Rickenbackers Music Inn Berlin, 10. Sept. 2019
Es gibt unterschiedliche Anlässe, musikalische Weggefährten für ein Konzert auf die Bühne zu bitten. Joe Kučera lud neben dem Folk- und Bluesbarden Jesse Ballard auch den Fingerpicking-Virtuosen Sammy Vomáčka ein, nach vielen Jahren wieder einmal gemeinsam in Berlin zu spielen. Vor genau fünf Jahrzehnten hatten Joe Kuċera und Sammy Vomáčka ihre tschechische Heimat gemeinsam verlassen und flohen über das damalige Jugoslawien und Österreich nach Deutschland. Als Gäste waren zum Konzert außerdem der aus Israel stammende, aber seit langem in Berlin lebende Pianist Arik Straus und sein Trio ins Rickenbackers geladen worden.
Dass es nun nicht von A bis Z Jazz aus einem Guss gab, dass auch Folk und Blues im Rickenbackers erklang, war angesichts der auftretenden Musiker durchaus naheliegend. Allerdings war die anfängliche Klangcollage, die Joe Kučera inszeniert hatte, für Jazzliebhaber gewöhnungsbedürftig. Zu Beginn des Konzerts betraten der Gastgeber und der Folk-/Bluesbarde Jesse Ballard die Bühne.
Zurück in die 1970er Jahre?
Bluesiges traf auf Folksongs und wer sich an die 1970er Jahre und die Blütezeit der Liedermacher erinnerte, der fühlte sich in jene Zeit zurückversetzt. Es war eine Zeit, als Folk Clubs in Berlin zwar nicht an jeder Ecke entstanden, es sie aber im Gegensatz zu heute gab, so auch das Go in in der Bleibtreustraße. Schon bei den ersten Songversen, die Jesse Ballard vortrug, meinte man, man lausche der rauchig-kratzigen Stimme von Van Morrison oder Rod Steward.
Ausgefeilte Gitarrenriffs trug Jesse Ballard nicht vor. Die Gitarre diente eher der rhythmisierenden Untermalung des Stimmflusses, derweil Joe Kuċera wie einst auch Paul Desmond seinem Saxofon bisweilen samtene Klarinettenklänge entlockte. Hier und da war im Hinblick auf den Duktus auch an Sidney Bechet zu denken. Dies stand gänzlich im Kontrast zum gesanglichen Vortrag. „We Ain't Got Nothin' Yet“ drang als Refrain ans Ohr der Zuhörer, und der eine oder andere fragte sich, ob hier unter Umständen ein Song der Blues Magoos zu Gehör gebracht wurde. Leonard Cohens „Hallelujah“ stimmten die beiden Musiker zwar nicht an, aber dafür sang Jesse Ballard im Laufe des Abends von gebrochenen Herzen und gleichfalls von einem Hallelujah. Dazu gesellte sich gleichsam wie ein warmer Föhnwind wehend das Sopransaxofon hinzu. Mitsingen schien nur noch eine Frage von Zeit.
Blues ohne Mundharmonika
Dass ein Songwriter und Barde seinem Steuerberater einen Song widmet, ist schon ungewöhnlich. Jesse Ballard verneigte sich jedenfalls in „George“ vor dem Mann, der zwischen Stapeln von Steuererklärungen seinen Lebensunterhalt verdiente. „He was good in math“ hörte man Jesse Ballard singen. Ja, diese und andere Geschichten waren es, die uns Jesse Ballard erzählte, mal abgesehen davon, dass er im Stil des Country Blues einen Song von Sonny Terry & Brownie McGhee zum Besten gab. Auf den Klang der vibrierenden Mundharmonika wie im Original mussten die Zuhörer an diesem Abend jedoch verzichten. Auch Balladenhaftes hatte das Duo, das den Konzertabend eröffnete, im Tornister. Dann waren aber nach gewisser Zeit, alle Geschichten und Anekdoten auch wirklich erzählt. Es war also Zeit für den zweiten Set.
Keith Jarrett, Sonny Rollins und andere
Wenn auch Sammy Vomáčka als Fingerpicking-Gitarrist angekündigt war, so unterstrich er bei seinem Set jedoch, dass er das Jazz-Repertroire von Bebop bis Cool Jazz meisterlich beherrscht. Auffällig war, dass er nicht mit einem Plektron spielte oder gar wie Wes Montgomery nur mit dem Daumen, sondern Fingerpicks benutzte. Im Pausengspräch wies er darauf hin, dass auch Mark Knopfler mit Picks spiele und er, Sammy Vomáčka, diese Technik vom Fingerpicking übernommen habe. In Soloprogrammen spiele er immer noch Fingerpicking, aber vor Jahrzehnten habe er auch seine Vorliebe für den Jazz entdeckt, wisse aber bis heute nicht, warum Jazzmusiker beim Spielen nicht aufhören. Das spielte auf Changes und natürlich auf Improvisationen an. Letzteres ist für den Jazz ja essentiell.
