Nicht nur Erdnussbutter und Geleebonbons
Aus Schwäbisch-Gmünd stammend und nun seit Jahren in Köln beheimatet, wo er durch eigens inszenierte Jazzprogramme die Kölner Jazzszene bereichert – das ist der Komponist und Drummer Jens Düppe. Zu seinem Quartett gehören der Trompeter Frederik Köster, der Pianist Lars Duppler und der Bassist Christian Ramond.
Anlass für die ausgedehnte Tournee des Quartetts ist das Erscheinen einer Platte mit Live-Mitschnitten. Dabei wurden sowohl Kompositionen des ersten Albums „Anima“ wie auch des jüngsten Albums „Dancing Beauty“ vor Ort aufgenommen und anschließend auf Vinyl gepresst.
Jens Düppe ist im übrigen der WDR Jazzpreisträger 2019. Das Album „DANCING BEAUTY“ wurde, das sei auch erwähnt, für den ECHO JAZZ 2018 nominiert und bezieht sich auf neun Zitate von John Cage, einem der größten Musikpioniere des vergangenen Jahrhunderts und Vertreter der Minimal Music. Entstanden sind in Entsprechungen und als Ausfluss der Inspiration durch die Lektüre von „Stille“ neun Kompositionen.
Das Buch „Stille“ als Inspiration
Der Bunker war sehr gut besucht, und die vier Musiker waren von der ersten Minute an voller Spielfreude und Spielwitz. Davon konnte sich jeder der Anwesenden überzeugen. Um es gleich vorweg zunehmen: Jens Düppe nahm nicht nur die Sticks und die rhythmische Regie in seine Hände, sondern auch das Wort. Musik spricht ja nicht immer für sich, und es bedarf auch schon der Erläuterungen, was es mit John Cage und dessen Buch „Silence“ auf sich hat. Diese Erläuterung flocht Jens Düppe geschickt in den musikalischen Vortrag ein.
Das ewige Paradox
Dabei stand „Perpetuum Paradox“ am Beginn des Konzerts. Bei dem wiederkehrenden Paradox geht es nach John Cage um die Intention der Musik, um den Zweck und die Zweckungebundenheit der Musik, um „a purposeful purposless or a purposeless play.“
Musik ist nicht Stille, und so war es auch im Bunker. Da gab es Klang, da gab es Klangvarianzen, da gab es Klangwalzen und -turbulenzen. Warme Luftige Klänge wehten anfänglich durch den ansonsten ausgekühlten ehemaligen Tiefbunker. Bodenständiges traf auf Aufmüpfiges, lauschte man dem Spiel von Lars Duppler und Frederik Köster. Beide wurden durch behutsames Schlagwerkspiel begleitet. Leicht sah es aus, wenn Jens Düppe seine schmalen Sticks auf die Toms niedersausen ließ und mit organischen Bewegungen zwischen Blechen und Fellen wählte. Wie im Wind wiegende Kornähren schienen die Bass-Saiten zu schwingen. Zerplatzende Klangtropfen rang der Pianist seinem Flügel ab und erweckte auch den Eindruck zerbrechender Eiszapfen. Ticketitack vermischte sich mit Blechgeraschel. Stets wurde auch das Ausgangsthema im Verlauf des musikalischen Vortrags berührt. Beim Zuhören drängten sich ab und an Vorstellungen von rauschendem Wasser und lauen Luftwirbeln auf.
Dass Musik in sich verschachtelt sein kann, wie die bunt bemalten eiförmigen russischen Holzpuppen, war Ausgangspunkt des nachfolgenden Stücks. Die Momente des Verweben, Verbindens, Verstrickens und Verschaltens findet sich in Jens Düppes Komposition „Matryoshka Doll“ wieder – auch wie das erste Stück des Abends Teil des Albums „Dancing Beauty“. Auf dem Plattencover sieht man die Abbildung einer blauen Plastiktüte, in der auch die CD steckt. Ob die irgendwann auch im Verlauf des Konzerts eine Rolle spielen wird? Das war die Frage, die im Raum stand.
Getragene Basslinien trafen auf feinste Klangnebel, als Flügel und Trompete zu vernehmen waren. Auf- und absteigenden Linien waren außerdem auszumachen, so als würde das futuristische Bild von Spaziergängern auf steilen Stiegen und Treppenstraßen gemalt werden.
Schönheit im Verborgenen
Manchmal, so Jens Düppe, packe man Dinge in Schubladen und vergesse sie oder hole sie heraus und entdecke sie neu, erkenne in ihnen schließlich eine verborgene Schönheit. Davon handelte „Sleeping Beauty“. Zu Beginn nutzte Frederik Köster den aufgeklappten Flügel als Resonanzkörper, ließ die Saiten im Flügelkorpus flirren. Derweil verstieg sich Lars Duppler zu begleitenden Redundanzen. Oh, da schnarrte und schnurrte die Trompete, oder? Zartbesaitet erwies sich der Kontrabass, der seine tonale Behäbigkeit aufgegeben zu haben schien. Das Dunkle der Basslinien nahm Lars Duppler in seine Hände. Geheimnisvoll klang, was wir hörten. War es das Geheimnis der verbotenen Schönheit, das uns da musikalisch begegnete?
30 kleine Gelee-Bonbons
Auch ein neues Stück hatte das Quartett mitgebracht. Es fügte sich harmonisch in Stücke wie „Toast & Salted Butter“ oder „Peanut Butter & Jelly“ ein: „ 30 Little Jellybeans“, also 30 kleine Gelee-Bonbons, die vor unserem geistigen Auge auf den Tisch purzelten. Man könne ja mal mitzählen, ob es wirklich dreißig Bonbons seien, die musikalisch eine Form erhielten, so Jens Düppe überaus launisch.
