JazzLuck: Vorhang auf für Jazz-Violine und mehr

Diesmal hatte sich Ben Bönniger den Violonisten Christoph König, den Pianisten Marc Brenken und den Kontrabassisten Markus Conrads für ein Konzert der Reihe JazzLuck ins Museum für Lackkunst (Münster) eingeladen. Der Ruhrpott – alle drei „Gastmusiker“ sind in der Essener Jazzszene zu Hause – traf also auf das eher provinzielle Münster, gerne auch von den Ruhrpottlern als „Hauptstadt der münsterländischen Schweiz“ bezeichnet.

 

Irgendwie liegt es an Essener Luft, oder?

Vorab einige Bemerkungen zu den Musikern: Der Essener Violonist Christoph König hat auf seinem Weg zum professionellen Jazzgeiger die unterschiedlichsten Musikstile von Klassik über Rock und Gypsy Swing bis Modern Jazz absolviert. Einem klassischen Violinstudium bei Professor W. Rausch folgten Jazzstudien bei Didier Lockwood in Paris und dem Saxofonisten Matthias Nadolny, der an der Folkwang Universität unterrichtet. Eigene Projekte sind außer „Uwaga!“, das Jazzstreichquartett „Hot Club of St Pauli“ und das „Christoph König Quartett“, das 2009 einen Jazzwerk-Ruhr-Preis erhielt.

Markus Conrad, ursprünglich ein ausgewiesener IT-Spezialist und Absolvent der Essener Folkwang Universität, spielt unter anderem bei den Ensembles „Wildes Holz“ – der Name ist Programm – und auch bei Memphis PC.

Marc Brenken, gleichfalls wie die anderen „Gastmusiker“ des Abends ein Absolvent der bekannten Folkwang Universität in Essen, spielt u. a. mit dem Münsteraner Trompeter Christian Kappe zusammen und hat obendrein die Reihe Jazz for the People ins Leben gerufen, die jeden Mittwochabend (außer in der Sommerpause) im Essener Katakomben-Theater stattfindet.

Ein Abend mit Pfiff

Im Museum für Lackkunst findet zurzeit eine Ausstellung mit Entwürfen zum Stadtumbau zwischen Bahnhof und Promenade in Münster statt. Entsprechend dieser Schau hatten sich die Veranstalter gewünscht, dass das Thema „Großstadt“ auch in der Jazzreihe einen Niederschlag findet. Jazz ohne Großstadt, so meinte Ben Bönniger, in seinen einleitenden Worten ist kaum denkbar. Man habe sich durchaus bemüht, bei der Auswahl der Kompositionen dem Thema gerecht zu werden.

Sting war auch da

Aufgemacht wurde der Abend mit „Dienda“, einer Komposition von Kenny Kirkland, die allerdings eher durch Sting bekannt wurde. Anfänglich war nichts von einer umtriebigen und schlaflosen Großstadt zu vernehmen. Besen strichen langsam über Bleche, und die Violine stimmte einen melancholischen Herbstgesang an. Raschelndes Laub fing Marc Brenken mit seinen Sequenzen auf dem Flügel ein. Sprudelnde Klangreihen ließen zugleich an herbstliche Farbspiele denken.

Ja, mitsummende Bassisten hat der Berichterstatter schon erlebt, wenn die Saiten des Tieftöners zum Schwingen gebracht wurden, aber einen pfeifenden Pianisten noch nie. Beschwingt klang die gepfiffene Melodie ganz abgestimmt auf das Spiel der Finger, die über einen Teil der 88 Tasten huschten. Lauschte man im weiteren Christoph König und seinem feinsinnigen Spiel auf der Violine, so meinte man zu erleben, dass sich Autos in den Kreisverkehr einfädeln, dass Menschen in Scharen im Untergrund verschwinden oder aus ihm auftauchen. Die Violine übergab danach nahtlos an den Bass, der durchaus fröhlich und nicht brummig gestimmt war. Zum Schluss gab es noch einen Schlag auf die Taste mit dem höchsten Ton, der einem Flügel zu entlocken ist, und dann war Schluss.

 

Der Bassist ist der wichtigste Mann des Abends

Im Kontext dieses ersten Stücks blieb mir folgende Bemerkung im Gedächtnis, die Ben Bönniger in die Runde warf: „Musik ist abstrakt. Man kann sich vieles denken.“ Genauso erging es mir als Berichterstatter, aber wahrscheinlich auch den anderen Zuhörern im Untergeschoss des Museums für Lackkunst.

