In the Spotlights: Belgian Jazz Meeting 2019

Handelsbeurs Gent, 5. und 6. April 2019


 


Zum Auftakt der zweitägigen Veranstaltung war das Mikael Godée-Eve Beuvens Quartet in der Konzerthalle der Handelsbeurs zu hören. Dabei traf die aus Belgien stammende Pianistin Eve Beuvens auf den in Göteborg lebenden Sopransaxofonisten Mikael Godée. Mit ihm gemeinsam hatte Eve Beuvens vor Jahren  zunächst ein Duo gebildet, was im Verlauf der Konzerts nicht nur wegen der jeweils von einem der beiden komponierten Stücke deutlich wurde, sondern auch im sehr intimen Spielmodus. Das aktuelle Quartett wurde durch den Drummer Johan Birgenius und den Bassisten Magnus Bergström erweitert, beide ebenfalls in Göteborg lebend. Es wäre sehr überzogen davon zu sprechen, dass beiden nur eine marginale Rolle zufiel, aber im Fokus stand ganz im Wortsinn Mikael Godée, der sehr häufig musikalischer Stichwortgeber während des 40-minütigen Auftritts war.


Mit „I see the light“ (comp. Mikael Godée) wurde das Konzert eröffnet, das weitgehend im schummerigen Licht des Halbdunkels eines Konzertsaals vonstatten ging. Dies war aus meiner Sicht ein Ärgernis. Jazz muss ins Rampenlicht – und das im Wortsinn. Spielereien mit abgeblendetem Metallic-Blau und Orange sind völlig fehl am Platze, aber bestimmten die Atmosphäre des Konzerts. Also, Spotlights auf die Musiker waren nicht gegeben!

Neben der Komposition von Mikael Godée „Ingen fara“ („Macht nichts/Never mind“) stand auch sein „How do you do?“ auf dem Programm. Eve Beuvens hingegen zeichnete für „My TTT“ und „Did you find your happiness?“ sowie den Schlussakkord „Summer 2017“ verantwortlich.


Zu Beginn wurden die zahlreichen Zuhörer von der Lyrik des Melodieflusses eingefangen, die die Pianistin ausgiebig pflegte. Dieser lyrische Duktus setzte sich fort, als Mikael Godée die melodische Regie übernahm. Behutsam wurden im Hintergrund – aus Regiesicht betrachtet – die Bleche angetippt. Tickticktick war zu vernehmen. Hi-Hat und großes Blech summten durchaus im Wohlklang. Beim Zuhören hatten man den Eindruck, das Quartett würde ein romantisches Gemälde von aufsteigenden Nebelschwaden malen, durch die sich mit aller Kraft fahles Sonnenlicht bricht.

Auffallend war, dass sich Eve Beuvens beim ersten Stück nicht in diskanten Spielereien und Verwässerungen verlor, sondern bewusst den Bass des Flügel zur vollen Klanggeltung brachte. Forciertes Schlagwerk traf im Weiteren auf feine Klangstäube des Sopransaxofons.


Was immer auch mit „My TTT“ gemeint ist, diese Komposition von Eve Beuvens folgte auf das Eröffnungsstück. Dabei schien es, als ob man den Widerhall von Schritten, von Stimmen und Geräuschen von den Mauern enger Gassen höre. Behäbige Schritte waren außerdem wahrzunehmen, dank an den Bassisten. Kindliche Neugierde und Erkundungen fing der Sopransaxofonist ein, so konnte man meinen. Verborgene Ecken und Winkel wurden ausgekundschaftet und entdeckt. Fliegende Schritte schien im Fortgang des Stücks Eve Beuvens mit entsprechenden leichten Klangfolgen einzufangen. Oder entwarf sie vor unseren Augen ausgiebige Wasserspiele mit kleinen und großen Klangfontänen?

Dass rhythmisches Spiel nicht allein dem Bassisten und Drummer überlassen blieb, unterstrich die belgische Pianistin bei „Ingen fara“. Ihr Duktus war mit dem steten Flügelschlag eines Vogelzugs von Kranichen vergleichbar. Hart gespannte Felle von Snare und Toms wurden zum Schwingen gebracht. Dumpfes Saitenspiel füllte den Raum.


