauer das zeitweilig eher unterkühlte Spiel von Sigudur Flosason mit schwebend erscheinenden Klangwolken, die sich nach und nach dramatisch zusammenballten. Das geschah in dem Maße, in dem Sigudur Flosason ein zunehmend energetisches Spiel an den Tag legte. Lauschte man dem Vibrafon, so konnte man gut und gern auch an Beach-Vergnügen denken, an Strandburgenbau und an Badespaß. Oder cruisten da nicht bei schönstem Wetter schnittige Straßenkreuzer auf der Avenue? Wie bereits zuvor angedeutet, verkopftes Spiel schien an diesem Abend nicht angesagt.
Die Phrasierungen von Sigudur Flosason nahm Stefan Bauer auf und entwickelte sie dynamisch weiter. Milt Jackson schien dabei im Geiste im Dachtheater zugegen zu sein, wenn dieser Vergleich zwischen dem Spielansatz von Stefan Bauer und dem „Kopf“ des Modern Jazz 4tet erlaubt ist. Im weiteren Verlauf sorgte dann der Mann am Schlagwerk für gehörigen Drive, während der Mann an dem tieftönigen Viersaitigen in sich und seinem Instrumente ruhte. Über all dem breiteten sich die sich überschlagenden Tonfolgen aus, die Stefan Bauer seinem Vibrafon entlockte. Stets wartete man auf ein Crescendo. Doch das blieb aus, sieht man von einem Schlagzeugintermezzo einmal ab. Zum Schluss ergriff Sigudur Flosason wiederum das Wort und ließ seine „Altstimme“ erneut das Thema „singen“.
Fasziniert von der Flora Afrikas, vor allem in Kenia, komponierte Stefan Bauer „Jacaranda“. Als er den Titel ankündigte, bekannte er, dass er eigentlich von Botanik nichts verstehe, aber von diesem Baum überaus fasziniert gewesen sei. Statt am Vibrafon stand Stefan Bauer an seinem Marimbafon, auf das er seine Schlägel niedersausen ließ. Dabei erschienen die Klangpassagen so, als würde irgendwo Wasser glucksen und sprudeln. Erinnerungen an das Spiel afrikanischer Balafon-Spieler drängten sich beim Zuhören auf, jedenfalls in Bezug auf die Klangfarbe und die Rhythmen. Während des Stücks wechselte Bauer dann ans Vibrafon und vermittelte den Eindruck eines erfrischenden Regenschauers mit dicken niedergehenden Tropfen. Tiefenentspannt wirkte die Art und Weise, wie das Altsaxofon uns musikalisch umgarnte.
Die Schafszählung
Umzingelt von jungen Männern – so die Worte von Stefan Bauer – setzte der gebürtige Recklinghäuser sein „Vorweihnachtskonzert“ in Warendorf mit einer Komposition namens „Counting Sheep“ fort. Bauer merkte dabei an, dass dies wahrscheinlich eine Lieblingsbeschäftigung im „Eisland“ sei, woher der Komponist, Altflötist und Altsaxofonist Sigudur Flosason stammt. Waren wir durch den Titel fehlgeleitet, wenn wir meinten, das Marimbafon würde anfangen zu zählen: 1,2,3 und 4,5,6 und 7,8,9? Über die Zählbemühungen glitten die sanften Passagen des Altsaxofons hinweg, und Yonga Sun hatte quirlig seine Besen im Einsatz. Liefen da nicht auch die Schafe kreuz und quer und entzogen sich dem Erfassen? Man konnte es meinen, folgte man dem virtuosen Spielzug von Stefan Bauer. Kurz waren die „musikalischen Absätze“, so als sollte damit signalisiert werden, man habe sich nun schon wieder verzählt. Die musikalische Inszenierung brauchte dann noch einen Höhepunkt. Dieser wurde von Yonga Sun verantwortet, der sich an seiner „Schießbude“ überaus engagiert ins Zeug legte. Ein Ohrenschmaus war das anschließende „Duett“ von Bass und Schlagzeug, ehe das „Atemrohr“ des Herrn Sax zum Einsatz kam. Das Ende der Schafsinventur gehörte dann dem Schlagzeuger des 4tet, der auf die Trommelfelle hämmerte und seine Basstrommel wummern ließ.