Mit dem Satz „Der wichtigste Mann des Abends ist der Bassist, er weiß es nur nicht.“ leitete Ben Bönniger zum zweiten Stück des Abends über. Ja, diesmal stand wirklich der Bassist im Fokus, der den Titel „Up In The Air“ komponiert hatte. Bei dem Titel, so Markus Conrads, denke man wohl spontan an Wolkenkratzer, aber bei diesem Stück aus Dur-Akkorden gebe es noch eine weitere Interpretation, nämlich „in der Schwebe sein“.

Christoph König zeigte, was Pizzicato meint, derweil der Tieftöner gestrichen wurde. Beinahe kammermusikalisch mutete die Komposition im Nachgang an. Ohrschmeichlerisch war der Melodiefluss, der ganz wesentlich von der Klangform durch die Violine geprägt war. Während des Stücks vernahm man dramatische Steigerungen, bei denen man an hopsende Kinder und das Kinderspiel „Himmel und Hölle“ denken konnte.

Stets war das Thema auszumachen, auch wenn sich die beteiligten Musiker mit Soli zeigten. Irgendwie schlich sich auch „Über den Wolken muss der Himmel wohl grenzenlos sein“ ein, aber nicht im Nachgang von Reinhard Mey. Grenzenlos und schwerelos erschien das Spiel des Quartetts. Auch der nachfolgend gespielte Titel stammte von Markus Conrads: „One Last Good Bye“. Vielleicht hat das ja etwas mit Stadtflucht zu tun, obgleich es doch eher Landflucht gibt, oder?

Diesmal spielte Marc Brenken nicht nur auf dem Flügel, sondern Melodica, die so klang, als würde Toots Tielemans Mundharmonika spielen und zugleich auch wie ein diatonisches Akkordeon. Nein, nicht Chanson oder Musette vernahm man, sondern eher anhaltende Wehmut, zu der Christoph König seine Geigensaiten zupfte.

 

Treffpunkt Bar

Mit einem gewissen Augenzwinkern verriet uns Christoph König, dass man ganz lange gemeinsam geprobt und man sich auch ernsthaft mit dem Thema Stadt befasst habe. Vor allem sei man dabei immer wieder auf die melancholischen Seiten der Stadt gestoßen. Wenn man denn derart gestimmt sei, dann lande man wo – in der Bar. Mit dem Gefühl für Rumba sei es dann zu „Rumbar“ als Titel seiner Komposition gekommen.

Was passierte da denn? Marc Brenken klopfte auf den Flügelkorpus, beugte sich über dessen Innenleben und schlug mit der Hand gegen die konstruktiven Teile im Flügel. Der Bass hingegen blieb bei seiner Basslinie, und Ben Bönniger klopfte gleichfalls mit seinen Händen auf die Floor Tom. Die überaus schwermütige Geige vereinte sich nach und nach mit dem melodiösen Führungsstil des Flügels. War es schon Happy Hour? Oder sah man nur die elenden Gestalten einsamer Säufer vor sich, im Englischen Barfly genannt? Als Marc Brenken jedoch zu seinen Klavierpassagen pfiff, verwandelte sich die Stimmung in der Bar der einsamen Herzen, die dann doch gar nicht so einsam erschienen.

 

Kulinarischer Jazzhappen

Mit dem Werk „Nach einem Traum“ von Gabriel Fauré unternahmen wir an diesem Abend auch einen kleinen Exkurs in die klassische Musik, ehe uns dann ein kulinarischer Leckerbissen serviert wurde: „Kebop“ aus der Feder von Markus Conrads. Anfänglich verwandelte sich die Geige in eine Art Rhythmusgitarre, während die Melodielinie in den Händen von Marc Brenken lag. Rockige Elemente – dies war dem nahezu entfesselt agierenden Markus Conrads zu verdanken – kreuzten sich beim „Verzehr“ von „Kebop“ mit orientalischen Klangbildern. Letzteres war der Geige geschuldet, die Bilder von Tokapi-Palast, Serail und Basar in unseren Köpfen wach werden ließ. Doch es ging ja um eine jazzige Geschmacksverführung, die eher mit Berlin-Kreuzberg in Verbindung steht als mit Nahost. Zwischenzeitlich hatte man sogar die Vorahnung, man werde noch mit Rockabilly konfrontiert. Doch dazu kam es dann jedoch nicht.

