vom 11. – 13. September 2020, Villingen (Schwarzwald)
Der letzte Tag des Festivals, der Sonntag, stand zunächst im Zeichen des solistisch zu Werke gehenden Saxofonisten Joan Jordi Oliver Arcos, aus Mallorca stammend, aber nun in Zürich residierend. Dabei lotete er analog Klangnuancemn von Sopran- und Altsaxofon aus. Er reicherte das Analoge mit dem Elektroakustischen an.
Nachfolgend waren SchnellerTollerMeier zu hören - welch ein Bandname! Dabei handelt es sich um ein Trio, bestehdend aus Andi Schnellmann (Bass), Manuel Troller (Gitarre) und David Meier (Drums). Bei diesen Dreien traf Minimal Music auf brutalen Rock und Psychedelic Music, wodurch Genregrenzen übersprungen wurden. Sphärische Turbulenzen vereinten sich mit Metal und Hard Rock. Rave stand außerdem an, weniger jedoch klassische Technomusik.
Den Schlussakkord stimmten Of Cabbages And Kings an, ein reines Vokalensemble mit Veronika Morscher (Gesang), Zola Mennenöh (Gesang), Laura Totenhagen (Gesang) und Rebekka Salomea Ziegler (Gesang). In der Vorankündigung war Folgendes zu lesen: „Die Musikrichtung von „Of Cabbages and Kings“ beschreiben die Künstlerinnen als Neo-A-Cappella. Darunter verstehen sie „eine andere Art des A-cappella-Gesangs – eine Art, die neugierig macht, die unkonventionell ist, die uns als Künstlerinnen Freiheiten gibt, uns Raum schafft, vier Individuen zu sein“, so Veronika Morscher.“ Das war nun wirklich ein hart gesetzter Kontrapunkt zum Ausklang eines Festivals, dessen Veranstalter das Wagnis eingingen, improvisierte Musik ebenso zu präsentieren wie die Suche nach der Melodie und den feinen Harmonien.
Atembrausen, Klappenklappern und
Einen Bogen zu spannen und Brücken zwischen dem Analogen und dem Digitalen zu spannen, das hatte sich Joan Jordi Oliver Arcos auf die Fahnen geschrieben. Um nicht der unbarmherzig heißen Sonne ausgesetzt zu sein, agierte er, von einem roten Sonnenschirm geschützt, auf dem Rasenareal vor der eigentlichen Bühne. Die Verbindung des reinen Instrumentenklangs mit elektronischen Verfremdungen erforderte nicht nur Pedalspiel, sondern auch das stete Manipulieren an Schaltknöpfen. Während auch viele Zuschauer sich in den Schatten geflüchtet hatten oder ihre mitgebrachten Schirme zum Schutz vor der Sonnenglut aufgespannt hatten – Hochsommertemperaturen im September –, begann das Konzert nicht etwa mit hohen Sopransequenzen, sondern mit zunehmend stürmisch werdenden Windturbulenzen. Sie waren nichts weiter als verstärkte Atemluft, die der Saxofonist in sein Instrument presste – mit vollem Körpereinsatz. Neben dem deutlich wahrnehmbaren Atemzug hörte man ein „gemorstes“ Tickticktick. Welliges Rauschen wurde im weiteren abgesetzt. Der Tonumfang des Saxofons spielte eine untergeordnete Rolle. Manipulationen an Drehknöpfen waren wesentlich, um bestimmte Klangwolken zu erschaffen, die sich Stück für Stück ausbreiteten. Quietschen und ein ansteigendes Grollen waren zu vernehmen. Wie eine mechanische Schreibmaschine im Stakkato klangen einige kurze Passagen. Schwirren in unterschwelligen Frequenzen drang zudem ans Ohr der Anwesenden.
Steigerungen der Frequenzen reizten die Gehörknöchelchen der Zuhörer. Auslaufendes Motorengeräusch wurde initiiert. Perkussiv wurde das Saxofon eingesetzt, trommelte Joan Jordi Oliver Arcos auf den Klappen seines Instruments. Trrrtrrtrrr und das Sirren des Blättchens des Saxofons waren außerdem auszumachen. Gehechel traf auf Gebläsezischen. Geräuschwellen vereinten sich mit Rrrrrrr. In einigen Momenten verwandelte sich das Saxofon im wahrsten Sinne des Wortes in ein Sprachrohr. Schließlich entschwanden Donnergeräusche im Nichts. Danach setzte Joan Jordi Oliver Arcos eine Zäsur - wie wohltuend! Nicht nur der Saxofonist, sondern auch die Zuhörer mussten Atem schöpfen und sich sammeln. Danach ging es dann improvisierend weiter.