Ein Grubenunglück in Nova Scotia – Stefan Bauer hatte eine Zeit in Kanada gelebt – war Anlass für eine sehr balladenhaft angelegte Komposition. Ein weitgehend hochtönig gestimmter Tieftöner eröffnete das Stück. Gedämpfte Holzstabklänge verblieben im Hintergrund, ebenso das nervöse Gerassel von Yonga Sun. Irgendwie tragisch klang das, was Sigudur Flosason seinem Saxofon abforderte. Eine Kette mit exotischen Samenkapseln kam auch zum Einsatz und obendrein viel Blech – dank sei Yonga Sun. Die eher melancholische Grundstimmung der Komposition unterstrich schlussendlich auch der gestrichene Bass. Zum Abschluss des ersten Sets nahm uns das Quartett noch auf eine Fahrt quer durch Kanada mit: „Coast to Coast“. Wer dabei an Blizzards und an rasante Abfahrten im Tiefschnee an den Hängen der Rocky Mountains dachte, schien in den richtigen (musikalischen) Zug eingestiegen zu sein.
Wohin auch immer
Nach der Pause eröffnete die Komposition „Where the road leads“ den zweiten Teil des Konzerts. Wie auch in anderen Ländern Skandinaviens gibt es auch in Island ein unverkrampftes Verhältnis zur Volksmusik. Sigudur Flosason stellte uns im Anschluss seine Bearbeitung der Volksweise „Man Eg Pig Mey“ vor. Wer schwedische Polka oder gar finnischen Tango erwartete, der lag völlig falsch, denn Island als europäischer Außenposten im Atlantik hat eben eine ganz andere Musiktradition, von der Sprache mal ganz abgesehen. Ein hochgestimmter Bass und ein tonal perlendes Marimbafon vereinten sich zum Spiel. Dazu gesellte sich mit Sinn für das Getragene das Altsaxofon. Der Drummer schwieg in diesem Moment. Schmerz, Leid, Anklage – das schien sich für einen Augenblick zu bündeln. Überaus ansprechend und mitreißend war das Zusammenspiel zwischen Marimbafon und Saxofon.
An diesem Abend im Dachtheater war auch eine Komposition zu hören, die Stefan Bauer seinem verstorbenen Vater gewidmet hat. Nein, choralhaft war sie nicht angelegt. Auch von einem Requiem konnte man nicht reden. Im Gegenteil: Man vermeinte ab und an, südamerikanische Rhythmen und Klangfarben zu hören. Nachfolgend konfrontierte uns Stefan Bauer mit einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. Geschrieben hatte er die Musik während des Jugoslawienkrieges, der so nah und doch sogleich so fern für ihn war. Zum Ausklang und als Zugabe durften die Zuhörer zwar nicht auf den A-Train springen, aber dennoch eine sehr swingende Nummer von Duke Ellington mit nach Hause nehmen: „Angelica“ bildete den Abschluss eines Konzerts, das sicherlich zu einem der besten Warendorfer Jazzkonzerte der letzten Jahre zu zählen ist.
Fotos und Text: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Musiker
Stefan Bauer - Vibrafon
http://www.stefanbauer.net
Sigurður Flosason - Altsaxofon
http://www.sigurdurflosason.com
Uli Wentzlaff-Eggebert – Bass
http://uliwentzlaff.com/Site/Home.html
http://uliwentzlaff.com/Site/Videoclips.html
Yonga Sun - Schlagzeug, Perkussion
http://yongasun.com/
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