Vorhang auf für das Trio einer Bandleaderin: Katrin Scherer (Altsaxofon), Benjamin Schaefer (Keyboard) und Christian Thomé (Schlagzeug) – das ist Momentum. Momente, kurzzeitige und langzeitige, sowie Bewegung verspricht das brandneue Trio mit reduzierter Instrumentierung. Die Band, die uns auf eine Improvisationsreise mitnimmt, trägt ohne Frage betreffs des musikalischen Profils die Handschrift von Katrin Scherer. Doch alle Musiker sind an der Live-Präsentation mitbestimmend am musikalischen Geschehen beteiligt und drücken den jeweiligen Kompositionen Katrin Scherers auch ihren eigenen Stempel auf.
Momentum, das bedeutet ein Moment und dessen Ende, also ein Moment ist um, aber es geht auch um den Moment, in dem alles passiert oder passieren kann. Das lässt sich jedenfalls aus den Gesprächen mit den drei Kölner Musiker herausfiltern. Mit „Neon“ beginnt das Programm und mit „Rough Behavior“ findet es seinen gelungen Ausklang in der gut besuchten Black Box im cuba. „Neon“? Was assoziieren wir damit? Grelles Licht? Scheinwerfer? Leuchtreklame? Werbekaskaden in der Großstadt? Lichter der Großstadt? Ja, durchaus von allem etwas. Nur das muss sich ja auch musikalisch realisieren lassen: Ein „plapperndes“ Keyboard – vielleicht symbolisch als geschwätzige Stadtgesellschaft zu begreifen – macht den Anfang, gefolgt von einem getragenen, fast melancholisch gestimmten Altsaxofon, das sich nach und nach aus dem Getragenen löst und sich überaus ereifert und dabei wie das Tosen der Großstadt klingt. Im nächsten Moment ist ein Schnalzen zu vernehmen, dann weiteres Schnalzen, während das Schlagzeug im gleichbleibenden Tonus zu vernehmen ist. Über das Blech der Becken gleiten die Sticks, und die Basstrommel macht sich deutlich bemerkbar.
Dass die Stücke überhaupt einen Namen haben, ist eher ein Zufall. Eigentlich nummeriert Katrin Scherer ihre Kompositionen lieber, wie sie den Zuhörern verriet. Ihr falle es schwer, sich einen Titel auszudenken, so bekennt sie und manchmal müsse sie auch Dritte fragen, wie denn ein Stück heißen solle, so bei „Sold Out“. Das kommt einem Jazzkenner doch sehr bekannt vor, denn auch der Bassist Eberhard Weber tat sich stets mit Titeln schwer, wie er in seiner Autobiografie bekennt, und war dann heilfroh für „Encore“als Titel nur noch die Namen der Städte aufzulisten, in denen er aufgetreten ist.
Nach dem „Großstadtgetöse“ wenden wir uns der „Eclectic Diversity“ zu, wobei Christian Thomé vorzählt, ehe dann die „eklektische Verschiedenheit“ musikalisch ihren Lauf nimmt. Mit Stopp und Go ist das Spiel von Katrin Scherer zu vergleichen. Kurze Passagen, ah ja die kurzzeitigen Momente, werden von kurzen Pausen abgelöst. Danach entfaltet sich ein Klangbild, das im Kern durch das Altsaxofon von Katrin Scherer bestimmt ist. Schließt man die Augen, so meint man, man spaziere am Strand entlang und eine auffrischende Brise komme auf.
Kontrapunktisch wirkt Benjamin Schaefer am Keyboard, während das Altsaxofon irgendwann ins Ostinato zu fallen scheint. Lauscht man den wellenförmigen Läufen des Keyboards, meint man, ein Surfer gleite auf den Wellen dahin und lasse sich vom Wind treiben. Gleichsam wie der Gesang der Sirene hört sich zeitweilig das Saxofon an, das aus dem Off zu kommen scheint. Erklingen da nicht auch Nebelhörner, tiefe und hohe? Stets im Spiel sind auch ein Innehalten und ein Neubeginn, Momente halt, die sich wie Perlen an einer Perlenschnur aneinanderreihen. Mit „Moonraker“ stellt Katrin Scherer eine Komposition vor, die – so die Komponistin – dem besten James-Bond-Film aller Zeiten ein Denkmal setzt. Nach Filmmusik klingt der Titel dann ganz und gar nicht.
Vor allem auch deshalb, weil Katrin Scherer gängige Filmmusik mit ihrem impulsiven Spiel konterkariert. Benjamin Schaefer steuert die tonale Basis bei, über die Katrin Scherer ihre Altsaxofonpassagen gleiten lässt. Zum Schluss des Stücks gibt es noch einige Effekte zu hören. So wird dem Keyboard allerlei eigenwilliger Klang entlockt. Bisweilen denkt man an elektronische Sphärenklänge, wie sie mit „Tubular Bells“ popularisiert wurden. Für das vorletzte Stück vor der Pause mit dem Titel „Hymne“ liegt es in Katrin Scherers Händen, die Einleitung zu spielen, schreiend, laut, wie eine Kindertröte klingend und dann doch ins Melodische überleitend. Die Harmonien werden jedoch gebrochen. Man vernimmt Schreie, Schreie, Schreie, auch Warnrufe und ein sanftes Glockenspiel, ehe Benjamin Schaefer an seinem Tasteninstrument einen warmen Klangteppich im Raum ausbreitet. Christian Thomé hingegen lässt einen Bogen am Glockenspiel entlangstreichen und dann ist die Hymne zu Ende.
