Lisa Stick Septett im Bunker Ulmenwall, Bielefeld, 01. Sept. 2018

„Selten erlebt man eine junge Band, die einen derart gefangen nimmt – eine der ganz großen Entdeckungen auf dem Hamburger „Überjazz“ Festival 2017.“ So hieß es in der Ankündigung zum Konzert. So durfte man gespannt sein, was passiert, wenn Streicher auf ein Horn stoßen.


Das Ensemble, das die Posaunistin Lisa Stick – sie ist auch für die Kompositionen zuständig – zusammengestellt hat, bestand anders als im Vorwege angekündigt aus einem „Streicherensemble“ mit den beiden Geigerinnen Vera Schmidt und Gillian Maggoutas. Dazu kamen an der Bratsche Audrey Bashore und am Cello Constantin Pritz. Die „Rhythmusgruppe“ formten am Kontrabass Christian Müller und am Schlagzeug Dirk Achim Dhonau.

Nochmals zur Konzertankündigung, in der es hieß: „Lisa Stick bezaubert mit samtweichem Ton auf der Posaune, ihre Musik entzieht sich mit unverhohlener Lyrik jeder Schublade, ohne ins allzu Schwärmerische abzugleiten. Dafür sorgen die gewitzten Arrangements, die an der Seite wunderschöner Melodien eine Handvoll Streicher geschickt ins Spiel bringen und ein immer wieder ansteckender Groove ...“.


„Leise“, „still“, „geräuschlos“ - so betitelt Lisa Stick das Eröffnungsstück des Abends, allerdings auf Schwedisch: „Tyst“. Warum? Umging die Komponistin und Posaunistin dadurch die vorschnelle und mit Klischees versehenen Annahmen zum Stück und dessen Duktus? Wer den „Tyst“ hörte, muss ja über den Inhalt rätseln, hätte es nicht eine entsprechende Erklärung gegeben. Übrigens, auch das nachfolgende Stück „flüchtete“ sich ins Fremdsprachliche: „Une Rue“.

Doch erst einmal alles auf Anfang: Posaune traf auf Streicher, Cello begegnete Kontrabass, gezupfte Klangkörper trafen auf einen gestrichenen, zwei Geigen vereinten sich mit einer Bratsche. Das Schlagzeug entpuppte sich als Energiemaschine, nervös, umtriebig, wirbelig, antreibend, unruhig, stetig im Fluss.


Angesichts des Titels des ersten Stücks hätte man nicht nur ein Flirren und Schwirren, strichweise Atmung durchs Posaunenrohr, sanfte Beckenberührung und leicht gestrichene Saiten erwartet, sondern absolutes Pianissimo. Es ging ja um Stille und Geräuschlosigkeit. Doch Musik ist Ton, ist Geräusch mit jeder tonalen Faser. Also gab es vielfältige Geräusche, denen man lauschte. Gongschlag drang ans Ohr. Rasseln standen im Fokus. Einen Ticktick-Schlag gab‘s auf Becken und Felle. Interagierend war die Stimme von Dirk Achim Dhonau, der sich auf den Posaunengesang einließ, gleichsam als zweite bzw. erste Stimme agierte. Mehrklang, melodisch und sehr elegisch, beinahe schon schwermütig, vernahm man als Zuhörer. Immer aber war da Geräuschvolles, ein Rauschen, ein tonaler Fluss.


Die Impression einer Straße bündelte sich nachfolgend in „Une Rue“. Dabei wurde das Cello zart gezupft; hörte man Dingdong und einen rhythmischen Trab. Hier und da meinte man, sonore Klangformen des Orients präsentiert zu bekommen. Gedämpfter Posaunenstrom überlagerte Saitenrinnsale. Die Posaune, gespielt von Lisa Stick, bahnte sich ihren Weg, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Das verhinderte auch nicht das „provokante Schlagwerkspiel“ von Dirk Achim Dhonau, der an Becken und Fellen ein Vorwärts, ein Aufbäumen, eine sich entwickelnde Beweglichkeit zu fordern schien. Stille Wasser schienen bildlich gestaltet zu werden, als sich Posaune und Streicher vereinten, wenn auch mit allerlei Farbklängen vor den Augen des Publikums mehr und mehr ein orientalischer Basar und der Serail entstand. Neoromantik schien auf türkische Kunstmusik zu stoßen.

