Der Ursprung des Münsteraner Nordstern-Quartetts findet sich in der gleichnamigen Kreuzviertel-Kneipe . Dort entstand in vielen nächtlichen Sitzungen die Idee zu einem Jazz-Quartett und wahrscheinlich auch einer der Kompositionen des Abends, eine Suite für drei Alkoholiker. Jedes Mitglied - allesamt verdiente Mitglieder der Münsteraner Jazzszene - steuerte in der erfreulicherweise überaus gut besuchten Black Box Stücke und Arrangements bei, um einen eigenen Bandsound zu kreieren. An diesen Abend in der BLACK BOX lag im Übrigen der Fokus auf Kompositionen des Schlagzeugers Bennet Fuchs, der gerade sein Bachelor-Examenskonzert an der Musikhochschule Münster bestritt.
Noch etwas war auffallend: Die Generation der Silver Ager – sonst das unentwegte Publikum der Black Box – war diesmal deutlich in der Minderzahl. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass zum Konzert ein Teil der Musikhochschule und der Uni Münster gekommen war. Auch Dozenten waren unter den Zuhörern und nicht nur die, die das Examen abnahmen, so auch der Saxofonist Ansgar Elsner, der mit der Big Band der Uni Münster bei Konzerten immer wieder für jazzigen Wohlklang sorgt.
Insgesamt kam die Black Box ans Limit gemessen an der Raumkapazität, im Zuschauerraum wie auch auf der Bühne, denn das Quartett entwickelte sich über ein Quintett in ein Septett mit einem Bläsersatz aus Altsaxofonist Dariush Ludwig, Posaunist Clemens Willers und dem Tenorsaxofonisten Tobias Brügge. Letzterer ist auch in Sachen Big Band und freier Musik in Münster kein Unbekannter, obgleich er hauptberuflich als Mediziner an einem Krankenhaus tätig ist.
Mit einer Eigenkomposition des Pianisten Nicholas Steinbrink eröffnete das Quartett den Abend. „Debris“ lautete der Titel, doch von Schutt oder Abfall konnte keine Rede sein. Eher musste man beim Zuhören an eine sich entwickelnde Windhose denken, vor allem beim dramatisch inszenierten Tastenklang und Blechspiel sowie hartem Schlagregen auf die Basstrommel. Sonor war der Klang des Saxofons, das Tobias Brügge auch zum Trillern brachte. Im Duett mit dem Grand Piano schienen Gischtkronen auf Wellenberge gezeichnet zu werden. So verschwand das Bild der Windhose, die sich zu Beginn des Stücks aufdrängte. „Kakophone“ Strudel ergossen sich in der Black Box obendrein. Zum „diskanten Rauschen“ des Grand Piano erhob sich die sanfte Stimme des Saxofons – eigentlich ungewöhnlich für diesen Holzbläser, der doch eher auf Krawall gebürstet ist bzw. von vielen
Saxofonisten derart eingesetzt wird. Im Hintergrund agierte Björn Fischer bei diesem Eröffnungsstück am E-Bass mit feinfühligen, erdigen Färbungen.
Oh, der Takt eines Marsches und dann eine bekannte Melodie aus dem Kanon der Arbeiterlieder, wirklich? Ja, das Quartett interpretierte „Pueblo Unido“. Bei dem einen oder anderen Anwesenden kamen Erinnerungen an Zeilen wie „Y el pueblo unido/Jamás será vencido/Y el pueblo unido ...“. Es ist eines der bekannten Lieder der modernen chilenischen Folklore und entstand im letzten Jahr der sozialistischen Regierung von Salvador Allende. Nach dem Militärputsch und während der Pinochet-Diktatur wurde dieses Lied zum Symbol des Widerstandes. Geschrieben hat das Lied Sergio Ortega. Vertont wurde es unter anderem von dem deutschen Liedermacher Hannes Wader.
Es ist nicht gar so martialisch wie manche Arbeiterlieder, die Ernst Busch gesungen hat. Zudem verfremdete das Quartett das Thema und drängte dadurch den anfänglichen Eindruck eines Marsches in den Hintergrund. Das war auch den Phrasierungen von Nicholas Steinbrink zu verdanken. Dabei schien dann West Coast Jazz präsenter als die Vertonungen von Arbeiterliedern mit und ohne Schalmeien oder Klampfen. Furios war das Drummingsolo mit viel Blechgestöber und Tomschwingungen. Danach führte Tobias Brügge wieder ins Thema und ließ „das vereinte Volk“ mit sanftem Blättchenschwirren ausklingen.
Uraufgeführt wurde eine Suite, die drei Alkoholikern gewidmet ist. Man sei ja hier und da von Alkoholikern geprägt, so sinngemäß Tobias Brügge in seiner Vorstellung der Suite. Da schwang dann schon Ironie und Sarkasmus mit. Unter anderem ging es in der Suite auch um Schnauzi, einem Stammgast im „Nordstern“, wo auch die Bandmitglieder häufig anzutreffen sind. Zudem handelt ein Teil der Suite vom "Kneipenterroristen" Bernd Knauer, der zu einer berüchtigten Straßengang in Kiel gehörte und über den ein sehr interessanter Dokumentarfilm gedreht wurde. Schließlich geht es auch um einen Säufer und Ganoven aus Gronau, dem Heimatort von Tobias Brügge. Rau sei diese Stadt an der niederländischen Grenze, so bemerkte der Saxofonist von Nordstern.
