JAZZFESTIVAL STEYR 2016 – ein Festival feierte Jubiläum - TAG 2

Die Gute-Laune-Geburtagsparty ging weiter

Auch am Freitag kamen zahlreiche Gratulanten ins Alte Theater, um das Anna Lauvergnac 4tet, Herwig Gradischnig – Claus Raible 5tet und schließlich das Daniel Nösig – Jure Pukl 5tet zu hören.

 

Von der Fachkritik gewürdigt

Anna Lauvergnac eröffnete barfuß und in bodenlangem Schwarzen mit ihrem Quartett den Abend. Nicht auf einer Bank, sondern auf einem Stuhl mit Lehne hatte der aus Bayern stammende Pianist Claus Raible Platz genommen. Im Gegensatz zu den Pianisten des Vorabends schuf er in seiner Körperhaltung Distanz zu seinem Klangmöbel. Am Kontrabass erlebten wir den aus Bern angereisten Giorgos Antoniou, dessen Heimat Griechenland ist. Schließlich sorgte der Londoner Drummer Matt Home für das Timing.

Bei der Vorstellung der Multikulti-Combo – die Frontfrau und Gewinnerin des Preises der Deutschen Schallplattenkritik Anna Lauvergnac stammt aus Triest – verwies Peter Guschelbauer angesichts der aktuellen Debatte um geschlossene Grenzen mit Stacheldraht und Mauern darauf, dass Musik grenzüberschreitend ist und den multikulturellen Humus braucht, um sich gedeihlich zu entwickeln. Übrigens die Übergabe der Urkunde für den Preis durch Peter Guschelbauer fand erst am Ende des Konzerts statt. Gewürdigt wurde dabei “Coming Back Home”, ein Album, das Anna Lauvergnac nach eigenen Worten lange Zeit als nicht sehr gelungen einschätzte. Doch gerührt war sie über den Preis schon, und das relativierte dann auch die Skepsis gegenüber dem eigenen Werk.

Karrierenwege nach hier und dort

In ihrer Karriere hat die gebürtige Italienerin mit den besten Jazzmusikern ihrer Heimat zusammengearbeitet, so mit Renato Chicco, Glauco Venier, Bruno Cesselli und Paolo Contes Gitarrist Andrea Allione. Warum sie trotz eines Stipendiums fürs überaus angesehene Berklee College of Music an die Kunstuniversität Graz ging, mag an Mark Murphy, Andy Bey und Sheila Jordan gelegen haben. Nach ihrer Übersiedlung nach Wien ist sie nun mehr oder minder ein Teil der lebendigen Jazzszene Österreichs. Unter anderem sang sie im Vienna Art Orchestra und gründete das Paneuropäische Quartett. “Most appealing is her desire to cruise the cutting edges of jazz vocal performance.” Das schrieb Don Hackman, The Los Angeles Times, über die Vokalistin. Der in München beheimatete Claus Raible studierte auch in Graz und teilt mit Anna Lauvernac die Liebe für New York und die dortige Szene. Raible gilt als einer der treibenden Kräfte in der Jazzszene Europas, als Pianist ebenso wie als Komponist und Arrangeur. Am dickbäuchigen Saitenmöbel fühlt sich der einstige Athener Giorgos Antoniou pudelwohl. Er spielt als Linkshänder mit der Rechten und nicht mit der Linken am Hals und zupft daher mit der anderen. Aufgetreten ist er in der Vergangenheit mit Jazzgiganten wie  Clark Terry, John Lewis oder Kenny Wheeler und Johnny Griffin.

