JAZZFESTIVAL STEYR 2016 – ein Festival feierte Jubiläum - TAG 1

Zum Geburtstagsständchen fanden sich im Alten Theater in Steyr zahlreiche Jazzenthusiasten ein. Auch das Lokalfernsehen ließ es sich nicht nehmen über dieses Ereignis zu berichten. Zehn Jahre Festival Steyr, zehn Bands – so lautete das Motto. Dabei wurde am ersten Abend in gleich drei Konzerten für den Post-Bop der rote Teppich ausgelegt.

Ein solches Festival wäre ohne Peter Guschelbauer, selbst Musiker und Labelchef von alessa records, nie möglich geworden. Gewiss es gibt die Unterstützung der Stadt Steyr, und auch das Land unterstützt das Festival mit Zuwendungen, auch wenn diese schon seit Jahren gleichgeblieben sind. Dass Steyr ein schwieriges Pflaster für Jazz ist, betonte Peter Guschelbauer in seinen Eingangsworten, mit denen er das Festival eröffnete. Gar von Kulturwüste sprach er. Nun ja, die Tage von Steyr helfen sicherlich mit, die Kulturwüste ein wenig zu begrünen und zum Blühen zu bringen.

Zunächst hieß es: Vorhang auf für das Duo Heinrich von Kalnein und Michael Abene, ehe dann das John di Martino Trio and der Reihe war und das Ondrej Stveracek 4tet feat. Gene Jackson den ersten Konzertabend beschloss.

 

Unterwegs im schwebenden Dreamliner

 

Der Saxofonist und Flötist Heinrich von Kalnein, in Graz beheimatet und dort an der Kunstuniversität unterrichtend, ist in Österreich kein Unbekannter. Kenner wissen auch um die Laufbahn von Michael Abene – nicht nur durch sein Engagement als Dirigent der WDR-Big Band, sondern auch in den 1960er Jahren als Teil des bekannten Orchesters von Maynard Ferguson.

Im Eröffnungskonzert präsentierte das Duo sein neustes Album namens „Dreamliner“. Das Album schmückt ein schnittiger Luxusdampfer, der nicht durch die Wellen pflügt, sondern, wenn auch vertäut, über dem Hafenbecken schwebt. Wer aber den Begriff Dreamliner hört, muss auch an die jüngsten Landstreckenflugzeuge von Boeing denken.

Lyrik auf weißen und schwarzen Tasten

Der Beginn war eher verhalten-lyrisch gemischt mit einer herbstlichen Färbung, die auf frisches Frühlingsgrün trifft. Bei den diversen Saxofonsequenzen, die Heinrich von Kalnein anstimmte, musste man nicht, aber konnte man an das bewegte Meer und eine Kreuzfahrt denken, zugleich aber auch an eine Spritztour im offenen Coupé über gebirgige Serpentinen, dabei den Fahrtwind genießend. Die Klangfarben des Saxofons waren überaus dominant, ohne dass sich von Kalnein in seinem Spielduktus verlor oder gar sein Instrument in wilden Galopp versetzte. Das Klavier in der Obhut von Michael Abene war in Teilen der Basslinie verpflichtet. Beim ersten Solo hörte man Sprunghaftes und dachte dabei vielleicht auch an Kinder beim Hüpfspiel. Oder war der Langstreckenflieger in kurze Turbulenzen geraten, wenn man das Bild eines Luftschiffes statt eines Kreuzfahrtriesens im Kopf hatte? Wohltuend war die Tatsache, dass Michael Abene kein tonales Geplätscher ablieferte, sondern einen sehr akzentuierten Spielduktus an den Tag legte.

Gefolgt wurde der „Dreamliner“ von „A Pensive Soul“. Diese Komposition stammt aus der Feder Michael Abenes. Zu Beginn waren kaum Unterschiede in den Klangfärbungen und Stimmungen gegenüber „Dreamliner“ auszumachen, und wenn, dann nur in sehr feinen Nuancen. Seelenmusik zwischen Bebop und Modern Jazz, aber revisited, war das, was dem Publikum geboten wurde. Hier und da gab es swingende Anmutungen, und man wähnte sich nicht im Alten Theater, sondern bisweilen in einem überfüllten, schummrigen Ballroom.

