Tête-à-tête, Recklinghausen 5. April 2024
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Im Vorwege des Konzerts las man Nachstehendes: „Die Musiker Stefan Bauer und Michael Heupel haben die Welt bereist und Eindrücke verschiedener Kulturen in ihre Spielweise und ihr „musikalisches Denken“ einfließen lassen. Ihnen ist eine unstillbare Neugier sowie Offenheit für Unvorhergesehenes zu eigen. Wenn dann noch in Konzerten das Publikum als aktive Kraft hinzukommt, macht es ihnen besondere Freude, Neuland zu betreten und Klangwelten gemeinsam zu erforschen. Flöte und Marimba haben ihre traditionellen Pendants in vielen Ländern Afrikas, wo die verschiedensten Flöten sowie die „Ahnen“ der Marimba in Form von Balafonen und diversen Schlitztrommeln vorkommen. Bei einer großen Afrika-Tournee im Auftrag des Goetheinstitutes wurde so die Brücke zum Publikum schon allein durch die Instrumentierung geschlagen. Als dann noch in der Zusammenarbeit mit den einheimischen Balafonmeistern Ali Keita (Elfenbeinküste) und Bernhard Woma (Ghana) die afrikanische und die europäische Musikkultur aufeinandertrafen, geriet das Publikum außer Rand und Band. Besonders solche Erfahrungen haben Bauer und Heupel in ihrer Ansicht bestärkt, dass Musik keine Grenzen kennt.“
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Sehr gut besucht war die Kunsthalle am Freitagabend. Auf der Bühne begegneten sich nicht zum ersten Mal während ihrer musikalischen Karriere der Vibrafonist Stefan Bauer, gebürtig aus Recklinghausen, aber nunmehr in Brooklyn lebend, und der in Bonn ansässige Flötist Michael Heupel. Schon die Begrüßung des Publikums und der beiden Musiker durch den künstlerischen Leiter der Veranstaltung Ingo Marmulla geriet zu einer kleinen Exkursion in die Historie der drei Musiker, ist doch Ingo Marmulla ein nicht nur in NRW bekannter Gitarrist. Jedenfalls, so erfuhren wir, gibt es mannigfache Kreuzungen der Lebensläufe. So kennen sich Stefan Bauer und Ingo Marmulla seit 50 Jahren, als beide damals ihr jeweiliges Studium begannen. Nein, sie studierten nicht an der Folkwang-Universität, die damals noch gar keinen Jazzstudiengang hatte, sondern an der Musikhochschule Dortmund und an der PH Dortmund. Ingo Marmulla hatte sich dort für das Lehramtsstudium im Fach Musik eingeschrieben, ganz im Gegensatz zu Stefan Bauer. Erinnerungen an gemeinsame Konzerte blitzten auf, Namen fielen, die den meisten Anwesenden kein Begriff waren oder aber nur wenigen. Übrigens, seit acht Jahren gibt es die Reihe Jazz in der Kunsthalle, aber noch nie waren die beiden Musiker Michael Heupel und Stefan Bauer in der Kunsthalle zu Gast. Und nicht allein diese Reihe, sondern auch die Jazz-Ini in der Altstadtschmiede und die neue Jazzreihe auf der Hinterbühne des Festspielhauses unterstreiche, so Ingo Marmulla, dass Recklinghausen eine Jazzstadt ist.
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Und dann ging es in medias res, trafen die weichen und gehauchten Klänge der C-Querflöte auf die eher metallisch-scharf klingenden Klangstäbe des Vibrafons. Manchmal allerdings spielte Stefan Bauer mit seinen Schlägeln so, dass sich die einzelnen Klangstäbe miteinander im Klang verbanden, so wie in einem verlaufenden, genässten Aquarell die auf den Malgrund aufgetragenen Farben. Schon beim ersten Stück namens „Summers Embrace“ wurde deutlich, dass das Vibrafon auch zu den Schlagwerken gehört. Hier und da übernahm Stefan Bauer die Rolle der melodischen Rhythmisierung des Stückes, derweil sich Michael Heupel dem reinen melodischen Fluss hingab. Klangdeklinationen erlebten wir, mit und ohne Explosivlaute, die Michael Heupel zu verdanken waren.
