„Tatort Jazz macht “Ohrlaub” – Asia meets Europe“ so lautete das Motto des Konzertabends mit den Gastsolisten: Tobias Bülow (bansuri, perc) und Markus Conrad (guitar). Sie traten zusammen mit der Tatort-Jazz-Hausband des Abends bestehend aus Gero Koerner (p), Caspar van Meel (b) und Uwe Kellerhoff (dr, perc) auf.
In der Ankündigung des Konzerts las man: „Die Gastsolisten entwickeln in ihren Stücken virtuose Klangbrücken zwischen Weltmusik mit arabesken und indischen Einflüssen und Jazz sowie einer neuen Form der Kammermusik, die mit rhythmischer Dynamik und mit ausdrucksstarken Melodien eigene Wege geht.“
Ruhrstahl macht es möglich
Wer auf die Bühne des Kunstmuseums Bochum schaute, rieb sich die Augen, stand da doch der vordere Teil eines Bootsrumpfes, eines aus den 1960er Jahren stammenden Ruderboots, das einstmals im Ruderverein Witten seinen Dienst tat. Tobias Bülow hatte es als „Wrack“ auf dem Gelände des Rudervereins entdeckt und es in ein Monochord mit 30 Saiten verwandelt. Eigentlich wollte er, wie er dem Berichterstatter verriet, daraus ein Regal mit Plexiglasböden bauen, entdeckte aber zufällig die einmalige Resonanz des Bootskörpers und entschied sich dafür, ein eigenes Instrument zu bauen. In Bochum lag es auf zwei Böcken, sonst aber hängt es wie ein Pendel von der Decke. Im Rahmen einer Improvisation übers A spielte das Ruhrstahl getaufte Boot eine ganz wesentliche Rolle, mal von der Bansuri abgesehen, die Tobias Bülow dazu spielte.
Das TatortJazz-Konzert war bei freiem Eintritt (!) außerordentlich gut besucht und auch die angebotene Führung durch das Museum wurde sehr rege angenommen. Seit 2006 veranstaltet – das muss an dieser Stelle auch mal erwähnt werden – Milli Häuser die Konzertreihe, vor allem im alten Bahnhof Bochum-Langendreer. Im November allerdings wird es kein Tatort-Jazz-Konzert geben, weil dann die CD des UK Quartetts eingespielt wird. Am 7. Februar – so die heutige Planung – wird diese dann erstmals in einem Konzert präsentiert.
Melodische Tränen der Wüste
Betrachtet man die Instrumentierung der Band, so lag es in den Händen von Tobias Bülow – er spielte indische Bambusflöten unterschiedlicher Stimmlagen – den Orient ins Ruhrgebiet zu bringen. Gleich bei „Searching for Sense“ (comp. Tobias Bülow) hatte man den Eindruck des Meditativen. Man dachte an sanfte Winde, an das Abtragen des Sandes Korn für Korn von hohen Dünen. Man könnte angesichts der Musik auch zur Formulierung gelangen, die „Tränen der Wüste“ hätten die Zuhörer gefangen genommen.
Man lauschte harmonischen Melodieströmen. Sehr zurückgenommen war das Schlagwerkspiel von Uwe Kellerhoff, der seine Becken und Hi-Hat ins leichte Schwingen brachte. Beeindruckend waren die Phrasierungen von Caspar van Meel in seinem Basssolo. Das hatte wenig von Erdigkeit und Erdverbundenheit, sondern eher von Beschwingtheit und gewolltem Verlust der Bodenhaftung. Beinahe schlafwandlerisch bewegte Caspar van Meel seine zupfenden Finger über die Saiten, derweil sich Tobias Bülow um die rhythmischen Elemente des Stücks kümmerte und mit den Fingern schnipste. Einem Springbrunnen gleich waren die Klangbilder angelegt, die Gero Koerner auf seinem Tastenmöbel erzeugte. Hier und da gab es auch kurze bluesige Einfärbungen zu registrieren. Feine Klangfäden führte Tobias Bülow beim Flötenspiel zu einer Einheit zusammen. Letzteres war absolut jenseits von Jethro Tull, kein Wunder, denn der spielt ja konventionelle Querflöte und nicht indische Bambusflöte. Jethro Tull wird ja häufig ins Feld geführt, wenn in Jazz oder Rock aktuell eine Flöte im Fokus steht.
