Eine intime Besetzung erwartete diejenigen, die ihren Weg in die Tonhalle gefunden hatten. Zu hören waren Romy Herzberg am Kontrabass und Christina Fuchs am Sopransaxofon und an den Klarinetten. Im Vorwege des Konzerts lasen wir Nachstehendes: „Christina Fuchs und Romy Herzberg beeindrucken mit ihrem musikalischen Farbenspektrum, ihrer spannenden Vernetzung frei improvisierter Strecken mit vorstrukturierten Elementen, dem Wechselspiel von Meditation und Perkussion und vor allem ihrem unbedingten Aufeinanderhören, der Grundvoraussetzung für jede musikalisch-kommunikative Dialektik.“
Die Kritik geizte nicht mit lobenden Worten und auch nicht mit Vergleichen. So war davon zu lesen, dass die Musik von KontraSax nach dunkler Schokolade schmecke. Das Jazzpodium urteilte: „…gehört zum Bemerkenswertesten, was die Improvisierte Musik zur Zeit zu bieten hat.“ Und das Magazin Jazzthing fand folgende Worte: „Eine klangfarbenprächtige, ausdrucksstarke, hochindividuelle und emphatische Kammermusik zwischen Emotion und Intellekt, zwischen Komponiertem und Improvisiertem.“ Nun gut, lassen wir dies einmal unkommentiert so stehen.
Im eingestreuten „Werbeblock“ des Abends ließen es sich die beiden Musikerinnen nicht nehmen auf ihre sechs bisher erschienenen Alben hinzuweisen und zudem darauf, dass das Konzert im Zeichen der Kunst des Reisens stehe. Dank einer der CDs, so Romy Herzberg, kann man sich nach dem Konzertende nochmals auf eine solche Reise begeben, die uns im März 2023 von Hannover aus nicht nur nach Wien, sondern auch nach „Africa“ und nach“Ramallah Park“ führte. Dazu im Weiteren mehr.
Ohne Frage, Christina Fuchs und Romy Herzberg sind ein eingespieltes Duo auf Augenhöhe. Schon mehr als drei Jahrzehnte machen die beiden in Köln beheimateten Musikerinnen gemeinsam Musik. Dabei wechselten am Konzertabend thematische Bausteine mit Improvisationen. Und auch bei den Solopartien gab es keine Dominanz der einen über die andere, sondern das Duo als sehr intime Einheit hatte jeweils gleich viele Anteile an dem Schaffen eines Ganzen. Gewiss, eingefleischte Jazzliebhaber wollen Musik erleben. Doch eingestreute Hintergrundinformationen über die Entstehung der einzelnen Kompositionen trugen zum Verständnis der Musik bei, getreu dem Motto: „Man hört nur, was man weiß.“. So ließen es sich Christina Fuchs und Romy Herzberg auch nicht nehmen, auf den Entstehungsprozess von Stücken kurz und prägnant einzugehen. Das galt auch für das Eröffnungsstück des Abends: „Suite-Kontrabass oder Die Kunst des Reisens“.
Und neben dem Hörgenuss ließ uns die Kontrabassistin des Duos wissen, wie es ist, einer Einladung nach Wien zu folgen und mit einem Kontrabass zu reisen. Als eine solche Reise anstand, war es gang und gäbe, die Reise bei einem Reisebüro zu buchen. Die zwei Musikerinnen von Köln nach Wien per Flugzeug zu bringen, schien kein Problem. Sogar einen Rabatt sollte es geben. Doch es gab einen Problemfall: der Kontrabass. Für den Tieftöner sollte ein Ticket ohne Nachlass gebucht werden. Kurz und gut, aus der Flugreise wurde eine Zugreise. Irgendwie war das mit dem Kontrabass leichter zu bewerkstelligen und insgesamt auch weniger kostspielig. Zudem durfte der Kontrabass mit im Schlafwagen 1. Klasse reisen. Nachhaltig war das auf alle Fälle, auch wenn man erst heute darüber so viel redet.
Mit diesen Kurzinformationen im Kopf folgten die Anwesenden – es hätten gerne noch mehr Hörer in der Tonhalle sein können – der musikalisch verarbeiteten Kunst des Reisens. Schnalzlaute vereinten sich mit Tihtihtih. Basstöne glitten dahin. Gestrichen wurden die Basssaiten. Sequenzen, die die Sopran-Saxofonistin vortrug, schienen einen orientalischen Beiklang zu haben. Schwirrende Saxofonklänge trafen im Nachgang auf den gezupften Bass. Über den Hals des Tieftöners streiften die Finger von Romy Herzberg. Ab und an meinte man, Gewisper und Gemurmeln wahrzunehmen. Und schließlich wandelte sich der Holzbläser zu einer Windmaschine, durch die die Saxofonistin ihre Atemluft streichen ließ. Dialogische Verbindungen gingen die beiden Musikerinnen auch in „Radio Days“ miteinander ein, jede in der Lage ihres Instruments. Höhen trafen auf Tiefen. Stufige Klangformen verbanden sich mit Umspielungen in Höhenlagen. Doch auch die Altstimme, sehr nahe der menschlichen Stimme, schien durch Christina Fuchs bedient zu werden. Dabei kam das Bild von dahinfliegenden Tonfolgen auf, die wie Schneeflocken anmuteten, mit denen der Wind spielt.
