Kaffeekonzert von Jin Jim in Billerbeck, 11. Nov. 2018

„Rock- und Fusion-Geister“ auf der Kolvenburg


Novemberregen lag über der Kolvenburg, feiner, ja feinster Regen. Das gefallene Laub war durch und durch durchnässt. Dennoch waren so viele Besucher zum Kaffeekonzert in die Kolvenburg gekommen, dass das Konzert ausverkauft war. Für die Band, so Daniel Manrique Smith, war dieses Konzert eine Premiere, weil man noch nie zu „Kaffee und Kuchen“ aufgespielt hätte.



Nach ihrem Debütalbum namens „Der Anfang“ stellte Jin Jim, bestehend aus Daniel Manrique Smith (C- und Alt- sowie Bassflöte), Johann May (E-Gitarre), Ben Tai Trawinski (Bass) und Nico Stallmann (Schlagzeug) in Billerbeck vor allem das zweite, bei ACT herausgebrachte Album „Weisse Schatten“ vor, furios, explosiv, kein bisschen leise, und wenn dann nur als Intermezzo, kraftvoll, vulkanisch, feurig und Crossover sowie Fusion von heute.

Das Quartett löste sich während des Konzerts aus dem „monolithischenBlock“, ermöglichte Raum für solistische Einlagen, auch des Drummers, stellte Duos und Trios heraus, ließ den Flötisten Daniel Manrique Smith auch mal nicht C-Flöte spielen, sondern schweigen. Dass ein Bassist nicht unbedingt introvertiert ist, unterstrich Ben Tai Trawinski über weite Strecken an seinem Tieftöner, den er gleichsam „umtänzelte“, ihn mit dem Bogen strich und auch schlug, wenn er ihn auch meistens zupfte, auch in den höheren Lagen, dabei die Hände über die Saitenabschnitten des voluminösen Korpus legend.


Nonverbale Kommunikation – Blicke, kurzes Zunicken, Aufreißen der Augen, Grinsen, Lachen – begleitete das Konzert, ließ scheinbare musikalische Brüche und auch „falsche Enden“ zu, die das Publikum ein wenig verwirrten. Apropos Publikum: Zwischenbeifall und lautstarke Bekundungen waren an der Tagesordnung. Der Schlussbeifall war enthusiastisch. Keine Frage, dass da eine Zugabe erfolgen musste. Jin Jim ließ sich nicht lange bitten und beendete mit „7x7x7“ den Nachmittag. Da war es dann draußen schon spätherbstlich dunkel.

Das Programm bestand auch aus zwei Kompositionen des Debütalbums, so auch der Eröffnungstitel „Qiero todo“ - „Ich will alles!“, Wie auch andere Songs des Programms stammt dieser aus der Feder des Bassisten Ben Tai Trawinski; man denke an „Mankafiza“, entstanden nach einem Konzertaufenthalt in Madagaskar.


Wer träumt nicht. Jazzmusiker, so er, Ben Tai Trawinski, träumten davon, als Musiker erfolgreich zu sein und von der Musik leben zu können, träumt von Konzerttourneen und davon die Welt zu sehen. Einiges, so der Bassist von Jin Jim, habe sich schon erfüllt. So sei man unlängst auf Einladung des Goethe-Instituts im Sudan gewesen und werde demnächst nach Chile reisen, um dort zu spielen. „Dreaming“ bündelt all diese Träume musikalisch. Keine Frage, auch dieser Song stand auf dem Kaffeekonzertprogramm in Billerbeck! Mit „House of the King“ verneigte sich die Band vor dem niederländischen Jazzer Jan Akkerman. Das war auch die einzige Komposition, die nicht der Feder eines Bandmitglieds entstammt.


Ich will alles

Los ging es gleich mit einem Paukenschlag. Die Grundfeste der mittelalterlichen Burganlage gerieten ein wenig ins Beben. Rockiges füllte den Raum, aber auch lyrischer Wohlklang war bei „Ich will alles!“ zu vernehmen. Die Tiefen des Basses standen zeitweilig im Fokus. Bleche schwirrten, Felle tanzten, mal lauter, mal leiser. Bisweilen schien man mit der Musik ins Unbekannte zu enteilen. Auch ein sogenanntes fake ending erlebte das Publikum. Der legendäre Count Basie war ein Meister darin, aber auch Jin Jim wussten diesen dramaturgischen Trick zu nutzen.


Dank des elektronischen „Zauberkästleins“ zu Füßen des Gitarristen Johann May verwandelte sich seine Melodiegitarre zeitweilig in eine Orgel. Oder war es nicht doch eher der Klang eines Harmoniums, den wir bei „House of King“ hörten? Basslastige Linien breiteten sich aus. Dazu vernahm man das geflötete Pftt-Pftt, dank sei Daniel Manrique Smith. Er brachte uns auf seiner C-Flöte die richtigen Flötentöne jenseits von Ian Anderson aka Jethro Tull bei, hauchte und sang auch in das „Mundstück“ seines Instruments.