Lauschte man aufmerksam dem dritten Stück, dann erwartete man, dass gleich Billie Holiday oder eine andere Dame des Jazz die Bühne betritt. Doch der „Blue Moon“ ging nicht auf, kein Wunder, denn auf der Bühne stand ja ein Duo abseits all des vorstellbaren Magischen. Dass vielleicht der eine oder andere Zuhörer auf eine Vokaleinlage wartete, liegt ja auch in der Tatsache begründet, dass die Holzbläser der menschlichen Stimme sehr nahekommen und eigentlich nur deren Verlängerungen sind.

 

Schwebender Flötenton

Auch dem weitgehend vergessenen Billy Strayhorn widmete das Duo eine Komposition. Duke Ellington ist in aller Munde, aber dass für eine Vielzahl von Duke-Songs eigentlich der schwule afroamerikanische Musiker Billy Strayhorn zeichnete, wird meist nicht wahrgenommen oder schlicht verdrängt. Für „Memories of Lifes Past“ griff von Kalnein zur Altflöte, sodass sich die Hörfarbe von einem dominanten, auftrumpfenden Saxofon in einen sanften, dahinschwebenden Klang der Flöte wandelte. Lyrik pur füllte das gut besuchte Alte Theater, das nicht ausverkauft war – schade, aber an einem gewöhnlichen Werktag wahrscheinlich erklärlich.

Die Flöte ist als Instrument weitgehend aus dem Jazz verschwunden. Vorbei scheinen die Blütezeiten von Herbie Mann und Jeremy Steig. Umso erfreulich war es, dass von Kalnein dieses Instrument in den Mittelpunkt seines Vortrags rückte. Man hatte dabei den Eindruck, man ginge mit nackten Füßen über einen flauschigen hochflorigen Teppich. Die leichte Melodie schwebte wie ein zarter Lufthauch durch den Raum. Dazu setzte Michael Abene seine gekonnten Akzentuierungen, gleichsam kurze und prägnante Zäsuren. Ab und an meinte man gar, dass Michael Abene in Ansätzen dem zum Teil narrativ angelegten Spiel von Monk folgte.

Jaulende und wimmernde Gitarren konnte das Duo nicht präsentieren, aber dennoch einen der bekannten Songs von Jimi Hendrix: „The wind cries Mary“, verstanden als ein Dankeschön an den Bluesmusiker und Festivalorganisator Peter Guschelbauer, den Jimis Musik seit Gedenken nicht mehr loslässt. Die Themenstruktur war für Kenner der Musik von Jimi Hendrix ganz offensichtlich, auch wenn das Duo eine sehr starke Bluesnote in ihren Vortrag eingewoben hatte. „Let’s go home“ stand schließlich auch auf dem Programm, allerdings nicht als Aufforderung zu verstehen.

 

Auf Erzählformen kam es an

Nach einer kurzen Pause betraten dann der amerikanische Pianist John di Martino, der aus Kärnten stammende Schlagzeuger Klemens Marktl und der russisch-amerikanische Kontrabassist Boris Kozlov die Bühne.

Bereits beim ersten Zuhören hatte ich den Eindruck, dass lyrisch-narrativer Jazz im Fokus steht. Dies bestätigte mir John di Martino nach dem Konzert. Er bezog sich insbesondere auf das Narrative, das ihm sehr am Herzen liege. Als Referenz gab er auch Wayne Shorter an, der sehr fordernd sei, soweit es seine Mitmusiker angehe. Er würde schon mal das eine oder andere Buch erwähnen, das ihn inspiriert habe. Keine Frage, seine Mitspieler bekämen es zum Lesen. Auch bei Filmen verhalte es sich ähnlich.

Das Trio machte in Steyr mitten in einer kleinen Europatournee Halt, die der umtriebige Drummer Klemens Marktl organisiert hat, ein Pendler über den Großen Teich und wie im letzten Jahr schon wieder auf dem Sprung über den Atlantik, um ein neues Album einzuspielen. Straight-ahead-Jazz vom Feinsten präsentierte die Band an diesem Abend. Ja, das gute und bewährte American Songbook wurde wieder einmal zu Gehör gebracht. Dabei mögen Jazzkenner die Nase rümpfen und den Begriff Old School aus der Tasche zaubern. Doch man darf ja nicht vergessen, dass die Standards auch die Grundlage des Gegenwartsjazz sind. Ich erinnere mich noch gut an ein Interview mit dem Bremer Posaunisten Ed Kröger, der mir anlässlich eines Konzerts sagte, dass es nicht auf das, was man spiele, ankäme, sondern immer auf das Wie.

