JazzLive: Olivier Chavet – Mehr als nur Wurzelwerk

Dachtheater Warendorf, 20.02.2






In der Konzertankündigung hieß es: „Racines ist ein Soul orientiertes Musikprojekt, dessen Stücke aus der Nähe zur Natur und aus Momenten der Ruhe entsprungen sind.“ Kein Wunder, denn Musik und Natur sind zwei Elemente, die den Komponisten Olivier Chavet seit seiner Kindheit privat wie beruflich prägen. Der in Aachen geborene Belgier ist sowohl ausgebildeter Musiker als auch studierter Agrarwissenschaftler. 

Im Dachtheater spielte der bereits zuvor erwähnte belgische Komponist und Schlagzeuger Olivier Chavet im Quartett mit dem belgischen Pianisten Igor Gehenot, der in Brüssel lebt. Die Flügelhornistin und Trompeterin Heidi Bayer, die sonst Teil des Quartett ist, ist hochschwanger und wurde durch den Kölner Trompeter Matthias Schwengler ersetzt. Und schließlich war da noch der in Aachen lebende Stamm-Kontrabassist Werner Lauscher, der für die tiefen Klänge verantwortlich zeichnete. Aus Budgetgründen musste für das Warendorfer Konzert auf die Anwesenheit des Gitarristen Daniel Chavet verzichtet werden. Dieser bereichert auf beiden Alben des Ensembles die Klangfärbungen!


Um es vorwegzunehmen: Der Begriff „Soul orientiert“, so Olivier Chavet im Gespräch, hat nichts mit Soul-Musik im eigentlichen Sinn zu tun, sondern mit Musik, die aus der Seele kommt, aus dem Inneren. So ist aus Sicht des Berichterstatters die Musik, die das Quartett in den beiden vorliegenden Alben präsentiert, eine durchaus lyrisch ausgeformte, poetisch zu charakterisierende Musik. Übrigens, im Gegensatz zur Vorankündigung wurde nicht nur das Album „Racines“ vorgestellt, sondern auch das Ende März erscheinende neue Album „Elements“.


Überaus, gut besucht war das Dachtheater, um dieses belgisch-deutsche Ensemble zu erleben. Wer gekommen war, bereute das nicht angesichts der poetischen Melodien, die zu Gehör gebracht wurden. Ohne einführende Wort begann das Konzert. Zunächst war es an dem Drummer mit feinem Finger- und Handflächenspiel die Felle von Snare und Tom ins Schwingen zu bringen, gleichsam die perkussive Ouvertüre des Konzertabends.  Der Trompeter Matthias Schwengler verwob feine Klangfäden mittels seiner Trompete. So entstand ein dichtes Klanggewebe, weich wie Angorawolle, wenn dieser Vergleich hier erlaubt ist. Was der Trompeter vortrug, glich zudem der frühmorgendlichen Begrüßung eines Tages mit tiefrotem Sonnenaufgang. Begleitet wurde der Trompeter von den stoisch gesetzten Basslinien, dank an Werner Lauscher.

Olivier Chavet pflegte einen perkussiven Stil abseits des Hau-drauf. Mit organischen Bewegungen agierte er an seinem Drumset, dämpfte gelegentlich auch das Fellschwirren, unter anderem der Snare. Doch der klangliche Fokus lag ohne Zweifel auf dem Trompeter, auch wenn der Pianist Igor Gehenot in seinem Solo mit seinem Klangfluss die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Dabei vernachlässigte der Tastenvirtuose nicht das „Bass-Spiel“ und ließ auch keine klanglichen Verwässerungen an unser Ohr dringen. Teilweise vernahmen wir ein perlendes Spiel, das an einen Gebirgsbachlauf und dessen Wasserrinnen denken ließ. All das war bei Gehenot in ein Energie betontes Spielkorsett eingebettet. Und noch etwas war bereits im ersten Stück deutlich wahrzunehmen: Das Thema wurde im Verlauf immer wieder präsentiert, im vorliegenden Fall dank an Matthias Schwengler.


Nahezu nahtlos ging es weiter, sieht man mal vom Einzählen für das folgende Stück ab.  Olala, gab es da nicht auch im weiteren Harmonien zu hören, die man aus der Musik von Pharaoh Sanders her  kennt? Irgendwie kamen dem Berichterstatter Fragmente aus „Save our children“ in den Sinn. Und noch einen Bezug konnte der eine oder andere herstellen, als der Trompeter die musikalische Regie übernahm. Dessen Spiel erinnerte an den Ansatz, den der norwegische Trompeter Mathias Eick pflegt, wenn man so will ein wenig Fjord-Sound im Münsterland. Es war Musik, in die man sich entspannt fallen lassen konnte, stets auf der Suche nach der Schönheit der Melodie. Diese wurde nicht nur in dem zweiten Stück des Konzerts umgesetzt, sondern während des gesamten Konzertabends, einschließlich der obligatorischen Zugabe nach herzlichem Applaus.

Überzeugend war die klare Klangsprache und ein kompositorisches Muster, das eben nicht in gängige Muster des Mainstream-Jazz abdriftete. „Pas à pas“ war der eine Titel aus dem Album „Racines“, der zu Anfang zu hören war, der andere „Racines“ wie das gleichnamige Album des Ensembles.