Klassisch und gestenreich

Gestenreich war der Auftritt von Anna Lauvernac. Leicht beschwingt ging es dabei im Alten Theater zu. Claus Raible begleitete dabei am Piano in klassischem Duktus „When you‘re so close to me …“ Das hörte man, vorgetragen mit rauchigem Timbre. Scat Vocal allerdings musste man vermissen. Nicht Ella, sondern Billie Holiday schien Anna Lauvernac näher zu sein. Zwischen den Songs gab es die Versuche, mit dem Publikum zu kommunizieren. Das wirkte streckenweise sehr unbeholfen und auch aufgesetzt. Eigentlich ging es bei allen Songs um das immer währende Thema Liebe. Es war von der gefährlichen Liebe die Rede, aber auch von dem Wunsch, die Einzige zu sein. Die Irritationen traten nur deshalb auf, weil die Erklärungen in Allgemeinplätzen bestanden. Irgendwie wartete man auf biografische Bezüge, auf Bezüge in Richtung Jazzgeschichte, auch und gerade auf die beiden oben erwähnten Ladies des Jazz. Doch Fehlanzeige.

„Too close for comfort“ unterschied sich in den Färbungen und Harmoniestrukturen nicht wesentlich von anderen Songs aus der Feder von Anna Lauvernac. Es gab Ansätze von Blues und Funk, ohne diese mit Verve fortzuentwickeln. Das mag der eine oder andere bedauert haben, aber die Mehrheit im Saal war begeistert, spendete beinahe frenetischen Applaus.

Teilweise waren die Kommentare auch nur bruchstückhaft wahrnehmbar, wenn Anna Lauvernac von ihren Aufenthalten in Indien erzählte und davon, welchen Einfluss diese auf sie hatten. Sie war gleichsam eine Pendelerin zwischen der ersten Welt und einem Schwellenland. Als der nachfolgende Song begann, meinte man, es sei schon die „blaue Stunde“ angebrochen, wähnte sich in einer verrauchten und verruchten Bar, in der die Band schon vor Stunden angefangen hatte zu spielen, sodass eine gewisse Müdigkeit zu erwarten war. Tonperlen kullerten durch das Alte Theater, dank Claus Raible. Dramatik war nicht Teil der Dramaturgie. Am besten passt das Bild des durch die Finger rinnenden Sandes für das, was zu hören war. Die Zeit glitt dahin, so auch die Melodie, mal mehr und mal weniger sentimental.

Bei „Let’s Face the Music and Dance“ bestand die Hoffnung, auf flotte Rhythmik, auf Dynamik, auf Ausbruch, auf Zipp und Zapp. Doch stattdessen blieb die Band in ihrem bewährten Klangschema - doch das mochten die Anwesenden, die etwas zu euphorisch, so sehe ich es, auf den Vortrag reagierten. Mir fehlte es an Zipp und Zapp, an dem Unerwarteten, an dem, was „muscle memory“ nicht vorgibt. Irgendwie agierte die Band, als ob sie in einer Hotelbar die Gäste unterhielte, von denen die wenigsten etwas von Jazz verstehen. Nun gut, das kann man machen.

Was zudem ein wenig stutzig machte, war die doch sehr reduzierte non-verbale Kommunikation zwischen den Bandmitgliedern. Es drängte sich mir der Eindruck eines schematischen Spiels auf, das keine Überraschungen, sprich unvorhergesehene Bridges oder gar Impros zulässt. Ja, das ist auch ein Konzept, das aus meiner Sicht jedoch zu sehr auf die Jazzgeschichte abhebt und zu wenig die Traditionen des Jazzgesangs von Ella Fitzgerald, Bessie Smith über Billie.

 

Searching for Hope: das Herwig Gradischnig – Claus Raible 5tet

Dass gerade mal zwei Blasinstrumente eine ungeheure Klangwucht verbreiten können, davon konnte man sich bei den Soli und den Duetten von Herwig Gradischnig am Tenorsaxofon und Mario Rom an der Trompete überzeugen. Sie eröffneten Klangweiten, die es zu erobern galt. Im Hintergrund agierte die Rhythmusgruppe, die bereits Anna Lauvernac begleitet hatte.

