In der Konzertankündigung heißt es unter anderem: „Die Insomnia Brass Band wurde im Frühjahr 2017 während eines Arbeitsstipendiums des Berliner Senats gegründet und entwickelte ihren Sound rund um das von Lucks und Schlichting komponierte Spielmaterial. Mittlerweile ist auch Marien als Komponist mit im Boot. Seit 2018 ist die Band mit zahlreichen Konzerten in Jazzclubs und auf Festivals unterwegs. Mit einem weiteren Senatsstipendium hat das Trio die erste CD „Late Night Kitchen“ aufgenommen, die im November 2020 auf Tiger Moon Records erschienen und auf sehr gute Resonanz gestoßen ist. Im Januar 2022 waren die drei Musiker*innen wieder im Studio, auch diesmal gefördert vom Berliner Senat.“ Aus dem im Herbst erscheinenden Album „Road Works“ wurden gleichsam in einem Pre-Release einige Stück vorgestellt, ob „Frog Rock“, „SykeSykeSyke“ oder aber „MICADOREMI“.
Ein Trio stand auf der Bühne der Tonhalle, aber kein gängiges Klaviertrio, sondern ein bassloses Trio mit der Posaunistin Anke Lucks, der Baritonsaxofonistin Almut Schlichting und dem Schlagzeuger Christian Marien. Na, so ganz basslos war das Trio nicht, denn das Baritonsaxofon sorgte schon für die mal kurz- und mal langatmig geformte Tieftönigkeit. Und eine Brass Band im klassischen Sinne hörten die Anwesenden nicht, da fehlten Sousafon, Tuba, Euphonium und eine Reihe von anderen Blasinstrumenten, die bei einer Brass-Band teilweise in Dopplungen vorhanden sind. Man kann also bei der Band eher von einer „Miniatur-Brass-Band mit Variationen“ sprechen. Tauchen wir nochmals in die Konzertankündigung ein, dann lesen wir Folgendes: „Die Musiker*innen jonglieren mit wechselnden Rollen zwischen Rhythmus und Melodie und durchqueren so eine betörende Landschaft aus Free Jazz, Funk, Punkrock und New Orleans Brass Band. Immer, bei jedem Song, ist die Band in Bewegung.“ Also Bühne frei!
Eines war nach den ersten Takten schon glasklar: Von Schlaflosigkeit war bei dem Ensemble – dessen Namen das Phänomen Schlaflosigkeit und -störung aufnimmt – überhaupt nicht die Rede. Da ging es zur Sache. Umtriebe erlebten die Anwesenden, ebenso Implosionen und Eruptionen, wilde Tanzschritte und -drehungen, fulminante Solos des Drummers, der, einer Furie gleichend, mit seinen Sticks nicht nur die Felle und Bleche zum Schwirren und Flirren brachte, sondern auch die Stative der Hi-Hat und die verschiedenen Trommelkörper als Resonanzflächen nutzte. Ein Shaker wurde gelegentlich ebenso wie Rasseln eingesetzt. Mit Besen wurde ab und an auch über das Drumset gewischt. Temporeich war das, was Christian Marien uns bot, mit vollem Körpereinsatz, mit und ohne angedeutete Sprünge. Federleicht-schwungvoll erschien das, was wir da sahen, und komprimiert-energieaufgeladen zugleich.
Warum eine „Goldene Hochzeit“ („Golden Wedding“) am Beginn des Abends stand – musikalisch versteht sich –, das wissen nur die drei Musiker, die hellwach waren und ohne Symptomatik der Insomnia agierten! Dieses Stück ist auf der Neuerscheinung „Road Works“ enthalten, wie auch andere Stücke, die die Anwesenden in der intimen Atmosphäre der Tonhalle Hannover hörten. Tief gelegte Rhythmik traf auf aufgehellte Tieftönigkeit, kein Wunder bei dem Aufeinandertreffen von Baritonsaxofon und Tenorposaune mit „Basserweiterungen“.
Wippendes Hi-Hat vereinte sich mit nervösem Snare- und Tomgeflirre. Melodiöse Zwischenspiele wurden hier und da filigran geflochten und miteinander verflochten. Dabei stand die Zwiesprache zwischen Saxofonistin und Posaunistin gänzlich im Fokus. Auffallend, und das wiederholte sich beim Konzert, hatte Christian Marien Raum sich mit Besen und Sticks zu entfalten. Das ist ja heute eher selten, vor allem bei Alben-Aufnahmen. Selbst die Trommelkörper und die Ränder von Snare und Tom wurden mit den Sticks traktiert. Das klang trocken, beinahe staubtrocken. Doch dann hatten die beiden Bläserinnen wieder das Sagen, füllte vollmundiger Klang den Raum. Dabei folgten sich die beiden Instrumentalistinnen in ihren Linien auf Schritt und Tritt. Die Posaunistin Anke Lucks ließ ihr Blasinstrument röhren, grummeln, grollen und gurgeln – diese Beschreibungen sind allerdings nur Näherungen. Almut Schlichting hingegen wandelte zwischen der Düsternis des Klangs und den lyrischen Setzungen, die stimmlich in den Tenor ausglitten. Was deutlich wurde, ist die Seele des Stücks, im Sinne von Soul, wenn auch nicht im klassischen, sondern im übertragenen Sinne. Und das nahm den Konzertraum voll ein und überzeugte die Zuhörer von Anbeginn.