„Who is Who“ der Jazz-Welt

John di Martinos Werdegang liest sich wie das „Who is Who“ der Jazz-Welt. Als musikalischer Leiter begleitete er Größen wie Jon Hendriks, Diane Schuur und Billy Eckstine und arbeitete im Studio unter anderem mit Kenny Burrell, Eddie Gomez, James Moody und Pat Martino. Boris Kozlov ist zweifacher Grammy-Gewinner und aus der New Yorker Szene nicht mehr wegzudenken. Er agiert sowohl als musikalischer Leiter der Mingus Big Band, Mingus Dynasty and the Orchestra als auch bei seinen eigenen Projekten. Der Schlagzeuger und Komponist Klemens Marktl studierte an den Konservatorien Klagenfurt, Den Haag und Amsterdam und erhielt Privatunterricht in New York! In den Niederlanden gewann er 2001 den 1. Preis beim „Leid`schen Jazz Award“. Neben seinen Eigenproduktionen spielt Marktl bei Projekten in ganz Europa und Übersee – unter anderem mit George Garzone, Seamus Blake, James Morrison und vielen anderen Musikern.

Spielwitz mit und ohne dezentes Blechwerk

Auffallend und ins Auge springend waren der Spielwitz des Trios und die enge non-verbale Kommunikation begleitet von gestenreichem und mimisch unterstrichenem Spiel, soweit es John di Martino und Klemens Marktl betraf. Dezentes Blechwerk traf auf lyrische Passagen. Dabei schien di Martino sprichwörtlich in den Klangkörper des Klaviers einzutauchen. Die Mimik verriet bisweilen das Suchen nach den nächsten tonalen Schritten, stets auch das Zuhören auf das, was der Bassist und der Schlagzeuger anboten. Ohne di Martino nahetreten zu wollen, erschien sein Auftritt ganz und gar der amerikanischen Stilistik zu entsprechen, sehr lyrisch und stets dem erzählenden Spielfluss verpflichtet. Nein, einen Monk‘schen Duktus legte er dabei nicht an den Tag. Eher fühlte man sich dann schon ab und an Errol Garner erinnert, oder?

Im Umgang mit den Klassikern auf Augenhöhe

Boris Kozlov verharrte mit seiner Linken nicht am Hals seines mächtigen Tonmöbels, sondern entlockte ihm auch die hohen Töne, derweil Klemens Marktl seine Besen in flüssiger Bewegung übers Blech fahren ließ. Marktl oblag im Wesentlichen der rhythmische Part – na klar, wenn man es auch vom Bassisten erwartet hätte. Doch dieser ging in seinem Zupfen eher dem Melodischen auf den Grund. Angefügt werden muss, dass Marktl das Schlagzeug mit großer Leichtigkeit spielt. Da ist kein Energieblock vorhanden, der sich eruptiv löst, sondern eine organische Einheit, die sich herstellt. Das Spiel Marktls ähnelt m. E. sehr dem von Marilyn Mazur, die eben dem Leichten den Vorrang gibt und nicht der Attacke auf die Felle und Bleche.

Noch etwas fiel während des Vortrags auf: Jeder der Musiker trug seinen gleichwertigen Beitrag zum Gelingen bei. Es gab keine instrumentale Dominanz, sondern ein stringentes Miteinander auf Augenhöhe. So wartete di Martino ab und an auf die Basspassagen, eher er dann selbst eine vielsagende Antwort auf seinem Tastenmöbel gab. Beim Zuhören konnte man seiner Fantasie freien Lauf lassen, konnte an einen Ausflug mit der Cable Car denken, sich in der Frühlingsluft verlieren oder sich an die hallenden Schritte in einer Filmszene aus „Der dritte Mann“ erinnert fühlen. Swingende Nuance ließ das Trio nicht aus. Warum denn auch?

“Brother, Can You Spare a Dime?” stand auf dem Programm und damit auch die Große Depression, die in den Staaten auch im Musical ihren Niederschlag fand. Zudem hörten wir einen Jazzklassiker wie „Never let me go“. Die Musik stammt von Jay Livingston und der Text von Ray Evans. Zu denen, die den Song populär gemacht haben, gehört kein Geringerer als Nat King Cole.

