Fred Lonberg-Holm/ Simon Camatta sonntags in der schwarzen Kiste
Es war einer der nachhaltigen im Gedächtnis bleibenden Sonntagabende, als der Cellist Fred Lonberg-Holm auf den Schlagzeuger Simon Camatta traf, der nicht nur mit CamattaMonk, sondern auch mit Wisseltangcamata in der freien Szene ein Begriff ist, mal von seiner Aktivität bei The Dorf ganz zu schweigen. Der Cellist Fred Lonberg-Holm ist seit Jahren fester Bestandteil der Free Jazz Szene Chicagos. Er spielte u.a. mit Anthony Braxton und John Zorn und war Mitglied in Peter Brötzmanns legendärem Chicago Tentet. Vorhang auf, auch wenn sich das in der cuba Black Box erübrigte. Zuhörer und Musiker waren sich hier eh sehr nahe und eine wirkliche Bühne gab es auch nicht.
Bei Musik, die aus dem Moment und für den Moment entsteht, scheint es überaus schwierig die richtigen Worte zu finden. Es war daher kein Zufall, dass Simon Camatta in einer kleinen Spielpause anmerkte, dass er und Fred Langberg-Holm musikalisch, aber sonst nicht so viel zu sagen hätten. Sie hätten einen schönen Tag an der Weser verbracht, viel Kaffee getrunken, seien mit Freunden unterwegs gewesen. Sie hätten also einen schönen Sonntag verbracht, ehe sie nach Münster gekommen seien. Fred Langberg-Holm fiel dazu spontan ein, dass es doch einen Film mit dem Titel „Menschen am Sonntag“ gäbe, der, so seine Erinnerung, Billy Wilder zu verdanken sei. Auf Nachfrage ins Publikum, ob denn jemand den Film kenne, bei dem es um ein Drama ginge, das kein Drama sei, meinte Simon Camatta spontan: „Na, dann heißt unser nächstes Stück halt so.“
Frei von Schemen
Diese kleine Episode zeigte sehr nachdrücklich, dass freie Improvisationen sich gegen Schemen und Zwänge auflehnen und so ganz und gar nicht zu unserem konventionellen Sprachkanon passen. Dennoch soll nachfolgend der Versuch unternommen werden, einige Eindrücke vom Konzert wiederzugeben. Dabei muss gleich vorweg bekannt werden, dass man eigentlich eine eigenständige lautmalerische Sprache entwickeln müsste, um tonale Sequenzen, bisweilen auch Geräuschfolgen, angemessen vermitteln zu können.
Noch etwas zeichnet freie Improvisationen aus: Sie beginnen, wenn die Musiker sich reif für den Anfang halten, und sie enden, wenn alles gesagt wurde, musikalisch gesagt wurde. Das ist für den Außenstehenden nicht unbedingt nachvollziehbar, auch nicht die jeweilige Dramaturgie, der Duktus, das Suchen oder Verwerfen des Melodischen, die ungebundene Form. So sind Konzerte mit derartiger Musik auch stets mit Überraschungen und unvorhergesehenen Wendungen gespickt.
Nun aber zur Begegnung von Simon Camatta und dem us-amerikanischen Cellisten mit dänischen Wurzeln Fred Lonberg-Holm, mit dem der Essener Musiker Simon Camatta im Rahmen einer kleinen Tournee auch einen Abstecher nach Münster unternahm.
Auf den Blick kommt es an
Zu einem Konzert gehören stets aus meiner Sicht auch die optischen Eindrücke. Im Falle des us-amerikanischen Cellisten, der ein „präpariertes“ Cello spielte, gehörte der „elektronische Zauberkasten“ dazu und auch Simon Camatta bot ein Sammelsurium an Schlagwerken auf, ob nun Blechdosen, eine Gliederkette, Glöckchen oder ein ausgefrästes Messingblech sowie ein Gong. Dass man mit den Besen nicht nur die Felle und das Messing wischen kann, sondern auch die „Handgriffe“ wichtig sein können, zeigte Camatta während des Abends nachhaltig. Auch Daumen und Handflächen, die über die Felle gezogen wurden, waren im Einsatz. Das Cello ließ sich mit Pluck und Plack und mit Huachthuacht vernehmen. Dazu gesellte sich ein Brummgetöse und Geheul. Als die Besen durch die Sticks ersetzt worden waren, steigerte sich die Dramatik des Spiels, das von kurzen melodiösen Anmutungen unterbrochen wurde. Das Cello wurde nicht nur mit dem Bogen gestrichen, sondern auch wie ein Bass gezupft. Auch der Bogen kam beim Zupfen zum Einsatz. Es war dabei der Frosch, so heißt der Bogenteil, der da eine wichtige Funktion in Fred Lonberg-Holms Händen spielte. Teilweise ließ der us-amerikanische Cellist den Bogen mit seinen Haaren auf den Saiten auch hoch- und herunterfahren sowie hin- und herschwingen, fernab des konventionellen Streichens und Ziehens. Teilweise klang es dann so, als würde man Fahrgeräusche einer Tram einfangen. Hin und wieder meinte man auch schnelle Schritte wahrzunehmen.
