Dachtheater Warendorf, 16.1.2025
Erik Satie ist ein fast vergessener französischer Komponist und sein Werk zeichnet sich durch einen gewissen „Minimalismus“, sprich eher karge Themen-Strukturen, aus. Zudem ist auffallend, dass Satie seine Kompositionen mit „französischen Regieanweisungen“ versah. So liest man bei „Trois Gnossiennes“ Anmerkungen wie „Lent“, „Avec étonnement“ und wieder „Lent“. Ähnliches ist bei den beiden Werken „1er und 2e Prelude de Nazaréen“ der Fall. Und auch bei seinem wohl bekanntesten Werk namens „Trois Gymnopédies“ finden sich „Spielanweisungen“ betreffs des Duktus für die jeweiligen Sätze: „Lent et douloureux“, Lent et triste“ sowie „Lent et grave“. Und was ist auffällig dabei? Satie verweigerte sich damit den Konventionen, italienische Bezeichnungen zu verwenden. Er war wohl der erste Komponist, der die Anweisungen in französischer Sprache notierte. Übrigens, in einem seiner Stück fehlen die Taktstriche, weil er der Meinung war, dass jeder höre, in welchem Takt die Komposition gedacht war. Avantgardist oder Verrückter – Letzteres finden Sie in einem Feature zum Komponisten in einem Beitrag des Deutschlandfunks (siehe unter Info)!
Angesichts dessen fragte man sich, wie ein Jazzmusiker mit seinem Ensemble diesen Anweisungen Rechnung trägt oder nicht. Zudem stellte sich die Frage nach den Arrangements durch Caspar van Meel, hat doch Satie im Kern solistische Klavierwerke geschrieben. Wer das van Meels Album namens „Satie: A Time Remembered“ vor dem Konzert gehört hatte, konnte die Frage für sich beantworten.
Van Meel konzentriert sich bei den Album-Aufnahmen auf die „Gnossiennes“ – eine Reihe von Kompositionen für Klavier, Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben. Die Melodien und Harmonien in diesen Werken sind durchaus übersichtlich in „melodischen Fragmenten“ strukturiert und fast neo-romantisch zu nennen, gewiss auch mit einer Form „nordischer Schwere“.
Die Tatsache, dass Caspar van Meel sich in Corona-Zeiten mit den Arrangements für Saties Musik für ein mehrstimmiges Ensemble befasste, lässt aufhorchen. Dabei ist es die Mehrstimmigkeit, die wohl eher überraschend ist, vor allem bezogen auf das Dreigestirn der Bläser, die sehr stimmgewaltig sind. Im Konzert, das sei vorweggenommen, zeigte sich, dass sich die Klavierstimme kaum – und wenn, dann nur bei solistischen Partien - gegen den vielstimmigen „Bläserrausch“ durchzusetzen vermochte. Wenn man Satie als Komponisten der kleinen Melodien und Wiederholungen und dessen ausschließlichem Schreiben für Solo-Piano wirklich ernst genommen hätte, dann hätte man wohl auch die Arrangements für ein Jazzensemble auf ein Duo – Bass und Klavier – oder ein Trio – Posaune, Bass und Klavier – reduziert, oder? Damit hätte man Raum für Original und Variation/Improvisation, insbesondere für den Pianisten, schaffen können. So aber, im Sextett, lag die musikalische „Allmacht“ im Warendorfer Dachtheater ohne Frage auf den Bläsern! Sie agierten teilweise wie eine kleine Big Band.
Ohne Vorrede ging es gleich ins Musikalische. Das war eigentlich schade. Wer von den Anwesenden kannte eigentlich Erik Satie, seine Lebensgeschichte und seine Werke? Wäre es nicht angezeigt gewesen, auch musikalisch mal das Original einer seiner Kompositionen „Gnossiennes“ anzuspielen, um einen Einstieg in das Werk eines Komponisten des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts kennenzulernen? Während der Spielpausen ging Caspar van Meel immer mal wieder auf den Lebensweg Saties ein, streifte die Armut und dessen Leben als Pianist in Cafés und anderen Etablissements wie „Le Chat noir“.
Völlig außen vor blieb die humoristisch-ironisierende Seite des französischen Komponisten. Man lese einmal seine Titelauswahl und seine sonstigen Bemerkungen zu Kompositionen: „Drei birnenförmige Stücke mit einer Art Anfang, einer Verlängerung desselben und einem weiteren, gefolgt von einer Wiederholung desselben“. Es sei zudem auf „Unappetitliche Choral“ – „Choral inapétissant“ – hingewiesen, den Satie 1914 „den Verschrumpelten und Verblödeten“ widmete. Schließlich sei noch „Wahrhaft schlaffe Präludien für einen Hund“ (Véritables Préludes flasques pour un chien) erwähnt.