Flirrende Stimmen füllten den Burgsaal, derweil der Bassist mit dem Bogen auf die tieftönigen Saiten schlug. Dramatik wurde aufgebaut und zelebriert, auch im Wechsel von laut und leise. Weichzeichnungen waren dabei dem Gitarristen Johann May zu verdanken. Für nachhaltige Beats und rhythmische Einschnitte sorge Nico Stallmann, auch an den Blechen und Hi-Hat. Selbst die kleine Bassdrum, die er aufgebaut hatte, meldete sich lautstark und durchschlagend zuWort.


Nicht nur Tage im September

„Days of September“ – die Klangfarben ließen eher an November und Dezember, also an winterliche Last, an knisterndes Kaminfeuer und an frühe Abende denken, zeitweilig aber auch an herbstliches Laubrascheln – rückte den Gitarristen Johann May in den Fokus, der seine Melodiegitarre jaulen und heulen ließ, so wie man das von den Heroen des Rhythm ‘n Blues her kennt. Sturmgetöse drängte sich als Bild auf. Auf- und niedersteigende Drachen am grauen Himmel konnte man sich beim Zuhören vielleicht bildhaft vorstellen.


In welcher Weise ein Quartett Räume eröffnet, um die einzelnen musikalischen Elemente zu fragmentieren und zusammenzufügen, unterstrich „Die Ankunft des Kaisers“ (comp. Nico Stallmann), ein Titel, der wohl einen pompösen Einzug eines Herrschers mit Gefolge umreißt. Man denke an derartige triumphale Auftritte Kaiser Karl V., der mit seinem Hofstaat im habsburgischen Reich unterwegs war, um die Huldigungen seiner Untertanen zu empfangen.

Bei der Eröffnung des Stücks durch den Flötisten der Band meinte man, man sei in einem höfischen Barockkonzert, so klassisch waren die Anmutungen. War dann aber nicht auch ein wenig Beat Box angesagt? Klangwirrwarr folgte, ehe dann erneut klassische Fahrwasser angesteuert wurden. Im Crossover vermischten sich die Klangwelten von Al Andalus mit indischem Raga – für wenige Momente. Gewendete Surf Music traf auf Instrumentales von Cream und Dire Straits, so konnte man den Eindruck gewinnen. Digdaggedag war kurz zu hören. Das Schlagwerk übte sich dabei in Ticktickedadatackticketack. Und dann gab es noch Digedidigedidam und der eine oder andere konnte meinen, das Karnataka College of Percussion sei im Geiste auch präsent.


Mankafiza: Genieße es

Beeinflusst vom Aufenthalt in Madagaskar stellte die Band den Song  „Genieße es“ vor. Dabei ging es so furios wie am Beginn des Konzerts zu, wähnte man sich eher in Westafrika und eingenommen von den Klangwelten, die Fela Kuti einst der Musikwelt präsentierte. Duo-Formationen zwischen Bassisten und Gitarristen sowie Gitarristen und Flötisten kennzeichneten das musikalische Geschehen. Zu erleben war eine „rhythmische Stampede“, die der Schlagzeuger von Jin Jim anzettelte. Man sah weniger umherspringende Lemuren, sondern eher wilde Zebras, Antilopen und Gnus durch die Savanne preschen.


Einer der Höhepunkte des Konzertnachmittags war gewiss die Komposition „Duende“, übersetzt Kobold, Geist und aus der Feder des Bassisten. Dabei gab es Referenzen zum Flamenco, eben auch eher improvisiert als komponiert daherkommend, wie Ben Tai Trawinski erläuterte. Beinahe wie aus dem Off kamen die feinen Flötentöne, mit denen das Stück eröffnete. Streifte man nicht im Folgenden durch die Gassen von Córdoba und blickte in den einen oder anderen mit Geranien geschmückten Hinterhof? Vernahm man nicht das Klappern der Kastagnetten, obgleich niemand diese in den Händen hielt? War da also ein Kobold am Werk?

Wie ein Schilpen und Zwitschern klang, was Daniel Manrique Smith seiner Flöte entlockte. Tänzelnder Klangfluss wurde mit indischem Raga verflochten, so der Eindruck. Tadintadintadin … Metallnadeln trafen auf Bleche und Felle, kurz, im Stakkato, aggressiv, beinahe an das wilde Stampfen der Flamencotänzer erinnernd. Klack, klack, klack ...


Mit einer Zugabe war dann dieses erste Kaffeekonzert für und mit Jin Jim zu Ende. Man darf auf die weitere Entwicklung dieser im aktuellen Fusion und Crossover verwurzelten jungen Band gespannt sein. „Weisse Schatten“ - so der Titel ihrer aktuellen CD - haben sie ja schon hinterlassen.


Text: © ferdinand dupuis-panther – Fotos: © a.panther/f.dupuis-panther – Text und Fotos sind nicht public commons!


Informationen

http://jinjim.com/
https://www.jazzhalo.be/reviews/concert-reviews/nachlese-2-jin-jim-war-auch-mit-einem-kobold-unterwegs-domicil-dortmund-22-sept-2017/


CD

https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/j/jin-jim-der-anfang/




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