Folgte man den Klanglinien, so konnte man durchaus das Bild von verfärbten fallenden Blättern im Kopf haben oder von einem Laubrauschen in lauen Winden. Und auch am Himmel tanzende Papierdrachen drängten sich als Bild beim weiteren Zuhören auf. „Happy Jack“ (comp. Michael Heupel) stand als nächstes auf dem Programm. Klangverwischungen trafen auf akzentuiertes Schlägelspiel, das für Zäsuren sorgte. Setzte da Stefan Bauer nicht ab und an Ausrufezeichen? Zugleich hatte man den Eindruck, es würde Klangtropfen an Klangtropfen gesetzt, würde aber auch ein Schauer von Klanghagel auf uns Anwesenden niedergehen.
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In einer Zwischenansprache ging Stefan Bauer auf die Zusammenarbeit mit Michael Heupel ein, erinnerte an einen legendären Club in Köln, der erst Salt Peanuts und dann Salznuss hieß, eine Referenz an Coltrane, auf den sich auch Stefan Bauer und Michael Heupel in ihrem Schaffen beziehen, wie Stefan Bauer anfügte. Zugleich erwähnte Stefan Bauer seine Zeit im kanadischen Winnipeg, einer Stadt mit Wintern bei -50 Grad und darunter. Direkt am Stadtrand befinde sich, so Bauer der Flughafen, mit seinen flackernden Positionslampen. Und genau deren Lichtspiel habe ihn zu der Komposition „Lights, receding“ inspiriert. Ob man wohl die sequenzierten Lichter in der Musik ausmachen könne, fragte sich der eine oder andere Anwesende, bevor das Stück seinen musikalischen Anfang nahm.
Stefan Bauer war am Marimbafon zu hören, ein Instrument, das viel weicher, fast samtener klingt als ein Vibrafon, Bisweilen hatte man beim Zuhören auch den Eindruck, man lausche dem Klang verschiedener afrikanischer Trommeln, auch einer Schlitztrommel. Michael Heupel präsentierte uns gleichsam wie in einer Gouache Farbfelder, durchzogen von engen Schraffurlinien. Irgendwie schien die Klangfolge an ein „Licht an, Licht aus“, an ein Licht-Morsen zu erinnern.
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Als würden Flügel schlagen und würden dabei vielfach verstärkt, so schien der Klang im nachfolgenden Stück kennzeichenbar. „Peacocks“, also Pfauen, gehörte musikalisch die Bühne. Hörten wir nicht auch das aufdringliche kreischende Schreien von Pfauen, die imponierend ein Federrad schlagen? Neben einem gewissen Klangrauschen erlebten die Zuhörer auch stufig ausgeformte Klangformen. Zum Pling-Pling-Pling, erzeugt mittels Klangstäben, traten beinahe zerbrechlich anmutende Flötenpassagen. Übrigens, wer beim Hören des Stücks an Jimmy Rowles dachte, lag richtig, wie Stefan Bauer nach dem Ende des Stücks anmerkte.
Ein weiteres „Mitbringsel“ von Stefan Bauer aus seiner Zeit in Winnipeg war „Dis donc“. Damit wird auf die größte französischsprachige Community außerhalb von Quebec angespielt. Sie leben indem Stadtquartier St. Boniface.. Dort ist es durchaus üblich, dass man beim Brötchen- und Kuchenkauf in ein Mischmasch von Englisch und Französisch verfällt. Anklänge an Liedhaftes und Folkloristisches schienen vorhanden, als die ersten Takte des Stücks erklangen. In dem thematischen Vortrag wechselten sich der Flötist und der Vibrafonist ab. Insbesondere in diesem Stück war der Erzählmodus des Duos stark spürbar, wenn sie „Sag mal, sag mal“ anstimmten. Agierte da nicht Michael Heupel lautmalerisch beim Sprechgesang ins Mundstück seiner Flöte? Ähnlichkeit zu entsprechenden Ansätzen beim Posaunisten Albert Mangelsdorff sind gewiss rein zufällig.