 

Nur Liebe

Der zweite Teil des Abends wurde mit einem Jazz-Standard eingeleitet: „I can't give you anything but love“. Dabei galt, dass es nicht auf das Was, sondern wie so häufig beim Jazz auf das Wie ankommt. Nein, das Quartett kopierte hier weder Louis Armstrong, noch Tony Bennett und Lady Gaga, sondern suchte sich eine ganz eigene Annäherung an diesen Standard. Marc Brenken und Christoph König ließen sich auf ein Duett ein, bei dem Marc Brenken mit seinem Fußspiel auch einen starken Rhythmus einbrachte. Überhaupt unterstrich der Pianist des Abends, dass Jazz Körperarbeit ist. Er ruderte mit den Armen, sprang von seinem Schemel auf, wippte mit dem Oberkörper, ließ die Finger mit voller Energie auf die Tasten niederfahren, um sein akzentuiertes Spiel zu beginnen. Derweil hatte man als Zuhörer den Eindruck, dass Christoph König seine Geige auch ein wenig swingen ließ, im Geiste von Svend Asmussen und Stéphane Grappelli, oder? Es war ein Stück mit Pfiff, im Wortsinn von Pfiff, aber auch die improvisierten Brückenschläge hatten ihren Platz.

Dass ein Besuch in Rom mit dem Verlust von Koffern, schlechter Laune und dem Bruch der Beziehung enden kann, hat Christoph König nach eigenem Bekunden erlebt und daraus die Inspiration für seine Komposition „Fiumicino“ gewonnen.  Nach Streit, nach schlechter Laune oder gar handfestem Krach klang es dann nicht, was die sehr zahlreichen Zuhörer zu hören bekamen. Eher hatte man erneut den Eindruck, dass die Melancholie der Großstadt ihre Opfer suchte.

Momentaufnahmen und ...

Anschließend entführte uns das Quartett in die Welt von Bebop und Hardbop. Kein Geringerer als John Coltrane hatte „Moment's Notice“ komponiert. Nun ließen uns die vier Herren aus Essen, Wuppertal und Münster an Coltranes Vorstellung von Großstadt teilhaben. Urbaner Dschungel breitete sich klanglich im Raum aus. Bilder von dichtem Verkehr und Fahrradkurieren, die sich waghalsig durch die Autoreihen ihren Weg bahnen, drängten sich beim Zuhören auf.

Nach einem Exkurs in die avantgardistische Klassik eines Erik Saties, stellte Marc Brenken sein Werk „Inner City“ vor. Erstmals hätten sie dieses Werk in der Kölner Opernpassage im Januar 2006 vorgestellt. Damals hätte es noch keinen Titel gegeben, aber ein Zuhörer hatte dann die Idee von „Innenstadt“. Das sei auch ein guter, multilingualer Titel, so Marc Brenken kommentierend. Der passe auch im Ruhrgebiet: „Heute gemma inna zitty, woll“. Das käme auch jedem Ruhrpottler über die Lippen. So bewegten wir uns dann zwischen Schaufensterbummel, hektischen Menschenmengen und Feierabendverkehr durch den weiteren Abend im Museum für Lackkunst. Der anschließende Beifall war so anhaltend, dass sich die Musiker zu einem Encore entschlossen: Mit „Honeysuckle Rose“ gab es dann einen „Gassenhauer“ des Jazz zum Abschluss zu hören.

Es war ein sehr gelungener Abend, bei dem man den Eindruck gewann, dass sich die vier Musiker, die vorher in dieser Besetzung noch nie gemeinsam aufgetreten waren, am Ende wirklich gefunden hatten. Im Laufe des Abends hatten sich  ihre Spielfreude und ihr Spielwitz nach und nach gesteigert hatte. Das honorierte das Publikum auch mit zahlreichem Zwischenapplaus.

Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Musiker
Ben Bönniger
http://www.jazzhalo.be/interviews/ben-boenniger-interview-mit-dem-muensteraner-schlagzeuger/

Marc Brenken
http://www.marcbrenken.com

Christoph König
http://www.jazzvioline.com/jazzvioline.com/Home.html

Markus Conrads
http://markus-conrads.de/
https://www.facebook.com/markus.conrads.54?_rdr=p
http://www.wildes-holz.de/en/info.html

Fremdkompositionen

Sting - Dienda (live) - YouTube *
https://www.youtube.com/watch?v=KCbyznpUzjw

Honeysuckle Rose
Fats WALLER "Honeysuckle Rose"
https://www.youtube.com/watch?v=UAlkSdrO1DY

I can't give you anything but love
SARAH VAUGHAN - I Can't Give You Anything But Love
https://www.youtube.com/watch?v=PngesA5L3u0

John Coltrane’s “Moment’s Notice”
http://andreabrachfeld.com/2012/12/john-coltranes-moments-notice/


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