Beinahe nahtlos ging es weiter, durchaus an tradtitionelle Brass-Band-Musik angelehnt, mit und ohne Tätätätätä. Schraffierungen waren auszumachen. Vor allem aber wurde das Melodiöse rhythmisch gegen den Strich gebürstet. „Nebulöse Zwischentöne“ stimmte die Posaunistin an. Dumpfer Klang der Basstrommel traf auf die Erdigkeit und das Umbra des Baritonsaxofon.
Ehe es nach „Frog Rock“ weiterging, gab Almut Schlichting noch eine Geschichte zum Besten, die aus dem Reich Münchhausens stammte, aber dennoch sehr unterhaltsam war. Es war die Geschichte der Band, die sich ja schon seit Teenager-Zeiten kennt, so Schlichting. Christian lebte damals in der Einöde des Schwarzwaldes und verkroch sich zumeist in Baumwipfeln, um dem Schlagzeugspiel nachzugehen. Almut aus Niedersachsen wartete Tag für Tag an der Bushaltestelle des Heimatdorfes und spielte, auch wenn kein Bus vorbeikam und anhielt, auf ihrem Saxofon. Anke hingegen war ein Kind des platten Deichvorlandes des Landes zwischen den Meeren und der dort grasenden Schafe, denen sie auf ihrer Posaune ein Ständchen gab. Doch viel entscheidender war das Geschenk von Ankes Oma zu Ankes 14. Geburtstag: ein fliegender Teppich. Mit dem reiste sie zu Almut und Christian und gemeinsam ging’s dann nach Berlin. Unglaublich und eine schöne Geschichte mit Augenzwinkern!
Anschließend hieß es „MICADOREMI“. Stimmübung oder Fingerspiel? Zugleich fiel dem Berichterstatter auch die Musik der Studiomusiker der Dirty Dozen Brass Band ein. Zufall? Im Fahrwasser von Brass und Jazz Rock schwammen die Zuhörer dahin, oder? Lineare Sequenzen offenbarten Eruptives und unbändige Dynamik bis zum überraschenden Schlussklang. Im weiteren Verlauf des Abends erlebten wir Malströme und Storm‘sches Grau in Grau, sprich Küstennebel satt. Irgendwie machte sich auch Schwere und Wehmut breit. Dabei führte uns die Posaunistin durch die emotionalen Untiefen. Schließlich vernahm man Klappengeräusche, Schlägelschläge und Atemrauschen, also eher frei gestrickte Fragmente innerhalb eines durchaus als gebunden zu bezeichnenden Stücks.
Waren nicht nachfolgend auch die Gebrüder Adderley im Geiste mit auf der Bühne? Doch die Basslastigkeit sprach eigentlich gegen eine solche Vorstellung. Es wurden von den Musikern tänzerische Klangwölkchen inszeniert. Und auch Wetterkapriolen wurden hörbar gemacht, so ein Eindruck. Dabei lag dann die Betonung auf Kapriolen. Und auch Jazz-Pogo war zu erleben, oder? Doch niemand erhob sich, um herumzuzappeln und die Beine auszuschütteln. Gesittet blieb das Publikum sitzen, trotz ständiger klanglicher Aufrufe zum „Shake your body“. Und dann war der erste Set zu Ende. Eine Hörpause war angesagt.
Nach der Pause schienen sich die Derwische nach Hannover und in die Tonhalle verirrt zu haben. Zudem meinte man auch, tibetische Mönche auf ihren Dungchen ( Naturtrompeten ) spielen zu hören. Neben „No place for illusions“ stand auch „Cabbage“ auf dem Programm, gedacht als “Ode an Ankes Heimat“, wie Almut Schlichting zwinkernd vortrug. Nein, eine Kohlfahrt wurde uns nicht angeboten. Und ob es um Grünkohl oder Weißkohl aus Dithmarschen bei dem Stück ging, blieb auch offen. Anke Lucks navigierte durch das Stück, das einem Teufelsritt über Stock und Stein glich und nicht einer gemütlichen Tour über das Land am Meer, das so platt wie ein grünes Kuchenblech ist.
Und auch das erlebten wir im Verlauf des vielfarbigen Abends, das Spiel mit fliegenden Notenblättern, mit dem Knistern von gefaltetem und zerknülltem Papier. Das hatte dann auch ein wenig etwas von Zirkusinszenierung mit Ohs und Ahs. Schließlich endete der Abend mit einer Zugabe, die ein wenig Latin Flavour in die Tonhalle brachte. Das Publikum war hell begeistert – und das mit Fug und Recht.
© text und fotos ferdinand dupuis-panther
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https://tonhalle-hannover.de/
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Subsystem: Drei, Tiger Moon Records
Insomnia Brass Band: Road Works, Tiger Moon Records
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