Black Box Münster, 17.1.2025
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Freitagabend, eine ungewöhnliche Anfangszeit für ein Konzert, kleine Verzögerungen, sehr gut gefüllte Black Box, eine kurze Begrüßung durch Philip Buck, der seit jüngstem, die Reihe JazzToday betreut, dann gleich hinein ins Konzertgeschehen – das sind kurz die Stichworte zu einem Konzert, das dank seiner kraftvollen, aufbrausenden Klänge, die teilweise an einen Malstrom denken ließen, in Erinnerung bleibt.
Zu hören waren der Tenor- und Sopransaxofonist Sebastian Gille, der Pianist Elias Stemeseder, der auch den Synthesizer Klangtropfen für Klangtropfen ins Spiel miteinbrachte, Florian Herzog, der am akustischen Kontrabass die Saiten schwingen und schwirren ließ, sowie der aus Münster stammende und in Köln beheimatete Leif Berger, der mit großen Gesten die Besen und Stöcke über die Becken und Felle tänzeln ließ. Letzteres geschah mit organischem Fluss und mit Leichtigkeit. Die Stiefel hatte Leif Berger ausgezogen und in Socken bediente er dann die „Pedale“ von Basstrommel und Hi-Hat.
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Im Ankündigungstext des Konzerts war nachstehendes Zitat zu finden, das hier eingefügt wird: "Viele denken ja, es gäbe auch im Jazz nichts Neues mehr unter der Sonne – dieses Quartett beweist, dass der meist denkfaule Ansatz einfach nicht stimmt." (Rolf Thomas, Frankfurter Allgemeine Zeitung) Darüber hinaus konnte man zur Tour des Ensembles lesen, dass im Fokus das neue Album „Almost Natural“ steht. Doch wie der Bandleader Florian Herzog im kurzen Gespräch versicherte, geht es ihm aber auch stets darum, neue Kompositionen während ein Tour vorzustellen.
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Vor Münster spielte die Band in München. Dabei bemerkte der Münsteraner Veranstalter vorab, dass das jüngste Album Kontraste ausbalanciert: zwischen Hyperaktivität und Entspannung, Verbindlichkeit und Freiheit, Synthetischem und Organischem. Und noch etwas konnte man vom Konzert schlussendlich mitnehmen: das Dynamische und Dramatisierende von Kompositionen, die leisen und die lauten Töne, die Tempowechsel, die Klanggewalt eines Tenorsaxofons, das auch nicht verstärkt den Klangraum ausfüllt, das Fragile von einigen Synth-Klängen, das Schwirren des Basses, der trotz eines fast übermächtigen Korpus nur begrenzt Resonanz besitzt und ein Schlagwerk, das auf das Wesentliche reduziert wurde, ganz im Gegensatz zu manchem Schlagwerk, das bei Fusion-Bands im Fokus steht.
Überwiegend wurden Kompositionen vorgestellt, die auf dem Album „Almost Natural“ zu hören sind. Dazu zählten Titel wie „Dia“, „Misleading Energy“ oder „Minor‘s Lattice“. Zudem hörten wir auch einige neue Kompositionen wie „Wallfacer“ oder „Thinking About the Immortality of the Crab“
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Mit „Dia“ (dt. Tag) nahm das Konzert seinen Anfang. Angefügt wurde von Florian Herzog, dass es in Uptown New York auch ein Museum gleichen Namens gibt. Nun was macht das mit dem geneigten Zuhörer? Er oder sie spitzen aber zunächst die Ohren, lassen sich auf gewaltig anmutende Klangprozesse ein, erlebten eine Kette von aufgereihten Klangtropfen sowie ein Kling und Klang nebst Beckenschauer. Stoisch war der Bass in seinem Dum und Dum und Dum. Man fragte sich bisweilen, in welche Tiefen des Klangs uns eigentlich Florian Herzog noch entführen wollte. Basstrommelgedröhne war Teil der Inszenierung. Tempo und Lautstärke nahmen zu. Ein Inferno schien sich anzubahnen, so konnte man denken. Im Stakkato drangen die Sticks auf die Bleche des Schlagwerks ein. Minimalistisch schien das, was Sebastian Gille seinem Holzbläser abverlangte. Intensiv war dessen Spiel. Da wurden Klangschnüre gedreht und verbunden. Hörte man da nicht auch Vogelstimmen? Die Tiefen des Tenorsaxofons wurden ausgereizt. Derweil ließ der Pianist ein Pling Pling hören. Die Klangwelten entwickelten sich so, als würde Beuys Hör-Perfomance von Jaja und Neinnein eine „Melodie-Entsprechung im Geiste von freier Musik“ gefunden haben. Notenblätter fielen zu Boden. Ein kurzes Nachdenken folgte: „Warum eigentlich Notenblätter?“
Es schien kaum eine Pause zu existieren, kein Luft holen und kein Besinnen im musikalischen Prozess. Dramatik wurde zelebriert. Entgleisungen schienen vorhanden zu sein, vielleicht auch ein Chaos auf Zeit, ehe dann eher abrupt Schluss war.
