Black Box Münster, 25-11-2022
Ein Klaviertrio betrat die Bühne der „Schwarzen Kiste“, aber kein klassisches Trio mit Piano, Bass und Schlagzeug. Nein, das Trio bestand aus einem Cellisten, einem Pianisten und einem Oud-Spieler, ungewöhnlich, basslos nicht in Gänze, denn Oud und Cello boten durchaus höhere Lagen eines Kontrabasses, was wohl als Bariton einzuordnen ist. Zu dem Dreigespann kam als Gast der aus Kairo stammende und nunmehr in Berlin lebende Gitarrist und an den elektrisch-akustischen Reglern agierende Maurice Louca. Dieser war im zweiten Konzertteil zu hören, dank an die Deutsche Bundesbahn, mit der der Musiker verspätet in Münster eintraf.
In einem kurzen Gespräch mit dem Spiritus rector des Ensembles, dem Pianisten Matthias Mainz, war zu erfahren, dass die Musik des Trios zwischen Neuer Musik, Free Jazz, Minimal und Elektronika einzuordnen ist. Mithin war ein transkultureller Diskurs zu erleben, nicht nur bezogen auf die Herkunft der Musiker – zwei leben in Straßburg, davon einer mit türkischen Wurzeln, einer pendelt zwischen Köln und Berlin und der vierte im Bunde zwischen Kairo und Berlin.
Klangkollaborationen standen im Fokus. Dem Anschein nach waren es Improvisationen, wenn auch hier und da melodische, teilweise folkloristische Strukturen zu dechiffrieren waren. Ja, vielleicht mischte sich im Spiel des Cellisten Anil Ersalan und des Oudspielers Gregory Dargant auch orientalisch anmutende Kunstmusik in den Klangfluss. Maurice Louca, der die elektronischen Regler für Klanginterventionen nutzte, aber auch akustische Gitarre spielte, ließ hier und da Hawaii-Gitarren-Sound ebenso aufblitzen wie Anlehnungen an The Ventures, oder?
Und im Vorfeld des Konzerts las man Folgendes: „… hierzu formieren Mainz/Dargent/Eraslan im Winter 2022 mit dem Cairoer Multiinstrumentalisten und Produzenten Maurice Louca eine elektro-akustische Version des Ensembles. Mit dessen arabisch informierten Improvisationen auf mikrotonal gestimmtem Synthesizer und mikrotonaler E-Gitarre und einem elektro-akustischen erweiterten Setup von Piano, Cello und Oud klingen die musikalischen Referenzräume hier eher nach Krautrock, Ambient und Noise.“
Und kurz und knapp soll nachstehend auf die beiden Straßburger Musiker Dargent und Eraslan und den „Bandleader“ Mainz eingegangen werden: „Gregory Dargent und Anil Eraslan studierten klassische Gitarre und Cello in Straßbourg, bevor sie sich als improvisierende Musiker etablieren konnten. Gregory Dargent hat sich seitdem intensiv mit nordafrikanischen Traditionen der Oud auseinandergesetzt und verbindet diese mit der Übertragung zeitgenössischer Gitarrentechniken. Matthias Mainz hat nach Studien der Jazztrompete als transdisziplinärer Musiker und Kurator Formate zwischen Improvisierter und Neuer Musik, Medienkunst, Theater und Tanztheater realisiert. In den letzten Jahren nutzt Mainz seine autodidaktische Zuwendung an das Piano, um seine persönlichen musikalischen Prägungen aufzuarbeiten und in improvisatorischen und kompositorischen Kontexten umzusetzen.“
Doch nun gleich zu den ersten Klangeindrücken bzw. Hörspielen, die auch Geräuschmusik nicht aussparten. Grundsätzlich war der Höreindruck der einer Klangcollage, einer Addition von klanglichen Mikrokosmen, hier und da von Fragmenten, die einem Mosaik gleich zusammengefügt wurden. Dabei gab es Bruchstellen, die bewusst in Kauf genommen wurden. Schrill und aufbrausend wurden nur wenige Momente gestaltet. Gedämpfte Tastentöne drangen ans Ohr der Anwesenden. Eher klang das nach Plop-Plop, nach einem Hartgummiball, der auf Holzstücke traf. Losgelöste Tonsilben der Oud wurde „kontrapunktisch“ zum gestrichenen Cello gesetzt.
Gezupftes und Gestrichenes bewegte sich in einem Auf und Ab. In die Baritonlage driftete der Oudspieler ab, der hin und wieder sein Saiteninstrument mit Gitarrenanschlägen spielte. Gezeichnet wurde von beiden Saiteninstrumentalisten eine dunkle, erdige, umbrafarbene Szenerie, auch wenn der Bogen über die Cellosaiten tanzte.
Ein Geräuschteppich entfaltete sich aus dem Off im Raum. Diskantes war zu vernehmen. Kurzes Gezupfe des Cellisten folgte. Dieser nutzte zur Klangerzeugung alle Teile seines Streichinstruments, auch den Fuß und die Saiten jenseits des Stegs. Das Spiel auf dem Fuß klang so, als ob man nicht geölte und leicht verrostete Scharniere langsam öffnet. Und dann gab es einen Klangwechsel, ausgelöst durch den Oudspieler, der sich durchaus in die Gefilde nordafrikanischer und arabischer Oud-Musik begab, ohne allerdings Rabih Abou-Khalil zu kopieren. Für einige Augenblicke wähnten wir uns in Fez unter Gauklern und Musikanten, oder?
