Kulturbahnhof Hiltrup, Münster 27. Oktober 2018
Klaus Bensen (E-Bass) und Christian Fuchs (Schlagzeug) luden diesmal den Keyboarder und Pianisten Tim Sund als Gast ein. Dass Tim Sund Gast in Hiltrup war, kam nicht von ungefähr, wie aus der Konzertankündigung zu entnehmen war: „Mit Christian Fuchs begann vor 30 Jahren in Dortmund Tim Sunds musikalische Reise, während der sich die beiden Freunde nie aus den Augen verloren haben.“
Tim Sund, ursprünglich aus Hagen gebürtig, wurde Anfang der 1990er Jahre von Richie Beirach entdeckt und von der Musikhochschule Köln nach New York geholt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt der Pianist und Komponist in Berlin und hat inzwischen zwölf Alben unter eigenem Namen veröffentlicht sowie zahlreiche Preise entgegennehmen können (u. a. 1999 das Stipendium der Stadt Berlin zu einer Komposition für großes Orchester und Jazzensemble). Seit einigen Jahren widmet sich Tim Sund wieder verstärkt seiner alten Leidenschaft, dem Synthesizer, der ihn schon in seiner Jugend faszinierte.
Eigenes und Fremdes
In Hiltrup stellte Tim Sund nun gemeinsam mit Klaus Bensen und Christian Fuchs Kompositionen aus all seinen bisherigen Schaffensphasen vor. Doch auch Fremdkompositionen wie „Continuum“ von Jaco Pastorius sowie „On The Corner“ von John Patitucci standen auf dem Programm, dem überaus zahlreich erschienene Zuhörer beiwohnten. Klaus Bensen zeigte sich in seiner Begrüßung des Publikums sehr angetan von dem Zuspruch, waren doch Tage zuvor nur wenige Karten im Vorverkauf abgesetzt worden. So hatte Klaus Bensen, einer der Mitorganisatoren der Jazzreihe im Kulturbahnhof Hiltrup, berechtigte Zweifel, ob das Konzert vor halbleerem Haus stattfinden würde. Doch die Zweifel wurden an diesem spätherbstlichen Freitagabend gänzlich ausgeräumt.
Nennen wir es mal Fusion
Neben Moog-Synthesizer, Workstation und einem digitalen Synthesizer mit einem „hölzernen IKEA-Schliff“, wie Tim Sund bei einer kleinen „Instrumentenkunde“ erläuterte, bestimmten auch die E-Bässe, die Klaus Bensen spielte, die Klangfärbungen, in die der Kulturbahnhof eingetaucht wurde. Bensen spielte zwei verschiedene Bässe, darunter auch einen fünfsaitigen E-Bass. Insbesondere bei den „basslastigen“ Stücken wie die, die Jaco Pastorius und Alan Holdsworth/Alan Pasqua („Proto-Cosmos“) sowie Patetucci geschrieben haben, konnte sich Bensen mit seinem teilweise auch sehr rhythmisierten Fingerspiel ausleben. Tim Sund hingegen verstand sich auf sehr fein abgestimmte Klangflächen, bei denen man hier und da an die Urgesteine der Rockgeschichte wie Keith Emerson, Alan Parson oder an Kraftwerk und Can erinnert wurde. Nein, Sund trat nun nicht einfach in deren Fußstapfen, sondern verfolgte ganz eigene Klangschraffuren, aber aus dem Blick gerieten die oben Genannten dabei nicht gänzlich!
Wollte man eine Etikettierung der Musik vornehmen, die das ad-hoc-Trio präsentierte, so schienen Begriffe wie Fusion, Jazz Rock oder NU Jazz durchaus angemessen.
Hommage an eine Legende des Jazzbasses
Mit der Eigenkomposition „Wonka“ eröffnete das Trio den Abend und entführte das Publikum für gewisse Momente in eine Welt des sphärischen Klangs. Ganz in Umbra und anderen erdigen Tönungen kam der E-Bass daher, derweil die Felle der Snare vibrierten und die Becken schwirrten, dank an Christian Fuchs.
Jaco Pastorius gilt als eine der „Legenden des Jazz-Basses“. So war es wohl keine Frage, eine seiner Kompositionen mit ins Programm zu nehmen. Geschah das auf besonderen Wunsch von Klaus Bensen? Man muss es wohl annehmen. Dunkle Klangschlieren zauberte Klaus Bensen auf seinen Saiten herbei, dunkel, unheimlich, düster anmutend. Doch es gab auch „hochtönige Entgleisungen“ zu hören, derweil Tim Sund für das dichte Klanggewebe sorgte und den Bassläufen unterlegte. Kleine und große Becken wurden sanft gestreichelt; die Hi-Hat, das sogenannte Ständerbecken, wurde in steter Bewegung gehalten.