Wir trauten unseren Augen, aber wohl weniger unserem Gehör, als der Saxofonist zum nachfolgenden Spiel ansetzte. Wir hörten Klänge einer Drehorgel, ohne dass eine solche zu sehen war. Digitale Manipulationen machen alles möglich. Bisweilen meinte man, der Saxofonist würde die Flötenregister einer Kirchenorgel imitieren. Zwischenzeitlich war dann auch mal das Saxofon als Saxofon zu hören, ganz und gar im Analogen gegründet. Doch dann kamen wieder Klangwelten von Nasenpfeife und Vogelflöte sowie Ententröte zum Einsatz, oder? Zur Musik mit teilweise großen ausladenden Bewegung – auch der Saxofonist bewegte sich fortwährend - fielen dem einen oder anderen Gemälde von K. O. Götz ein, der einst die Leinwand mit schwungvollen Quastenpinselstrichen überzog und einer der Hauptvertreter des deutschen Informel war.
Immer wieder hörten wir den lang gezogenen Atem des Saxofonisten, aber auch dessen Singstimme mit Luluhmmhmm. Das Saxofon menschelte dann heftig. Klezmeranmutungen wurden nachfolgend mit Elektronischem gemischt. Kam da nicht auch der Klang einer hohen Hirtenflöte zur Geltung? Nach einer Zwischenphase setzte der Saxofonist die Improvisationen fort. Auch nach einem Wechsel zum Altsaxofon blieb er in den oben angedeuteten Schemata seines Spiel befangen. Entwicklungen waren minimalistisch ausgeformt und nicht grundlegend anders als beim Spiel mit dem Sopransaxofon.
Rhythmik, Rhythmik, Rhythmik und harte Beats und Grooves
Wer das Trio LBT mit seinen Exkursionen in die Welt von Techno und House schätzt, der war bei dem schweizer Trio SchnellerTollerMeier gut aufgehoben, wie das Konzert nachhaltig unterstrich. Dabei handelt es sich um ein Trio Andi Schnellmann (Bass), Manuel Troller (Gitarre) und David Meier (Drums). Um es mal vorauszuschicken: Von meiner Hörposition aus konnte ich den Drummer nur wenig wahrnehmen. Der Eindruck drängte sich auf, dass E-Bassist und E-Gitarrist spielend den akustischen Rahmen und auch das rhythmische Element abdeckten. Letzteres galt vor allem für Andi Schnellmann, der sein Instrument mit Verve traktierte, auch mal mit dem Bogen oder der Handfläche. Fragmentiertes und Fragmentarisches wurden gespielt, eine klangliche Exkursion in die Welt von Gebläsehalle, Walzstraßen, Bessemerbirnen und Hochöfen unternommen. Zum „Basszweidrei“ gab es Diskantes zu vernehmen. Das Melodische wurde versteckt, die Geräuschwellen vorangetrieben. Sprödigkeit war vorhanden und vor allem Durchtaktungen ohne Unterlass. Kurz war auch mal Blechgeschwirr mit im Spiel. Doch es schien so, als läge der Fokus der Musik auf dem Bassisten, der nachhaltig für ein dröhnendes Taktaktaktak sorgte.
Nicht Soft Machine erlebten wir an diesem Sonntagnachmittag, sondern eine Hard Machine. Von Jazz Rock in Bezug auf das Trio zu reden, würde falsche Bilder evozieren. Nein, die Musik hatte nichts vom United Jazz und Rock Ensemble, nichts von den Brecker Brothers oder von Spyra Gyra, sondern eher von Krautrock, wenn so ein Vergleich nicht auch hinkt. Laugen und Säuren des Klangs wurden angerührt. Nervös war teilweise die angelegte Rhythmik. Nur selten verharrte der Bassist in einem „Basseinerlei“. Weit ausufernd waren die Klangamplituden. Gelegentlich gab es Abgleitungen ins Atonale. Rollendes Drumming wurde vom Bassisten aufgegriffen und fortgeschrieben. Windrauschen machte sich breit. Ruhige Passagen wurden hier und da eingestreut. Doch Tempowechsel waren die Regel. Zu hören waren auch Stampeden des Klangs, überbordend und allmächtig im Volumen. Einem Geräuschrausch gaben sich die Musiker hin. Insbesondere Bassist und Gitarrist gingen verwobene Zwiegespräche ein.
Funkenschläge wurde erzeugt. Zerbrechliche Klänge waren nur selten Teil des Vortrags. Zerstäubte Sphärenklänge schwärmten aus. Tiefschläge trafen auf Aufschläge. Schließlich waren Plopplop und Plongplong angesagt. Überwältigend und im Gedächtnis bleibend, war die stilistische Melange, die man nur annähernd mit Hard Rock, Metallica und Jazz beschreiben kann.
Trotz lautstarkem begeistertem Applaus gab es keine Zugabe, denn der dritte Konzertteil sollte im vorgegebenen Zeitrahmen über die Bühne gebracht werden. Drei Tage Jazz forderten auch den Berichterstatter, der es am letzten Tag dabei beließ, zwei der drei Konzerte zu erleben!
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