Zuhörer und Zuseher
Bereits von Anbeginn war man als Zuhörer auch Zuseher, denn es gab wirklich etwas zu sehen, nicht nur den Einsatz der Pedale für das Cello, sondern auch Schalter und Knöpfe, durch die sich Geräusche entwickeln und modulieren ließen. Sie bediente Fred Lonberg-Holm, nicht nur bei Delays. Simon Camatta „zauberte“ Glöckchen und Metalldöschen hervor, die er als Schlagwerk nutzte. Eine Kette schlug gegen die Trommelkörper oder auf den Trommelrand. Waren da nicht Deckel von Marmeladen und Gurkengläsern zu hören, die zusammengebunden, eine Art Rassel ergaben? Lauschte man dem Cello aufmerksam, dann meinte man, Maschinengeräusche wahrzunehmen. Rauschte da nicht gerade in diesem Moment ein Hammer hernieder?
Plötzlich kam Hektik auf. Simon Camatta veränderte das Tempo, trieb das Spiel voran, so dass man dachte, irgendwann gäbe es eine Katastrophe zu erleben. Oh, ist da ein Güterzug vorbeigerauscht und hat den Bremsvorgang begonnen? Ohrenbetäubend war es jedenfalls, was die beiden Musiker ihren jeweiligen Instrumenten abrangen. Laut wurde es und dann lauter. Man wartete auf den großen Knall, auf die Explosion, auf die Entladung. Doch weit gefehlt, das Tempo und der Geräuschschwall wurden noch gesteigert.. Es gab ein Knarzen und ein Röhren zu erleben. Signalsequenzen machten die Runde. Kettenschlag und Glöckchenklang setzten Akzente. Gewimmer und Geröchel meinte man, aus dem folgenden Klangschwall herauszuhören. Klangbilder oszillierten. Ein schmutziger E-Gitarren-Sound drang irgendwann auch aus dem Verstärker. Kurze Beats steigerten sich und die Sticks prasselten auf die Trommeln nieder. Das war nur ein Zwischenspiel, denn danach entspannte sich die Situation.
Hm, wurden wir gerade Ohrenzeuge gestörter Radiosender im Kurzwellen- und Langwellen-Bereich. Manchmal meinte man das. Irgendwie war stets Anspannung zu spüren. Doch nach etwa einer halben Stunde war es Zeit für eine Zäsur.
Danach setzten beide Musiker wieder an. Dabei vermeinte man ein „Glasharfenspiel“ auszumachen, als Fred Lonberg-Holm die Cellosaiten zum Schwingen brachte. Trippelnder Klang wurde auf der großen Trommel erzeugt. Alles passierte gleichzeitig und auch nebeneinander. Im Verlauf des zweiten Stücks meinte man gar, das Tropfen auf ein Blechdach prasseln. Derweil traktierte Simon Camatta einen „Gong“, den er sich auf die Oberschenkel gelegt hatte. Im weiteren Verlauf der Impro, gab es Momente, bei denen man an einen fahrenden D-Zug dachte, der über die Gleisschwellen rattert.
Musik war an diesem Abend stets auch Körperarbeit. Mit vollem Einsatz wurde das Schlagwerk bedient, die Blechdosen zum Klingen gebracht – stehend – und auch auf das „angefressene“ Messingblech wurde eingedroschen. Rabatz, Rabatz und Rabatz – das schien das Motto.
Kaum hatte man sich an gewisse Klanglagen gewöhnt, wurden diese von neuen überlagert, kamen Hupen und Sirenenlaute dazu, hörte man gleichsam Fräsmaschine und Stanzen im Einsatz.
Nach intensiven Klangwellen beendete das Duo Camatta/Lonberg-Holm den Abend beinahe versöhnlich-konzertant. Ja, Melodisches gab es zum Abschied, kein Knarren, Knarzen, Röhren und Röcheln. Beinahe meinte man, man lausche einer Art Requiem. Zumindest war das letzte Stück, das in den Hörfarben durch das Cello bestimmt wurde, sehr elegisch angelegt. Also erlebten wir doch die Suche nach der Melodie?
Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther