JazzLive: Wir können auch anderes – Stefan Bauer Septett

Dachtheater Warendorf, 19.12.2024







Wie jedes Jahr brachte der in New York lebende, aber aus Recklinghausen gebürtige Vibrafonist Stefan Bauer auch in diesem Jahr eine neue Formation aus erlesenen Musikern mit in die „Stadt des Pferdes“.

Erstmals war ein Septett rund um den Vibrafonisten zu hören. Zu ihm gehörten an diesem Donnerstagabend im Dezember die Sängerin und Violinistin Claudia Ramos Barretto, die beiden Gitarristen Fred Tenbieg und Ingo Marmulla, der Bassist Alex Zotz und die beiden Schlagzeugen Michael Peters-Thöne und Jonny Schierhorn.


  



Im Vorfeld des Konzerts las man im Pressetext: „Stefan Bauer sieht sich trotz seines jahrzehntelangen Aufenthaltes in Nordamerika als Kind des Ruhrgebiets. Die mal offene, mal versteckte Jazz-Affinität dieser Region wurzelt unter anderem - vielleicht nicht unähnlich den ursprünglichen Jazzzentren New Orleans, Chicago und New York - in seiner ethnischen und kulturellen Vielfalt. Diese den Jazz begünstigende Energie zu entfachen, zu nutzen und zu fördern war Bauer immer schon ein Anliegen.“

Ohne Stefan Bauer, so Michael Peters-Thöne, wäre das Septett für die musikalische Winterreise nie zusammengekommen. Dabei handelt es sich um ein generationsübergreifendes Ensemble. So kennen sich Stefan Bauer und Michael Peters-Thöne aus Zeiten, als Stefan Bauer an der Musikschule Dortmund Posaunenunterricht (sic!)  nahm. Jonny Schierhorn, Claudia Ramon Barretto und Fred Tenbieg kennt Stefan Bauer aufgrund seiner Lehrtätigkeit an der Folkwang-Universität in Essen.

  


Stefan Bauer schien wie beseelt über das Ensemble, hatte an diesem Abend sehr viel Spielfreude und plauderte auch hier und da ausgiebig, trug manche Anekdote vor, auch über zwei Afrikatourneen im Auftrag des Goethe-Instituts. Dabei war auch der Schlagzeuger Michael Peters-Thöne, der an diesem Konzertabend durch brillantes Fingerspiel auf der Conga aber auch den Toms brillierte und zudem Tambourins zum perkussiven Klingen brachte.

Das Programm war bunt gemischt. Dabei stand, so Stefan Bauer, nicht „Jäzz“ mit großem J, sondern mit kleinem j im Fokus, also eher etwas beschwingte, „fröhliche Klänge in diesen dunklen Zeiten“ (S.Bauer). Grooves und nicht so sehr ausladende freie Improvisation waren zentral.  Dass dabei auch bisweilen Zappaeskes zu hören war, sei hier nur kurz angemerkt. Das galt vor allem für „Worlds collide“.

Den Auftakt machte eine Komposition des schwedischen Posaunisten Eje Thelin. Mit ihm hatte Bauer auch zusammengespielt, auch wenn bei der ersten Begegnung deutlich wurde, dass Thelin die zugeschickten Noten nicht gelesen hatte, weil er dies auch nicht konnte. „Carneval“ wurde im Sextett eingespielt, da die Sängerin und Violinistin noch unterwegs nach Warendorf war. Schon bei den ersten Takten hatte man den Eindruck, man werde in karibische Gefilde entführt und Calypso würde das Dachtheater ausfüllen. Eigentlich war das Musik zum Tanzen. Doch dazu gab es in dem überaus gefüllten Dachtheater nicht den notwendigen Raum.

  


Zwei Gitarristen, die sich wunderbar in ihren Klangläufen ergänzten, ein Drummer, der seine Finger über die Conga tanzen ließ und Stefan Bauer, der am Keyboard saß, machten den Wohlklang des Stücks aus. Da vermisste man die im Jazz fast obligatorischen Saxofonisten keineswegs. Für tieftönige Gebläse sorgte der Bassist, der an der Tuba zu hören war und gleichsam den Kontrabass ersetzte, auch dieser obligatorisch in vielen Jazzformationen. Das Vibrafon kam mit seinen kristallenen Klängen zum Einsatz. Keine Frage, Phrasierungen und Paraphrasierungen waren auszumachen, auch dank des umsichtigen Saitenspiels von Ingo Marmulla. Ihn erlebten wir gegen den Schluss des Stücks zudem  in einem Duett mit Stefan Bauer. Na, das war mal ein toller Ohrenschmaus gleich zum Auftakt!


Mit „Zwischentexten“ von Stefan Bauer ging es zunächst weiter. Dabei verwies er darauf, dass ohne seinen Vater und dessen Passion für Jazz der Jazz sicherlich nicht in sein Leben getreten wäre. Zudem seien auch Musiker wie Hans Koller, Klaus Doldinger oder auch Niels-Henning Ørsted Pedersen ganz entscheidend für die „Jazzprägung“ gewesen.