Einem Kinderlied glich in seinen Harmonien und melodischen Zyklen „Did you find your happiness?“.  Man konnte angesichts der Melodie, die sowohl der Bassist als auch die Pianistin wiederholt spielten, auch an einen Abzählvers denken, über den dann Mikael Godée phrasierte. Ihm gelang es einzelne Farbtupfer auf die Klangleinwand zu tröpfeln. Auch Momente der Melancholie waren als klangliche Beigaben auszumachen.

Sehr konzertant endete das Konzert, bei dem der Fokus auf dem Sopransaxofon lag. Dieses gab  sich im Gegensatz zu der sonstigen Marktschreierei, die dem Saxofon auf den Leib geschneidert ist, sanftmütig. Beim Hören schwankte man zwischen dem Bild einer beschaulichen Abendstimmung, wie man sie in der Malerei von Johan Christian Dahl findet, und der Morgendämmerung, wie sie sich in zahlreichen naturalistischen und romantischen Bildwerken widerspiegeln.




Zappa, Canterbury Sound und ..


Im Foyer vereinte sich Jazz Rock mit Canterbury Sound und Zappaeskem: The Wrong Object, eine Band, die seit 15 Jahren existiert und mit „Into The Herd“ zuletzt ein Album mit eigenen Kompositionen herausgebracht hat. Das Magazin Jazzwise schrieb über das belgische Sextett Folgendes:  “adept at mixing Canterbury styled prog rock with Zappa-esque jazz fusion and Frippertronics to produce a beat that has elements of the past and the future thundering through it. [Their music] cleverly fuses all of these various musical elements together, expertly twisting various world music styles into the mix to produce a varied and unpredictable set of original material.”

Doch angesichts dessen, was die Band, in der neben den beiden Saxofonisten der E-Gitarrist den Ton angab, präsentierte, blieb doch die Frage nach einem neuen Ansatz. Eine „Hommage an Frank Zappa“ hatte Flat Earth Society mir sehr viel Spielwitz schon vor Jahren bei Jazz Brugge „zelebriert“. Also „Quo vadis, The Wrong Object? Ist der Bandname vielleicht schon ein Fingerzeig?

Zudem muss daran erinnert werden, dass Soft Machine, Blood, Sweat & Tears und Chicago vor Jahrzehnten bereits Jazz und Rock verschmolzen, allerdings mit sehr viel mehr jazzigem Zipp und Zapp als „The Wrong Object“. Zappa ohne Worte wäre vielleicht ein Ansatz gewesen, der hätte aufhorchen lassen, aber ...

Schnarrende, schnurrende Bläsersätze trafen auf jaulende und wimmernde E-Gitarren-Sequenzen. Strudel und Turbulenzen zauberte der Tenorsaxofonist bei seinem solistischen Auftritt herbei. Das Rhodes sorgte für einen dichten Klangteppich, der ständig ausgebreitet wurde. Dabei wurde der Diskantfluss nicht vernachlässigt. Als würde er einen glühenden Schweif in einem Graffiti malen, so hörte sich an, was der Gitarrist zum klanglichen Potpourri beisteuerte. Das schien alles allerdings sehr geplant und abgezirkelt. Abschweifungen waren nicht das Gebot der Stunde. Das Rahmenwerk wurde streng gesetzt, auch und gerade durch die Saxofonisten. Rotierende Solos standen nicht an. Freiräume wurden  nicht eröffnet. Und das ist doch gerade die Feinheit des Jazz: Freiheit im Raum und Raum mit Freiheiten!

Bisweilen war auch ein Sopransaxofon zu vernehmen, dass sich über Rhodes, E-Gitarre und Bassgitarre erhob. Es waren kurze Hinhörer, die aus dem sonstigen Einerlei herausragten. Ja, es gab Nuancierungen des vereinten Gebläses. Ja es gab Tutti, wie wir sie bereits von Chicago her kennen. Doch immer schwang auch ein Aber mit und ein Hoffen auf eine ungeahnte Ausschweifung. Kristalline Sequenzen waren zu konstatieren. All dies erschien wie Glasbruchsplitter in einem Kaleidoskop. Doch es stellte sich eher Ernüchterung ein, bei aller Tanzbarkeit, die den Stücken innewohnte.