In den Fluss („Flow“) brachte uns Christina Fuchs mit ihrer Bassklarinette, die sie bei diesem Stück zum Klingen brachte. Zwei Tieftöner vereinten sich teilweise in einem „Unisono“. Das Melodische wurde forciert und angestrebt. Liedhaftes meinte man dechiffrieren zu können. Zudem drängte sich der Eindruck auf, man lausche einem Tanz und dessen Leichtigkeit. Deutlich auszumachen, war obendrein ein wiederkehrendes Thema als Grundpfeiler, erweitert um Variationen.
Die Begegnung mit dem französischen Kontrabassisten Renaud Garcia-Fons im Rahmen einer Meisterklasse waren für Christina Fuchs der Anlass „Garcia-Raga“ zu komponieren. Um das Stück zu spielen, präparierte Romy Herzberg ihren Tieftöner und zog ein Stück Papier zwischen die Saiten, unmittelbar oberhalb des Stegs. Die Folge war, dass man als Zuhörer neben dem Bogenstrich, der die Saiten zum Schwingen brachte, auch noch das Knistern und Rascheln des Papiers hören konnte. Ein weiterer und zeitweiliger Höreindruck bezog sich auf das Spiel der beiden Musikerinnen, von denen man denken konnte, sie würden eine Etüde spielen, ganz im Sinne klassisch notierter Musik. Doch dieser Eindruck wurde verwischt, sobald die Klarinette nachdrücklicher ihre Stimme erhob und uns, so die Vorstellung, nach Istanbul und Fez entführte. Zumindest schien zeitweilig arabische Kunstmusik bei dem, was vorgetragen wurde, nicht fern zu sein. Und noch etwas blieb als Eindruck nachhaltig haften, die Linien der Poesie, die sich die Klarinettistin zu eigen machte.
Mit einer Auftragsarbeit für den WDR zum Thema Afrika endete der erste Konzertteil. Dabei war es die Aufgabe, eine filmische Szene mit einem Jungen, der eine nicht temperierte bzw. nicht wohl temperierte Flöte spielte, mit Filmmusik zu belegen. Christina Fuchs gelang es sehr überzeugend, die teilweisen Flötenmissklänge umzusetzen. Zugleich aber löste sie sich von dem Bild des Flötenspielers und erweiterte die tonalen Färbungen ihres Saxofons mithilfe von Zungenschlägen und Lautmalereien. Diese schienen über das Mundstück aus dem Schallrichter zu entweichen, aber vor allem im Mundstück geformt zu werden, ähnlich wie dies auch einst Albert Mangelsdorff an der Posaune tat. So hörte man dann nicht nur Rrrrr und Lalalele und Ähnliches. Überdies erlebte man gleichsam als Kommentierung und als tieftöniges Fundament ein gleichbleibendes Muster der Wiederholungen, dank an Romy Herzberg.
Mit „Welcome/Ramallah Park“ ging es nach der Pause weiter. Der Ursprung des Stück liegt in einer Bildungsreise nach Tel Aviv und Ramallah begründet, die Romy Herzberg einst unternommen hatte. Auch ein Oud-Spieler, der in Ramallah Park aufspielte, stand, so konnten es die Anwesenden erleben, plötzlich mit auf der Bühne, Jedenfalls schien die Bassistin ihren Bass hier und da in eine arabische Laute zu verwandeln. In solistischen Partien von Christina Fuchs bemerkte man, den kontemplativen Charakter des Stücks, aber zugleich eine gewisse Ausgelassenheit, sah Sänger, Gaukler und Tanzende vor dem geistigen Auge.
Die Welt des Kinos wurde zumindest bezüglich des Titels bei „8 ½“ gestreift. Doch wer das mit einem Oscar ausgezeichnete, teilweise surrealistisch anmutende Filmdrama von Federico Fellini aus dem Jahr 1963 nicht gesehen hatte, konnte wohl kaum Verbindungslinien zwischen der gehörten Musik und dem Film herstellen. Auf Reisen begaben wir uns anschließend – also nicht zum ersten Mal an diesem Abend. Die beiden Musikerinnen luden uns ein, den „Nachtzug“ zu besteigen. Dieses Stück wurde mit einem weiteren namens „Geierschnabel“ verschmolzen. Bei den anfänglich an unser Ohr dringenden Bassschritten musste man an die Behäbigkeit eines D-Zugs denken. Säuselnden Wind hörte man, Fahrtwind wohl, derweil die im Dunkel liegende Landschaft an den Reisenden vorbeizieht. Eigentlich sollte „Serpents & Stones“ den Konzertabschluss bilden, doch der anhaltende und herzliche Beifall, führte dazu, dass noch eine Zugabe gespielt wurde, ehe der eindrückliche Abend mit seiner Fokussierung auf Reiseimpressionen ein Ende fand.
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