Auch ein wenig Flamenco-Fieber in sehr dezenter Form war wie in „Friday Night like“ (comp. Markus Conrad) Teil des Programms, das sich dadurch auszeichnete, dass sich die Musiker immer wieder zu Kleinstformationen zusammenfanden und aus jenen lösten. Mal gab es Solos, mal ein Duett, mal ein Trio mit wechselnder Besetzung, mal spielte man sich einen Ball zu, sodass sich ein musikalischer Zirkel ergab. Die Inszenierung hätte nicht abwechslungsreicher sein können!
Die Düfte der Medina
Im Verlauf des Abends bewegten sich die Musiker, so der Eindruck des Berichterstatters, zwischen Serail und Karawanserei, zwischen Suq und Kasbah. Die Düfte des Basars und der Medina wurden verströmt. Schlangenbeschwörer und Bauchtänzer sowie Gaukler und Jongleure schienen sich vor unseren Augen ein Stelldichein zu geben. Da vermischten sich streckenweise West Coast Jazz und Orientalisches, gab es aber auch Klassisches im Duktus zu erahnen.
Das klassische Jazztrio zeigte sich, ehe dann wieder das ganze Ensemble zu Wort kam. Markus Conrad nahm uns schließlich auf eine Reise mit, bei der die Serenade, die Tarantella und der Flamenco von Bedeutung waren, rasantes Fingerspiel auf höchstem Niveau und von feinster Technik inbegriffen.
Die Beschwörung der Weite
Nein, Fjord-Sound war es nicht, den wir bei dem Stück „Weit“ (comp. Markus Conrad) vernahmen. Kurz angerissenes, rhythmisch daherkommendes Saitenspiel mischte sich mit einem dahinfließenden Flötenklang. Windrauschen glich dabei das Spiel von Tobias Bülow. Man vermeinte bisweilen ein Säuseln in Laubkronen von Bäumen auszumachen, durch den der Wind sanft streift. Diskantes steuerte der Pianist Gero Koerner dazu bei. Er mischte auf seinen Tasten eine Melange von Pastelltönen. Im Duett mit dem Bassisten Caspar van Meel schien es, als ließen beide Musiker sanft plätschernde Wasserspiele zu gewaltigen Stromschnellen anwachsen. Neben diesem Duo bildete sich im Verlauf des Stücks auch eines zwischen Gitarristen und Bassisten, der seinen Bass sprichwörtlich in Bewegung brachte, wenn nicht gar zum Tanzen, auch wenn das nicht gleich in Luftsprüngen ausartete.Der Wohlklang der Melodie hatte zugleich die Aufforderung zum Fallenlassen. Gab es da nicht auch ein wenig Anlehnungen an „Friday Night in San Francesco“, als Markus Conrad solistisch vorlegte?
Die Darburka bei „Song to John“
Nicht nur Eigenes wurde an diesem Abend im Kunstmuseum vorgetragen, sondern auch „Song to John“ von Stanley Clarke. Für das Arrangement dieses Stücks griff Tobias Bülow dann auch zur Darburka. Dabei handelt es sich um eine arabische Trommel, die zumeist aus Aluminium gefertigt wird. Perlende Klangsequenzen trafen auf einen gestrichenen Bass, der ein wenig nach Wehmut klang. Viel Energie strahlte die Darburka aus. Sie schien springlebendig, frisch, aufgeweckt. Als klanglichen Wogensturm brachte Markus Conrad sein Saiteninstrument ein und verzichtete dabei auch nicht auf Ansätze brasilianischer Rhythmik. Saitensprünge zeigte uns Caspar van Meel, der dabei wohl signalisierte, dass Jazz durchaus zum Tanzen animieren kann.