„The Wrong Object“ kann für sich nicht Singularität in Anspruch nehmen, auch nicht beim Zappa-Projekt. Junge Bands, die in Österreich, Deutschland oder Norwegen wie Pilze aus dem Boden schießen, versuchen sich ebenso an einer Verschmelzung von Jazz und Pop. Dabei gewinnt häufig Pop die Überhand, wenn auch mit Funkwürze oder mit Technoaroma. Der Berichterstatter muss in diesem Kontext an „Kraut“ aus Österreich und „ Bangkok Lingo“ aus Norwegen denken, die augenblicklich mit ihren jeweiligen Debütalben auf dem Markt sind.

Vielleicht ist der Begriff Retro bei „The Wrong Object“ angemessen. Neues jedenfalls war weder in den Instrumentierungen noch in den Setzungen und Strukturen auszumachen.



Zwischen House  und „Techno“ - oder was?


Schließlich gaben sich Dijf Sanders und Nathan Daems ein musikalisch-elektronisches Stelldichein. Die Betonung lag dabei wirklich auf dem Begriff elektronisch. Difj Sanders saß an einer Heimorgel aus den 1960er Jahren mit großen Knöpfen und Kippschaltern – so musste man angesichts des Designs des Klangmöbels schließen. Zudem bediente er einige Pads, die nun nicht mehr auf dem Boden, sondern auf dem Instrument lagen. Sie wurden als Teil des Instruments ganz selbstverständlich präsentiert.

Angekündigt war ein „indonesisches Abenteuer“, das hier und da an Bands wie „Black Flower“ und „Brzvll“ denken ließ. Indonesien schien sehr fern. Djs, die Plattenteller mit Scratching bearbeiten, waren im Geist anwesend. Techno-Beats schlugen dumpf nieder und brachten einige Zuhörer in verzücktes Körperschaukeln. Von Trance soll nicht die Rede sein, aber bei dauerhaftem Hörgenuss mag man schon in einen solchen verfallen, wohnte dem, was Dijf Sanders vortrug, doch ein Moment der rituellen Monotonie inne.

In die melodischen Endlosschleifen war der Saxofonist Nathan Daems am Tenorsaxofon eingebunden. Dieser griff während des Konzerts auch zu einer japanischen Langflöte (?) und vermittelte damit Fernöstliches. Allerdings Indonesien mit der für dieses Land so typischen Gamelanmusik war aus Sicht des Berichterstatters nicht auszumachen.

Unüberhörbar war die Bassdrums mittels Pad erzeugt. Bunte Schwebpartikel sandte Nathan Daems hier und da aus. Der Klangfluss der verfremdeten Heimorgel schien uns Nordafrika näher als Indonesien zu bringen. Man hörte ab und an den Dschungel schreien. Gewitterdonner zog auch vorbei. Manche Klänge entschwanden im Off.


Gelegentlich musste man an den Vollton einer gewaltigen Schlitztrommel denken, folgte man dem musikalischen Vortrag. Sphärisches wurde als musikalische Menübeigabe serviert. Klanghölzer schienen zu schwingen, obgleich keiner der Musiker  Marimbafon spielte. Wie exotisches Gezwitscher klang das, was Nathan Daems seiner Flöte entlockte. Klangschalenresonanzen waren als Beigaben wahrnehmbar.

Auch die indonesische Antwort auf westliche Funkmusik – und diese ist mit Namen wie Eddy Harris und Les McCann verbunden – gehörte zum Programm des Duos Sanders/Daems. Dessen Vortrag mit wiederkehrender Klangzeichnungen verlor sich nach und in Wiederholungen. Selten wurde der reine Orgelklang zugelassen.


Nachhaltig war der redundante Rhythmus wie auch in der Technomusik. Das war dann durchaus körperlich spürbar. Das Basslastige drang in jede Pore ein, aber was fehlte, dass war das Verlassen elektronischer Strickmuster. Zu sehr schien das Duo auf die elektronischen „Zauberkästlein“ fixiert, auch wenn kein Synthesizer vorhanden war. Die Modulationen die, die Pads und Pedale erlaubten, verfremdeten den reinen Klang der beiden Instrumente Orgel und Saxofon. Doch sollte eine Heimorgel nicht wie eine biedere Heimorgel klingen? Dijf Sanders war da wohl anderer Meinung. Nun gut!