  


Weiter ging es mit einem Stück, dass dem Drummer während eines Spaziergangs mit seiner Tochter in den Sinn kam. Dieser Song nimmt auch die Rauheit der Eifel und der Hohen Ardennen auf, der Gegend, in der Olivier Chavet daheim ist und im Nebenerwerb seine Landwirtschaft betreibt. Eher die leisen Töne waren es zu Beginn, die den Zuhörern Konzentration abverlangten. Igor Gehenot verstand es dabei, die Stimmung eines Waldspaziergangs einzufangen. Leise Windbewegungen, ein Rascheln des auf dem Boden liegenden Laubs, die Stille und Entspannung. Dazu passte auch das Besengewische von Olivier Chavet, insbesondere um den Wind, der sich im Laub fängt, musikalisch einzufangen. Weiter ging es bei dem Stück „Lucie“ mit den Weichzeichnungen von Matthias Schwengler auf seinem Flügelhorn. Dabei hatte man auch das Gefühl, man werde zu einer Wanderung im Hohen Venn verführt. Zugleich drängte sich das Bild des Versteckspiels in einem dichten Buchenwald auf, dabei die mächtigen Bäume als Versteck nutzend.

Der Pianist inszenierte kleine Klangstrudel ebenso wie kristalline Klanggebilde. Derweil war der Bassist bestrebt, in seiner dunklen Tieftönigkeit die Vorstellung von schweren Schritten zu evozieren, oder?  Dabei konzentrierte sich das Zupfspiel von Werner Lauscher darauf, die Griffhand am oberen Basshals zu platzieren. Unaufgeregt begleitete der Drummer seine Mitmusiker. Nicht nur bei „Lucie“, sondern auch sonst drängte sich der Schlagwerker nicht auf. Das Spiel der vier Musiker war auf Augenhöhe ausgerichtet!


Auch Stücke aus dem neuen Album hatte die Band mit im Gepäck und auch die entsprechende CD des Albums „Elements“, eine konsequente Fortsetzung des ersten Albums zum Thema „Mensch und Natur“. So hörten wir dann „Löwenzahn“ (Dent de Lion im Original). So erlebten wir die Fortsetzung der lyrischen Konnotation, wie sie auch zuvor zu hören war. Alles war im Fluss, ein Leben ohne Hast und mit Momenten der Kontemplation. Das war der Eindruck. Es gab zeitweilig leicht rollende Klangpassagen wahrzunehmen. Drohendes Unwetter vielleicht? Leicht und unbeschwert klang das, was der Pianist vortrug. Im Fortgang wurde dann auch das Schlagwerk fordernder eingesetzt, ohne jedoch in einer Eruption zu münden.

Kurz waren die Wortbeiträge, die Olivier Chavet hier und da zwischen der musikalischen Präsentation einschob. So erfuhren die Anwesenden, dass das Stück „Travers“ aus dem Album „Racines“ zu einem Zeitpunkt entstand, als der Drummer ein „tiefes Tal durchschritt“. Das hing auch mit den Problemen einer Album-Produktion zusammen. Irgendwie, so Chavet, sei ihm das Stück spontan in die Feder geflossen. Wie gesagt die Wortbeiträge waren knapp gehalten. Es ging ja schließlich um die Musik.

Nein, Grau in Grau erlebten wir nicht, wie vielleicht zu erwarten. Statt dessen hellte der Trompeter mit seinem Spiel die Stimmung auf, schien in Pastell eine Klanggouache zu zeichnen. Mit einem Anflug von Chopin war der Pianist unterwegs. Das war jenseits von Schwere. Und in dem folgenden Solo des Trompeters schien man gar mit klassischem Bop konfrontiert.


Im zweiten Teil des Konzerts hörten wir zu Beginn „Elements“. Luft, Feuer, Wasser und Erde wurden klanglich umgesetzt und dabei schien auch auf eine Fugenmodulation zurückgegriffen zu werden. Hörte man nicht auch ein Himmelsdonnern? „Resilient“ hieß es weiter. Aufruf zur Widerstandsfähigkeit oder was? - das fragte sich der eine oder andere unter Umständen. Nein, einen Agit-Prop-Song light hatte die Band nicht im Gepäck. Eher konnte man beim Zuhören sich besinnen und seine Mitte finden, insbesondere angesichts der Erzählformen, die der Flügelhornist pflegte. Erzählte er von einem traumwandlerisch über ein Seil tanzenden Akrobaten oder vom Waldbaden? Assoziationen waren jedenfalls in vielen Richtungen denkbar.

Im Fortgang des Konzerts widmete sich das Ensemble der „Neun“ als Sinnbild der Vollkommenheit ebenso wie als eigentlich letzten Song des sehr hörenswerten Konzerts dem „Tag“. Doch Tag schien als Kompositionstitel nicht so prickelnd und so entschied sich Olivier Chavet angesichts seines Rasen mähenden sizilianischen Nachbars für „Giorno“. Kleine nette Anekdote, um die Brücke zum Publikum zu schlagen. Dieses hatte unterdessen ungemein großen Gefallen an der Musik des Quartetts gefunden und „belohnte“ die Musiker mit einem überwältigendem Applaus zum Schluss. Wie gesagt, die Zugabe gab es dann selbstverständlich. So ging ein kühler Februarabend mit leichten „frühlingshaften“ Klängen zu Ende. Au revoir!

© Fotos und Text Ferdinand Dupuis-Panther




Musicians
Olivier Chavet
Igor Gehenot
Werner Lauscher
Matthias Schwengler

CD review 'Racines"


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