Melancholie verströmte die nachfolgende Komposition. Und das sollte nicht das einzige Stück des Abends sein, das klanglich ausgewiesene Melodramatik bearbeitete. Grieg und Sibelius schienen sich dabei in ihren Werkideen zu vereinen. Schwermut lag in der Luft, ebenso auch Lebensschmerz und Verzweiflung. Der Symbolismus in der Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts schien einen Niederschlag in der vorgetragenen Musik gefunden zu haben. Beim Verfolgen der Musik musste man an Einsamkeit und Entfremdung denken, weniger an Lebenslust. Dabei wurde schnell übersehen, dass es auch Momente des Losgelöstseins gab, so als das Cello zum Solo ansetzte. Welttheater wurde vor den Augen der Zuhörer inszeniert, mit mehr Tiefen als Höhen, mit deutlich mehr Herzschmerz als ein Sorgenfrei.


Im weiteren Verlauf des Konzerts gab es neben den melodramatischen Passagen auch solche, die eher dem freien Spiel und dem Free Jazz zuzuordnen waren. Gebundenes löste sich auf. Teilweise staunte man über das eine oder andere Kapitel „Geräuschmusik“ mit Knarren und Knarzen, mit Schaben und Beckenwurf, mit Gemurmel und Gebrumme. Rede und Widerrede waren zu vernehmen. Unstetigkeit wurde herausgestellt. Gab es da nicht auch Momente, die an einen Trauermarsch denken ließen? Entäußerungen waren nur für Bruchteile wahrzunehmen. Streicher und Posaune loteten immer wieder die Balance aus, ließen sich wechselseitig Raum oder schwiegen.

Mit „Happy Saturday Sadness“ ging es in die Pause. Allein der Titel der Komposition sprach Bände, verdeutlichte den Spagat, den das Septett zu vollführen imstande war, hier Fröhlichkeit, dort Bitterkeit. In diesem Spannungsfeld bewegte sich das Ensemble auch im zweiten Konzertteil. Zarte  Klangfelder stießen dabei hier und da auf durchaus rockig anmutende Passagen, die Dirk Achim Dhonaus schlagfertig umsetzte. Derweil setzten die übrigen Mitglieder des Ensembles Trittsteine, über die es zu laufen galt.


Insgesamt verstärkte sich während des gesamten Abends der Eindruck, dass vor allem das Melodramatische durch das Ensemble zur Sprache gebracht wurde, auch bei dem Stück „Diebesgut“. Das erhielt den Titel, so Lisa Stick, weil die Melodie eigentlich von dem Hamburger Saxofonisten Gabriel Coburger stammt. So jedenfalls meinte es Lisa Stick, die Coburger ihre Komposition vorstellte. Der jedoch konnte kein Plagiat ausmachen und seither spiele man „Diebesgut“ mit gutem Gewissen, wie die Bandleaderin und Posaunistin verriet.

Zur fortgeschrittenen Stunde kam auch ein aus meiner Sicht überlanges Stück zum Vortrag, das aus der Feder von Constantin Pritz stammt. Es schien endlos zu sein und immer wenn man dachte, das Ende der Komposition sei gekommen, dann begann sie von Neuem. Irgendwie verbarg sich in diesem Stück eine Art Rahmenhandlung, die so meine Interpretation dem Abschied und dem Abschiedsschmerz gewidmet war.


Abgesehen von wenigen Momenten schien die Farbpalette, mit denen die Kompositionen „gemalt“ wurden, aus Grautönen und Schwarz zu bestehen. Ein feuriges Rot und ein explosives Gelb fehlten weitgehend. Wie schon oben kurz angesprochen, schien eine nordische Melancholie ganz und gar  im Vordergrund zu stehen. Aufhellungen gab es, aber der Grundduktus der Kompositionen war schon sehr erdig.

Text unf Fotos: © ferdinand dupuis-panther. Photos and review is not Public Commons!


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