Kurz angetippt wurden die Basstasten des Flügels. In kippender Bewegung strich der Bogen über den Cellofuß. Hochtöniges, aber auch Gutturales konnte man aus dem Spiel herausfiltern. Frequenzen bei der Suche nach Radiosendern auf Kurzwelle und Langwelle breiteten sich im Raum aus. Stolpernde Tonsilben trafen auf Knistern und Knattern. Bogenschläge brachten Cellosaiten zum Schwingen. Funkwellen mischten sich ins Spiel des Pianisten, der die Tasten mit viel Energie bespielte. Da gab es eher rauschende Kaskaden als Verwässerungen. Klangeindrücke von Pftt-Pftt und Tpff-Tpff stellten sich ein. Dann intervenierte der Oudspieler mit melodischen Linien zwischen Suq und Serail. Toktoktok war das, was der Pianist seinem Tastenmöbel anschließend entlockte. Der Cellist ließ zeitgleich dazu über einen der Wirbel den Bogen streichen. Leisere Passagen wurden angefügt.
Gelegentlich meinte man den Klang von tröpfelndem Nieselregen zu hören. Elektronisches überlagerte sanfte Tastenschläge. Stufige Akkordfolgen waren Gregory Dargent zu verdanken. Klanglinien verdichteten sich zu Schraffuren, vor allem bei Anil Eraslan. Tongewische und Tonschwall waren präsent. Beim Hören musste man hier und da an symbolistische Malerei von Arnold Böcklin und insbesondere an das Gemälde „Die Toteninsel“ denken, so düster waren jedenfalls die Klangbilder, die die drei Musiker malten. Einem Lamento gleichend spielte der Cellist zwischenzeitlich, überwiegend mit Bogenstrich und selten mit Saitenzupfen. Trocken und ohne Nachklang waren die Passagen, die Matthias Mainz uns zu Gehör brachte.
Ein fulminantes Feuerwerk entfachte das Trio nicht, aber ein kleines Inferno gab es für einige Augenblicke doch zu erleben. Rasantes Tempo wurde vorgegeben. Cellist und Oudspieler ließen sich auf Kontroverses und Dialogisches ein. Geräuscheinspielungen wurden vorgenommen. Es röhrte, rumpste, polterte und knatterte. Man wähnte sich in einer Maschinenhalle, in der gefräst und gestanzt wird. Wind säuselte obendrein so, als fange er sich in Hochspannungsleitungen. Tinnitusklang gelang dem Cellisten im weiteren Verlauf des Konzerts. Und dann, ja dann, erlebten wir auch arabische Kunstmusik, oder? Schließlich eine Pause, Stille und nicht „Warten auf Godot“, sondern auf Maurice, der sich im Dschungel des Eisenbahnverkehrs zwischen Berlin und Hannover befand.
Daher setzten die drei Musiker den ersten Teil des Konzerts ohne Gast fort. Fallende Tonfolgen und Strudel des Klangs sowie konzentrische Kreise waren in den nun folgenden Sequenzen Teil der Inszenierung. Klangfiguren schwirrten. Hochtöniges des Cellos drang ans Ohr der Zuhörer. Metallener Klang wurde erzeugt. Irisierungen war das, was die Musiker präsentierten, mit und ohne Zwei-Finger-Gezupfe des Cellisten und Wogenhaftem des Pianisten. Dieser ließ vor unseren Augen und Ohren auch einen reißenden Klangstrom entstehen. Perkussives war hingegen dem Cellisten zu verdanken. Einige leichte Drehungen des Cellos für den Nachklang und dann war Schluss.
Im zweiten Konzertteil hatte das Elektronische einen größeren Anteil an den Hörspielen als im ersten Teil. Das lag auch an Maurice Louca, der die Regler seines elektronischen Schatzkästleins bediente. Hall wurde unter die Sequenzen der Oud gelegt. Gab es nicht auch Ansätze von kurzen Loops? Zwitschern, Zischen, Alarmsignale und mehr waren die elektronischen Beigaben, die eingestreut wurden. Und dann war da ja die von Louca gespielte Gitarre, die konsequent Melodielinien folgte, ohne Distortions und Delays. Der eine oder andere mag dabei auch an die Musik von The Ventures gedacht haben oder aber auch nicht. Bei all den Fragmenten des Klang oblag es dem Gitarristen einen Klangfaden zu spinnen und das Gespinst auch bis zum Schluss intakt zu halten, auch wenn Bottleneck angesagt war. Das war dann ein besonderer Klanggenuss, den wir in der gut besuchten Black Box erlebten.
© Fotos und Text ferdinand dupuis-panther2022
Info
Matthias Mainz – Piano
https://www.matthiasmainz.com/
Gregory Dargent – Oud
https://www.gregory-dargent.com/#!
Anil Eraslan – Cello
https://www.anileraslan.com/#!
Maurice Louca – mikrotonaler Synthesizer & mikrotonale E-Gitarre
https://mauricelouca.bandcamp.com
www.matthiasmainz.com/upcoming/mainz/dargent/eraslan
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