Aufhorchen ließ zu Beginn Bennet Fuchs, der Snare und Toms mit seinen Sticks hart schlug, immer wieder hart schlug. Hinweis auf das harte Erwachen nach dem Rausch? Der Bassist vermittelte in seinen Passagen den Eindruck, Gladiatoren zögen in die Arena, Kräftemessen sei angesagt. An wiederkehrende Geschichten, die im Suff zum Besten gegeben werden, musste man beim Hören der Tastensequenzen denken. Bisweilen schien Nicholas Steinbrink kleine und große Fluchten musikalisch einzufangen. Flogen da nicht Widerworte und Beleidigungen hin und her, als Tobias Brügge ins Geschehen eingespannt war?
Im weiteren Fortgang erlebten wir auch den akustischen Kontrabass als Schwergewicht. Beinahe Balladenhaftes war zu vernehmen. Nicholas Steinbrink und Tobias Brügge schienen den frühen Morgen heraufzubeschwören. Die Zecher schienen noch munter bei der Sache. Der eine oder andere begab sich wohl in leichter Schräglage nach Hause, traf auf die ersten Frühaufsteher. Wer die Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Brassaï aus dem Pariser Milieu der Herren mit Schiebermützen kennt, hat gewiss eine Vorstellungen von der Szenerie der Gangs und der Saufgelage.
Schließlich wechselte Nicholas Steinbrink vom Grand Piano zum Rhodes, ließ in seinem Spiel satten Orgelschwall durchscheinen. Soul blitzte auf wie einst im Spiel von Jimmy Smith, oder? Auch von einem Hauch Funk schien der Abschlussteil der Suite durchzogen zu sein.
Was mag wohl ein „Flossenopposum“ sein? Wahrscheinlich ein zoologisches Fantasiewesen wie das hüpfende, langschwänzige, getüpfelte Marsupilami in den Comics von Franquin! Der Bassist des Quartett Björn Fischer steuerte diese Komposition zum Fortgang des Abends bei. Dabei bewegte er sich nicht in den erdigen Färbungen des Basses, sondern ließ uns mit seinem Spiel eher an Wildwasser und Kaskadenstürze denken. Vollmundig war das Spiel von Tobias Brügge am Tenorsaxofon.
Wie man einen Standard mit einem schwedischen Volkslied über Värmland miteinander verschachteln kann, unterstrich das Quartett in einem Arrangement des Pianisten Nicholas Steinbrink bei „Dear Old Stockholm“.
Da das Konzert ein Examenskonzert war, war es kein Wunder, dass der Schlagzeuger einige Kompositionen präsentierte. Das geschah im zweiten Set. Dabei begann das erste Stück so, als wären wir in der Thermik gleitend unterwegs. Lyrische Bögen wurden gespannt. Doch dabei blieb es nicht. Man vernahm Kreisbewegungen und Flattern. Das Tempo zog im Verlauf des Stücks merklich an. Das Lyrische trat mehr und mehr in den Hintergrund. Zündelnden Flammen glich das, was der Bassist Björn Fischer dem Publikum nahebrachte. War da nicht auch ein sehr kurzer Moment von Calypso in den Vortrag eingebunden worden? Feurig, aber nie überzogen war das Spiel von Tobias Brügge, der seine melodischen Linien mit denen des Pianisten verwob. „Left behind without being seen“ folgte, auch eine Komposition von Benett Fuchs.
Danach wurde Niklas Schindler auf die Bühne gebeten, um mit seiner Gitarre die Klangbreite des Quartetts zu erweitern. Wenn der Berichterstatter es richtig verstand hat, hatte das nachfolgende Stück mit „Commander Z“ zu tun. Eine Pet-Flasche verschwand im Trichter des Holzbläsers, der in den Händen von Tobias Brügge zu einem perkussiven Instrument mutierte. Ungezügelt war das Spiel, aufbrausend, dominierend, auch wenn das Saxofon ab und an mit dem Oberschenkel gedämpft wurde. Rhythmische Momente waren augenfällig, nicht nur bei den Pattern des Schlagzeugers, sondern auch im Duktus, den der Saxofonist an den Tag legte. Eine klangliche Melange zelebrierten Gitarrist, Pianist und Saxofonist, dabei durchaus hier und da an Jazz-Rock angelehnt.
Bearbeitungen von Songs von Radiohead und Björk gehörten auch zum abendlichen Programm. Dabei betraten dann weitere Musiker, Dariush Ludwig (Altsaxofon), Clemens Willers (Posaune) und Niklas Schindler die Bühne, um bei „Hunter“ (Björk) für einen hoch-florigen Klangteppich zu sorgen.
Abgerundet wurde der Abend im Quintett mit einer Zugabe, einem Stück des aus New Orleans stammenden, in New York beheimateten Trompeters und Komponisten Christian Scott, der 2010 auf dem North Sea Jazz Festival den Paul Acket Award erhielt. Übrigens, Scott führt den Beinamen aTunde Adjuah und hat bisher einige sehr beachtete Alben herausgebracht. Auch wenn kein Trompeter auf die Bühne trat, überzeugte die vorgetragene Version von Nordstern und kam dem Klangbild von Scott sehr nahe.
Text und Fotos © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Tobias Brügge – Tenor Saxophon
Nicholas Steinbrink – Grand Piano, Fender Rhodes
Björn Fischer – Double and E-Bass
https://www.facebook.com/bjoern.fischer.7?fref=hovercard&hc_location=none&__tn__=%2Cd←R
Bennet Fuchs – Drums
Niklas Schindler – Guitar
Clemens Willers – Trombone
Dariush Ludwig – Altosaxophone
Referenzen
Radiohead Everything in Right Place
Björk - Hunter
Christian Scott
http://www.christianscott.tv
https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Scott
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