Urbaner Klang in Bewegung


Am zweiten Tag des Belgian Jazz Meetings war unter der Leitung des Kontrabassisten und Bildhauers Peter Jacquemin das Ensemble FUNDAMENT im Bijloke Musikzentrum zu erleben. Was gab es zu erleben, zu sehen und zu hören: Tieftöniges füllte den Raum. Musik aus der Bewegung. Musik in der Bewegung. Musik und Bewegung. Musik und Raum. Interaktionen im Raum. Raumnutzung bis hin zu einem Steg, der Gebäudeteile verbindet. Musik vor Waschbeton.

Fünf Kontrabassisten trafen auf einen Posaunisten – die höchste Stimme in der tieftönigen Gemengelage -, auf Baritonsaxofonisten, Tubisten und einen Basssaxofonisten. Bögen strichen über gespannte Saiten. Hände glitten vom Bauch des Basses gen Halsende. Körper waren tief gebeugt, gleichsam ins Instrument vertieft. In Reihe standen im nächsten Augenblick die Kontrabassisten, ehe ein Baritonsaxofonist hinzutrat. Ein Basssaxofonist durchschritt derweil den Raum.


Posaunengeflirre stieß auf Kontrabassschwirren. Schnarren und Schnurren war zu vernehmen. An tief fliegende Propellermaschinen konnte man beim Zuhören denken. Saxofone durchstießen dann die Phalanx der Kontrabassisten. Es war ein Kommen und Gehen, ein Vorwärtsschreiten und ein Zurückziehen zu beobachten, mal war es der Posaunist, mal einer der Basssaxofonist. Stets war Bewegung im Spiel. Der Raum wurde in Besitz genommen, aufgeteilt, mit Klängen und auch ganz physisch durch die einzelnen Musiker.

Dumpfer Schwall füllte den Raum aus. Laut werdende Musiker schritten auf das Publikum zu und wurden dann leise, zogen sich in den „hinteren Raumteil“ zurück. Dynamik wurde vermittelt. Alles schien nach einem organischen Plan vollzogen zu werden. Es gab eine Choreografie, die es zu entziffern galt.

Das Melodische hatte zumeist Sendepause. Tonales Grollen entwickelte sich. Klangliche Sturzflüge wurden vorgeführt, wenn auch nicht in tatsächliche Bewegung der Musiker umgesetzt. Eine Kreisbildung entstand zudem rund um den „Baumeister des Fundaments“, Peter Jacquemin. Kehlige Laute ergänzten das Schnarren und Schwingen der Basssaiten.


Die beiden Tubisten richteten die Trichter ihrer Instrumente gegeneinander, gingen ein wenig in die Knie, so als würden sie einen Kommentkampf austragen, so als würden sie griechisch-römischen Ringern gleichen, die auf den richtigen Griff warten.

Zungenschnalzen und die Posaune als Sprachrohr gab es zu erleben. Grunzen und Grollen waren zeitweilige Äußerungen, nicht nur des Basssaxofonisten. Breite Klangschweife wurden gezeichnet, auch vom Posaunisten, der auch solistisch agierte.


Bläserwortgewalt maß sich mit Basstieftönigkeit. Und irgendwann trat auch Stille ein. Die Frage stand im Raum: Alles improvisiert, aus dem Moment geboren oder doch skizzenhaft entworfen? Lassen wir mal diese Frage unbeantwortet, denn die „Inszenierung“ selbst war schon atemberaubend, die Frage nach Komposition oder freiem Spiel schien dabei wirklich Nebensache zu sein.



Science Fiction in der Handelsbeurs


Am Abend war wiederum die Handelsbeurs die Schaubühne für belgischen Jazz, so auch für das Jean-Paul Estiévenart Trio feat. Fabian Fiorini. Der Komponist und Pianist Fabian Fiorini war leider nicht am Flügel zu hören, sondern am Rhodes. Ob das allerdings der Musik von Jean-Paul Estiévenart dienlich war, ist  zu hinterfragen. Würde nicht eine ätzend, zornig, aufgebrachte, angesäuerte Trompete – Miles Davis in seinem Spätwerk spielte derart – besser zu einem wabernden und bisweilen an ein Vibrafon erinnerndes Rhodes passen?

