Vorhang auf für Lina Allemano (Trompete), Antonis Anissegos (Piano, Elektronik), Joe Hertenstein (Schlagzeug) und Peter Van Huffel (Baritonsaxophon, Elektronik, Komposition). Die unkonventionelle, basslose Jazzformation "Callisto", die in Berlin eine gemeinsame Basis gefunden hat, „wurde mit Bedacht gewählt, um eine neue Dimension in Van Huffels Kompositionen zu erkunden. Diese Besetzung aus talentierten Musikern und Improvisatoren haucht jeder dieser facettenreichen musikalischen Erkundungen, die nahtlos die Grenze zwischen Jazz und moderner zeitgenössischer Musik überschreiten, neues Leben ein. Gemeinsam vereinen die vier Musiker komplexe musikalische Konzeption und ausgereifte Komposition mit meisterhafter Freiform-Improvisation und unermüdlichem Zusammenspiel.“ So las man es in der Konzertankündigung. Man muss hinzusetzen, dass dies das jüngste Projekt des in Berlin lebenden, aus Kanada stammenden Saxofonisten Van Huffel ist und es sich bei dem Konzert gleichsam um eine Preview des im nächsten Jahr erscheinenden Albums handelt, so Van Huffel.
Kurzinfo zu den Musikern
Bekannt ist der kanadische Musiker PETER VAN HUFFEL eigentlich als Leiter des Punk-Jazz-Trios GORILLA MASK, das seit 2012 fünf Alben veröffentlicht hat. Zudem hat er zehn Alben als Leader und Kollaborateur auf verschiedenen Labels veröffentlicht. Seit 2008 wohnt er in Berlin, Deutschland.
LINA ALLEMANO ist eine international anerkannte kanadische Trompeterin, Komponistin, Improvisatorin und Bandleaderin. Sie pendelt zwischen Toronto und Berlin und gilt als eine der führenden innovativen Trompeterinnen der heutigen Szene. Außerdem betreibt sie ihr eigenes erfolgreiches Label LUMO RECORDS.
ANTONIS ANISSEGOS hat seit 1998 als Komponist, Pianist, Improvisator und Elektronikmusiker (alias "unu") seinen Lebensmittelpunkt in Berlin. Er ist zu hören beim Ensemble Adapter, Ensemble European Music Project, Ensemble Junge Musik, dem Trio IAMA, den Gruppen Grix, KAYA (mit der Butoh-Tänzerin Yuko Kaseki), ΣΩΜΑ, Card Castle, best before unu und Blindsight.
JOE HERTENSTEIN verbrachte seine Kindheit damit, Hölzer und Hörner zu Trommelstöcken zu schnitzen und sein erstes Schlagzeug aus Töpfen, Pfannen und Wildschweinschädeln auf der Ladefläche eines kaputten Pick-ups zusammenzubauen, der ihm als Zufluchtsort für seine Kindheit diente. Im Alter von 16 Jahren hatte er alle neun Beethoven-Sinfonien auf der Pauke und war von all dem "Tacet" gelangweilt. Auf der Suche nach mehr Engagement schlug er sich durch Cover-, Punk- und Doom-Core-Bands, bis ihn im Alter von 19 Jahren eine Charlie-Parker-Bootleg-Kassette so verwirrte, dass er alles stehen und liegen ließ, um Freiheit und ultimative Kreativität in der Musik zu studieren. (Anm. Die obigen Angaben sind im Kern der Website der Black Box entnommen worden.)
Musikalisch begegneten die Zuhörer unter anderem mäandrierenden Dämonen, besuchten einen letzten Zufluchtsort, folgten einem Planetenhüpfer – oder doch Planetentrichter? - und lauschten dem, was das Quartett als Melancholie interpretierte. So lauten jedenfalls die deutschen Übertragungen der allesamt englischen Titel des zukünftigen Albums, das sich wohl in das Genre Free Jazz einordnen lässt.
Nein, schrill und schräg wie die Anfänge von von Schlippenbachs Free-Jazz-Eskapaden mit dem Globe Unity Orchestra war der musikalische Vortrag nicht. Verwegen war er schon, stimmgewaltig auch, selten lyrisch, beseelt von beinahe martialisch wirkendem Schlagwerk auf Toms und großen Blechen, gelegentlich die Felle auch mit den Fingern zum Vibrieren gebracht, immer aber ein Maß gesetzt und auch das Tempo forcierend.