Sammy Vomáčka bestimmte die zarten Klangfärbungen, wenn er auch von einem Kontrabassisten und Drummer begleitet wurde, die sich jedoch merklich im Hintergrund hielten, im Kern für die Erdung und für zartes Besenspiel sorgten. Feinst ziseliert waren die Gitarrenpassagen, die an Jim Hall und Joe Pass denken ließen. Bei einer Komposition, die Keith Jarrett zu verdanken ist, ließ das Dreigespann auf der Bühne die Abwesenheit eines erstklassigen Steinway-Flügels vergessen. Blechschauer war zu erleben und dunkle Basslinien, dazu traten dann beinahe flattrige Gitarrensequenzen. Ein bisschen Swing und ein Hauch von Latin Fever wurden dem Stück beigemischt.
Saitenkaskadierungen erlebten die Zuhörer im weiteren Verlauf des Konzerts. Andrea Marcelli am Schlagwerk wurde Raum für eine Drumming-Intervention gegeben, wenn auch kurz, aber es gab das Schlagwerkfurioso, immerhin.
In die Zeit des Bebop entführte uns der nunmehr im Saarland heimisch gewordene Gitarrist Sammy Vomáčka mit einer Komposition von Charlie Parker. Den Titel konnte man allerdings in der Ansage nicht genau verstehen. Schade. Doch: Mit tanzendem Fingerspiel über Saiten und Bünde brachte uns der tschechische Gitarrist aus dem Saarland die Legende des Jazz nahe. Dass Bebop in den 1950er Jahren eine durchaus flotte und aggressive Musik war, wie Sammy Vomáčka in seiner Ansage einfließen ließ, konnte man erleben. Bisweilen schien dabei auch ein genuiner Jive mit im Spiel zu sein, oder?
Die musikalische Reise ging mit einem 12-taktigen Blues von Sonny Rollins weiter. Zu hören war „Tenor Madness“ fernab von Coltrane und Rollins, sprich fernab von Hörnern und deren Stimmdominanz. Dem Standard „Softly As A Morning Sunrise“ hatte sich in der Vergangenheit mit unterschiedlichen Färbungen John Coltrane ebenso zugewendet wie der Vibraphonist Milt Jackson. Nun war es an dem Dreigespann auf der Bühne des Rickenbackers Music Inn für einen weiteren Farbtupfer auf der Klangpalette zu sorgen. So kam ein Song aus einer Operette, die 1928 entstanden war, zu einem neuen Klangkleid. Dabei schien es so, dass es eine gewisse Nähe zwischen der Interpretation des Trios im Rickenbackers und Milt Jacksons Interpretation auf dem Album „Concorde“ gab. Hätten die drei ihrem Vortrag noch eine Coltrane-Note verleihen wollen, hätte Joe Kučera sein Sopransaxofon einbringen müssen. Doch das geschah nicht.
Zum Schluss gab es „St. Thomas“ von Sonny Rollins zu hören. Hm, irgendwie schienen dabei auch „Barcadi Rum“, strahlender Himmel, azurblaues Wasser und weißer Strand als Bild aufzublitzen.
Der Kreis schließt sich
Im dritten Set, der Abend bewegte sich auf Mitternacht zu, stellte der Pianist Arik Strauss Kompositionen aus der CD „Closing The Circle“ vor. Zudem gab es zwei Kompositionen von Joe Kučera zu hören. Wer die Musik des Arik Strauss Trios kennt, der weiß, dass ein Grand Piano zwingend ist, um die notwendige Klangfülle zu präsentieren. Im Rickenbackers musste sich Strauss mit einem E-Piano und weniger Oktaven als auf einem Flügel begnügen. Auch die Anschläge und der Duktus auf den beiden Instrumenten ist unterschiedlich. Und das wusste Arik Strauss elegant zu meistern.