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„Misleading Energy“ schloss sich dem Eröffnungsstück an. In der Struktur schienen sich die ersten beiden Stücke zu ähneln, schienen dramaturgische Schachzüge beide zu bestimmen, schienen auch in diesem Stück Höhepunkte angesteuert zu werden. Eruption wurde hörbar gemacht. Energie entlud sich ohne Frage. „Klanglamellen“ wurden installiert. Trocken war das Schlagzeugspiel. Bass, Piano und Schlagwerk vereinten sich zu einem bildlichen „Dreiklang“. Beim Schlagzeugspiel konnte man kleine Fluchten heraushören, klang es doch so, als würden Stiefel auf Kopfsteinpflaster treffen, als würde jemand hektisch davoneilen. Fügte da nicht der Saxofonist schwere Seufzer ins Klangbild ein?
Mit großer Geste agierte Leif Berger am Schlagwerk. Kurze ruhige Phasen wurden in den Klangkanon eingefügt. Fragmente brachte der Pianist zu Gehör, auf die dann der Saxofonist seine Antwort fand. Diesem wiederum gelangen auch einige tonale Höhenflüge, ohne Instrumentenwechsel. Kraftvoll, gelegentlich auch wie musikalische Berserker agierten die einzelnen Mitglieder des Quartetts.
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„Minor’s Lattice“ entstammt auch aus dem aktuellen Album. Hört man den Titel dann könnte man an „Bergarbeiterkopfsalat“ denken – aber Salat und Bergmann schreiben sich im Englischen „lettuce“ und „miner“. Florian Herzog hatte noch die Übertragung in „Moll-Geflecht“ bei der Hand. Auch bizarr klingend. Und vor der Pause gab es dann eine NRW-Premiere, als „Wallfacer“ zu hören war.
Nach der Pause wurden Notenblätter gesichtet, geordneten, platziert, der Bass gestimmt, eingezählt durch den Bassisten und dann doch nicht gleich der Einsatz. Aber gleich vom Punkt Null aus entwickelt enstand rhythmisches Besengewische und einzeln gesetzte, verhaltene Töne, die wir hörten. Das Rhythmische klang ein wenig wie Marschierende im Takt, manchmal auch mit Zwischenschritten. Dazu rührte sich der Bass des Flügels ab und an, ganz zu schweigen von dem Kontrabass, der die Tiefen des Klangs bediente. Sacht waren die „Klangnebel“ des Saxofonisten. Ähnlich gehalten waren sie wie winzigen Tropfenformen, die der Pianist uns darbrachte. Unablässig agierte der Drummer mit und ohne Beckeneinsätzen. Auch ein hektisches Ticketicketicke und ein Tack und Zack erlebten wir. Pausen waren kurz, gleichsam wie Absätze in einem Text. Pling-Plong und dunkles Plong von Seiten des Pianisten waren Additive eines Stück, das im Spannungsfeld von nervösem Drumming und sachten, verhalten Klangpassagen der übrigen Musiker angesiedelt war. Das Griffspiel des Bassisten konzentrierte sich derweil auf den oberen Halsteil des Tieftöners. Klangsprünge erlebten wir im Weiteren.
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Lineare Klangfelder gab es nicht zu erleben, als es mit und ohne Tiefen des Tenorsaxofons ums Nachdenken über die Unsterblichkeit einer Krabbe ging („Thinking About the Immortality of the Crab), so dachte der Berichterstatter zunächst. Man hatte beim Zuhören außerdem den Eindruck, der Saxofonist würde auch aus einzelnen Fäden ein Bündel knüpfen oder wie auf einer Reeperbahn ein Seil aus einzelnen Elementen drehen. Übrigens, eine klare Abgrenzung zu dem Stück „Wheel“ gab es nicht. Dieser Titel schloss sich, wie wir durch Florian Herzogs Ansage erfuhren. nahtlos an die Geschichte mit der Krabbe an.. So ergab sich ein Kontinuum eines Klangorbits.
Florian Herzog verwies darauf, dass es sich beim Nachdenken über die Krabbe um ein spanisches Sprichwort handele. Ein Zuschauer warf noch ein, dass man ja „crab“ auch mit Müll übersetzen können und dann gebe es eine ganz neue Bedeutung. Eher doch als“Filzlaus“ zu übersetzen, oder?
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Das Konzert fand dann mit zwei Albumtiteln seinen Fortgang. Zu hören waren „Ten days to go“ und „Lasting Integrity“. Der Duktus bzw. die Klangmuster fügten sich in die bisherigen gehörten Titel nahtlos ein – das war auch nicht weiter verwunderlich. Nach lang andauerndem Applaus gab es dann am Ende noch eine Zugabe, auch das war zu erwarten.
Text © Ferdinand Dupuis-Panther - Photos © Anne Panther / Ferdinand Dupuis-Panther
Info
http://www.blackbox-muenster.de/
Line-up
Sebastian Gille – Saxophones, Clarinet
Elias Stemeseder – Piano & Synthesizer
Florian Herzog – Double Bass
Leif Berger – Drums
https://www.nica-artistdevelopment.de/artists/leif-berger
Set List
Dia aus dem Album Almost Natural
Misleading Energy aus dem Album Almost Natural
Minor‘s Lattice aus dem Album Almost Natural
Wallfacer
——————
Thinking About the Immortality of the Crab
Wheel aus dem Album Almost Natural
Ten days to go aus dem Album Almost Natural
Lasting Integrity aus dem Album Almost Natural
——————
The silence of it all
Reviews
Florian Herzog Quartet - Almost Natural
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