Muster eines Mäander konnte man nicht unbedingt heraushören, sobald sich Lina Allemano und Peter van Huffel in unterschiedlichen Stimmlagen äußerten, gewissermaßen unisono, zumindest aber in einem Duett vereint, sich in den jeweiligen Schritten der Tonsilben folgend. Man hatte den Eindruck, man würde von beiden Musikern auf eine Wanderung mitgenommen, bei der es galt, Trittsteine zu nutzen und von Felsbrocken zu Felsbrocken zu hüpfen, um das Ziel zu erreichen. Schrittlängen wurden von den beiden Bläsern vorgegeben. Einen Bass benötigten die Musiker nicht, denn das Baritonsaxofon driftete auch in die tonalen Tiefen des Instruments, durchaus einem Bass ähnlich.
Doch Peter Van Huffel reizte auch die Tenorlage des Instruments aus. Gab es nicht im Weiteren auch Kanon ähnliche Sequenzen? Kurz und prägnant waren die Interventionen des Pianisten, Blechgeschwirr drang an das Ohr der Anwesenden. Schnurrend, gurrend, zumeist röhrend und kehlig klang das, was der Saxofonist seinem Instrument entlockte. Derweil bewegte sich Lina Allemano in hohen Lagen, nutzte aber ihr Horn auch als Atemrohr und die Mechanik der Ventile, um Geräusche zu erzeugen. Als Pendant dazu muss man das Klappenspiel des Saxofonisten ansehen, der hin und wieder auch schnalzte und nicht allein röhrte.
Verwirbelungen erzeugten die Musiker. Klangliche Schleifenformen wurden vor den Ohren der Anwesenden ausgebreitet. Hm, kurz musste man bei Trompetensequenzen an den legendären „Hummelflug“ von Rimski-Korsakov denken, oder? Temporeich gestaltete sich das weitere Spiel des Quartetts, das musikalisch auch eine Treppenflucht erklomm. Man denke an die Potemkinsche Treppe in Odessa mit 192 Stufen und den entsprechenden legendären Filmstill von Eisenstein.
Kristallene Tastenklänge eröffnete die Komposition, in der es um „Glass Sanctuary“ geht. Klang und Nachklang des Saxofons drang an unsere Ohren. Verströmte Atemluft strich durch das Mundstück und das Rohr. Tieftöniges machte die Runde. Gedämpft wurde die Trompete zum Klingen gebracht. Das klang ein wenig zerbrechlich, heiser auch und hier und da spitz. Die Bläser nutzten Echo und Hall. Sie vermittelten den Eindruck eines Off und zugleich eines voluminösen Raums einer Tropfsteinhöhle, die Klänge aufnimmt und festhält. Schlägel fuhren auf Bleche und Felle nieder. Ein Metallbecher wurde über ein Blech geführt. Der Tinnitus schien nahe zu sein, so der Höreindruck.
Schließlich machten wir uns musikalisch auf eine intergalaktische Reise. Wenn der Berichterstatter Peter Van Huffels Ansage richtig verstanden hat, dann hieß der Track: „Interdimensional planet hopper“. Irgendwie assoziierte der Berichterstatter das Gehörte mit dem Geräusch von Myriaden von Insekten, ob Bienen, diversen Käfern oder Wespen. Auch an Geschrei und Rechthabereien von zwei Streitenden musste der Berichterstatter bisweilen denken. Die Bläser schienen aber auch in dem Modus von „Attacke, Attacke, Attacke“ unterwegs zu sein. Das Drumming von Joe Hertenstein erging sich in einem Trommelcrescendo. Aufruhr, Aufschrei, Eruption schien das wohl zu verheißen. Die Tutti erinnerten hier und da an das Spiel einer mehrstimmigen Blaskapelle mit einem Auf und Ab, das für Aufmerksamkeit sorgte, so als würde eine Kesselpauke den Eingenickten bei einem klassischen Konzerts aufwecken.
Im Verlauf des Konzerts wurde verdeutlicht, dass ein Quartett sich in Subsysteme gliedert und zum Beispiel die Trompeterin schwieg, während der Pianist Etüdenhaftes zum Besten gab. In einem der Stücke kam dem Pianisten Antonis Anissegos die Rolle zu, solistisch eine Komposition zu eröffnen. Ansonsten schienen schon die beiden Bläser die Klangfärbungen und den Duktus zu dominieren. Dezent agierten beide nicht, jedoch der Pianist schon. Bisweilen wünschte man sich während des Konzerts mehr Hörpausen, in denen nicht das mächtige Gebläse für einen Klangsturm sorgte. Nun ja, aber auch so war der Abend ein besonderes Hörerlebnis, bei dem nicht ausschließlich frei improvisierte, sondern schon über weite Strecken notierte Musik zu erleben war. Fingerzeig darauf waren auch die Notenständer mit entsprechenden Notenblättern.
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