Im Verlauf des Stücks vermeinte man, fallendes Laub bzw. den schlurfenden Gang durch zusammengekehrte Laubhaufen wahrzunehmen. Kastanien fielen herab, Luftzüge entwickelten sich zu herbstlichem Windstoß, dicke Regentropfen klatschten auf den Boden. Bunte Herbstfarbe streute Tim Sund mittels des Spiels im Diskant ein. Oder fing er gar sommerliche Nachwehen ein? Hintergründig konnte man, dank des Basses, eine gewisse Schwere nicht überhören. Dazu trug auch die Bassdrum bei, in Begleitung der rauschenden Becken.
Mehr als nur „Proto-Cosmos“
Nachfolgend schienen wir eine Zeitreise in die Geschichte des Jazz-Rocks zu unternehmen, schienen Joe Zawinul und der späte Miles Davis zum Greifen nahe, als „Proto-Cosmos“ angestimmt wurde. Zeitweilige Bassträgheit traf auf eine rockige Durchmusterung. Doch der Bass erwies sich durchaus auch als rotzig, frech und keck, bestimmte die Klanglinien durch wellig-verwobene Strukturen, die einander schnell folgten. Schwirrende Becken drängten sich zudem auf. Dumpfes Dum-Dumdumdum war obendrein zu vernehmen.
In ruhige Fahrwasser geleitete uns dann Tim Sund mit „Consolidation“. Balladenhaft mutete der Song an, und man dachte ab und an auch an gängige Singer/Songwriter. Feine Klangschwaden stiegen auf. Bisweilen überkam den Zuhörer der Eindruck, dass auch Hawaii-Gitarren gezupft würden. Gab es da nicht auch eine Nähe zu Peter Greens „Albatros“? Kristalline Tonkegel wurden modelliert und zerfielen wieder, dabei beinahe einem Glockenspiel ähnelnd.
Im Geiste von Pink Floyd?
Im Anschluss daran knüpfte das Trio musikalisch an Pink Floyd an, nutzte einen Mini-Moog-Sythesizer, machte sich Sequenzer und Arpeggiator zu Nutze. Wiederholte Tonfolgen füllten den Raum. Klangstrudel bauten sich auf und versiegten. Tiefe Bassfolgen schufen schroffe Zäsuren. Wie konzentrische Kreise muteten die Klangformen an, die Tim Sund an seinen Tasteninstrumenten erzeugte. Es war ein Auf und ein Nieder, ein Wellental und ein Wellenberg mit und ohne Gischtkronen.
Hier und da schienen leicht Redundanzen durch, die für Techno so kennzeichnend sind. Doch es fehlte das Wummern der Bassdrum. Auch auf Beatbox mussten die Zuhörer verzichten. Doch das war überhaupt kein Mangel. Ähnlich wie ein Rhodes klangen bisweilen die Synthesizer unter den Fingern von Tim Sund: Wahrzunehmen waren ein Wabern und ein Blubblub, als würden Schlammblasen aufsteigen und zerplatzen. Feurig-vulkanisch war das, was wir bisher hörten allemal.
Das traf auch auf die sphärischen Schummerungen sowie die kristallinen Beimengungen und die klassischen Pianosequenzen zu, die „The Roads We Take“ durchzogen. Aufgeladen schien der Song und in der Melange aus Fusion und Klassik aufzugehen. Nach dem Klassiker von Miles Davis namens „Blue in Green“ aus dem legendären Album „Kind of Blue“ – laut Tim Sund das wohl meistverkaufte Jazzalbum – tanzten wir den „Circuit Dance“. Damit war eigentlich das Ende des Konzerts erreicht. Doch der nachhaltige Beifall ermunterte die Musiker noch zwei (!) Zugaben zu spielen.
Impro als Encore
Während Tim Sund bei der zweiten Zugabe noch an der Klangauswahl feilte und seine Synthesizers dementsprechend einstellte, begann Klaus Bensen mit seinen Grooves, die das wohl angedachte Konzept von Tim Sund über den Haufen warf, aber das ist eben Improvisation als Musik aus dem Moment heraus. Dabei bewegten sich die drei Musiker musikalisch zwischen New Age und New Wave, woben John Zorn bei, vergaßen Pink Floyd nicht, ebenso wenig Andreas Vollenweider. Dennoch waren sie stets auf eigenen Pfaden auf der Suche nach den ausgewogenen Klangfeldern, die sich miteinander verschränkten. Da blieb nur Staunen und ein Dank für den fantastischen Klangrausch.
Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther – Text und Fotos sind nicht Public Commons!
Information
http://www.timsund.com/cds.html
Im Text genannte Jazzmusiker/Komponisten
http://www.johnpatitucci.com/discography.html
Allan Holdsworth & Alan Pasqua: Proto Cosmos
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