Vorgestellt wurden Kompositionen aus dem aktuellen Album des Trios, das im Halbdunkel musikalisch unterwegs war. Dazu gehörten „Asphalt“, „M.O.A.“, „Mixed Feelings“ und am Schluss „Blade Runner“ wohl in Referenz zu dem gleichnamigen Science Fiction-Film, oder? Die Klangregie teilten sich dabei der aus der Nähe von Mons stammende Trompeter Jean-Paul Estiévenart und der Pianist Fabian Fiorini, der ein auffallend feuerrotes Jackett trug. Das hob sich schon von der sonst sehr gedeckten Kleidung der anderen Musiker ab und sei nur deshalb an dieser Stelle erwähnt.


Das, was Fiorini dem Rhodes entlockte, klang zeitweilig wie brechendes und gebrochenes Eis. Bisweilen hatte man auch das Bild von dicken Wassertropfen vor Augen, die in einen Teich platschen. Auf der anderen Seite sorgte der Pianist Fiorini auch für einen satten Klangteppich, über den die sanft gestimmte Trompete ihren Klangbogen spannen konnte. Hier und da hatte man den Eindruck, dass auch eine gewisse Tragik vermittelt werden sollte.  War da von vertanen Chance die Rede? Noch ein anderes Bild konnte man angesichts der musikalischen Inszenierung von „Asphalt“ im Kopf haben: Ein einsamer Nachtwandler zieht durch die Straßen, Regen setzt ein – so suggerierte es das „tropfende Spiel“ Fiorinis – der nächste dunkle Hauseingang wird zum Fluchort.

Ging da im weiteren Verlauf gar ein nächtlicher Platzregen nieder? Von Schattenmenschen schien das Quartett außerdem zu erzählen. Urbanes Getöse vernahm man, aber das lag in der Ferne, oder? Diskante Passagen, die Jean-Paul Estiévenart anstimmte, wurden vom Pianisten feinsinnig kommentiert. Beschwor Jean-Paul Estiévenart mit seinem Spiel nicht auch die Weite abseits des sogenannten Fjord-Sounds? Man konnte es jedenfalls meinen.

Bei „Mixed Feelings“ musste der Berichterstatter an Gustave Caillebottes Gemälde von Ruderern denken, die mir ihren Booten die glatte Wasseroberfläche durchschneiden. Und noch etwas schien mitzuschwingen: Wasserglasmusik, wenn man den Passagen genau folgte, die Fiorini auf dem Rhodes hervorbrachte. Auch Antoine Pierre kam in diesem Stück zu seinem Solo, variantenreich und nicht in Doppelt- oder Dreifachschemen verfangen.


Und schließlich gab es noch den Blade Runner, mit dem der Vortrag schloss. Dabei verloren sich die Musiker nicht in sphärischen Klangschwaden wie man es vielleicht bei einer Science-Finction-Adaptation hätte erwarten können.



Surf Sound oder John Zorn reloaded?


Schließlich zog auch das Trio um den Gitarristen Julien Tassin das Publikum recht zahlreich an. Angesichts des während des Konzerts geöffneten Barbetriebs wurde im Hintergrund des Foyers lautstark gelacht und geredet. Ein Surren und Summen wie in einem Bienenstock überlagerte die Musik. Selbst ein Zischen und Schscht half nichts, die verbale Inkontinenz nahm ihren Lauf. Respektlosigkeit wurde an den Tag gelegt. Der Vortrag der Musiker, Julien Tassin an der Gitarre, Nicolas Thys am Kontrabass und Dré Pallemaerts am Schlagzeug, schien nicht alle im Foyer einzunehmen. Nur warum bleibt man, wenn man eigentlich quatschen will? Denn: Hintergrundmusik war das nicht, was der aus Charleroi gebürtige E-Gitarrist Julien Tassin komponiert hat.

Die Vorankündigung, das Konzert würde das elektronische Universum öffnen, war allerdings völlig deplatziert. Eher musste man bei der Musik, deren Linien weitgehend Julien Tassin bestimmte, an The Ventures, die erfolgreichste Instrumental-Rock-Band aller Zeiten, ein bisschen an Dire Straits und auch an John Zorn denken. In gewisser Weise trifft der Begriff des Eklektizismus auf die Musik zu, die wir hörten. Hawaii war ebenso gegenwärtig wie zeitweiliger Country Blues. Bilder von der Superwelle und braungebrannten Surfern stellten sich beim Hören ein. Bunt gemusterte Hawaii-Hemden hätte man sich angesichts der Musik als Bühnenoutfit der drei Musiker durchaus vorstellen können.