Vorgestellt wurde das jüngste Album der Band mit dem Titel „Searching for Hope. Es wurde im Sounddesign Tonstudio in Hagenberg aufgenommen und auf Alessa Records ALR 1042 veröffentlicht. Der Albumtitel klingt angesichts des Elends im Vorderen Orient, angesichts des Stroms von Fliehenden und von Abschottungen in Europa sehr politisch-aktuell. Doch in ihrem neuen Projekt widmet sich das Quintett der Musik von Elmo Hope, der wie einige Jazzmusiker sein Leben lang mit der Drogensucht zu kämpfen hatte. So wurde ihm nach einer Konzertreise mit Chet Baker, auch der kämpfte mit der Sucht, die Spielerlaubnis entzogen. 1967 hörte dann sein Herz auf zu schlagen. Die Jazzwelt war um einen Komponisten und Pianisten ärmer, der in einem Atemzug mit Bud Powell und Thelonious Monk zu nennen ist. Hope gilt bis heute als einer der wichtigen Vertreter des Bebop und Hard Bop.

Der Geist von …

Schon bei den ersten Takten schien der Geist von Elmo Hope, aber auch von Nat und Cannonball Adderley gegenwärtig zu sein. Insbesondere das klare Spiel von Mario Rom – dieser ist nicht auf der oben genannten veröffentlichten Einspielung zu hören – begeisterte. Der sich wechselseitige Spielfluss zwischen ihm und Herwig Gradischnig bestimmte über weite Strecken das musikalische Geschehen, derweil die Rhythmusgruppe sich eher verhalten gab. Gerade bei „Carving the Rock“ – Kommentar des Saxofonisten: „Wer schon mal gesessen, ich meine eingesessen hat, weiß, was es bedeutet – brillierten beide Bläser, jeder mit seiner eigenen Klangfarbe, aber mit mitreißendem Tempo und Vibrationen. Dabei wartete man gespannt auf ein Jamming statt eines mehr oder minder durch und durch konzipierten Songs. Bisweilen ließ auch Claus Raible seinem Fingerspiel freien Lauf, stets dabei lässig zurückgelehnt auf seinem Stuhl sitzend. Matt Home ließ sich seinerseits nicht lumpen und brachte seine Bleche zum Schwingen und Schwirren.

Sternegucken in Marrakesch

Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich der Bandleader auch die Zeit nahm, auf den Albumtitel und die aktuell sehr bewegten und beunruhigenden Zeiten einzugehen, bei denen man den Eindruck gewinne, es würden links und rechts Granaten niedergehen und man stehe fassungslos mittendrin.

Anschließend entführte uns das Quintett zum Sternegucken nach Marrakesch. Wer nun etwas orientalische Rhythmen, Oudklänge oder Daburkasound erwartet hatte, der kam nicht auf seine Kosten, alle anderen schon. Matt Home gab den Rhythmus von Marrakesch vor, in den Claus Raible mit seinem Fingerspiel einfiel. Die beiden Bläser ihrerseits waren weit davon entfernt, 1001 Nacht auf die Bühne des Alten Theaters zu holen. Doch die ausgebreiteten Klangwolken ließen an einen nächtlichen Himmel denken, ob nun über Marrakesch, das mag mal dahingestellt sein. Mir kam beim Zuhören eher das nächtliche Paris in den Sinn mit den Flaneuren an den Ufern der Seine, im Quartier Latin und anderswo. Vor allem beim Solo von Mario Rom hatte man nicht den Eindruck von Gelassenheit und Beschaulichkeit, ganz im Gegenteil. Erst im Abschlussteil des Songs blinzelte hier und da orientalisches Leben mit Reiterspielen durch.

„Race for the space“ war eine weitere Komposition von Elmo Hope, die Claus Raible für das 5tet arrangiert hatte. Ob man sich nun wirklich in den Gefilden von Raumschiff Enterprise oder Star Wars aufhielt, war der eigenen Vorstellungskraft überlassen. Man konnte beispielsweise bei dem sehr dynamisch angelegten Trompetensolo auch durchaus an einen führerlosen Zug denken, der durch die Nacht rast. Weniger aufgeheizt als bei der Weltraumeroberung war die Klangstimmung bei „Bellarosa“. Dabei drängte sich das Bild auf, die beiden Bläser würden in einem Zwiegespräch offene Fragen klären und der Saxofonist würde mit Engelszungen reden, um Überzeugungsarbeit zu leisten.