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Vor allem neben Coltrane sind es die Kompositionen von Charlie Parker und generell der Bebop, die es beiden Musikern angetan haben, wie Stefan Bauer „bekannte“. Herausragend sind die Leistungen Parkers, der ja nur 35 Jahre alt geworden ist. Er hatte ein sagenhaftes Zeitgefühl, verstand es die bis dato vorherrschende Swing-Musik und den New Orleans-Jazz sowie Louis Armstrong hinter sich zu lassen. Ohne den kongenialen Trompeter Dizzy Gillespie hätten wir, so Stefan Bauer, allerdings keine niedergeschriebenen Kompositionen Parkers. Dizzy brachte die Ideen Parkers zu Papier, so auch „Quasimodo“. „Kontrapunktisch“, wenn auch nicht im klassischen Sinne, war das Stück angelegt. Es lebte von der konträr gesetzten Spielart der beiden Instrumentalisten, hier die samt-seide Flöte und dort das eher spröde-schroffe Vibrafon. Und zum Schluss des ersten Konzertteils verneigten sich beide Musiker vor einem weiteren „Giganten des Jazz“: dem brasilianischen Multiinstrumentalisten Hermeto Pascoal. Wir hörten das Arrangement von „Chorinho“. Und das war ganz abseits von Bossa und Rumba und all den anderen „lateinamerikanischen Rhythmusverführungen“ angelegt.
Im zweiten Konzertteil kam nun endlich auch die Subkontrabassflöte zum Einsatz, als Michael Heupel zu einem Solo ansetzte. Dabei schien auch Funk mitzuschwingen. Und irgendwie konnte man auch an den Klang eines Didgeridoo denken, wenn auch keine zirkuläre Atmung bei Michael Heupel auszumachen war. Eher vernahm man Explosivlaute. Und Stefan Bauer begleitete das Solo mit einer ganz besonders schwingenden „Namibia-Pfanne“. Im Klang erinnerte diese an eine Mischung aus Hang, Vibraslap und Flexaton. Und dazu gesellte sich ein voller Tieftonklang im Funkmodus, oder?
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Die beiden Musiker entführten uns nachfolgend auf den indischen Subkontinent, ohne das Karnataka College of Percussion oder die Sitar von Ravi Shankar aufleben zu lassen. Marimbasamtklang traf dabei auf Flötenweichzeichnungen mit orientalischen Harmonien. Auch das American Songbook fand seinen Niederschlag im Konzert, als zum Schluss aus dem Film „Sound of Music“ der Track „My favorite things“ gespielt wurde. Auch hier erlebten wir wieder einen klanglichen Ohrenschmaus. Wie in anderen Stücken des Abends ging es um die Schönheit der Melodie! Wunderbar ...
Mit dem Titel „Adieu“ als Zugabe endete nach sehr beeindruckendem Schlussbeifall das letzte Konzert der Reihe Jazz in der Kunsthalle der Saison 2023/24. Man darf auf die im Herbst 2024 beginnende neue Saison gespannt sein, wenn es wieder Jazz in der Kunsthalle Recklinghausen zu erleben gibt.
© fotos und text: anne panther/ferdinand dupuis-panther
https://www.stiftung-sparda-west.de/projekte
https://stefanbauer.net
https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Heupel
Play List
SET 1:
Summers Embrace
Happy Jack
Lights, receding
Peacocks
Dis donc
Quasimodo
Chorinho
SET 2:
Kartik
Kanion
My favorite things
Encore: Adieu
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