Dieser Umstand fiel dem Jazz-Connoisseur gewiss beim Konzert auf. Zudem ließ es sich Strauss nicht nehmen, einmal mit einem „Fingerschlag“ außerhalb der Keys anzudeuten, woran es eigentlich mangelte. Nun, Strauss machte das Beste aus der Situation. Gleiches galt für den Drummer des Trios, Andrea Marcelli, der hinter einer Bassdrum saß, die nicht dem Jazzstandard entsprach, und auch die Toms waren eher auf Rock oder Fusion ausgelegt. So hatte man hier und da den Eindruck, dass der Drummer nicht unbedingt befreit aufspielte. Doch wie gesagt, das fiel wahrscheinlich nur wenigen überhaupt auf.
Nicht so laut ...
Der Berichterstatter hatte bis zum dritten Set ausgeharrt, war er doch eigentlich gekommen um das Arik Strauss Trio live zu erleben. Zur Eröffnung gab es „Nicht so laut“, eine musikalische Anspielung auf einen pedantischen und nervenden Nachbarn, der sich übers Klavierspiel von Arik Strauss häufig beschwerte. „Das sei aber vorbei; ein Anwalt habe das nun geklärt.“, meinte Arik Strauss ein wenig verschmitzt.
Zirkulierende Sequenzen trafen auf perlende Klangrinnsale. Flauschige Wellenklänge schwebten dahin. Treibend waren die Zutaten, die der Drummer dem nervenden Nachbarn servierte. Beinahe in die Luft springend und leichtfüßig kam der Bassist an seinem Tieftöner daher. Schnurren und Schnarren waren auszumachen.
In Berlin angekommen
Der Kreisschluss wurde mit „Off to Berlin“ fortgesetzt. „Berlin sei sein Manhattan.“, kommentierte Arik Strauss, der zeitweilig in New York gelebt hat, ehe er an die Spree kam. Folgte man den musikalischen Linien, so meinte man, mit einem Flaneur durch Berlins Mitte unterwegs zu sein, sich umschauend, einhaltend, nachdenkend, umschauend und … Zugleich schien eine gewisse Herbststimmung musikalisch zum Ausdruck gebracht zu werden.
Ja, Berlin ist nunmehr Lebenswelt des aus Israel gebürtigen Pianisten. Das drückte auch „Closing the Circle“ aus. Beim Zuhören drängten sich Bilder von Menschen in der Großstadt auf, musste der eine oder andere auch an Crocodile Dundee in New York denken, an den kulturellen Schock eines Provinzlers in einer Metropole.
Angefügt wurde dann die Ballade „Bad Harzburg“. Kündigte sich da nicht auch schon der Winter an? War musikalisch nicht auch von der Verlangsamung des Alltags und dem Entschleunigen die Rede? Gemeinsam mit Joe Kuċera wurde anschließend „Blues for Sigal“ gespielt. Joe Kuċera spann dabei seine feinen Klangfäden, begleitet von einem rhythmisierenden E-Piano.
Zum Konzertschluss stellte der Gastgeber des Abends noch zwei seiner Kompositionen vor, darunter „Any Way“. Dabei konnte man feststellen, dass auch ein Sopransaxofon gespreizt und spröde und nicht allein samten klingen kann. Hier und da vernahmen wir Anmutungen an Klezmer-Musik, nur für Bruchteile eines Moments allerdings. Auffallend waren die sehr freien Passagen, die Arik Strauss und Joe Kuċera anstimmten. Sie glichen, wenn man ein Bild zu Rate zieht, einem Malstrom. Schließlich machten sich die Musiker auch auf klangliche Untiefen zu erobern. Zugleich gab es auch sehr konzertante Passagen zu entdecken. Diese hatten etwas von Wagner und Bartok, oder?
„Any Way“ schien geeignet das Licht des Nordens musikalisch zu untermalen. Man denke an filmische Momente aus „Local Hero“. Auch bei diesem Stück hatte man den Eindruck, die Musiker würden ein musikalisches Korsett abgelegt haben, würden sich dem Moment des Spontanen hingeben und Strukturen durchbrechen. Angesichts der bisherigen Höreindrücke war dies eine Zäsur, gleichsam ein Paukenschlag, der nicht erwartet werden konnte. Vergessen war das Folkige und Bluesige des Beginns des Abends. „Let‘s jazz it and be free“ lautete das Motto. Und mit der Zugabe, an der bis auf Jesse Ballard, alle Musiker beteiligt waren, ging ein langer Konzertabend zu Ende, der ob des vielfarbigen musikalischen Kaleidoskop in Erinnerung bleiben wird.
Text unf Fotos: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Sammy Vomáčka
Joe Kuċera
Arik Strauss
Jesse Ballard
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Andrea Marcelli
http://www.andreamarcelli.com/deutsch.html
Hendrik Nehls
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