Gerne wüsste man schließlich, warum das Quintett gerade Elmo Hope ausgewählt hatte, um dessen Kompositionen, in feinen neuen Zwirn gekleidet, vorzutragen.

 

Zum Schluss: ein Livemitschnitt des Daniel Nösig – Jure Pukl 5tetts

Wieder gab es eine international zusammengesetzte Band zu hören, zu der als geistige Väter der aus Österreich stammende Trompeter Daniel Nösig und der slowenische Saxofonist Jure Pukl gehören. Die Rhythmusgruppe setzte sich aus dem Drummer Greg Hutchison, dem us-amerikanischen Bassisten Josh Ginsburg und dem ungarischen Pianisten Tzumo Arpad zusammen. Nösig und Pukl kennen sich schon seit 15 Jahren, doch in der Besetzung für das Konzert und den Livemitschnitt sind sie noch nicht solange unterwegs. Die Suche nach den Wurzeln stand nicht im Mittelpunkt des präsentierten Programms, das wegen des Mitschnitts nicht von Zwischenansagen unterbrochen wurde. Stattdessen hörte man Interludes, sodass sich auf den ersten Blick der Eindruck einer Suite ergab. Doch dem war nicht so, wie mir Daniel Nösig im Konzertnachgang versicherte.

Straight-ahead-Jazz war am Freitagabend dann nicht mehr der Fokus, sondern eher variantenreiche, von durchaus freieren Improvisationen durchsetzte Kompositionen, die sich zu einem Ganzen fügten. Wie auch schon bei dem Auftritt Herwig Gradischnig - Claus Raible 5tet gehörte die Bühne eindeutig den Bläsern, die sich am Bühnenrand platziert hatten, nicht ohne Grund. Auf diese richteten sich die Blicke, ihnen galten die gespitzten Ohren der Zuhörer, die wieder recht zahlreich ins Alte Theater gekommen waren. Über weite Strecken schien man Ohrenzeuge eines Dramas zu sein. Man hörte Schreie, Aufschreie und Entrüstung, wenn Jure Pukl die Klappen seines Holzbläsers öffnete und schloss. Derweil schien sich der Trompeter Daniel Nösig eher in der Rolle des Rufers in der Wüste zu sehen, fernab des Fjordsound eines Mathias Eick. Greg Hutchinson schien sich in der Rolle des Antreibers zu gefallen, der seinen Mitspielern Feuer unter dem Hintern machte.

In einigen Passagen schienen die beiden Bläser wehklagend gestimmt. Man meinte, sie riefen „Save our souls“. Nicht zu übersehen und überhören war das Prinzip des Dialogischen zwischen Trompeter und Saxofonisten. Wie in einem Diskurs vernahm man These und Anti-These, Rede und Gegenrede. Stark rhythmisierte Teile und dramatisierende Sequenzen ließen beim Zuhören nie Langeweile aufkommen. Stets war man auf das nächste Zipp und Zapp erwartungsvoll gespannt. Sturmgetöse und brechendes Eis konnte man ausmachen, stets aber auch eine gewisse thematische Struktur, die sich durch den gesamten Vortrag zog. Atonales war fern, freies Spiel auch. Es gab Strukturen, die wie eine Reling auf einem Schiff Halt boten. Das honorierte das Publikum mit anhaltendem Beifall. Dann schloss sich der Vorhang für den zweiten Tag der Geburtstagsfeierlichkeiten für ein nunmehr zehn Jahre altgewordenes Festival.

Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther

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Informationen

Musiker
Anna Lauvergnac 4tet
http://www.annalauvergnac.com/
http://www.annalauvergnac.com/listen-to-the-music/

Herwig Gradischnig - Claus Raible 5tet
http://www.clausraible.com/
http://www.clausraible.com/videos.php
https://www.youtube.com/watch?v=LaLD7H20avk

Daniel Nösig - Jure Pukl 5tet
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https & ://www.youtube.com/watch?v=9vB12bhWyEA


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