Kurzweilig sind die Zwischentöne, die Katrin Schaefer anstimmt, wenn sie sagt: „Ich habe die Musik geschrieben und ich spiele auch ein bisschen Saxofon“, ehe es dann „5.30“ schlägt und damit auf die Pause hingearbeitet wird. Hört man aufmerksam zu – aufmerksam zuhören muss man bei allen Kompositionen Scherers, die durchaus komplex und nicht songhaft angelegt sind –, dann meint man die frühe Stunde zu erahnen, die Weckrufe zum Beginn des Tages bzw. zur Frühschicht. Das, was Katrin Scherer ihrem Saxofon klanglich entlockt, erscheint als die morgendliche Hektik, die Eile, das Hasten, das geschäftige Treiben, obgleich noch der Schlaf in der Kleidung sitzt. Man meint, die Autoreihen vor sich zu sehen, die sich durch die Straßen quälen. Hört man da nicht dank des Keyboards, Absätze auf dem Pflaster klicken oder rast hier jemand rasch die Treppen hinunter? Irgendwie scheint auch Charly Chaplin und „Modern Times“ gegenwärtig zu sein, wenn Christian Thomé sein Schlagwerk „in Betrieb nimmt“.
Der zweite Set des Abends wird mit „September“ eröffnet, obgleich es schon Mai ist und die Temperaturen jedenfalls tagsüber bis 20 Grad steigen. Da denkt man doch gar zu ungern an den Herbst, oder? Doch Katrin Scherer und Band entführt uns noch einmal in die Zeit, wenn die Regenperioden länger werden und sich das Laub verfärbt. Regen gibt es wohl zu hören, folgt man dem Spiel von Benjamin Schaefer am Keyboard. Dicke Tropfen hört man aufs Pflaster platschen, derweil dann Katrin Scherer mit dem Saxofon uns glauben macht, es gehe ein Paar im Regen spazieren. Irgendwann aber klart das Wetter im zweiten Teil des Stücks auf.
Mit der Bemerkung „Wir haben gar nicht so viele Verluste“ schaut Katrin Scherer in die Runde. Dann fügt sie an, dass das gerade gehörte Stück eigentlich nur eine Kompositionsübung gewesen sei und als eine Hommage an Kenny Wheeler“ gedacht ist, den sie seit Jahren sehr schätzt. Einem weiteren Musikerkollegen, nämlich dem Altsaxofonisten Tim Bern, widmet das Trio den Titel „Friction“, der hier und da durchaus nach Straight ahead Jazz klingt. Zudem erinnert dieses Stück in seinen Harmonien an die Musik von George Benson, vor allem wenn Benjamin Schaefer den Tasten seines Keyboards für wenige Momente Funk und Fusion entlockt. „Sold Out“ hingegen kommt anfänglich wie eine Ballade daher, ein Stück, das sich durch ein sehr sensibles Zusammenspiel von Saxofon und Schlagzeug auszeichnet. Man kann vielleicht sogar von einem Dialog sprechen, folgt man dem gemeinsamen Spiel.
Ohne einen Musikerkollegen von Katrin Scherer hätte die Komposition Nr. 10 keinen Titel erhalten, so aber erhielt das Stück den Namen „Slowmo“ wie „Slow Motion“ oder „Slow moments“. Christian Thomé darf diesmal die Einleitung übernehmen mit Tiktik, Tiktik, Tüktüktik und Rrrr, Hiss und Bumbum sowie Damdambum, Hrschhrsch sowie Brrbrr. Dann steigt Katrin Scherer ein, mit einem Ton, einem langen Ton, einem zweiten Ton, lang gehalten, einem dritten, einem vierten und so fort. Die Felle der Trommeln werden gewischt. Bewegung und Stillstand sind ein Charakteristikum des nachfolgenden Spiels. Die Welt der Langsamkeit wird vor den Augen der Zuhörer seziert. Im Laufe des Spiels verflüssigt sich die Zeitlupe.
Rabatz, Rabatz, Rabatz hingegen ist das Motto des letzten Stücks im Programm: „Rough Behavior“. Getöse, Gebrüll, Getrommel und Pausen, Knarzen, Knarren, Luftgeräusche, Blasebalgtöne und dann nach all dem Rabatz eine Phase der Entspannung – das zeichnet das „raue Verhalten“ aus. Doch lange dauert die Entspannung nicht, dann ertönt der Widerstreit zwischen Saxofon und Keyboard. So ist dann Tumult angesagt, wenn auch nur musikalisch, an einem Abend, an dem Jazz der Gegenwart präsentiert wurde, der konzentriertes Zuhören erforderte. Es waren lange Momente mit Momentum, aber dann waren sie auch um, und das anwesende Publikum war hochzufrieden, wie der lange Applaus signalisierte.
Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther
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