Doch neben dem Surf Sound gab es noch genuinen Jazz, was man bei den solistischen Einlagen von Nicolas Thys heraushören konnte. Das war zugleich als gewisse Sprödigkeit anzusehen, weil der schwebende Klang der Gitarre das tieftönige Fingerzupfen beinahe konterkarierte. Mit Bedacht agierte Dré Pallemaerts an Toms, Snare und Blechen. Das war kein simples Haudrauf-Spiel, sondern sehr organisch in der Bewegung und im Wechsel von Sticks zu Besen oder Schlägeln.

Julien Tassin entführte uns in eine „Ghost Town“ - so eine der Kompositionen seines letzten Albums. Dabei konnte man auch die Vorstellung von „High Noon“ haben, sich knirschende Stiefel im Staub der Westernstadt denken.

Mit „Slow Motion“ präsentierte das Trio zudem einen ganz neuen Song, derweil das Gequatsche im Hintergrund anschwoll. Der allgemeine Redefluss war scheinbar nicht zu stoppen.

Doch zurück zur Musik: feste Schritte schienen E-Gitarre und Bass musikalisch aufzugreifen. Doch mehr und mehr verlor sich die Bodenhaftung, schien die Langsamkeit überwunden zu werden. Das vermittelte Julien Tassin auch durch seine Körpersprache, „tanzte“ er und hüpfte er ein wenig über die Bühne. Tassin stellte außerdem seinen Song für seine italienische Oma vor, daher der Titel „La Nona“. Schwang da nicht etwas Serenadenhaftes mit? Rock oder Fusion, Rock Jazz oder, oder, oder …? – das blieb am Endes des Konzert als Frage im Raum stehen.




Um es kurz zusammenzufassen. Die zwei Tage des diesjährigen Belgischen Jazztreffens stellten die Diversität von Jazz zur Diskussion, ließen Grenzüberschreitungen stets zu, regten zur Debatte darüber an, ob elektronische Beigaben nicht unterdessen die Regie über das Handgemachte übernommen haben. Puristen des Jazz sind bei den Konzerten allerdings wohl nur bei dem Auftritt von Mikael Godée und Eve Beuvens, bei Donder und mit Abstrichen bei FUNDAMENT auf ihre Kosten gekommen, oder? Post-Bop und Post-Modern suchte man in den zwei Tagen allerdings ebenso vergeblich wie Free Jazz.

Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther – Der Text und die Fotos sind nicht Public Commons!!


Informationen

Mikael Godée-Eve Beuvens Quartet

Mikael Godée  – soprano saxophone/compositions
Eve Beuvens – piano/compositions
Magnus Bergström – bass
Johan Birgenius – drums

http://www.evebeuvens.com/index.php/en/bands
http://www.migod.se/musik/



The Wrong Object

Michel Delville - guitar/guitar-synth/electronics
Marti Melia – bass and tenor saxophones/clarinet
François Lourtie – baritone and tenor sax
Antoine Guenet – keyboards
Damien Campion – bass
Laurent Delchambre – drums/electronic pad/samples

http://www.micheldelville.com/bands.html



Dijf Sanders

Dijf Sanders – multiinstrumentalist / organ plus electronics
Nathan Daems – multiinstrumentalist / tenorsax and flute

https://www.dijfsanders.com/



FUNDAMENT

Peter Jacquemyn – double bass, voice, concept (BE)
Eric Sleichim – tubax (BE)
Yannick Peeters – double bass (BE)
Kristof Roseeuw – double bass (BE)
Lode Leire – double bass (BE)
Pieter Lenaerts – double bass, voice (BE)
Jan Pillaert – tuba, voice (BE)
Carl-Ludwich Hübsch - tuba, voice (DE)
Matthias Muche – trombone (DE)
Gregoire Tirtiaux – baritone saxophone, voice (BE)
Mathieu Lilin – baritone saxophone (FR)
Peter Verdonck – bass saxophone, voice (BE)



Jean-Paul Estiévenart Trio feat. Fabian Fiorini

Jean-Paul Estiévenart – Trumpet
Fabian Fiorini – Piano
Sam Gerstmans – Double-bass
Antoine Pierre – Drums

http://www.jeanpaulestievenart.com/



Julien Tassin Trio

Julien Tassin – electric guitar/compositions
Nicolas Thys – double bass
Dré Pallemaerts – drums

https://www.julien-tassin.com/


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