In diesem Stück arrangierten die Musiker auch einen musikalischen Kreisel. Jeder war mal an der Reihe und gab dann den Ball an seinen Nachbarn ab. Dabei kreuzte sich das Thema mit den verschiedenen Paraphrasierungen zu einem melodischen Gaumenkitzler mit feinsten Aromen. Mit „Ramenco“ ging es dann in die Pause. Zutreffend war wohl die Ansage von Tobias Bülow, der bei diesem Stück von Flamenco-Arabesken sprach.
Unterwegs nach Kabul
Statt des Quintetts trat nach der Pause ein Duo, Tobias Bülow und Markus Conrad, auf die Bühne. Sie stellten eine Komposition von Tobias Bülow vor, nämlich „Calling the inner power“. Klassisch-konzertant und lyrisch durchwoben war der Song. Es gab hier und da auch Beigaben von Folkloristischem. In einer derart kleinen Formation bietet viel Raum der Entfaltung und Entäußerung. Zugleich war dieses eher „minimalistisch angelegte“ Duo auch ein Kontrapunkt gegenüber der Dichte des Quintetts.
Im Siebener-Rhythmus kam „Track to Kabul“ daher. Redundante Bögen wurden gepflegt und entfaltet, auch das eher melancholisch ausgerichtete Bassspiel mit Bogen. Zugleich hatte man den Eindruck, die Klangwelten der Musiker seien die Pforte zum Orient, zu den Mohnfeldern und den Lapis-Lazuli-Steinbrüchen. Gero Koerner sorgte derweil für einen „flauschigen Klangteppich“, über den die anderen Musiker ihre Melodieschwünge ausbreiten konnten. Neben Uwe Kellerhoff agierte auch Markus Conrad in diesem Stück sehr perkussiv.
30 Saiten für Ruhrstahl
Aus meiner Sicht war die Bootsimprovisation der Höhepunkt des Abends. Dass man dabei nicht ins Abstrakte und Atonale abgleiten muss, unterstrichen die Musiker mit der Improvisation, in der ein Ruderboot im Fokus stand. Der Gitarrenkorpus verwandelte sich in ein Perkussionsinstrument; die 30 Saiten wurden unter den Händen von Tobias Bülow Teil von „Industrial Noise“, Obertongesang vereinte sich mit einem nervösen Basslauf; Donnergrollen schien der Pianist heraufzubeschwören. All das verflüchtigte sich dann in milchigen Nebelwänden von Klang. Nachfolgend schien der Bass sich in Beschwörungsformeln zu versuchen. Man hörte beim Schlagwerkspiel im Kontext des Gesamtklangs Wellen, die auf Klippen treffen. Insgesamt war das Melodische das beherrschende Element der Improvisation, was ja sonst eher selten der Fall ist.
Dass dem einen oder anderen etwas Spanisch vorkam, lag nicht zuletzt an der Interpretation von „Spain“ aus der Feder von Chick Corea, die die Zuhörer begeisterte. Der Zwischenapplaus war, wie bei anderen Stücken auch, hier beinahe schon nicht mehr zu zählen. Ein Encore hatten die Musiker, die erstmals in dieser Formation nach einer dreistündigen Probe gemeinsam auf der Bühne standen, auch noch zu bieten: „Badhra“ von Anouar Brahem beschloss den sehr gelungenen Abend, an dem die Musiker überaus häufig nach ihrer CD gefragt wurden. Doch diese gibt es nicht. Für eine solche bräuchte man mindestens 8000 Euro Startkapital für die Studioaufnahmen und das Mischen. Vielleicht gibt es ja über Crowdfunding eine Chance für ein derartiges Album. Abnehmer scheint es ja genug zu geben.
© ferdinand dupuis-panther (text und fotos)
Informationen
Tatort Jazz
http://milli-haeuser.de/tatort-jazz/
http://www.tatort-jazz.de
Musiker
Tobias Bülow (bansuri, perc)
http://www.tobis-musik.de
Caspar van Meel/Tobias Bülow/Markus Conrad
http://www.ohrlaub.net
Markus Conrad (guitar)
http://grandjamband.com/performer/markus/
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