Gewiss Satie gehörte zur Avantgarde, kannte beispielsweise den Maler des Kubismus Pablo Picasso und den Dichter Jean Cocteau, aber ob er wirklich ein Komponist des Umbruchs war, wie ihn van Meel sinngemäß charakterisierte, sei dahingestellt. Saties Herz schlug links, im politischen Sinne, trat er doch 1920 in die KP Frankreichs ein. Doch Revolutionsmärsche komponierte er nicht. Unruhige Zeiten erlebte er, die Ermordung des französischen Sozialistenführers Jean Jaures, den Ersten Weltkrieg, die Versuche der Räterepubliken, die Russische Revolution, den Kapp-Putsch und die Ruhrbesetzung, aber ob und wie das sein Leben und sein musikalisches Schaffen tangierte, wissen wir nicht wirklich.
Doch nun zum Konzert selbst: Gewaltig war gleich im ersten Stück des Abends die Präsenz der drei Bläser. Gewiss auch Solistisches des Pianisten Franz von Chossy und des Tenorsaxofonisten Denis Gäbel gab es zu erleben. Bisweilen blitzte der Gedanke beim Zuhören auf, Stan Getz und seine Zeitgenossen würden „ihren“ Jazz spielen. Streckenweise war im Spiel von Franz von Chossy zu erahnen, wie Satie im Original klingt. Es gab motivische Verknüpfungen. Doch von den typischen „Regieanweisungen“ Saties merkte man nichts. Nichts war von Traurigkeit, von Schmerz, von langsamem Tempo zu spüren. Eher hatte man den Eindruck einer fröhlichen Frühlingsmelodie zu folgen. Immer dann, wenn die Bläser agierten, fiel es schwer, sich auf die Klavierstimme zu fokussieren. Das gelang stets nur dann, wenn von Chossy solistisch agierte oder im Duo mit dem Bassisten van Meel. Dann ließen sich die kargen musikalischen Muster Saties plus Paraphrasierungen destillieren.
„1er Gnossienne“ machte den Anfang für einen Abend, an dem es auch eine Komposition von Bill Evans names „A Time Remembered“ und eine Komposition van Meels mit dem Titel „For Erik“ zu hören gab. „Ogives No 1“ folgte als zweites Konzertstück. Entstanden sei das Stück, so van Meel, nach zahlreichen Besuchen Saties in Notre-Dame de Paris und der Betrachtung der Buntglasfenster und der Rosette der Kathedrale an der Seine. Die ersten Klänge bestimmte der Posaunist des Sextetts Jonathan Böbel. An einen Kirchenpsalm musste der eine oder andere wohl beim Zuhören denken. Schlägel drangen auf Felle ein, sodass man meinte, auch ein Paukist sei im Dachtheater zugegen. Im weiteren schien eine Mischung aus Kirchen- und höfischer Musik ans Ohr der Anwesenden zu dringen. Durchdringend und „angesäuert“ war das Solo des Trompeters Ryan Carniaux. Dominanz wurde gezeigt, auch gegenüber dem Pianisten mit seinem Tastenfluss. Es gab Gewicht und Gegengewicht zu erleben und die Wiederkehr des thematischen Motivs nach Paraphrasierungen, die teilweise in einem Schwall von Free Jazz, so konnte man meinen, mündeten.
Mit einer gewissen Getragenheit und Pathos kam der oben genannte Bill Evans Titel daher, jedenfalls so wie ihn van Meel für sein Ensemble arrangiert hatte. Pianistische Rinnsale waren ebenso zu hören wie Klangwellen, die Posaunist und Saxofonist uns zu Gehör brachten. Vor der Pause präsentierte das Sextett noch „Gnossienne No 4“. Dabei schien man beim Zuhören an Kirchenmusik denken zu müssen. Gab es da nicht auch eine Art Kanonfolge, wenn Trompeter und Saxofonist im Fokus standen? Klangfluchten waren es, die uns der Trompeter bei diesem Stück zudem präsentierte.
Der zweite Teil des Konzerts „versöhnte“ Liebhaber von Saties Musik, stand doch das eine oder andere Mal wirklich die Klaviermusik im Vordergrund. Einen besonderen Hörgenuss bot das Bass-Solo in „Gnossienne No 3“. Im Anschluss schien uns das Ensemble dann in seinen Improvisierungen nach New Orleans zu entführen bzw. zu einer Session im New Yorker Village Vanguard, oder? Der Schlussapplaus war frenetisch, so dass es ohne Abgang und Rückkehr auf die Bühne eine Zugabe gab, die oben bezeichnete Komposition „For Erik“.
Puristen der Musik von Satie hätten sich mehr Destillate von dessen Klaviermusik gewünscht, in deutlicher Abgrenzung von den Jazzimprovisationen. Nun ja, Caspar van Meel hatte sich für einen anderen Weg entschieden Und das Publikum hat das durch sehr herzlichen Schlussapplaus honoriert.
© fotos und text ferdinand dupuis-panther
https://casparvanmeel.com/en/projects/satie-a-time-remembered.html
Line-up:
Ryan Carniaux - Trompete
Denis Gäbel - Saxophon
Jonathan Böbel - Posaune
Franz von Chossy - Klavier
Caspar van Meel - Kontrabass
Niklas Walter – Schlagzeug
Mehr zu Satie
https://de.wikipedia.org/wiki/Erik_Satie
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