 

Jin Fizz und anderes

Zum Abschluss des Abends betrat dann das Ondrej Stveracek 4tet feat Gene Jackson die Bühne und spielte erfrischenden Jazz für die nimmersatten Jazzhörer und Dagebliebenen. Zur mehrheitlich aus der Tschechischen Republik stammenden Band gehören: Ondrej Štveráček (tenor sax), Klaudius Kováč (piano), Tomáš Baroš (double bass) und schließlich der Schlagzeuger Gene Jackson (USA), der viele Jahre mit Herbie Hancock in Sachen Jazz unterwegs war.

Über den Bandleader Ondřej Štveráček lesen wir Zeilen wie “Ondrej Štverácek’s thunderous tenor sax recalls ‘new breed’ reedmen like Steve Grossman and Dave Liebman who honed their sound in the billowing wake of John Coltrane’s legacy.” (Tom Greenland, New York City Jazz Records, May 2011)

Vorgestellt wurden Teile des neuen Albums “Calm”. „Ruhe“: angesichts eines furiosen und feurigen Saxofons eigentlich kaum vorstellbar. Der sogenannte junge Löwe des tschechischen Jazz wurde von der Musik und dem Stil von John Coltrane sehr nachhaltig beeinflusst. Keine Frage, das war beim Konzert nicht nur zu erahnen, sondern zu spüren. Dabei bestach m. E. weniger der mit viel Lorbeer überhäufte Gene Jackson, der sein Schlagwerk nicht eine Spur sensibler einsetzte, als dies Klemens Marktl zuvor gelungen war. Es war auch kein überragendes und fulminantes Schlagwerkspiel, das geboten wurde, sondern eher grundsolide in Ansatz und Ausführungen. Ähnlich wie Marktl bevorzugte Gene Jackson das eher zurückgenommene, bedachte Schlagwerkspiel. Attacke, Attacke stand nicht auf dem Programm, auch nicht bei solistischen Intermezzos.

Klangstürme im Alten Theater

Klangstürme des Saxofons fegten durch das ehrwürdige Alte Theater. Nur der Donner war ausgespart, auch wenn das Tom Greenland in seiner Einschätzung der musikalischen Qualitäten von Ondrej Štveráček ein wenig anders beurteilte – siehe obiges Zitat! Das Saxofon ist schon ein mächtiger Klangkörper, vor allem das Tenorsaxofon. Zu diesem gesellte sich dann auch Gene Jackson mit ein wenig Schlagzeuggetöse – aber nur sehr begrenzt und umrissen. So servierte uns das Quartett ihren „Jin Fizz“. Einer der bekannten Jazz-Vokalisten, der Bariton Billy Eckstine, erfuhr durch das Quartett eine späte Würdigung und somit auch ein Jazz-Klassiker: „I want to talk about you“. Nach dem solistischen Einstieg des Saxofonisten, war es dann an dem Bassisten sich vom Saxofon zu lösen.

„Calm“, also ruhig, wie der Albumtitel suggeriert, war keiner der Songs, die die Band spielte. Zu mächtig war der Klangkörper in Gestalt des Saxofons. „Calm“ war keine sanfte und leise Komposition, aber eine, die zum Teil nicht gar so kräftig und blasgewaltig daherkam. Zwischenstücke waren bedächtig im Tempo, doch der tonale Schwall war überwältigend, so als ob sich eine Welle über den Köpfen der Zuhörer mit Wucht bricht.

Hörte man der Band im Verlauf des Abends zu, so konnte man sich – der Fantasie freien Lauf lassend – ins nächtliche New York begeben, zum Big Apple und zum Broadway. Man sah förmlich die Lichter der Großstadt vor sich. Nie schien die Stadt zu ruhen. Vorwärts, vorwärts war die Parole. Zwischenzeitlich musste man auch an die Musik aus dem erstklassigen Film „Round Midnight“ denken und natürlich auch an Coltrane. So unternahmen wir einen Abstecher in die Welt von Hard Bop und Modern Jazz.

Ein gelungener erster Tag des Geburtstags fand sein Ende und man durfte auf den zweiten Tag gespannt sein. Straight-ahead-Jazz oder nicht – das war wohl die Frage.

Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther

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Informationen

Musiker
Heinrich von Kalnein-Michael Abene-Duo
http://heinrichvonkalnein.com/news/index.php
http://www.michaelabene.com/

John di Martino Trio
http://www.johndimartino.com/

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