In diesem Stück schien wohl das Spiel mit offenen Formen im Vergleich zu allen anderen Stücken, die zu hören waren, sehr prägnant. Frederik Köster ließ dabei seine Trompete ratschen, knarren, rattern, flirren. Sehr zurückgenommen agierten dazu die drei Mitmusiker des Trompeters. Fast samten erwies sich das Schlagwerkspiel. Die spitzzüngige Wortgewalt lag eindeutig bei Frederik Köster, der uns nicht bunte Smarties reichte, sondern verschiedene Gelee-Bonbons. Aber waren es wirklich dreißig?
Kurz vor der Pause zitierte Jens Düppe John Cage: „I have nothing to say … and I am saying it“. Nachdenkenswert oder? Denn was ist das Nichts, das zu einer Aussage führt, die nichts beinhaltet? Eingeflossen ist dieser Gedanke Cages in „This Is Not The End“. Das ist auf dem Album „Dancing Beauty“ tatsächlich das letzte Stück. Doch ist das Ende wirklich das Ende? Ist das Ende nicht auch ein Anfang? Ist das Ende nicht nur eine Frage des Standortes?
Einfarbige tonale Drippings waren zu vernehmen. Lyrisches dominierte. Frederik Köster zügelte sich überdies in der klanglichen Vorwitzigkeit. Und dann war P-A-U-S-E! Eine Gelegenheit in den mitgebrachten CDs zu stöbern und sich schnell eine der wenigen vorhandenen Schallplatten zu sichern. Zu wenige hatte Jens Düppe mitgebracht, aber allen Interessenten versprochen, sie auch zuzusenden, per Post, ganz herkömmlich im sonst digitalen Alltag.
Die Eröffnung des zweiten Sets gehörte erneut einer Komposition vom Album „Dancing Beauty“: „Consistence“ stand auf dem Programm. Wer die Augen schloss, der konnte sich vorstellen, inszenierte Wasserspiele zu erleben. Auch klangliche Sturzbäche schienen sich hier und da zu ergießen. Dezentes Geraschel machte sich breit. Beinahe choralhaft klang das, was Frederik Köster phasenweise vortrug. Und all das ergab: Dichtigkeit und Folgerichtigkeit, so eine mögliche Übersetzung des englischen Titels. Cage ist dabei tiefsinniger: „Pay attention to what it is just as it is.“ Zeit, darüber nachzudenken, gab es nicht, denn das weitere Programm folgte Schlag auf Schlag. Da wurden zum Beispiel „Peanut Butter & Jelly“ serviert.
Eine Klangreise in den Frühling unternahmen wir mit „Magnolia“. Dieses Stück vom Album „Anima“, das auf Sardinien aufgenommen wurde, war zur Zeit der Entstehung einer Frau gewidmet, die für den Sardinien-Aufenthalt des Quartetts gesorgt hatte. „Und die ist nun meine Frau“., fügte Jens Düppe mit einem Lächeln im Gesicht an.
Der eine oder andere, der Jens Düppe kennt, wartete wohl schon eine Weile auf die Plastiktüten in den Händen des Schlagzeugers. Drei Tüten kamen mit Rascheln und Knistern zum Einsatz, eine gelbliche, eine graue und eine blaue. Die Plastikhüllen, bewegt zwischen Düppes Finger, rotierten, flatterten oder wurden über die Snare gewischt. Ja, Plastiktüten haben auch verschiedene Klangnuancen, wie festzustellen war. Und was war dieses „Intermezzo“ nun: Geräuschmusik, Jazz oder was?
Ob wirklich alles Musik ist, was wir machen – so der Titel der Komposition zum Konzertabschluss, hängt gewiss vom Betrachter ab. Sind fahrenden Lastwagen vor einer Fabrik und der Lärm der kreischenden und hämmernden Maschinen Musik? Und was passiert eigentlich, wenn der Geräuschschwall von Lastwagen vor einer Musikschule auf den Flöten- und Oboenklang trifft, der aus den geöffneten Fenstern nach draußen dringt? Das stellte das Quartett nachhaltig zur Diskussion.
Der Beifall am Konzertende war überaus herzlich, und so gab es auch eine Zugabe, nämlich die erste Komposition von Jens Düppe namens „Toast & Salty Butter“. Eine weitere Zugabe gab es nicht, trotz des Versuchs mit weiteren Beifallsbekundungen dies zu „erzwingen“. War das das Ende? Gewiss nicht, denn das Quartett ist in den Folgemonaten noch in anderen Städten als Bielefeld zu hören.
Text und Fotos © ferdinand dupuis-panther – Text und Fotos sind nicht Public commons!
Informationen
Bunker Ulmenwall
http://bunker-ulmenwall.org
Jens Düppe
http://www.jensdueppe.de/home.html
https://www.jazzhalo.be/interviews/jens-dueppe-interview-mit-dem-schlagzeuger/
Tourdaten
https://jensdueppe.de/dates.html
Frederik Köster – Trumpet
http://www.frederikkoester.de
Lars Duppler - Piano
https://www.facebook.com/LarsDupplerPianist/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/l/lars-duppler-naked/
Christian Ramond - Bass
http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/259495
CD Reviews
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/j/jens-dueppe-dancing-beauty/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/j/jens-dueppe-anima/
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