Für „Hot Dogs & cool chicks“ nahm der Bassist seinen E-Bass in die Hände. Als neue Klangfarbe kam die Violine hinzu, allerdings keine E-Violine, sodass man bisweilen den Eindruck hatte, das Klangvolumen sei doch sehr dünn und die Violine könne sich nicht gegenüber den beiden Gitarristen und den Bassisten behaupten. Je länger die Violinistin jedoch den Bogen sacht über die Saiten zog, desto nachhaltiger wurde das Spiel von Claudia Ramos Barretto, die aus Cuba stammt und nun in Essen studiert. So verschwand nach und nach der anfänglich blässliche Klang. Klangschwall auf Klangschwall folgte mit Basserdungen und Klangverwischungen des Vibrafonisten. Übrigens, hörte man genau auf die Geigerin, dann meinte man, auch ein wenig Bluegrass herausfiltern zu können, oder doch nicht? Ansonsten bestimmten rockige Saitenklänge das Klangbild, erlebte man einen Dialog zwischen den beiden Gitarristen. Dabei schienen sich Ingo Marmulla und Fred Tenbieg zu Höhenflügen des Klangs zu animieren.


Shaker kamen zu Beginn bei „Askale Tulem“ zum Einsatz. Schlägel tanzten flink über die Klangstäbe des Vibrafons und die Conga schwirrte unter dem Fingerspiel. Zudem erlebten wir die Geigerin als Vokalistin, lautmalerisch und zwischen Alt und Sopran changierend. Schlägel ließen Becken und Toms erzittern und schwingen. Bisweilen schwebte das Stimmliche als Teil der Instrumentierung über dem Klang des Vibrafons. Sehr lyrisch ausgeformt war das, was an unsere Ohren drang. Klangbilder entwickelten sich sprunghaft von klanglichem Trittstein zu Trittstein. Zugleich konnte man sich vorstellen, es werde in Klangfarben ein silbrig glänzende Seenlandschaft im Sonnenschein gemalt.

Zu den Klassikern im Repertoire des Recklinghäuser Gitarristen und Italien-Liebhabers Ingo Marmulla gehört „Where is David?“. Und so begaben wir uns auch an diesem Warendorfer Konzertabend auf die Suche nach dem ikonischen Werk von Michelangelo, so wie dies auch Ingo Marmulla während eines Florenz-Aufenthaltes getan hatte. Eingeleitet wurde das Stück von rhythmischem Klatschen, zu dem der Gitarrist das Publikum animierte. Nach und nach stiegen die Musiker des Ensembles in den Klangreigen ein, erst einer der Drummer, dann die Geigerin, die ihr Instrument ein wenig flehend und wehmütig klingen ließ. Stefan Bauer entfachte auf dem Vibrafon einen sanften Klangföhn. Derweil agierte der Bassist hintergründig, ehe dann Ingo Marmulla die Schönheit der Melodie entfaltete. Dabei konnte man durchaus den Eindruck des Herumirrens und Suchens  gewinnen.  Schließlich war man auf der Suche nach David.


Im ersten Teil des Konzerts hörten wir außerdem ein Stück von Baden Powell namens „Samba em preludio“. Dabei stand das Stimmliche im Fokus,  durchaus an ein Chanson erinnernd. Stefan Bauer steuerte zu diesem Stück feinste Kaskadierungen bei. Klangschraffuren der Gitarristen prägten ebenso wie lautmalerischer Gesang das Stück „Tomorrow“.  „Worlds collide“ beendete das 1.Set und fürwahr erlebte man die „Kakophonie unseres Globus“. Da bewegten sich die einzelnen Musiker zeitweilig auf unterschiedlichen Umlaufbahnen, schien Fragmentarisches und Destruktives gewollt vorgetragen zu werden. Klangtosen und Klangtoben vereinten sich. Und irgendwie schien auch ein gewisser Frank Zappa im Geiste anwesend zu sein, oder?

Nach der Pause folgten Kompositionen wie „Fenchel“ (Alex Zotz), „Priere“ (Bauer) und „Fels“ (Bauer); die Spiellaune der Beteiligten war nach wie vor ungebrochen. Schließlich entführte uns Stefan Bauer mit seinem Stück „Brooklyn in Grey“ zu seinem Lebensmittelpunkt jenseits des Großen Teichs. Dabei schien im Berichterstatter eher das Bild eines winterlichen Brooklyn aufzublitzen als das eines wolkigen Regentags. „Bernard Woma“, entstanden während der oben angesprochenen Afrikatour nach Abidjan und Accra, ist eine Hommage an den Gyll-Spieler gleichen Namens. Bei Gyll handelt es sich um eine afrikanische Form des Marimbafons.  Und dann war das Konzert eigentlich zu Ende, aber nicht in Warendorf. Der lang anhaltende Beifall führte zu einer Zugabe. „Turnaround“ war schlussendlich das I-Tüpfelchen eines sehr gelungenen Konzerts.

© Fotos und Text ferdinand dupuis-panther 2025


Infos
Konzerte im Dachtheater
https://www.theateramwall.de/
https://www.jazz-in-warendorf.de/

Line-up
Stefan Bauer
Claudia Ramos Barretto
Fred Tenbieg
Ingo Marmulla
Alex Zotz
Michael Peters-Thöne
Jonny Schierhorn

Playlist
Set 1
Carneval (Eje Thelin)
Hot Dogs & cool chicks (Bauer)
Askale Tulem (Bauer)
Where is David ? (Ingo Marmulla)
Samba em preludio (Baden Powell)
Tomorrow (Jonny Schierhorn)
Worlds collide (Bauer)

Set 2
Fenchel  (Alex Zotz)
Priere (Bauer)
Fels (Bauer)
Brooklyn in grey (Bauer)
If I knew … (Fred Tenbieg) -
Bernard Woma (Bauer)
~
Turnaround (O. Coleman)

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